Drucksache 16/63 20. 06. 2011 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Dorothea Schäfer (CDU) und A n t w o r t des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz EHEC-Infektionen Die Kleine Anfrage 19 vom 30. Mai 2011 hat folgenden Wortlaut: An der gefährlichen Durchfall-Infektion EHEC erkranken immer mehr Menschen. Auch Rheinland-Pfalz ist bereits betroffen. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Situation und eine mögliche Ausbreitung des EHEC-Virus in Rheinland-Pfalz? 2. Was unternimmt die Landesregierung, um die Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz über die Risiken des EHEC-Virus zu informieren? 3. Wie wird sichergestellt, dass landesweit spezielle Vorsichtsmaßnahmen für öffentliche Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen und Altenheime getroffen werden können? Welche Vorsichtsmaßnahmen sind dies? 4. Inwieweit greifen Kontrollmechanismen angesichts der täglich hinzukommenden Gemüsesorten? 5. Welche Kontrollen werden im Detail unternommen? Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 20. Juni 2011 wie folgt beantwortet: EHEC ist eine Infektion mit dem enterohämorrhagischen Escherichia coli-Bakterium. Es handelt sich also entgegen der in den Fragen 1 und 2 verwandten Begrifflichkeit nicht um ein Virus. Von dem Darmkeim betroffene Patienten können an blutigen Durchfällen und als schwerste Komplikation an dem sogenannten hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) erkranken, das unter anderem mit Nierenschädigungen einhergehen und sogar zum Tod führen kann. In Rheinland-Pfalz sind seit Jahresbeginn bisher (Stand: 17. Juni 2011) 70 EHEC-Fälle gezählt worden, davon 29 in Zusammenhang mit dem aktuellen Ausbruchsgeschehen, und es sind sechs Personen an HUS erkrankt. In fünf Fällen besteht nach der aktuellen Falldefinition des Robert Koch-Instituts (RKI) ein Bezug zum aktuellen Ausbruchsgeschehen. Daneben besteht ein Verdachtsfall im Rahmen des aktuellen Ausbruchsgeschehen. Als wahrscheinlichste Quelle der bundesweiten EHEC-Infektion wurde zunächst verunreinigtes Gemüse ausgemacht. Eine entsprechende Verzehrswarnung des RKI sowie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für Tomaten, Salat und Gurken wurde in einer gemeinsamen Erklärung der drei genannten Institutionen vom 12. Juni 2011 wieder aufgehoben. Nach den aktuellsten Erkenntnissen des RKI, des BfR und des BVL können verunreinigte Sprossen die Erkrankung ausgelöst haben . Zugleich erhärtet sich aufgrund epidemiologischer Hinweise der niedersächsischen Behörden der Verdacht, dass Sprossensamen zu einer Kontamination der Sprossen ursächlich beigetragen haben könnten. Die Warnung vor Sprossen wurde durch das BfR am 12. Juni 2011 insoweit konkretisiert, als der Warnhinweis auch selbst gezogene Sprossen umfasst. Diese Erklärung wurde unverzüglich auch dem Landesuntersuchungsamt und den örtlich zuständigen Behörden zur Kenntnis gegeben. Trotz zahlreicher Untersuchungen auf Bundes- und Länderebene und der Aufdeckung von Verbindungen zwischen eintragsverdächtigen Lebensmitteln und ausgebrochenen Erkrankungen ist die Quelle des EHEC-Erregers bisher nicht abschließend identifiziert . Daher können die Experten auch heute noch nicht ausschließen, dass der Erreger noch in Umlauf ist. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 30. Juni 2011 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/63 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage 19 der Abgeordneten Dorothea Schäfer (CDU) wie folgt: Zu Frage 1: Nach wie vor treten in Rheinland-Pfalz nur ganz vereinzelt Krankheitsfälle auf. Bis auf den zuletzt gemeldeten Fall eines HU-Syndroms , in dem noch ermittelt wird, haben sich in allen Fällen eindeutige Hinweise auf eine Infektion in Norddeutschland ergeben, da sich die Erkrankten im relevanten Infektionszeitraum dort aufgehalten haben. Aus infektionsepidemiologischer Sicht ist daher bisher nicht von einer Ausbreitung des EHEC Stamms O104 auszugehen. Zu Frage 2: Die Landesregierung informiert die rheinland-pfälzische Bevölkerung auf vielfältige Weise. Hierzu gehören