Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 17. Januar 2017 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 17. Wahlperiode Drucksache 17/1859 zu Drucksache 17/1697 15. 12. 2016 A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp und Dr. Tanja Machalet (SPD) – Drucksache 17/1697 – Situation von Gesundheit und Pflege in Rheinland-Pfalz Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/1697 – vom 25. November 2016 hat folgenden Wortlaut: Die CDU-Vorsitzende hat in ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag am 19. November 2016 in Wittlich Aussagen zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung in Rheinland-Pfalz gemacht, die einem Faktencheck unterzogen werden sollen. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Trifft es zu, dass es im Land Rheinland-Pfalz keine Planungen zum Auf- und Ausbau von Altenhilfestrukturen gibt? Welche Unterstützung liefert die Landesregierung den Kommunen bei dem Aufbau einer guten Pflegestruktur eingebettet in den Sozialraum? 2. Trifft es zu, dass mit der Arbeit der Gemeindeschwesterplus der Pflege Fachkräfte entzogen werden? Welche Aufgaben hat die Gemeindeschwesterplus und wie wirkt sich dies auf die Pflegesituation des einzelnen Menschen und auf die Region aus? 3. Trifft es zu, dass in den nächsten 15 Jahren fast jede dritte Fachpflegekraft aus dem Beruf ausscheidet? Wenn ja, was unternimmt die Landesregierung, um die ausscheidenden Kräfte zu ersetzen? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 15. Dezember 2016 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Politik für ältere Menschen ist eine Querschnittsaufgabe. Die Landesregierung unterstützt die Kommunen mit einer Vielzahl an Maßnahmen bei der Planung zum Auf- und Ausbau von Altenhilfestrukturen und einer guten, sozialräumlich orientierten Pflegestruktur . Damit ältere Menschen ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben führen können, hat die Landesregierung schon vor mehr als 20 Jahren die Landesleitstelle „Gut leben im Alter“ beim Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie eingerichtet. Die Landesleitstelle verfolgt seitdem das Ziel, die Selbstbestimmung älterer Menschen voranzubringen und alle Lebensbereiche verstärkt auch auf die Bedürfnisse älterer Menschen auszurichten. Sie entwickelt Aktivitäten und Projekte, insbesondere für den ländlichen Raum, arbeitet partnerschaftlich mit den kommunalen Seniorenbeiräten in Rheinland-Pfalz und der Landesseniorenvertretung Rheinland-Pfalz zusammen und trägt damit zum Auf- und Ausbau von Strukturen für ältere Menschen bei. Mit dem im Jahr 2012 gestarteten landesweiten Beteiligungsprozess „Gut leben im Alter – den demografischen Wandel gemeinsam gestalten“ unterstützt die Landesregierung die Kommunen dabei, dass vor Ort weitere Strukturen und Angebote für ältere Menschen geschaffen werden. Seit dem Jahr 2015 setzt sich die Landesregierung präventiv für die Gesunderhaltung und Herauszögerung von Pflegebedürftigkeit für hochbetagte Menschen ab 80 Jahren mit dem Modellprojekt Gemeindeschwesterplus ein. Im Modellverfahren sind derzeit in neun Modellregionen 18 Gemeindeschwesternplus, teilweise in Teilzeitbeschäftigung (insgesamt 12,5 Vollzeitstellen), im Einsatz. Mit den Aufgaben der Gemeindeschwesternplus werden die Altenhilfestrukturen in den Kommunen ebenfalls gezielt gestärkt. Die Kommunen selbst spielen eine wichtige Rolle in der Koordination der örtlichen Altenhilfestrukturen, insbesondere in Bezug auf die Betreuungs- und Pflegeangebote. So kommt ihnen bei der Sicherstellung und Weiterentwicklung einer zukunftsorientierten Pflegeinfrastruktur eine impuls- und strukturgebende Funktion zu. Drucksache 17/1859 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Mit dem Landesgesetz zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur aus dem Jahr 2005 hat die Landesregierung bundesweit besonders mit der Sicherung