Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 20. Juni 2017 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 17. Wahlperiode Drucksache 17/3148 zu Drucksache 17/2980 26. 05. 2017 A n t w o r t des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Matthias Lammert (CDU) – Drucksache 17/2980 – Schuldunfähige Täter im Maßregelvollzug Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/2980 – vom 5. Mai 2017 hat folgenden Wortlaut: Die Rhein-Zeitung veröffentlichte am 8. April 2017 einen Artikel „Mehr schuldunfähige Straftäter kommen frei“, darin wird berichtet, dass ein neues Gesetz verhindern soll, dass psychisch kranke und damit schuldunfähige Straftäter auch nach minder schweren Delikten sechs Jahre und länger in der geschlossenen Psychiatrie weggesperrt werden. Die Folge ist, dass Menschen im Stadium der Schuldunfähigkeit womöglich immer wie der leichtere Delikte begehen können und nicht bestraft werden. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie viele schuldunfähige Straftäter sind in Rheinland-Pfalz im Maßregelvollzug untergebracht (bitte aufgegliedert nach den Jahren 2014, 2015 und 2016 und nach Staatsangehörigkeiten)? 2. Schätzungsweise wie viele schuldunfähige Straftäter werden nach der neuen Gesetzeslage aus dem Maßregelvollzug entlassen? 3. Wie hoch betrug die Rückfallquote bei schuldunfähigen Straftätern (bitte aufge gliedert nach den Jahren 2014, 2015 und 2016)? 4. Wie werden die Bürger vor Personen geschützt, die im Stadium der Schuldunfä higkeit immer wieder leichtere Delikte begehen und nicht bestraft werden kön nen? 5. Haftet das Land Rheinland-Pfalz, der Richter oder der Gutachter, wenn sich die Ent scheidung über die Freilassung eines schuldunfähigen Straftäters im Nachgang als falsch herausstellt? Wenn nein, warum nicht? 6. Wie viele Personen sind in den letzten drei Jahren aus dem Maßregelvollzug ge flohen (bitte die jeweilige Institution angeben)? Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat die Kleine Anfrage namens der Landes regierung mit Schreiben vom 26. Mai 2017 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Nachstehend erfolgt die Darstellung der Patientenbelegung im Maßregelvollzug jeweils zum Stichtag 31. Dezember für die Jahre 2010 bis 2015 (gemäß §§ 63, 64 des Strafgesetzbuches, § 126 a der Strafprozessordnung sowie weitere relevante Paragraphen, einschließlich Jugendliche): 2010: 619, 2011: 615, 2012: 655, 2013: 646, 2014: 621, 2015: 613. Für das Jahr 2016 liegen noch keine abschließenden Daten vor. Eine Auflistung der Patientinnen und Patienten nach Staatsangehörigkeiten liegt der Landesregierung nicht vor. Zu Frage 2: Die Entscheidung über eine Entlassung liegt bei den zuständigen Gerichten, daher kann darüber keine Aussage getroffen werden. Es wird nach Einschätzung aller Beteiligten in Zukunft einen gewissen zusätzlichen Bedarf an Wohnangeboten für entlassene Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten geben. Sowohl die Einrichtungen des Maßregelvollzugs wie auch die Einrichtungen der Gemeindepsychiatrie (Eingliederungshilfe) müssen sich mit den veränderten Rahmenbedingungen auseinandersetzen und in Zukunft noch besser miteinander kooperieren und entsprechende Angebote entwickeln. Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie hat im Frühjahr 2016 einen Runden Tisch Maßregelvollzug und Eingliederungshilfe eingerichtet. Ziel Drucksache 17/3148 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode 2 der Initiative ist eine Verbesserung der Versorgung, insbesondere der Nachsorge von Maßregelvollzugspatienten in der Gemeindepsychiatrie und eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Maßregelvollzug und Eingliederungshilfe. Zu Frage 3: Die amtlichen Rechtspflegestatistiken liefern generell – losgelöst von der Frage der Schuld(un)fähigkeit – keine Angaben über Rückfallquoten . Einige Ausführungen hierzu – jedoch nur auf Bundesebene – ergeben sich aus der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz herausgegebenen Veröffentlichung „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen – Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und 2004 bis 2013“ (insbesondere betreffend aus dem Maßregelvollzug Entlassene S. 79 ff.). Diese kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass bei unter Führungsaufsicht stehenden Vollverbüßern und aus dem Maßregelvollzug Entlassenen beachtliche Unterschiede in der Rate der Wiederverurteilungen festzustellen seien. Bemerkenswert sei die extrem niedrige Rückfallrate bei den – isoliert – aus einem psychiatrischen Krankenhaus Entlassenen. Hier würden lediglich bei knapp 5 Prozent der Personen