Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 18. Juli 2017
LANDTAG RHEINLAND-PFALZ
17.Wahlperiode
Drucksache 17/
3157
zu Drucksache 17/2975
29. 05. 2017
Antwort
des Ministeriums für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten
auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Martin Brandl (CDU)
– Drucksache 17/2975 –
Biodiversität in Auwäldern und Prozessschutz III
Die
Kleine Anfrage – Drucksache 17/2975 –
vom 3. Mai 2017 hat folgenden Wortlaut:
Rheinland-Pfalz hat mit dem BUND eine Zielvereinbarung abgeschlossen, nach der bis spätestens 2044 940 ha landeseigene Auwald-
flächen dem Prozessschutz zugeführt sind.
Ich frage ich die Landesregierung:
1. Wie fiel die Wahl der stillzulegenden Waldflächen auf die rezenten Auen?
2. Welche Alternativen gab und gibt es?
3. Warum wurden diese nicht ausgewählt?
4. Wer war neben dem Land an der Auswahl der Flächen beteiligt?
5. In der Veröffentlichung „Biodiversität und Wald“ sagt die Landesregierung, Prozessschutz sei in anthropogen geprägten Wald-
typen nicht für das Erreichen der Erhaltungsziele geeignet – aus welchem Grund wurden die nach der Rheinbegradigung durch
die Einflussnahme des Menschen gestalteten Auwälder dann als Prozessschutzflächen ausgewählt?
6. Inwiefern ist eine Evaluierung der Maßnahmen geplant?
Das
Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten
hat die Kleine Anfrage namens der Landes
regierung mit
Schreiben vom 26. Mai 2017 wie folgt beantwortet:
Gemeinsame Vorbemerkung zu den Kleinen Anfragen Drucksachen 17/2973 bis 17/2976
Auwälder am Rhein sind Hotspots der Biodiversität, dies wurde auch durch das Bundesamt für Naturschutz bestätigt. Sie gehören
zu den besonders bedrohten natürlichen Lebensräumen in Deutschland und Europa. Seltene Tierarten wie Schwarzspecht, Kamm-
molch, Bechsteinfledermaus oder Hirschkäfer sind hier zu Hause, besonders bemerkenswert, in einer der am dichtesten besiedel-
ten Regionen des Landes. Auen sind als länderübergreifende Achsen für die Biotopvernetzung und für das europaweite Schutz-
gebietssystem Natura 2000 von besonderer Bedeutung.
Vielfältige Nutzungen in den letzten Jahrzehnten haben gerade den flussbegleitenden Auwäldern zugesetzt. Die Rheinbegradigung
hatte einschneidende Veränderungen im Grundwasserpegel zur Folge. Die ursprünglichen Naturlandschaften wurden dadurch oft-
mals zerstört.
Einige Auwaldrelikte haben diese Entwicklungen allerdings überdauert. Große Teile dieser Relikte liegen in Rheinland-Pfalz,
daher tragen wir besondere Verantwortung für den Schutz dieser noch intakten Auwaldbereiche.
Die sukzessive Ausweitung der Auwaldbereiche, die einer natürlichen Entwicklung überlassen werden, ist gleichzeitig ein weitere
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Beitrag zur Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie, die die Bundesregierung im Jahr 2007 beschlossen hat. Als Beitrag
zur
Umsetzung der Biodiversitätsstrategie ist vorgesehen, entsprechend der dortigen Zielsetzung zehn Prozent der staatlichen Wälder
aus der Nutzung zu nehmen. Im Gegenzug bleiben im gleichen Umfang Bereiche, bei denen Holzproduktionsziele von größerem
Gewicht sind, von einer Ausweisung als Prozessschutzgebiet im Rahmen der nationalen Biodiversitätsstrategie ausgenommen.
Die Auwälder sind jedoch nicht nur ein besonderer Lebensraum, insbesondere aufgrund ihrer Lage inmitten einer der am dichte-
sten besiedelten Regionen des Landes, sind sie auch ein wichtiger Raum für die Naherholung. Daher bleiben beispielsweise auch
zukünftig Wanderwege erhalten, die Verkehrssicherheit gewahrt und die Schnarkenbekämpfung weiter möglich. Auch die Jagd wird
weiterhin durchgeführt.
Drucksache 17/
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Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode
Dies vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:
Zu den Fragen 1, 2 und 3:
Der alarmierende Rückgang der biologischen Vielfalt der letzten Jahrzehnte führt zum Verlust von Arten, Genen und Lebens-
räumen der natürlichen Umwelt. Damit wird die Lebensgrundlage der Menschheit bedroht. 1992 wurde aus diesem Grund auf der
Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro das Übereinkommen über die bio-
logische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) beschlossen.
Mit der vom Bundeskabinett im Jahr 2007 beschlossenen Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt erfüllt Deutschland Arti-
kel 6 der CBD. Besonders hervorgehoben wird in der Strategie unter Punkt B2.2 die Vorbildfunktion des Staats. Wörtlich heißt es
dort:
„Wir streben folgendes an:
... natürliche Entwicklung auf 10 % der Waldfläche der öffentlichen Hand.“
Dieses Ziel findet sich auch in der Biodiversitätsstrategie des Landes wieder und ist so auch im Leistungsauftrag des Parlament
s zum
Doppelhaushalt 2017/2018 für Landesforsten Rheinland-Pfalz definiert.
