Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 1. August 2016 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 17. Wahlperiode Drucksache 17/465 zu Drucksache 17/216 14. 07. 2016 A n t w o r t des Ministeriums für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pia Schellhammer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Drucksache 17/216 – Homo- und Transphobie Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/216 – vom 22. Juni 2016 hat folgenden Wortlaut: Homo- und transphobe Einstellungen können zu einem gesellschaftlichen Klima der Diskriminierung und Ausgrenzung bis hin zu verbaler und zu körperlicher Gewalt führen. Auch in Rheinland-Pfalz fühlen sich Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und intersexuelle Menschen (LSBTTI) Vorurteilen, Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu Homo- und Transphobie in Rheinland-Pfalz vor? 2. Wie bewertet die Landesregierung die Erkenntnisse zu Homo- und Transphobie in Rheinland-Pfalz im Vergleich zu bundesweiten und europäischen Forschungsergebnissen? 3. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich homophober und transphober Einstellungen bei extremistischen Gruppen vor? 4. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung seitens des offiziellen Ansprechpartners für LSBTTI (QueerNet Rheinland-Pfalz e. V.) über Auswirkungen von Diskriminierung und Gewalt auf betroffene Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer vor? 5. Welche präventiven Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um Homo- und Transphobie entgegenzuwirken? Das Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Landes - regierung mit Schreiben vom 14. Juli 2016 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Die Landesregierung hat 2013 eine „Online-Befragung zur Lebenssituation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen in Rheinland-Pfalz“1) durchführen lassen. Die im Folgenden genannten Daten und beschriebenen Erkenntnisse gehen auf diese Studie zurück. Über die Hälfte der gut 500 Befragten (58,5 %) haben bereits Diskriminierungserfahrungen gemacht. Der größte Teil von ihnen (198 Personen) erlebte diese in der Öffentlichkeit, beispielsweise auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die am häufigsten genannte Form der Ausgrenzung sind verbale Abwertungen, Beleidigungen oder „Witze“. 143 Personen (28,7 %) haben aufgrund ihrer sexuellen bzw. geschlechtlichen Identität psychische oder körperliche Gewalt erlebt. Von Schlägen, Tritten oder anderen körperlichen Angriffen berichteten fast 12 %. Nur ein Viertel (35 Personen) verständigte nach einem Übergriff die Polizei, um den Vorfall zu melden. Die Personen, die nicht zur Polizei gegangen waren, nannten als Hauptgründe für ihre Entscheidung die Erwartung erfolgloser Ermittlungen und die Befürchtung, nicht ernst genommen zu werden. Diese Befürchtungen bestätigen diejenigen, die polizeiliche Unterstützung in Anspruch genommen hatten, nur zum Teil: Über die Hälfte wurde respektvoll behandelt, und zwanzig Befragte fühlten sich von den Polizistinnen und Polizisten ernst genommen.2) 1) Eine umfassende Auswertung der nicht repräsentativen Studie liegt vor unter dem Titel „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen. Lebenssituation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen. Auswertungsbericht zur Online-Befragung von Juni bis Oktober 2013“. Die hier zitierten Zahlen beziehen sich auf 501 ausgewertete Fragebögen von Teilnehmenden, die in Rheinland-Pfalz wohnen, arbeiten oder einen starken privaten Bezug zu Rheinland-Pfalz haben. Die größten Teilnehmendengruppen bilden Männer mit 53,1 % und Frauen (37,1 %). Transidente Personen sind mit 37 Personen (7 %) eine relativ kleine Gruppe. Intersexuelle Menschen stellen mit fünf Personen die kleinste vertretene Gruppe dar. Bezogen auf die sexuelle Orientierung bilden Schwule mit 49,9 % die größte Gruppe der Teilnehmenden, und die zweitgrößte Gruppe stellen die Lesben mit 27,9 %. 2) Respektvoll behandelt fühlten sich 14 Personen voll und ganz, sechs weitgehend. Für acht Personen traf die Aussage „Ich wurde mit Respekt behandelt“ weniger, und für fünf Befragte überhaupt nicht zu. Der Aussage „Meine Erlebnisse wurden nicht ernst genommen“ traf für sechs Personen voll und ganz, für fünf weitgehend, für vier weniger und für 16 überhaupt nicht zu. Drucksache 17/465 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode 2 Rund 30 % der Umfrageteilnehmenden sind oder waren während der Schulzeit mindestens einmal von Diskriminierungen betroffen. Etwa ebenso viele haben sich während der Schulzeit nicht geoutet, weil sie Benachteiligungen befürchteten. Für viele ist oder war die Schule ein Ort, an dem sie sich mit abwertenden Äußerungen oder diskriminierendem Verhalten von Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen (LSBTTI) konfrontiert sahen. Ein Fünftel der Befragten gab an, von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern ausgegrenzt zu werden oder worden zu sein. Bei fast 30 % griffen Lehrkräfte nicht ein, wenn Mitschülerinnen und Mitschüler sich gegenüber LSBTTI oder ihnen persönlich in abwertender Art und Weise äußerten. Ein weiterer zentraler Lebensbereich, in dem LSBTTI in Rheinland-Pfalz Benachteiligungen erlebten, war der Arbeitsplatz: Zwei Drittel waren am Arbeits- oder Ausbildungsplatz unangenehmen Witzen über LSBTTI ausgesetzt und knapp über 45 % der Teilnehmenden war von Tuscheleien und Gerüchten über ihre Person