Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 19. Juli 2016 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 17. Wahlperiode Drucksache 17/254 zu Drucksache 17/71 24. 06. 2016 A n t w o r t des Ministeriums der Justiz auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Matthias Lammert (CDU) – Drucksache 17/71 – Kinderehen nach Scharia-Recht Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/71 – vom 6. Juni 2016 hat folgenden Wortlaut: Im Zuge der Flüchtlingskrise kommen immer mehr minderjährige Mädchen mit ihren oft volljährigen Männern nach Deutschland. Gerichte sind uneins über den Umgang mit den Paaren. Die Justizminister wollen die Scharia-Ehen bekämpfen. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie viele Ehen von minderjährigen Personen gibt es in Rheinland-Pfalz (bitte aufgegliedert nach den Jahren 2014, 2015 und 2016 und nach Staatsangehörigkeiten)? 2. Werden Ehen nach dem Scharia-Recht in Rheinland-Pfalz anerkannt? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage? 3. Plant die Landesregierung eine Änderung des § 1303 BGB (Ehemündigkeit) im Rahmen einer Bundesratsinitiative, wonach einer nach dem ausländischen Recht geschlossenen Ehe die Anerkennung versagt wird, wenn keine Ehemündigkeit nach deutschem Recht besteht? Wenn nein, warum nicht? Das Ministerium der Justiz hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 22. Juni 2016 wie folgt beantwortet : Zu Frage 1: Das Statistische Landesamt führt eine Statistik der Eheschließungen, die Auskunft über die von rheinland-pfälzischen Standesbeamtinnen und -beamten beurkundeten Eheschließungen im Inland sowie die bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nachbeurkundeten Eheschließungen aus dem Ausland gibt. Die Statistik der Eheschließungen zeigt, dass die Zahl der von rheinland-pfälzischen Standesbeamtinnen und -beamten beurkundeten Ehen unter Beteiligung minderjähriger Frauen in den letzten Jahren rückläufig ist. Gingen im Jahr 2000 noch 66 minderjährige Frauen eine Ehe ein, waren es im Jahr 2014 nur noch fünf. Dabei handelte es sich um Frauen deutscher, mazedonischer oder türkischer Staatsangehörigkeit, die deutsche, mazedonische oder türkische Staatsangehörige heirateten. Für die Jahre 2015 und 2016 liegen die Ergebnisse zur Statistik der Eheschließungen noch nicht vor. Die Daten des Berichtsjahres 2015 werden voraussichtlich Anfang Juli 2016 ausgewertet sein. Im Zeitraum von 2014 bis Ende Mai 2016 sind 138 minderjährige verheiratete Flüchtlingsfrauen als Asylbewerberinnen nach Rheinland -Pfalz eingereist. In der Regel waren sie zwischen 16 und 18 Jahre alt. Minderjährige verheirate Mädchen, die ohne Begleitung ihrer Eltern als Flüchtling einreisen, werden grundsätzlich von dem örtlich zuständigen Jugendamt in Obhut genommen, das die Bestellung eines Vormundes bei dem Familiengericht veranlasst. Das Jugendamt prüft und entscheidet in jedem Einzelfall, ob die minderjährigen Ehefrauen in Jugendhilfeeinrichtungen oder bei geeigneten Personen untergebracht werden. Verbleiben die verheirateten Mädchen bei ihren Ehemännern in der Erstaufnahmeeinrichtung, werden sie dort vom Jugendamt und vom Sozialen Dienst besonders betreut und begleitet. Sollte sich herausstellen, dass die Mädchen eine räumliche Trennung vom Ehepartner vorziehen oder diese aus Kinderschutzaspekten notwendig ist, kann auch zu einem späteren Zeitpunkt die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung oder bei einer geeigneten Familie erfolgen. Zu Frage 2: Die Anerkennung ausländischer Eheschließungen unter Beteiligung von Minderjährigen ist in Deutschland auf der Grundlage der Regelungen des EGBGB grundsätzlich möglich. Nach Artikel 13 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) richtet sich die Ehemündigkeit in Fällen mit Auslandsberührung für jeden Verlobten nach dem Recht des Staates, dem er angehört. Dies hat zur Folge, dass die Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe auch in Fällen in Betracht kommen Drucksache 17/254 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode kann, in denen bei Anwendung des im Inland geltenden Rechts die Ehemündigkeit nicht gegeben wäre. Sofern dieses Ergebnis in einem krassem Widerspruch zu grundlegenden deutschen Rechtsanschauungen steht, erfolgt eine Korrektur über den in Artikel 6 EGBGB normierten Vorbehalt des ordre public. Danach kann zum Schutz der inländischen öffentlichen Ordnung die Anwendung des ausländischen Rechts ausgeschlossen werden. Zu den unverzichtbaren Bestandteilen des deutschen Rechts gehört der Schutz Minderjähriger vor den Folgen von Willenserklärungen und Rechtshandlungen, deren Tragweite sie aufgrund mangelnder Entwicklung und Verstandesreife noch nicht absehen können, insbesondere auch bei der Frage einer Eheschließung. Die Rechtsprechung wendet Artikel 6 EGBGB in Fällen von Kinderehen daher konsequent an und orientiert sich dabei insbesondere an der Regelung des § 1303 Abs. 2 BGB. Das danach maßgebende 16. Lebensjahr, vor dem unter keinen Umständen die Ehe geschlossen werden kann, stellt zwar keine starre Grenze bei der Anwendung des Artikel 6 EGBGB dar, dient den Gerichten aber in der Regel als Leitbild. Zu Frage 3: Eine rheinland-pfälzische Bundesratsinitiative zur Änderung des § 1303 BGB ist derzeit nicht beabsichtigt. Die Justizministerinnen und Justizminister haben sich bei der Justizministerkonferenz am 1. und 2. Juni 2016 ohne Beschlussfassung mit den Themen Kinderehen und Ehemündigkeit befasst. