Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 30. Januar 2017 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 17. Wahlperiode Drucksache 17/1949 zu Drucksache 17/1797 27. 12. 2016 A n t w o r t des Ministeriums der Justiz auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Gordon Schnieder (CDU) – Drucksache 17/1797 – Fakultative Widerspruchsverfahren Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/1797 – vom 7. Dezember 2016 hat folgenden Wortlaut: Die Landtage in Bayern und in Nordrhein-Westfalen haben bestimmte Widerspruchs verfahren fakultativ ausgestaltet. In bestimmten Fällen besteht ein Wahlrecht, ein Widerspruchsverfahren durchzuführen oder direkt zu klagen. Davon verspricht man sich unter anderem eine Beschleunigung der Verfahren. In Rheinland-Pfalz gibt es eine derartige Regelung bislang nicht. Ich frage daher die Landesregierung: 1. Gibt es in Rheinland-Pfalz Überlegungen, ein fakultatives Widerspruchsverfahren, wie oben beschrieben, einzuführen? 2. In welchen Bereichen (z. B. Baurecht, Abgabenrecht etc.) könnte aus Sicht der Landesregierung ein fakultatives Widerspruchsverfahren sinnvoll sein? Womit lässt sich dies begründen? 3. Wenn nein, aus welchen Gründen? Das Ministerium der Justiz hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 wie folgt beantwortet: Die Fragen 1 bis 3 werden gemeinsam beantwortet: In den vergangenen Jahren war die vollständige oder teilweise Abschaffung des nach der Verwaltungsgerichtsordnung regelmäßig obligatorisch durchzuführenden verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens im Zusammenhang mit den Bestrebungen zum Bürokratieabbau wiederholt Gegenstand der politischen Erörterung in Rheinland-Pfalz und den anderen Bundesländern. Das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren ist bundesgesetzlich in § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung geregelt und sieht vor, dass vor Erhebung einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage grundsätzlich die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen ist. Dies gilt unter anderem dann nicht, wenn ein Gesetz etwas anderes bestimmt. In Rheinland-Pfalz wird bisher nur in einigen Rechtsgebieten des besonderen Verwaltungsrechts, beispielsweise im Hochschulgesetz , im Landesmediengesetz, im Landesrichtergesetz, im Landeseisenbahngesetz oder im Landesseilbahngesetz, auf die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens verzichtet. Ansonsten ist das Widerspruchsverfahren obligatorisch, verbunden mit der Besonderheit, dass in Rheinland-Pfalz – wie außerdem nur noch im Saarland – Widersprüche im kommunalen Bereich nicht als behördeninternes Verfahren durchzuführen sind, sondern von weisungsunabhängigen Kreis- und Stadtrechtsausschüssen in einem gerichtsähnlichen Verfahren mündlich verhandelt und entschieden werden. Im Bereich der Landesverwaltung wird dagegen das Widerspruchsverfahren als behördeninternes Verfahren durchgeführt, bei der Ausgangs- und Widerspruchsbehörde auch identisch sein können. Die Durchführung eines Vorverfahrens dient im Wesentlichen dem Rechtschutz der Bürgerinnen und Bürger, der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Gerichte. Bürgerinnen und Bürger erhalten eine Möglichkeit, sich gegen Behördenentscheidungen zur Wehr zu setzten, ohne sofort Klage beim Verwaltungsgericht erheben zu müssen. Die Verwaltung kann im Widerspruchsverfahren eine umfassende Überprüfung der beanstandeten Entscheidung durchführen und dabei neben einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit im Rahmen von Ermessensentscheidungen auch fehlende Ermessenserwägungen ergänzen und eventuelle Ermessensfehler heilen. Schließlich dient das Vorverfahren der Entlastung der Gerichte. Im Vorverfahren sollen Streitigkeiten bereits außergerichtlich, in weniger formalisierter Weise, beigelegt und eine gewisse Befriedung des Rechtsstreits erreicht werden. Drucksache 17/1949 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Rheinland-Pfalz