Drucksache 17/2184 zu Drucksache 17/2129 02. 02. 2017 A n t w o r t der Bevollmächtigten des Landes beim Bund und für Europa, für Medien und Digitales auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pia Schellhammer und Dr. Bernhard Braun (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Drucksache 17/2129 – Pressefreiheit und freie Berichterstattung Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/2129 – vom 26. Januar 2017 hat folgenden Wortlaut: Beim Kongress der ENF-Fraktion („Europa der Nationen und der Freiheit“) des Europäischen Parlaments am 21. Januar 2017 in Koblenz wurde vom Veranstalter zahlreichen Medien, darunter Mitgliedern der Landespressekonferenz, die Zulassung zur Berichterstattung ohne Angabe von Gründen verweigert. Außerdem sollten alle Journalistinnen und Journalisten auf dem Anmeldeformular einem Passus zustimmen, dass sie jederzeit auch von der laufenden Berichterstattung ausgeschlossen werden könnten. Der Vorsitzende der Landespresse-konferenz wertete das als Eingriff in die freie Berichterstattung und hat im Namen seiner Organisation protestiert. Auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) hat das Vorgehen verurteilt. Die ARD hat sich rechtliche Schritte gegen den Ausschluss vorbehalten. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie sind die Pressefreiheit und die freie Berichterstattung durch das Grundgesetz, die Verfassung von Rheinland-Pfalz, europäisches Recht sowie Bundes- und Landesgesetze geschützt? 2. Inwiefern ist eine Fraktion des Europäischen Parlamentes auch an diese Rechtsvorschriften gebunden? 3. Inwiefern stellt der willkürliche Ausschluss bestimmter Medien und Journalistinnen und Journalisten aufgrund ihrer Berichterstattung ein Verstoß gegen eine dieser Rechtsvor-schriften dar? 4. Wie bewertet die Landesregierung vor diesem Hintergrund den Umgang der ENF-Fraktion und der Organisatorinnen und Organisatoren des Kongresses in Koblenz mit Journalistinnen und Journalisten, die über diesen berichten wollten? Die Bevollmächtigte des Landes beim Bund und für Europa, für Medien und Digitales hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 1. Februar 2017 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: a) Schutz der Medienfreiheit nach Landesverfassung und Grundgesetz „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ heißt es in Artikel 10 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung von Rheinland-Pfalz und im wortgleichen Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Wie die weiteren Grundrechte ist auch das Grundrecht der Medienfreiheit grundsätzlich ein Abwehrrecht der Bürger gegen Eingriffe der Staatsgewalt . Die Grundrechte der Landesverfassung und des Grundgesetzes verpflichten allerdings nur die deutsche Staatsgewalt. Auf Hoheitsakte fremder Staaten oder der Europäischen Union sind sie grundsätzlich nicht anwendbar, solange auf europäischer Ebene insgesamt ein vergleichbarer Grundrechtsschutz besteht. Da es sich im vorliegenden Fall der ENF-Fraktion um eine Fraktion des EU-Parlamentes handelt, müsste ein möglicher Kläger zudem schlüssig darlegen, dass der Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene insgesamt nicht mit dem Niveau des deutschen Grundrechtsschutzes vergleichbar ist. Nur dann könnte ein deutsches Verfassungsgericht Akte der Unionsgewalt am Maßstab des Grundgesetzes messen (Solange-Rechtsprechung des BVerfG). Mit ähnlicher Argumentation hat auch das Verwaltungsgericht Koblenz den auf die deutschen Grundrechtsverbürgungen gestützten Eilantrag eines Journalisten, gerichtet auf Zulassung zum Kongress, abgelehnt (Beschluss des VG Koblenz vom 20. Januar 2017, Az. 4 L 64/17.KO). Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 14. Februar 2017 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 17. Wahlperiode Drucksache 17/2184 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode b) Schutz der Medienfreiheit nach EU-Grundrechtecharta und Europäischer Menschenrechtskonvention Neben dem deutschen Recht schützt auch das europäische Recht die Medienfreiheit und determiniert gleichzeitig auch ein Diskriminierungsverbot . „Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“, verbürgt Artikel 11 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta). Nach Artikel 21 Abs. 1 der Grundrechtecharta sind Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, oder politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder sexuellen Ausrichtung verboten. Seit der Vertragsrevision von Lissabon, in Kraft seit Dezember 2009, sind die Grundrechte der Charta rechtsverbindlich und zählen sogar zum sog. Primärrecht, also zum normhierarchisch hochrangigsten Recht der Europäischen Union, Artikel 6 Abs. 1 des Vertrags über die Europäischen Union (EUV). Pressefreiheit und freie Berichterstattung sind zwei Bestandteile des einheitlichen Unionsgrundrechts auf Medienfreiheit. Ihre Grenze findet die Medienfreiheit nur in der allgemeinen Schrankenregelung des Artikel 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta: „Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.