Die Bedeutung des Erhalts von Lebensraum- und Artenvielfalt wird auch in der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz betont und
ist in Artikel 69 als gemeinschaftliche Aufgabe festgeschrieben:
„Der Schutz von Natur und Umwelt als Grundlage gegenwärtigen und künftigen Lebens ist Pflicht des Landes, der Gemeinden und
Gemeindeverbände sowie aller Menschen.“
Auwälder am Rhein sind als Hotspots der Biodiversität daher besonders dafür geeignet, im Rahmen der natürlichen Waldentwick-
lung einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt und zur Verbesserung der biologischen Vielfalt zu leisten.
Der Naturschutz war und ist deshalb auch schon immer eine Schwerpunktaufgabe in diesen Waldbereichen. So sind große Teile
der Auwälder seit geraumer Zeit als Naturschutzgebiet und als Natura 2000-Gebiet ausgewiesen. Schon vor der Unterzeichnung
der Zielvereinbarung waren rund 267 ha holznutzungsfrei, in Form zweier Naturwaldreservate sowie Waldrefugien im Zuge des
Konzeptes zum Umgang mit Biotopbäumen, Altbäumen und Totholz (BAT-Konzept) bei Landesforsten Rheinland-Pfalz.
Auen sind als länderübergreifende Achsen für den Biotopverbund und für das europaweite Schutzgebietssystem Natura 2000
von besonderer Bedeutung. Prozessschutz stellt durchaus auch eine mögliche Management-Variante für die Aue im Sinne von
Natura 2000 dar. Infolge des Prozessschutzes können zwar zeitweise einige Schutzgüter zurückgehen, sie fluktuieren aber in Raum
und Zeit – wie es in Auen üblich ist – und kommen gegebenenfalls wieder. Dies steht in Einklang mit den „EU-Guidelines on
Wilderness“ in Natura 2000.
Die sukzessive Ausweitung der Auwaldbereiche, die einer natürlichen Entwicklung überlassen werden, ist ein weiterer Beitrag zur
Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie. Gemeinsam mit dem Nationalpark Hunsrück-Hochwald, der Kernzone im Bios-
phärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen, den Naturwaldreservaten, der Naturwaldfläche im Naturschutzgroßprojekt Bienwald,
den Waldrefugien zufolge des BAT- Konzepts werden naturschutzfachlich vorteilhafte Standorte zur Erreichung des Ziels genutzt.
Mit rund 8,5 % ist das 10 %-Ziel bereits jetzt annähernd erreicht. Mit diesem Netzwerk aus holznutzungsfreien Wäldern, verteilt
über die gesamte Staatswaldfläche von Rheinland-Pfalz, trägt Landesforsten maßgeblich dazu bei, die Zielsetzung der nationalen
Biodiversitätsstrategie, 10 % der staatlichen Wälder einer natürlichen Entwicklung zu überlassen, zu erfüllen.
Im Gegenzug dazu bleiben im gleichen Umfang Bereiche, bei denen Holzproduktionsziele von größerem Gewicht sind, von einer
Ausweisung als Prozessschutzgebiet im Rahmen der nationalen Biodiversitätsstrategie ausgenommen.
Im Weiteren wird auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 3347 der Abgeordneten Marcel Hürter, Thorsten Wehner und Bern-
hard Kukatzki (SPD) „Entwicklung Prozessschutzflächen im Staatswald“ vom 30. April 2015 (Drucksache 16/5078) verwiesen.
Zu Frage 4:
Neben Landesforsten und den Naturschutzbehörden war vor allem der BUND Rheinland-Pfalz an der Auswahl der Flächen be-
teiligt.
Zu Frage 5:
Die stromseitigen Rheinauewälder enthalten bis heute viele Arten naturnaher Wälder. In Verbindung mit der besonderen, sehr aus-
geprägten heutigen Auendynamik lassen sie besonders interessante und ökologisch wertvolle eigendynamische Weiterentwicklung
erwarten.
Im Folgenden wird der von Ihnen zitierte Satz aus der Veröffentlichung „Biodiversität im Wald“ in der ungekürzten Fassung an-
geführt:
„Prozessschutz ist hingegen in anthropogen geprägten Waldtypen nicht geeignet, Erhaltungsziele solcher Lebensräume zu sichern,
die auf-
grund ihrer besonderen Ausprägung definiert wurden (insbesondere lichte Eichen- und Kiefernwälder sowie kulturhistorische Bewir
t-
schaftungsformen wie z. B. Niederwälder). Diese bleiben nur unter ständiger Bewirtschaftung erhalten.“
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In der Veröffentlichung sind also Waldtypen gemeint, die gerade durch die Bewirtschaftung ihren ökologischen Wert erhalten. Das
ist auf den Flächen der Aue nicht der Fall. Die rezente Aue wird vor allem durch Weichholz- und Hartholzauenwälder geprägt, in
denen beispielsweise die Stieleiche nur eine Baumart unter vielen ist.
Die Auswahl steht also nicht im Widerspruch zur Veröffentlichung „Biodiversität im Wald“.
Zu Frage 6:
Wie dem Fragesteller bereits schriftlich mit Schreiben vom 30. November 2016 mitgeteilt, wird die Entwicklung der von forst-
lichen Maßnahmen betroffenen Flächen entsprechend der Vereinbarung beobachtet und dokumentiert (Abdrift, Neophyten,
Naturverjüngung).
Ulrike Höfken
Staatsministerin
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