Drucksache 16/846 01. 02. 2012 K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp und Dr. Tanja Machalet (SPD) und A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Neue Form von Lohndumping – Missbrauch von Werkverträgen verhindern Die Kleine Anfrage 572 vom 19. Januar 2012 hat folgenden Wortlaut: Im Wandel der Erwerbsformen hin zu immer mehr atypischer und zunehmend auch prekärer Beschäftigung befindet sich ein neues Billigmodell auf dem Vormarsch. Unternehmen setzen zur Umgehung von tariflich und arbeitsrechtlich abgesicherten Arbeitsverhältnissen verstärkt auf die Verlagerung des Kerngeschäfts auf den Einsatz von Werkverträgen. Damit kommt es zu verdeckter Leih - arbeit und Scheinwerkverträgen. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Entwicklung? 2. Welche Folgen ergeben sich für die von Werkverträgen betroffenen Menschen und für die Belegschaften? 3. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, der Zunahme von missbräuchlichen Werkverträgen und Lohndumping auch in Rheinland-Pfalz entgegenzuwirken? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 30. Januar 2012 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die den deutschen Arbeitsmarkt dominierende und charakterisierende Beschäftigungsform ist das sogenannte Normalarbeitsverhältnis , also eine sozialversicherungspflichtige, unbefristete Beschäftigung. Sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse, wie geringfügige Beschäftigung, befristete Arbeitsverhältnisse oder Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit und auch Werkverträge nehmen allerdings deutlich zu. Insgesamt stieg die Zahl der atypischen Beschäftigten im Jahr 2010 nach Angaben des Statistischen Bundesamts bundesweit auf 7,84 Millionen. Ihr Anteil an allen abhängig Beschäftigten hat sich damit auf rund 25,4 Prozent erhöht. Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind nicht durchweg als prekär anzusehen, aber atypische Beschäftigung geht häufig mit prekärer Beschäftigung einher. Die Landesregierung sieht diese Entwicklung mit großer Sorge. Aktuell befinden sich Werkvertragsregelungen auf dem Vormarsch. Gegen den Einsatz von Werkverträgen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Das sieht allerdings anders aus, wenn der Einsatz missbräuchlich erfolgt. Aus Sicht der Landesregierung werden Werkverträge zunehmend zur Unterbietung niedrigster Lohnkosten und zur Umgehung von Schutzrechten und gesetzlichen Beschränkungen , wie der Lohnuntergrenze in der Leiharbeit, eingesetzt. Grundsätzlich wird mit einem Werkvertrag die Erstellung eines Werkes, also die Herbeiführung eines üblicherweise in sich abgeschlossenen Arbeitsergebnisses für den Besteller gegen entsprechende Vergütung vereinbart. Zwei Konstellationen sind dabei zu unterscheiden: – Werkverträge mit Einzelpersonen, die das Werk persönlich erstellen, zum Beispiel: Freie Redakteure, Wissenschaftliche Mitarbeiter an Universitäten oder – Werkverträge mit Unternehmen, die ihre abhängig oder wiederum über Werkvertrag gebundenen „Mitarbeiter“ zur Erfüllung des Vertrags einsetzen. Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 14. Februar 2012 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode Drucksache 16/846 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Formal unterliegt – unabhängig von der Konstellation – der Einzelne keiner oder nur der Weisung des (Werkvertrag-)Unternehmers , nicht der des Bestellers. Auch werden sie nicht in den Betrieb des Bestellers integriert. Die Realität sieht allerdings anders aus. Die Weisungsunabhängigkeit wird in vielen Fällen nicht eingehalten und zugleich eine faktische Integration in den Betrieb vorgenommen , ohne dass die Arbeitnehmerschutzrechte greifen und eine Absicherung über die Sozialversicherungssysteme erfolgt. Damit liegt bei einem Vertrag mit einer Einzelperson ein klassischer Fall von Scheinselbstständigkeit vor. Zudem werden in der zweiten genannten Konstellation (Werkverträge mit Unternehmen) Werkvertragsregelungen, besonders im Einzelhandel, zum Beispiel in Supermärkten zur Einräumung der Regale oder in der fleischverarbeitenden Industrie, aber auch in weiteren Branchen, dazu genutzt, zentrale Aufgaben an Subunternehmen zu vergeben. Die Subunternehmer erledigen mit ihren Beschäftigten die gleichen Aufgaben wie ursprünglich die Stammbelegschaft des „outsourcenden “ Unternehmens, allerdings in der Regel zu einem niedrigeren Entgelt als die Stammbelegschaft. In diesen Fällen handelt es sich sehr häufig um unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Zu 2.: Der Missbrauch von Werkverträgen als eine Ausprägung prekärer Beschäftigung birgt die Gefahr einer gesellschaftlichen Abwärts - entwicklung für jeden einzelnen Betroffenen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Fehlende finanzielle Absicherung und Planungssicherheit und die häufig bestehende Abhängigkeit von staatlichen Unterstützungsleistungen auf der einen und die fehlende soziale Anbindung auf der anderen Seite führen zu einem schleichenden Exklusionsprozess. Diese Abwärtsentwicklung ist nicht akzeptabel. Ebenso wenig wie die Spaltung der Belegschaften. Neben die Stammbelegschaft treten zunehmend Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer und als weitere Gruppe die „Werkvertraglerinnen und Werkvertragler“. Folge des Anstiegs prekärer Beschäftigung und des missbräuchlichen Einsatzes von Werkverträgen ist, dass das soziale Klima und die Einkommensverteilung in Deutschland zunehmend in Schieflage geraten. Das bestätigt auch eine aktuelle OECD-Studie von Dezember 2011, nach der die Einkommensungleichheit in Deutschland seit 1990 stärker gewachsen ist als in den meisten anderen OECD-Ländern. Zudem werden durch die Gestaltung über Werkverträge den Sozialversicherungssystemen Beiträge entzogen. Zu 3.: Die Landesregierung spricht sich ausdrücklich gegen einen missbräuchlichen Einsatz von Werkverträgen aus. Die Landesregierung hat sich bereits im Rahmen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im Oktober 2011 zur Verhinderung von Lohndumping und des zunehmenden Missbrauchs von Werkverträgen für – eine Stärkung der Rechte der Betriebsräte in Bezug auf Werkverträge, – die Einführung von neuen Regeln und Kontrollmöglichkeiten zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit und unerlaubten Ar- beitnehmerüberlassung und – die Verhinderung der Umgehung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, insbesondere durch Werkverträge, stark gemacht. Wesentlicher Ansatzpunkt bei der Bekämpfung von Lohndumping bleibt das Engagement der Landesregierung für die Einführung eines flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohns. Darüber hinaus ist es aus Sicht der Landesregierung wichtig, in einen gesellschaftlichen Diskurs zur Frage des Wertes von Arbeit einzutreten, den wir nicht zuletzt durch die Konferenz zum Thema der Chancen und Risiken neuer Beschäftigungsformen im Dezember des vergangenen Jahres angestoßen haben. Die Landesregierung wird den Weg der Aufklärung über die Folgen für die betrof - fenen Beschäftigten und für das Sozialversicherungssystem auch weiter beschreiten. Malu Dreyer Staatsministerin