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat sich dieser Themen inzwischen ebenfalls angenommen. Eine Änderung des § 1303 Abs. 1 BGB wäre für sich ohne Bedeutung für die Anerkennung ausländischer Ehen. Die Vorschrift regelt die Ehemündigkeit für Eheschließungen im Inland. Gemäß § 1303 Abs. 1 BGB ist die Ehemündigkeit für Frauen und Männer gleichermaßen mit Erreichen der Volljährigkeit gegeben. Eine Ausnahme hiervon stellt § 1303 Abs. 2 BGB dar. Danach kann einem Verlobten nach Vollendung des 16. Lebensjahres auf Antrag Befreiung vom Erfordernis der Volljährigkeit erteilt werden , wenn der andere Verlobte bereits volljährig ist. § 1303 Abs. 2 BGB setzt eine Entscheidung des Familiengerichts voraus, in dem der Minderjährige persönlich, die Eltern, der andere Verlobte und insbesondere das Jugendamt anzuhören sind. Eine Zustimmung der Eltern allein genügt nicht. Die Entscheidung des Familiengerichts hat sich an dem Schutz des Kindeswohls zu orientieren. Dementsprechend ist die Befreiung zu versagen, wenn nach den gesamten Umständen die beabsichtigte Ehe dem wohlverstandenen Interesse der Minderjährigen nicht entspricht. Die Frage der Streichung der Ausnahmeregelung des § 1303 Abs. 2 BGB wird kontrovers diskutiert. Dafür spricht neben einer entsprechenden Empfehlung der UN-Kinderrechtskonvention vor allem der Umstand, dass eine zu erwartende nichteheliche Geburt von Kindern, die oftmals Anlass für einen Antrag nach § 1303 Abs. 2 BGB ist, heute in weiten Teilen der Gesellschaft kaum mehr als Makel angesehen wird. Dies belegt auch die Statistik der Eheschließungen in Rheinland-Pfalz, wonach im Jahr 2014 nur noch fünf minderjährige Frauen eine Ehe eingingen. Die geltende Regelung wird gleichwohl vielfach als gerechter Ausgleich der aus Artikel 6 Abs. 1 GG folgenden Eheschließungsfreiheit einerseits und dem staatlichen Wächteramt nach Artikel 6 Abs. 2 Seite 2 GG anderseits angesehen. Zudem gewährleistet das vorgeschriebene familiengerichtliche Verfahren den Schutz des Kindeswohles. Um zu erreichen, dass die Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe sich nicht nach dem ausländischen Recht richtet, sondern an die Ehemündigkeit nach deutschem Recht gemäß § 1303 BGB anknüpft, wäre eine Änderung der bereits zu Frage 2 dargestellten Regelung des Artikel 13 EGBGB erforderlich. Mit der darin enthaltenen Anknüpfung an das Recht des ausländischen Staates nimmt der Gesetzgeber im Interesse der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit Fälle in Kauf, bei denen die Anwendung des eigenen Rechts zu anderen Ergebnissen führen würde. Die Möglichkeit einer Korrektur eröffnet Artikel 6 EGBGB. Eine Abwendung von diesem bewährten System bedarf einer grundlegenden Prüfung. Denn es entstünde das Problem, dass Ehen im Herkunftsstaat der Ehegatten wirksam wären, in Deutschland hingegen nicht. Daran schließen sich nicht unerhebliche Folgeprobleme im Bereich des Erb-, Unterhalts- und Kindschaftsrechts an, die auch Nachteile für die minderjährige Ehegattin mit sich bringen können. Dies nicht nur in Bezug auf Herkunftsländer wie Syrien. Eine Verschärfung der Regelung des EGBGB, einhergehend mit einer absoluten Altersgrenze in § 1303 BGB von 18 Jahren würde auch dazu führen, dass innerhalb der EU geschlossene Ehen in Deutschland nicht anerkannt werden könnten. Denn Länder wie Österreich, Frankreich und Spanien eröffnen der geltenden deutschen Regelung entsprechend die Möglichkeit von Eheschließungen vor dem 18. Lebensjahr. Hinzu kommt, dass sich international überwiegend die Ehemündigkeit nicht vor dem 16. Lebensjahr etabliert hat. Die Anzahl der Fälle, in denen niedrigere Altersgrenzen mit dem hiesigen ordre public nicht vereinbar sind, dürfte sich demnach in Grenzen halten. Insoweit erscheint es zunächst zweckmäßig, tragfähige Zahlen zu ermitteln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Ehe mit einer Minderjährigen als Zwangsehe angesehen werden kann. Dies ist vielmehr im Einzelfall festzustellen. Ob eine Eindämmung von Zwangsheiraten durch eine Änderung der Vorschriften des BGB und insbesondere des EGBGB überhaupt erreicht werden kann, bedarf ebenfalls genauer Überlegung. Bei Verschärfung der Regelung zur Anerkennung einer ausländischen Eheschließung verbliebe die Möglichkeit, von einer amtlichen Eheschließung abzusehen und den Weg über eine traditionelle Hochzeit zu wählen. Nachdem die Beurkundung einer im Ausland erfolgten Eheschließung nach § 34 Abs. 1 PStG (Personenstandsgesetz) nicht zwingend ist, wäre es zudem nicht fernliegend, dass bei einer Verschärfung der Regelung des EGBGB entsprechende Anträge unterbleiben, wenn die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Ehe nach deutschem Recht nicht vorliegen . Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, das Ergebnis der Prüfung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz abzuwarten. Herbert Mertin Staatsminister