der Struktur der Beratungs- und Koordinierungsstellen, der Pflegestrukturplanung und den Regionalen Pflegekonferenzen eine Vorreiterrolle übernommen. Mit diesem Gesetz hat Rheinland-Pfalz die Möglichkeit genutzt, die Landkreise und kreisfreien Städte zu einer kommunalen Pflegestrukturplanung zu verpflichten und die regionale Koordination der Träger und Leistungen in einem eigenständigen regionalen Gremium, den regionalen Pflegekonferenzen, zu übernehmen. Die Pflegestrukturplanung dient der frühzeitigen Klärung, ob mit den vorhandenen Angeboten und Strukturen die Bedarfe vor Ort auch langfristig und damit zukunftsgerichtet zu decken sind. Mit der regionalen Planung erfolgt die Koordinierung und systematische Vernetzung der professionellen Angebote im sozialen, gesundheitlichen und pflegerischen Sektor. Dazu gehören auch der Auf- beziehungsweise Ausbau von haushaltsnahen und entlastenden Angeboten zur Stützung der primären familiären Netzwerke und die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und der Teilhabemöglichkeiten im Quartier. Weitere Bereiche sind der Ausbau und die Qualifizierung der Beratung und Begleitung von Betroffenen und deren pflegenden Angehörigen, die Sicherung der Alltagsversorgung im Wohnumfeld und der Ausbau von Barrierefreiheit im öffentlichen Raum sowie die Entwicklung von neuen gemeinschaftlichen Wohnangeboten. Um eine passgenaue Planung vor Ort zu erreichen, führen die Landkreise und kreisfreien Städte zum einen regelmäßige Datenerhebungen und Datenanalysen durch und setzen zum anderen auf Beteiligung, Dialog, Kooperation und Vernetzung. Dazu führen sie regionale Pflegekonferenzen durch. Hierzu laden sie die regionalen Akteure, zum Beispiel die ambulanten und stationären Dienste und Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitswesen, die Pflegestützpunkte, die Pflegekassen, den Medizinische Dienst der Kranken - kassen, Dienstleister und Verbände der Pflege sowie Vertreter und Vertreterinnen der ehrenamtlichen Dienste und Selbsthilfeorganisationen ein. Die Pflegekonferenzen sind damit die regionale Plattform für Informationsaustausch, Meinungsbildung, Öffent - lichkeitsarbeit und Weiterentwicklung. Die Landesregierung unterstützt diese regionalen Prozesse durch die finanzielle Förderung der Servicestelle für kommunale Pflegestrukturplanung und Sozialraumentwicklung bei der Landeszentrale für Gesundheitsförderung Rheinland-Pfalz e. V. Ein weiterer wichtiger Beitrag ist der gemeinsame Austausch mit den kommunalen Planerinnen und Planern in der Landesarbeitsgemeinschaft für kommunale Pflegestrukturplanung, die zweimal jährlich über das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie einberufen wird. Auch die Fachkräfte in den Pflegestützpunkten nehmen eine wichtige Rolle ein. Sie beraten und begleiten Menschen mit einem Pflegebedarf und deren Angehörige; sie geben den kommunalen Gebietskörperschaften aber auch wichtige Hinweise für die regionale Strukturplanung. Durch die Einzelfallberatung erhalten sie Kenntnisse über sich entwickelnden Bedarfe und sie erkennen frühzeitig Versorgungsengpässe und berichten regelmäßig über ihre Arbeit in den Regionalen Pflegekonferenzen. Damit hilfe- und pflegebedürftige Menschen möglichst lange selbstbestimmt in ihrem gewohnten Umfeld leben können, werden die sogenannten Hilfe-Mix-Strukturen künftig eine noch größere Bedeutung erlangen. Das heißt, für die Versorgung pflegebedürftiger Menschen stehen nicht mehr nur die Familie und die professionellen Angebote der Pflegedienste zur Verfügung. Hilfe-Mix- Strukturen zeichnen sich durch das Vorhandensein von niedrigschwelligen sozialräumlichen Angeboten aus, in denen geschulte und angeleitete Helferinnen und Helfer Unterstützungsleistungen erbringen. Diese Strukturen beziehen das bürgerschaftliche Engagement ausdrücklich mit ein. Im September 2014 startete die Bund-Länder Arbeitsgruppe „Stärkung der Rolle der Kommune