hat die Frage, ob ein fakultatives Widerspruchsverfahren (Optionsmodell) in manchen Bereichen sinnvoll erscheint und eingeführt werden soll, bereits vor einigen Jahren umfassend und unter Einsetzung einer interministeriellen Arbeitsgruppe untersucht , die ihren Abschlussbericht im Mai 2011 vorgelegt hat. Grundlage des Berichts war eine Befragung der Staatskanzlei, der Ministerien sowie der kommunalen Spitzenverbände zur Notwendigkeit des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens bzw. zur Einführung eines Optionsmodells in ihrem jeweiligen Geschäftsbereich. Im Hinblick auf die starke mediative Wirkung der von den Stadt- und Kreisrechtsausschüssen durchgeführten Widerspruchsverfahren, deren hoher Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern und wegen der Vorbehalte des Landkreistags Rheinland-Pfalz und des Städtetags Rheinland-Pfalz gegen das Optionsmodell wurden seinerzeit die im kommunalen Bereich durchzuführenden Widerspruchsverfahren von der Prüfung ausgenommen. Die Untersuchung zeigte, dass das Optionsmodell dort sinnvoll zum Einsatz kommen kann, wo Ausgangs- und Widerspruchsbehörde identisch sind und nicht anzunehmen ist, dass eine Widerspruchsentscheidung abweichend zur Ausgangsentscheidung getroffen wird. Auch bei der Beurteilung reiner Rechtsfragen kann ein Optionsmodell für die Bürgerinnen und Bürger von Vorteil sein, beispielsweise wenn bereits eine gefestigte Rechtsmeinung der Widerspruchsbehörde bekannt ist. Ein möglicher Anwendungsfall des Optionsmodells könnten auch Fälle sein, in denen es um die Rechtmäßigkeit von untergesetzlichem Recht geht, für das der Widerspruchsbehörde keine Normverwerfungskompetenz zusteht. Die im Rahmen der Untersuchung erhobenen Daten belegten eine hohe Akzeptanz und Befriedungsfunktion des Widerspruchsverfahrens . Es zeigte sich, dass es zu einer Versachlichung des Konflikts beiträgt und unbürokratisch und kostengünstig eine Problemlösung ermöglicht. Damit trägt es zur Entlastung der Gerichte bei. Aus dem der Arbeitsgruppe seinerzeit vorliegenden Datenmaterial ging hervor, dass z. B. in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt 22 030 Widersprüche eingelegt wurden, von denen nur 598 in ein Klageverfahren mündeten. Die interministerielle Arbeitsgruppe ist nach eingehender Prüfung des erhobenen Datenmaterials und der fachlichen Einschätzung der einzelnen Ressorts in ihrem abschließenden Bericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich das Widerspruchsverfahren in Rheinland -Pfalz bewährt hat. Eine generelle Einführung des Optionsmodells oder die generelle Abschaffung des Widerspruchsverfahrens wurde nicht empfohlen. Lediglich für einige wenige Rechtsbereiche wurde es für sinnvoll erachtet, das Vorverfahren zu modifizieren . Dabei kamen aus Sicht der interministeriellen Arbeitsgruppe insbesondere das Rechtsdienstleistungsgesetz, § 12 des Ladenöffnungsgesetzes Rheinland-Pfalz (Zulassung von Ausnahmen), das Glücksspielrecht und die Landesplanung in Betracht. In diesen Sachgebieten sollte eine Änderung zumindest im Rahmen anstehender gesetzgeberischer Arbeiten angestrebt werden. Die interministerielle Arbeitsgruppe hat in ihren Schlussempfehlungen außerdem vorgeschlagen, bei der Aufstellung von Gesetzund Verordnungsentwürfen zukünftig stets zu prüfen, ob für diese Regelungsmaterie das Optionsmodell eingeführt oder das Widerspruchsverfahren abgeschafft werden kann. Diesem Vorschlag wurde gefolgt und das Merkblatt des Ministeriums der Justiz für die Aufstellung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen entsprechend geändert. Unter Berücksichtigung der vorbezeichneten Ergebnisse der umfassenden Untersuchung durch die interministerielle Arbeitsgruppe, deren Bericht der Ministerrat seinerzeit zustimmend zur Kenntnis genommen hat, wurden weitere Überlegungen zur Einführung eines Optionsmodells auf Ebene der Landesregierung bislang nicht erörtert. Herbert Mertin Staatsminister