Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 14. Juli 2016 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 17. Wahlperiode Drucksache 17/171 zu Drucksache 17/28 16. 06. 2016 A n t w o r t des Ministeriums des Innern und für Sport auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Matthias Lammert (CDU) – Drucksache 17/28 – Härtere Strafen für Gaffer Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/28 – vom 25. Mai 2016 hat folgenden Wortlaut: Bei Unfällen auf der Autobahn haben Probleme mit Gaffern in den vergangenen Jahren eine ganz neue Dimension erreicht. Das Filmen und Fotografieren mit anschließender Verbreitung der Aufnahmen in sozialen Netzwerken ist mittlerweile an der Tagesordnung . Wie die Rhein-Zeitung vom 14. Mai 2015 berichtete, bringen die Länder Niedersachsen und Berlin jetzt eine Gesetzes - initiative in den Bundesrat ein, die das Fotografieren von Unfallopfern und das Behindern von Rettungskräften unter Strafe stellt. Ein Paragraph des Strafgesetzbuches soll dazu erweitert und einer hinzugefügt werden. Der Polizei soll so ermöglicht werden, Handys von Menschen, die Unfallopfer filmen, schon vor Ort zu beschlagnahmen. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Sollte das Filmen und Fotografieren von Unfallopfern aus Sicht der Landesregierung künftig als Straftat gelten? Wenn nein, wa rum nicht? 2. Sollte das Behindern von Rettungskräften aus Sicht der Landesregierung künftig als Straftat gelten? Wenn nein, warum nicht? 3. Plant die Landesregierung, die Bundesratsinitiative der Länder Berlin und Niedersachsen zu unterstützen? Wenn nein, warum nicht? 4. Wie viele Polizeieinsätze gegen Gaffer wegen Behinderung von Rettungskräften gab es von 2012 bis heute in Rheinland-Pfalz (bitte jeweils Datum, Ort, Lagebild auflisten)? 5. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für sinnvoll, um gegen Gaffer vorzugehen? Das Ministerium des Innern und für Sport hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 16. Juni 2016 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Das Filmen und Fotografieren von Unfallopfern ist bereits nach geltendem Recht unter bestimmten Voraussetzungen strafbar. In Betracht kommen insoweit die Tatbestände der § 201 a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen ) und § 33 KunstUrHG (Kunst- und Urhebergesetz). Die Gesetzesinitiative der Länder Niedersachsen und Berlin bezieht sich ausschließlich auf das Persönlichkeitsrecht verstorbener Personen, da vom Schutzbereich des § 201 a StGB lediglich lebende Personen erfasst sind. § 33 KunstUrHG stellt das Verbreiten, nicht jedoch das Anfertigen solcher Bildnisse unter Strafe. Ein postmortaler Persönlichkeitsschutz im Wege der von dem Gesetzesantrag der Länder Niedersachen und Berlin beabsichtigten Erweiterung des § 201 a StGB auf diesen Personenkreis ist nach Auffassung der Landesregierung unterstützenswert. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bedingt durch die mittlerweile nahezu flächendeckende Verfügbarkeit von Smartphones mit Fotografie- bzw. Videofunktion die Fertigung von Bild- und/oder Tonaufnahmen auch bei anderen Anlässen (z. B. bei Polizeieinsätzen, Gerichtsverhandlungen ) Probleme aufwerfen, die einen umfassenden Lösungsansatz erfordern. Zu Frage 2: Zunehmend ist zu beobachten, dass Schaulustige die Rettungsarbeiten zumindest erschweren, in Einzelfällen gar die Rettung Verunglückter verhindern. Das Behindern von Rettungseinsätzen kann schon jetzt, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323 c StGB) oder fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) erfüllen. Des Weiteren kommt eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach der Straßenverkehrsordnung oder dem Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetz in Betracht. § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) sanktioniert die Fälle, in denen eine Behinderung durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt vorgenommen wird. Das bloße „faktische“ behindern, z. B. durch Sitzen- oder Stehenbleiben, Nichtentfernen