in der Pflege“ mit ihrer Arbeit. Der inhaltliche Schwerpunkt der Arbeitsgruppe wurde auf die kommunalen Möglichkeiten zur Steuerung und Planung der Strukturen vor Ort und die verantwortlichere Einbindung der Kommunen in die Beratung pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen und die Entwicklung von Sozialräumen gelegt, damit Menschen so lange wie möglich im gewohnten Umfeld leben können. Aus den Erfahrungen von Rheinland-Pfalz konnte die Arbeitsgruppe verschiedene Ansätze zur Weiterentwicklung der Pflegestruktur übernehmen. Daran wird deutlich, dass die Landesregierung sehr frühzeitig Maßnahmen zur Planung und zum Auf- und Ausbau von Altenhilfestrukturen und guten Pflegestrukturen ergriffen und gezielt gefördert hat. Zu Frage 2: Mit der Arbeit der Gemeindeschwesterplus werden der Pflege keine Fachkräfte entzogen, vielmehr leistet die Landesregierung mit dem Modellprojekt Gemeindeschwesterplus einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel. Das Projekt Gemeindeschwesterplus ist ein neues präventives und gesundheitsförderndes Angebot für Menschen, die 80 Jahre und älter sind, selbstständig leben und wohnen und keine Pflege brauchen. Im Modellprozess sind derzeit 18 erfahrene Pflegefachkräfte , die vorher in der Regel als Kranken- und Intensivschwestern gearbeitet haben, mit dieser Aufgabe betraut. Hierbei handelt es sich in der Regel um Fachkräfte, die teilweise mehr als 30 Jahre in der Pflege gearbeitet haben und aus gesundheitlichen Gründen ein Betätigungsfeld suchen, in dem sie sich in ihrer letzten Arbeitsphase vor der Verrentung mit all ihren Erfahrungen einbringen 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Drucksache 17/1859 können. Nach Auskunft der beschäftigten Gemeindeschwesternplus ist dies die Möglichkeit für Pflegefachkräfte, die die teilweise schweren Pflegetätigkeiten gesundheitsbedingt nicht mehr ausführen können, die breiten beruflichen Erfahrungen so zu nutzen, dass sie im Erwerbsleben bleiben können. Die Arbeit der Gemeindeschwesterplus entzieht der Pflege keine Kräfte, vielmehr unterstützt sie die Attraktivität des Pflegeberufes und bietet eine weitere berufliche Perspektive für Pflegekräfte, die nach vielen Arbeits - jahren in der aktiven Krankenpflege ihre Kompetenzen in der Prävention und Gesundheitsförderung einbringen wollen. Die Gemeindeschwesterplus nimmt unterschiedliche Aufgaben war: Zum einen besucht sie hochbetagte Menschen in ihrer eigenen Häuslichkeit, zum anderen stärkt sie die regionale Vernetzungsarbeit, denn gute regionale Angebote, die hochbetagten Menschen auch zur Verfügung stehen und ihre Selbstständigkeit stärken, sind die Grundlage für eine wirkungsvolle präventive Beratung durch die Gemeindeschwesterplus. In den Hausbesuchen klären die Gemeindeschwesternplus die Erwartungen und Bedürfnisse der besuchten Person, sie gehen auf die soziale Situation, das gesundheitliche Wohlbefinden, auf mögliche Risiken und vor allem auf die eigentlichen Bedürfnisse der alten Menschen ein. Das Aufzeigen gesundheitsfördernder Maßnahmen und die Aufklärung von gesundheitlichen Risiken gehören zur Hauptaufgabe bei den Hausbesuchen. Dabei berichten die Gemeindeschwesternplus, dass sie aufgrund ihrer pflegefachlichen Kenntnisse Krankheitsbilder erkennen und Ratschläge zur Inanspruchnahme von Behandlungsmöglichkeiten geben können. Die Gemeindeschwesternplus sehen das Hauptrisiko in der Vereinsamung der besuchten Menschen und suchen daher nach gesundheitsfördernden Teilhabeangeboten in sozialen Stützsystemen wie Nachbarschaft, Vereinen und informellen Gruppen. Mit ihren Informationen über die gesundheitliche und soziale Lage von älteren Menschen in einem Stadtviertel, einem Quartier oder einem Dorf können sie mögliche Pflege- und Betreuungsbedarfe frühzeitig erkennen und diese Informationen der Kommune für eine gute Pflegestrukturplanung zur Verfügung stellen. Über die Beobachtungen und