Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 19. Januar 2017 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 17. Wahlperiode Drucksache 17/1851 zu Drucksache 17/1696 15. 12. 2016 A n t w o r t des Ministeriums der Justiz auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gabriele Bublies-Leifert (AfD) – Drucksache 17/1696 – Lebens- und Entwicklungssituation von Kindern getrennt lebender Eltern Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/1696 – vom 24. November 2016 hat folgenden Wortlaut: Das Statistische Bundesamt zählte 2014 etwa 2,7 Millionen Alleinerziehende. Davon 2,3 Millionen alleinerziehende Mütter und 0,4 Millionen alleinerziehende Väter. Wenn man die 0,5 Millionen verwitweten Eltern abzieht, bleiben 2,2 Millionen „Alleinerziehende “ in Deutschland. Multipliziert mit Deutschlands „1,4“ Kindern sind das über 3 Millionen deutsche Kinder, die im sogenannten Residenzmodell leben, d. h. meist ganz überwiegend oder ausschließlich bei der Mutter. Der Europarat hat mit Resolution 2079 bereits im Oktober 2015 auf Einführung des Wechselmodells als nahezu unumgänglichen Standard gedrängt. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht von Fehlentwicklungen bei den betroffenen Kindern und der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Deutschland frage ich die Landesregierung: Was hat die Landesregierung bis heute für die Einführung des sogenannten Wechselmodells bzw. der Doppelresidenz für Kinder von getrennt lebenden Eltern unternommen und/oder was plant sie zu unternehmen? Das Ministerium der Justiz hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 wie folgt beantwortet: Das sogenannte Wechselmodell steht als Oberbegriff für eine periodisch wechselnde physische Betreuung von Kindern nach einer Trennung der Eltern. Eine einheitliche Definition des Begriffs Wechselmodell existiert bislang nicht. Der Kindesaufenthalt wechselt in der Regel zwischen der Wohnung der Mutter und des Vaters; man spricht insoweit auch von einem Pendelmodell oder einer Doppelresidenz. Bei abwechselnder Betreuung durch Mutter oder Vater und kontinuierlichem Kindesaufenthalt in einer Wohnung ist die Rede von einem Nestmodell. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof liegt ein Wechselmodell in engerem Sinne dann vor, wenn die Eltern die abwechselnde Betreuung des Kindes in nahezu gleich langen Phasen übernehmen (Beschluss vom 12. März 2014 – XII ZB 234/13 – FamRZ 2014, 917). Der sogenannte Regelumgang umfasst die Wochenenden alle 14 Tage und die Hälfte der Ferien und hohen Feiertage. Eine darüber hinausgehende, aber zeitlich ungleiche Betreuung durch die Elternteile wird in der Rechtsprechung als erweiterter Umgang bezeichnet. In der öffentlichen Diskussion wird in diesen Fällen vielfach von einem Wechselmodell im weiteren Sinne gesprochen, das bereits ab einem Betreuungsanteil von 30 Prozent vorliegen soll. In Deutschland ist das Wechselmodell gesetzlich nicht geregelt. In der Mehrzahl aller Fälle wird das Residenzmodell praktiziert, bei dem das Kind nach einer Trennung bei einem Elternteil lebt. Alternativ ermöglicht die derzeitige Rechtslage bereits heute eine Betreuung des Kindes nach dem Wechselmodell im engeren Sinne auf der Grundlage entsprechender einvernehmlicher Vereinbarungen der Eltern. Die Eltern haben die elterliche Sorge gemäß § 1627 BGB zum Wohle des Kindes auszuüben. Hierzu zählt nach § 1626 Abs. 3 BGB insbesondere der Umgang mit beiden Elternteilen oder/und Personen, zu denen das Kind eine Bindung besitzt. Eine abweichende Regelung kann das Familiengericht nur dann treffen, wenn durch die getroffene Vereinbarung das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Ein erweiterter Umgang kann nach geltendem Recht ebenfalls auf Grundlage einer einvernehmlichen Vereinbarung der Eltern praktiziert werden. Daneben kann nach § 1684 Abs. 3 BGB eine Anordnung des erweiterten Umgangs durch das Familiengericht erfolgen, wenn dadurch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Eltern im konkreten Fall dem Wohl des Kindes im Sinne des § 1697 a BGB am besten entsprochen wird. Die Diskussion um eine rechtliche Verankerung des Wechselmodells ist bereits seit einiger Zeit im Gange und wird kontrovers geführt. Drucksache 17/1851 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Kammerentscheidung vom 24. Juni 2015 (1 BvR 486/14 - NJW 2015, 3366) angesichts einer fehlenden gesetzlichen Regelung zum Wechselmodell ausgeführt, dass die geltenden Vorschriften über die Zuordnung von Sorge- und Umgangsrechten getrennter Eltern verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien. Weder aus Artikel 6 noch aus Artikel 3 des Grundgesetzes folge, dass der Gesetzgeber den Gerichten für die Zuordnung von Rechten und Pflichten getrennt lebender Eltern eine paritätische Betreuung als Regel vorgeben und eine abweichende gerichtliche Regelung als Ausnahme ausgestalten müsse. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht die vorangegangene Rechtsprechung eines Oberlandesgerichts, wonach die Anordnung einer paritätischen Betreuung bei erheblichen Kommunikationsschwierigkeiten und prognostizierter weiterer Steigerung des hohen Konfliktpotenzials der Eltern als nicht dem Kindeswohl entsprechend abzulehnen sei, als „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“ bezeichnet. In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, das Wechselmodell fördere generell das Kindeswohl und solle daher auch gegen den Willen eines der Elternteile angeordnet werden können (so Sünderhauf FamRB 2013, 290 und 327). Überwiegend werden dagegen ein Grundkonsens der Eltern und die Bereitschaft, den gesteigerten Kooperationsanforderungen des Wechselmodells gerecht zu werden, als unerlässliche Voraussetzungen angesehen (so Salzgeber NZFam 2014, 921; Heilmann NJW 2015, 3346; Hammer FamRZ 2015, 1433). Daran anknüpfend wird gefordert, die vorrangige einvernehmliche Regelungsbefugnis der Eltern rechtlich auszugestalten und geeignete, rechtsverbindliche Regelungsinstrumente zu schaffen. Eine entsprechende Aufforderung an den Bundesgesetzgeber hat die Kinderrechtskommission des Deutschen Familiengerichtstages mit ihrem im Jahre 2014 vorgelegten Untersuchungsbericht formuliert. Nicht geboten sei allerdings die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die richterliche Anordnung des Wechselmodells ohne entsprechenden Elternkonsens (veröffentlicht in FamRZ 2014, 1157, 1166, 1167). Die flexible Gestaltung gemeinsamer Elternschaft im Rahmen eines Wechselmodells war auch Gegenstand einer Petition an den Deutschen Bundestag vom 14. August 2014 (Petition 54103). Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und in der Ausarbeitung vom 24. Juni 2015 (WD9-3000-035/15) einen grundsätzlichen Dissens in zentralen Fragen festgestellt. Der Deutsche Bundestag hat die Petition 54103 am 12. November 2015 der Bundesregierung überwiesen , soweit es um eine Neuregelung des § 1671 BGB geht (Pet 4-18-07-40325-011319). Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz arbeitet daran, eine Basis für politische Entscheidungen zum Umgangsrecht in der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages zu schaffen. Ohne ausreichende rechtstatsächliche Erkenntnisse sieht die Landesregierung keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen. Herbert Mertin Staatsminister