bzw. Versperren von Rettungswegen ist durch § 113 ff. StGB nicht umfasst. Diese Strafbarkeitslücke könnte durch Drucksache 17/171 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode 2 den Gesetzesantrag im Bundesrat geschlossen werden.Von einer generellen Heraufstufung von bislang als Ordnungswidrigkeiten eingestuften Verhaltensweisen zu einer Straftat ist mit Blick darauf, dass das Strafrecht das schärfste Steuerungsinstrument des Staates darstellt und daher aus rechtsstaatlichen Gründen nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sorgfältig zu prüfen. Eine strafrechtliche Regelung muss präzise formuliert sein und sollte sozial adäquate Verhaltensweisen nicht erfassen. Zu Frage 3: Der Gesetzesantrag der Länder Niedersachsen und Berlin wird im Plenum des Bundesrates am 17. Juni 2016 beraten werden. Die Landesregierung wird, wie bei solchen Abstimmungen üblich, ihr Stimmverhalten auch im Lichte etwaiger Änderungsanträge anderer Länder im Vorfeld dieser Sitzung abschließend festlegen. Zu Frage 4: Eine treffgenaue Suche im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem POLADIS ist – insbesondere über den angefragten Zeitraum von fünf Jahren – nicht möglich. Gleichwohl lassen sich aus der Rückfrage bei den Einsatzkräften entsprechende Ereignisse nachvollziehen und wie nachfolgend ersichtlich darstellen: Datum Ort Kurzsachverhalt PP Westpfalz 21. Mai 2016 Pirmasens Gewaltsames Durchbrechen der Absperrung anlässlich eines Suizidanten auf einer Brücke. PP Trier 2. März 2014 Graach/Mosel Tödlicher Verkehrsunfall – Teilnehmer an Karnevalsumzug in der Nähe strömten zu Hunderten an die Unfallstelle, um Rettungsmaßnahmen zu filmen und behinderten massiv. 10. Dezember 2014 Trittenheim (PI Schweich) Tödlicher Verkehrsunfall – „Gaffer“ musste mittels einfacher körperlicher Gewalt vom Unfallort weggeschoben werden. 17. Januar 2015 BAB 1, km 126, Fahrtrichtung Koblenz Schwerer Verkehrsunfall – zwei „Gaffer“ halten auf der Richtungsfahrbahn an, um den Verkehrsunfall zu fotografieren. 10. April 2015 Mehring (PI Schweich) Großbrand – teils massive Behinderungen der Löscharbeiten. PP Rheinpfalz 5. Juli 2015 Ilbesheim (bei Landau) Großbrand – langsam vorbeifahrender „Gaffer“ behindert die Löscharbeiten; Aufforderung sich zu entfernen, wird mit „Vogel“ zeigen quittiert. PP Mainz 12. Februar 2015 Mainz Person fällt vor einen Bus – bei Eintreffen der Kräfte waren viele „Gaffer“ vor Ort, welche die Unfallstelle belagerten. Platzverweise wurden ausgesprochen. 26. April 2015 Essenheim Brand eines Humuswerkes – durch Einsatzkräfte mussten Schaulustige permanent daran gehindert werden, die Einsatzstelle zu betreten. Platzverweise wurden ausgesprochen. 25. Mai 2015 Worms Brand einer Lagerhalle – das Feuer drohte auf die angrenzende Asylbewerberunterkunft überzugreifen. Polizeiliche Unterstützungskräfte mussten zahlreiche Schaulustige aus der Gefahrenzone räumen. Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Drucksache 17/171 Zu Frage 5: Um gegen „Gaffer“ vorzugehen, sind eine Vielzahl an Maßnahmen denkbar, die – je nach Ausgangslage – auch intensiviert zum Einsatz kommen: Neben Standardmaßnahmen, wie z. B. das Ansprechen der Schaulustigen sowie der Hinweis auf Gefahren am Einsatzort (Rauchgasintoxikation , Folgeunfälle, etc.), Platzverweisungen sowie letztlich auch Ingewahrsamnahmen, kommen auch technische Lösungen in Betracht. Vor allem kommt der weiträumigen Absperrung, um Blicke auf die Einsatzstelle zu verhindern, eine hohe Bedeutung zu. Diese Maßnahme kann durch mobile Sichtschutzwände unterstützt werden. Wie bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage 4179 ausgeführt, haben kommunale Aufgabenträger solche Sichtschutzwände bereits angeschafft, andere verwenden Planen oder Decken als Sicht- bzw. Fotografierschutz. 3 Datum Ort Kurzsachverhalt PP Mainz 27. Oktober 2015 Mainz-Drais Brand einer Garage – Schaulustige mussten mittels Platzverweisen aus dem Wirkbereich der Feuerwehr verwiesen werden. 