Einschätzungen der Gemeindeschwesterplus erhalten die Kommunen sowie die Anbieter von Diensten, Unterstützungsangeboten oder Leistungen wichtige Hinweise und Impulse für die Gestaltung und Weiterentwicklung der sozialen Räume für ein gutes und selbstbestimmtes Leben auch im hohen Alter. Durch den Austausch und das Zusammenwirken entstehen wichtige Vernetzungen vor Ort, die die Strukturen im Vorfeld der regionalen Pflegestrukturplanungen stärken. Zu Frage 3: Es trifft zu, dass bis zum Jahr 2030 fast jede dritte Fachpflegekraft aus dem Beruf ausscheiden wird. Wie der nachfolgend aufgeführten Abbildung zu entnehmen ist, waren im Jahr 2015 42,5 Prozent (16 577) der Pflegefachkräfte (Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege) in Rheinland-Pfalz unter 41 Jahre, 28,4 Prozent (11 074) zwischen 41 und 50 Jahre, 24,6 Prozent (9 572) zwischen 51 und 60 Jahre und 4,5 Prozent (1 744) über 60 Jahre alt. Abb. 1: Altersstruktur der Pflegefachkräfte in Rheinland-Pfalz 2015 in Prozent 3 (Quelle: Branchenmonitoring 2016.) Drucksache 17/1859 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Es muss somit davon ausgegangen werden, dass bis zum Jahr 2030 insgesamt 29,1 Prozent (11 316) und somit jede dritte Pflegekraft aus dem Pflegeberuf in Rheinland-Pfalz altersbedingt ausscheiden wird. Seit dem Jahr 2010 erfasst die Landesregierung mit der Arbeitsmarktanalyse „Branchenmonitoring“ das Angebot und die Nachfrage an Angehörigen der Pflegeberufe, den Bestand und die Altersstruktur. Aufbauend darauf werden für die Jahre 2020, 2025 und 2030 die entsprechenden Bedarfe an zusätzlichen Fachkräften errechnet. Dabei werden die Veränderungen im Bestand an Pflegekräften aufgrund der Altersstruktur in die Berechnung einbezogen. Nachfolgend ist die zukünftige Fachkräftesituation für die Jahre 2020, 2025 und 2030 dargestellt: Tabelle 1: Zukünftige Fachkräftesituation Pflege Rheinland-Pfalz im Jahr 2020, 2025 und 2030 (Quelle: Gutachten Gesundheitsfachberufe 2016.) Um diesen prognostizierten Fachkräftelücken entgegenzuwirken, wurde im Jahr 2012 die „Fachkräfte- und Qualifizierungsinitiative “ eingeleitet. Im Rahmen dieser Initiative wurde mit allen relevanten Akteuren des Gesundheitswesens und der Pflege vereinbart , dass die Ausbildungskapazitäten ausgebaut werden. Dafür wurden Fachkräftesicherungsszenarien mit dem begleitenden Expertenbeirat entworfen. Anschließend wurde im Jahr 2013 der Ausbildungsstättenplan erstellt, in dem geregelt ist, wer wo wie viele Ausbildungsplätze in der Pflege ausbaut. Flankierend wurden ab dem Jahr 2013 Landesprojekte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege auf den Weg gebracht. Im Bereich Führung, Gesundheitsförderung und alters- und alternsgerechtes Arbeiten wurden dabei die Einrichtungen der Pflege beraten, wie sie sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren können, damit die Pflegekräfte lange gesund und motiviert im Beruf verweilen. Mit den dargestellten Fachkräftesicherungsmaßnahmen reagiert die Landesregierung seit dem Jahr 2010 auf die demografische Veränderung beim Pflegepersonal und wirkt einem zukünftigen Fachkräftemangel durch Ausbildung und der Verbesserung der Beschäf - tigungsbedingungen entgegen. Sabine Bätzing-Lichtenthäler Staatsministerin 4 Jahr Altenpflege Ges.- und Krankenpflege Ges.- und Kinderkrankenpflege Altenpflegehilfe Krankenpflegehilfe Insgesamt 2020 Angebot 12 762 26 525 2 404 3 242 2 388 Nachfrage 13 267 26 746 2 480 2 980 2 686 Defizit 2015 – 912 – 1 142 – 196 + 279 +59 Saldo – 1 417 – 1 364 – 272 + 541 – 239 – 2 751 2025 Angebot 13 431 27 222 2 327 3 521 2 369 Nachfrage 14 769 27 823 2 486 3 319 2 898 Defizit 2015 – 912 – 1 142 – 196 + 279 + 59 Saldo – 2 250 – 1 744 – 355 481 – 470 – 4 338 2030 Angebot 13 863 27 304 2 168 3 749 2 359 Nachfrage 15 284 28 336 2 445 3 441 2 971 Defizit 2015 – 912 – 1 142 – 196 + 279 + 59 Saldo – 2 333 – 2 173 – 473 587 – 553 – 4 945