innerhalb des dreijährigen Risikozeitraumes neue Straftaten registriert. Deutlich häufiger würden die (wenigen) – schuldunfähigen – Personen erneut registriert, die nach der isolierten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt der Führungsaufsicht unterstellt würden (33 Prozent), wobei auch erneute Verurteilungen zu stationären Sanktionen nicht selten seien (9 Prozent). Diese Studie ist auf der Homepage des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz abrufbar. Zu Frage 4: Das deutsche Strafrecht beruht auf dem Schuldprinzip. Der Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt, hat seine Grundlage in der Menschenwürdegarantie des Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes. Gegen eine schuldunfähige Person darf daher keine Strafe verhängt werden. Nur in den Fällen, in denen der Täter eine rechtswidrige Tat begangen hat und weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, kann eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 des Strafgesetzbuches angeordnet werden. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Maßregel, deren Zweck auch der Schutz der Allgemeinheit ist und die sich als Sonderopfer des Untergebrachten darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zum Grad der von ihm ausgehenden Gefahr nicht außer Verhältnis steht (§ 62 des Strafgesetzbuches ). Außerhalb dieser Möglichkeit wäre zum Schutz vor akuten Gefahren durch psychisch kranke Personen auf andere Rechtsinstrumente zurückzugreifen, zum Beispiel auf die befristete Unterbringung nach dem Landesgesetz für psychisch kranke Personen, Gefahrenabwehrmaßnahmen auf der Grundlage des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes oder Maßnahmen nach dem Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen. Zu Frage 5: Eine Haftung des Landes Rheinland-Pfalz wäre nach den Grundsätzen der Amtshaftung gemäß Artikel 34 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches einzelfallbezogen zu prüfen. Sie kommt unter den nachfolgend dargestellten Vorrausetzungen in Betracht: Die Haftung setzt (übergeleitete) Ansprüche gegen Amtswalter voraus, die im Rahmen einer hoheitlichen Tätigkeit handeln – hier gegen die tätigen Richterinnen oder Richter. Zu beachten ist insoweit das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das Haftungsprivileg mit Beschränkung auf Pflichtverletzungen in Form von Straftaten erstreckt sich nicht nur auf Urteile im prozessrechtlichen Sinn, sondern auf alle richterlichen Entscheidungen, die ihrem Wesen nach einem Urteil gleichzusetzen sind. Dazu dürften auch die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern über die Fortdauer einer Maßregel zählen. Ungeachtet dessen ist auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu beachten. Entscheidungen sind daher nicht uneingeschränkt auf ihre sachliche Richtigkeit, sondern nur daraufhin zu überprüfen, ob sie vertretbar sind. Bei einer Prüfung wäre zu berücksichtigen, dass es sich bei den Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern um Prognoseentscheidungen handelt. Diesen ist es immanent, dass sich solche im Nachgang als unzutreffend herausstellen können. Daher stellt nicht jede unzutreffende Prognose sogleich eine vorwerfbare Pflichtverletzung dar. Dies dürfte von vornherein nur bei schwerwiegenden Fehlern der Entscheidung und besonders groben Verstößen in Betracht kommen. Eine persönliche Haftung der an der Entscheidung beteiligten Richterinnen und Richter wäre allenfalls im Rahmen eines Regresses unter den Voraussetzungen des Artikel 34 Satz 2 des Grundgesetzes denkbar. Dieser ist auf Fälle grober Fahrlässigkeit und Vorsatz begrenzt und setzt wiederum voraus, dass eine Haftung des Landes Rheinland-Pfalz besteht (unter Berücksichtigung des dargestellten Spruchrichterprivilegs und der richterlichen Unabhängigkeit). Die Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen gegenüber am Verfahren im Maßregelvollzug nicht beteiligten Dritten ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. In Betracht kommt eine Haftung nach § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches, was aber ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten des Sachverständigen voraussetzen würde. Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Drucksache 17/3148 Zu Frage 6: In den Jahren 2013 bis 2015 sind aus dem Maßregelvollzug in Rheinland-Pfalz insgesamt drei Patienten geflohen, davon zwei aus der Abteilung für forensische Psychiatrie der Rheinhessen-Fachklinik Alzey und ein Patient aus der Abteilung für forensische Psychiatrie des Pfalzklinikums (AdöR) in Klingenmünster. Sabine Bätzing-Lichtenthäler Staatsministerin 3