2. Mai 2016 Ingelheim Tödlicher Verkehrsunfall mit einem Fahrradfahrer – Einsatzkräfte wurden durch „Gaffer“ massiv behindert. Die Gaffer fertigten Video- und Fotoaufnahmen der Reanimation sowie des Verstorbenen an. Fahrzeuge fuhren verlangsamt und filmend an der Unfallstelle vorbei. Letztlich musste durch die Feuerwehr ein Sichtschutz aufgebaut werden. 15. Mai 2016 Mainz Verkehrsunfall mit Dienst-Kfz – 50 Schaulustige, darunter auch Angehörige der Ultraszene Mainz, belagerten die Unfallstelle und behindern die Aufnahme des Unfalls massiv. Platzverweise wurden ausgesprochen. 22. Mai 2016 Ingelheim Verkehrsunfall mit schwerverletztem Fahrer – „Gaffer“ behindern die Rettungsarbeiten und müssen mittels Platzverweisung zurückgedrängt werden. Ein 35-jähriger Mann hält seine 3-jährige Tochter hoch über die Helfer, damit sie den verletzten, am Boden liegenden Mann sehen kann. Auf sein Verhalten angesprochen wird der Mann gegenüber den Beamten ausfällig. Platzverweise und Aufbau von Sichtschutz. 31. Mai 2016 Guntersblum Suizid im Gleisbereich – „Gaffer“ werden auf einer Überführung gemeldet. Bei der Nachschau durch Einsatzkräfte können diese jedoch nicht mehr festgestellt werden. PP Koblenz 13. Februar 2015 Mühlheim-Kärlich Dachstuhlbrand in Brauhaus – nach Eintreffen der Kräfte werden seitens der Polizei aufgrund einer Großzahl an Schaulustigen Absperrmaßnahmen getroffen. 6. März 2016 Koblenz Tödlicher Verkehrsunfall – auf einer Brücke direkt an der Unfallörtlichkeit sammelten sich fünf Fahrzeuge und ca. zehn Personen an, die von dort aus die Übersichtlichkeit nutzten und filmten/fotografierten, wie Personen reanimiert wurden bzw. verstarben. Auf Zeichen, sich von der Brücke zu entfernen, wurde freundlich zurückgegrüßt. Platzverweis angedroht, aber nicht ausgesprochen, bzw. durchgesetzt. 25. April 2016 Andernach Reanimation durch Rettungsdienst – Polizei musste den Einsatzort vor zahlreichen Schaulustigen abschirmen. 22. Mai 2016 Hilgenroth (PI Altenkrichen) Verkehrsunfall mit Radfahrer – bis zu zehn Personen beobachten die Rettungsmaßnahmen – zudem: Penetrantes Nachfragen nach Personalien des Verunfallten; Unverständnis für Verweigerung der Angaben durch die Polizei. Drucksache 17/171 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Darüber hinaus greift auch eine mediale Aufbereitung entsprechender „Gaffer-Einsätze“ in den einschlägigen Medien, insbesondere den sozialen Netzwerken. Im Nachgang des in der Antwort auf Frage 4 aufgeführten Falles vom 2. Mai 2016 in Ingelheim erfolgte beispielsweise durch das PP Mainz eine deutliche Kritik am Verhalten der Schaulustigen auf Facebook. Diese Nachricht erreichte über 1,3 Millionen Nutzer, wurde fast 10 000 mal geteilt und erhielt 1 600 Kommentare. Nahezu alle Nutzer verurteilen das Verhalten der Schaulustigen. Gleichzeitig gilt es dabei jedoch, diese Aspekte – wie heute schon üblich – in positive Appelle zu überführen und Verhaltenshinweise zu geben, die klarstellen, wie sich Unbeteiligte bei solchen Rettungsmaßnahmen korrekterweise verhalten sollten. Eine Schließung von Strafbarkeitslücken würde insofern als zusätzliche Maßnahme im Sinne der Generalprävention abschreckend in der Bevölkerung wahrgenommen werden. Gleichwohl ist darauf zu achten, dass die bereits derzeit geltenden Rechtsnormen eine angemessene Anwendung finden: §§ 29, 37 Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetz sehen eine Ordnungswidrigkeit bei vorsätzlicher oder leichtfertiger Behinderung von Hilfsmaßnahmen der Polizei, Feuerwehr oder anderer Hilfsorganisationen vor. Dies gilt auch, wenn Anweisungen des Einsatzleiters nicht nachgekommen wird. Die Norm sieht ein Bußgeld von bis zu 5 000 Euro vor. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass gerade in der Erstphase eines Rettungseinsatzes, der von Personalknappheit am Einsatzort gekennzeichnet ist, oft keine Kräfte zur weiträumigen Absperrung, Identitätsfeststellung oder Platzverweisung, etc. vorhanden sind, da die Gewährleistung der Rettung Verletzter oberste Priorität genießen muss. In Vertretung: Günter Kern Staatssekretär 4