Pressemeldungen, Interviews in Radio und Fernsehen, Informationen über das Internetportal „EHEC-Task-Force Rheinland-Pfalz“ (inkl. den sogenannten FAQ), ein Info-Telefon (Tel. 06131/16-5533), das seit dem 3. Juni 2011 montags bis samstags von 9.00 bis 18.00 Uhr und – wegen stark abnehmender Nachfrage – seit dem 15. Juni von montags bis donnerstags von 10.00 bis 15.00 Uhr und freitags von 10.00 bis 12.00 Uhr geschaltet ist, sowie eine E-Mail-Adresse für individuelle Fragen. Zudem werden die Gesundheitsämter der Kreisverwaltungen und die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Kreis- und Stadtverwaltungen , die die Ansprechpartner der Bürgerinnen und Bürger vor Ort sind, mit aktuellen Informationen versorgt. Zu Frage 3: Das ist im Infektionsschutzgesetz für verschiedene Bereiche geregelt: Personen, die am HU-Syndrom erkrankt sind oder bei denen der Verdacht auf eine solche Erkrankung besteht, dürfen Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche nicht betreten, bis nach ärztlichem Urteil sichergestellt ist, dass keine Gefahr einer Weiterverbreitung mehr besteht. Das gilt auch für die Kontaktpersonen im häuslichen Umfeld, auch wenn bei ihnen keine Krankheitssymptome vorliegen. Über diese gesetzlichen Regelungen werden alle Beschäftigten in Schulen und Kindertagesstätten bei Aufnahme ihrer Tätigkeit belehrt und die Belehrungen sind in zweijährigen Abständen zu wiederholen. Die Sorgeberechtigten werden ebenfalls darüber belehrt, wenn die Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen aufgenommen werden. Das Betretungsverbot gilt so lange, bis durch Stuhluntersuchungen sichergestellt ist, dass keine Erregerausscheidung mehr erfolgt. Zuständig für die Überwachung ist das Gesundheitsamt. Ähnliches gilt für Beschäftige im Lebensmittelbereich. Hier tritt ein automatisches Beschäftigungsverbot in Kraft, sobald entsprechende Symptome auftreten. Es besteht eine Meldepflicht solcher Symptome gegenüber dem Arbeitgeber. Darüber wird jeder, der in diesem Bereich tätig wird, vor Aufnahme der Tätigkeit und danach jährlich belehrt. In Altenheimen sollte durch die vom Pflegepersonal einzuhaltende Händehygiene kein erhöhtes Infektionsrisiko gegeben sein. Für das Küchenpersonal gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Im Rahmen des Schulobstprogramms wurde den beteiligten Schulen in der 21. KW ein Informationsbrief übersandt, in dem die Schulen gebeten wurden, die bereits vorgewaschenen Produkte grundsätzlich in den Schulen unmittelbar vor dem Verzehr zu waschen . Parallel wurden die Lieferanten durch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten (MULEWF) angewiesen, bis zum Ende des Schuljahres (Abschluss der Lieferungen mit Ablauf der 24. KW) keine Produkte aus Norddeutschland und Spanien zu liefern und das komplette Gemüseangebot aus dem Programm zu nehmen. Die prophylaktisch stark eingeschränkte Produktpalette weist für die 23. und 24. KW nur noch aus Kühllagern stammende Äpfel aus heimischer Produktion sowie Bananen aus. Die Schulen wurden über die getroffenen Maßnahmen mit Informationsbrief des MULEWF vom 31. Mai 2011 informiert. Alle Studierendenwerke betreiben an den Hochschuleinrichtungen ihres Zuständigkeitsbereichs Mensen und wenden das Hazard Analysis and Critical Control Points-Konzept gemäß der EG-Verordnung 852/2004 an (abgekürzt: HACCP-Konzept, deutsch: Gefahrenanalyse und kritische Lenkungspunkte). Sie unterliegen insoweit der Kontrolle durch das zuständige Gesundheitsamt. Die EHEC-Infektionen werden von allen fünf der Aufsicht des Landes unterstehenden Studierendenwerken ernst genommen. Bei allen Studierendenwerken wurden die Beschäftigten verstärkt auf die Einhaltung der bestehenden Hygienevorschriften gem. dem HACCP-Konzept hingewiesen; problematische Lebensmittel gem. den aktuellen Empfehlungen des Robert Koch-Institutes werden nicht verwendet. Darüber hinaus wurden und werden bei den Studierendenwerken unterschiedliche Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit des Speisenangebotes zu erhöhen, hinsichtlich – der Hygienestandards wie z. B.: – längeres Waschen von Blattsalat – unangekündigte Audits mit Abklatschproben und mikrobiologischen Untersuchungen – verstärkte Kontrolle der Lebensmittel- und Küchenhygiene – der verwendeten Lebensmittel wie z. B.: – Nachweis der Lieferanten über Herkunft der Produkte mit Angabe der Lieferwege und evtl. Vorlieferanten 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Drucksache 16/63 – verstärkte Verwendung bei Waren aus der Region – Bestätigung der Gemüse- und Salatlieferanten, dass die Produkte auf EHEC voruntersucht wurden – des Speisenangebotes, wobei eine kurzfristige Anpassung der Produktion entsprechend dem jeweils aktuellen Stand der Fachdiskussion erfolgt, z. B. durch: – teilweise Umstellung des Speiseplans auf gegarte/gekochte Gemüsesalate – Wahlmöglichkeit zwischen Gemüse und Salat bei einzelnen Essen. Um die persönliche Entscheidungsfreiheit der Gäste hinsichtlich der Bewertung einer möglichen Infektionsgefahr sicherzustellen werden z. B. angeboten: – getrenntes Angebot der Komponenten bei Frischsalaten und Zusammenstellung je nach Wunsch – Information über die verwendeten Produkte für ratsuchende Gäste durch Aushänge, spezielle Ansprechpartner/-innen vor Ort oder über die Homepage. Hinsichtlich der von den Studierendenwerken betriebenen Kindertagesstätten werden bei der Essensversorgung der Kinder (Stand: 8. Juni 2011) folgende Vorsichtsmaßnahmen ergriffen: – Studierendenwerk Kaiserslautern: Auf rohe Frischprodukte wird derzeit verzichtet. – Studierendenwerk Koblenz: Auf rohe Frischprodukte wird derzeit verzichtet. – Studierendenwerk Vorderpfalz: Kein Angebot an Salat, Gurke und Tomate. Zu den Fragen 4 und 5: Soweit die Kontrolle von Lebensmitteln angesprochen wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Lebensmittelproduzenten für die Sicherheit der von ihnen angebotenen Lebensmittel verantwortlich sind. Dieser Verpflichtung kommen die Obst- und Gemüsegroßmärkte sowie die privaten Obst- und Gemüsevermarkter/-produzenten nach, indem sie Eigenkontrollmaßnahmen durchführen und alle Vermarktungschargen stichprobenartig auf den Befall mit EHEC untersuchen lassen. Dies auch, weil es kaum mehr möglich war, Obst oder Gemüse ohne ein Zertifikat der Unbedenklichkeit zu vermarkten. So wurden nach Kenntnis der Landesregierung bis 16. Juni im Rahmen der Eigenkontrolle ca. 740 Obst- und Gemüseproben durch die LUFA in Speyer und weitere private Labors getestet. Zusätzlich zu den Eigenkontrollen wurden für den Bereich der landwirtschaftlichen Produktion auch Waschwasserproben gezogen und es wurden bei einem Fünftel aller Biogasanlagen in Rheinland-Pfalz Gärresteproben und bei einigen tierhaltenden Betrieben Gülleproben gezogen. In diesen insgesamt 34 Proben, davon 21 Gärresteproben, elf Rindergülleproben, eine Schweinegülleprobe und eine Partie Hühnertrockenkot, konnten keine EHEC-Bakterien nachgewiesen werden. Alle diese Stoffe werden als organische Düngemittel genutzt. Neben diesen umfangreichen privaten Untersuchungen fanden und finden verstärkt auch nach dem sogenannten Flaschenhalsprinzip und unter Beachtung des Sitzland-Prinzips amtliche Probennahmen durch die örtlich zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden insbesondere bei Obst- und Gemüsegroßhändlern statt. Die Untersuchung dieser amtlichen Proben führt das Landesuntersuchungsamt durch. Die planmäßige Beprobung von Lebensmitteln erfolgt nach einem landesweiten, risikoorientierten Probenplan, der vom Landesuntersuchungsamt unter Beteiligung des zuständigen Ministeriums und der Kommunen festgelegt wird. Daneben werden zu einem geringeren Anteil auch sogenannte Verdachtsproben genommen. Aufgrund des EHEC-Geschehens wurden die amtlichen Proben zum EHEC-Nachweis deutlich ausgeweitet. Alle bisher untersuchten Proben waren hinsichtlich des im Fokus stehenden EHEC-Stammes O104 negativ. Für die Zulieferung zu dem in Verdacht geratenen niedersächsischen Sprossenproduktionsbetrieb wurden auch Saatgutlieferanten aus Rheinland-Pfalz ermittelt. Dort wurden amtliche Proben des Saatgutes gezogen und auf EHEC untersucht, ebenfalls mit negativem Ergebnis. Jochen Hartloff Staatsminister 3