“ Aus dieser Vorschrift lassen sich sowohl die Schranken der Medienfreiheit als auch die Grenzen wiederum der Einschränkbarkeit (sog. Schranken-Schranken) entnehmen: Grundsätzlich ist jedes Grundrecht einschränkbar. Die Schranken ergeben sich im Normalfall als allgemeiner Gesetzesvorbehalt aus Artikel 51 Abs. 1. Kollidierende Unionsgrundrechte oder auch einfache Gesetze wie z. B. das Strafrecht können die Medienfreiheit einschränken. Allerdings muss diese Einschränkung ihrerseits verhältnismäßig sein, d. h. sie muss ein legitimes, unionsverfassungsrechtlich anerkanntes Ziel verfolgen, geeignet und erforderlich sein, dieses zu erreichen und muss zudem einer wertenden Angemessenheitsprüfung Stand halten. Neben Artikel 11 der Grundrechtecharta schützt auch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMKR) die Medienfreiheit. Obwohl Artikel 6 Abs. 2 EUV dies als Zielvorgabe für die EU formuliert und EU und Europarat schon lange verhandeln , ist die EU der EMRK noch nicht beigetreten. Allerdings ist der Europäische Gerichtshof in Luxemburg schon jetzt nach Artikel 6 Abs. 3 EUV gehalten, die EMRK bei der Auslegung des Unionsrechts, etwa des Grundrechts der Medienfreiheit nach Artikel 11 der Grundrechtecharta, in seiner Rechtsprechung zu beachten. Zu Frage 2: Parlamentsfraktionen, so wie die ENF-Fraktion, sind nach dem Unionsrecht anerkannte Teile des Unionsorgans Europäisches Parlament. Als Untergliederung des Europäischen Parlaments sind sie Teil der Unionsgewalt. Hieraus folgt, dass sie an Unionsgrundrechte gebunden sind. Dafür spricht auch Artikel 51 der Grundrechtecharta, der den Anwendungsbereich der Charta festlegt. Sein Wortlaut –„Diese Charta gilt für Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union [...]“ – zielt auf einen möglichst weiten Anwendungsbereich ab. Anders würde es sich bei politischen Parteien verhalten. Diese sind nach der Konzeption des nationalen und europäischen Verfassungsrechts Bindeglied zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Anders als eine Fraktion sind sie nicht Teil des Staates und damit grundsätzlich auch nicht an Grundrechte gebunden, da die Grundrechte grundsätzlich nur im Verhältnis Bürger gegen den Staat und nicht Bürger gegen Bürger gelten. Die Frage, ob auch EP-Fraktionen an Grundrechte gebunden sind, hat weder der EuGH noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg bislang entschieden. Auch in der Rechtswissenschaft gibt es dazu – soweit ersichtlich – keine oder kaum Literatur. Die besseren und oben genannten Argumente sprechen aber für eine Grundrechtsbindung der EP-Fraktionen. Zu Frage 3: Die ENF-Fraktion hat weder entgegenstehende Unionsgrundrechte noch einfache gesetzliche Bestimmungen als Grundlage benannt, um bestimmte Journalisten von der Teilnahme und Berichterstattung auszuschließen. Selbst wenn sie gesetzliche Gründe gefunden und benannt hätte, wären diese nicht verhältnismäßig gewesen. Zu beachten ist hier insbesondere, dass es keine knappen Ressourcen – wie etwa eine begrenzte Anzahl von Plätzen – gab, die zwangsläufig zu einer Auswahlentscheidung geführt hätten. Selbst dann hätte die Auswahl nicht willkürlich und nicht diskriminierend erfolgen dürfen, etwa durch Losentscheidung oder nach dem Windhundprinzip . Eine Auswahl mit dem Ziel, bestimmte Inhalte zu vermeiden, stellt eine offene Diskriminierung dar. Obwohl noch nicht einmal die Notwendigkeit der Auswahl bestand, hat die ENF-Fraktion sich dafür entschieden, manche Journalisten zu bevorzugen und andere auszuschließen und damit zu diskriminieren. Neben dem Unionsgrundrecht der Medienfreiheit nach Artikel 11 EU-Grundrechtecharta dürfte das Vorgehen der ENF-Fraktion auch Artikel 10 der EMRK widersprechen, obwohl die Medienfreiheit nach Artikel 10 Abs. 2 EMRK leichter eingeschränkt werden kann als nach der Grundrechtecharta. 2 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Drucksache 17/2184 Nach dem deutschen Privatrecht verfügt der Eigentümer oder Mieter einer Halle zwar grundsätzlich über das Hausrecht. Er darf grundsätzlich darüber entscheiden, wer Zugang erhält und wer nicht. Auch bei der Ausübung des Hausrechts über die privat von der ENF-Fraktion angemietete Halle in Koblenz hätte die ENF-Fraktion jedoch das Diskriminierungsverbot beachten müssen, da sie als Fraktion und damit Teil der Legislative an die Grundrechte gebunden ist und die Grundrechte zudem zumindest auch mittel - bar über unbestimmte Rechtsbegriffe und Auslegungsspielräume zwischen rein Privaten wirken (sog. mittelbare Grundrechtswirkung ). Zu Frage 4: Zusammenfassend lässt sich rechtlich sagen, dass durch die Zulassung nur bestimmter Journalisten die ENF-Fraktion in die unionsrechtlich verbürgte Medienfreiheit nach Artikel 11 der Grundrechtecharta in Verbindung mit Artikel 21 der Grundrechtecharta eingegriffen hat. Rechtlich dürfte sie diesen Eingriff in das Grundrecht der Medienfreiheit kaum rechtfertigen können. Rechtsverbindlich können darüber jedoch selbstverständlich nur Gerichte entscheiden. Die Landesregierung findet das Vorgehen der ENF-Fraktion nicht nur rechtlich, sondern vor allem politisch problematisch. Offene Diskussion und der Wettstreit unterschiedlicher Ideen sind Grundlage unserer Demokratie. Es ist undemokratisch und auch feige, diese Diskussion und diesen Wettstreit von vornherein verhindern zu wollen. Heike Raab Staatssekretärin 3