betroffen. Unter 10 % der Befragten berichteten von schwerwiegenden Diskriminierungen am Arbeitsplatz, wie sexueller Belästigung, körperlichen Angriffen oder Bedrohungen. Allerdings wurde 165 mal von Benachteiligungen berichtet, die eine Beeinträchtigung der beruflichen Integration bzw. Weiterentwicklung darstellte (Stelle nicht bekommen 16 %, gekündigt worden 5,5 %, nicht befördert worden 12,3 %). Die Studie zeigt eine im Vergleich zu anderen Identitätsgruppen stärkere Benachteiligung der befragten transidenten Menschen in nahezu allen Lebensbereichen: Gut 75 % gaben an, aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität benachteiligt worden zu sein. Am Arbeitsplatz beispielsweise waren transidente Personen deutlich häufiger als andere LSBTI-Gruppen Spott sowie Mobbing von Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten ausgesetzt. Darüber hinaus erlebten transidente Menschen spezifische Diskriminierungen: Fünf transidente Personen (13,5 %) mussten mindestens einmal in ihrem ursprünglichen Geschlecht weiter arbeiten, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Zwar waren ernsthafte Konflikte im Umgang mit Ämtern und Behörden oder größere Probleme im Gesundheitssystem (eine Ausnahme bilden transidente Personen) eher selten. Jedoch empfanden zahlreiche Befragte das Personal mitunter als respektlos und ignorant gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und unwissend bezüglich der rechtlichen oder gesundheitlichen Belange von LSBTTI. Daher wünschte sich ein großer Teil der Teilnehmenden an der Befragung eine verstärkte gesellschaftliche Aufklärung und Qualifizierungen für die Beschäftigten von Institutionen und Bildungs-, Beratungs- und Gesundheitseinrichtungen. Zu Frage 2: Auch wenn ein direkter Vergleich der rheinland-pfälzischen Ergebnisse mit denen anderer Untersuchungen im Einzelnen aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden, Items und Antwortkategorien nicht zulässig ist, können grundsätzlich gewisse Parallelen und ähnliche Tendenzen festgestellt werden. Kurz vor bzw. nach der rheinland-pfälzischen Online-Befragung wurden zwei umfassende Studien durchgeführt, durch die ebenfalls Erkenntnisse über Diskriminierungserfahrungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und transidenten Menschen gewonnen werden sollten. Auf europäischer Ebene ist dies die Online-Umfrage „EU LGBT survey – European Union lesbian, gay, bisexual and transgender survey“3), die durch die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) in 2012 realisiert wurde. 93 000 Personen aus 28 Ländern (aus Deutschland gut 20 000) wurden zu ähnlichen Themenbereichen befragt wie in der rheinlandpfälzischen Studie.4) Auf Bundesebene befragte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2015 im Rahmen der repräsentativen Umfrage „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“5) Personen zu Diskriminierungserfahrungen in allen Lebensbereichen aufgrund aller im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannten Merkmale sowie zusätzlich der sozioökonomischen Lage. Es nahmen gut 2 300 Personen mit dem Merkmal „homosexuell“ teil sowie 369 transidente Menschen. Sowohl in der FRA-Studie als auch in der rheinland-pfälzischen Studie gab etwa die Hälfte der Befragten an, aufgrund ihrer sexuellen bzw. geschlechtlichen Identität Diskriminierungserfahrungen gemacht zu haben. Transidente Menschen („transgender“) berichten häufiger von Benachteiligungen als andere Gruppen. Am Arbeitsplatz fühlten sich 19 % der Europäerinnen und Europäer innerhalb der vorangegangenen zwölf Monate diskriminiert, Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer gaben zu 25 % an, im Laufe ihres Arbeitslebens Diskriminierungserfahrungen gemacht zu haben. In Bezug auf benachteiligende Erfahrungen während der Schulzeit sind die Fragestellungen der Umfragen zu unterschiedlich, als dass ein direkter Vergleich gezogen werden könnte. So erfragte die FRA-Studie eigene oder Erlebnisse der Kinder innerhalb der zwölf Monate vor der Umfrage. Parallelen zeigen sich jedoch in beiden Studien bezüglich der Frage nach dem Umgang mit der eigenen sexuellen bzw. geschlechtlichen Identität: 68 % der Deutschen (67 % der Europäerinnen und Europäer) versteckten ihre Identität während ihrer Schulzeit. Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer bestätigten demgegenüber zu etwa 45 % voll oder weitgehend, sich aus Furcht vor Nachteilen in der Schule nicht geoutet zu haben. 3) Agentur der Europäischen Union für Grundrechte: LGBT-Erhebung in der EU – Erhebung unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender -Personen in der Europäischen Union Ergebnisse auf einen Blick, 2013, http://fra.europa.eu/de/publication/2014/lgbt-erhebung-der-eu-erhebung-unter-lesben-schwulen-bisexuellen-und-transgender. 4) http://fra.europa.eu/en/publications-and-resources/data-and-maps/survey-data-explorer-lgbt-survey-2012. 5) Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Diskriminierungserfahrungen in Deutschland. Erste Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung und einer Betroffenenbefragung, 2016, http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Handout_Umfrage_Diskriminierung _in_Dtschl_2015.pdf?_blob=publicationFile&v=4. Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Drucksache 17/465 6 % der Europäerinnen und Europäer wurden innerhalb von einem Jahr vor der Umfrage Opfer einer Gewaltandrohung oder Gewalttat, von der sie glaubten, dass sie hauptsächlich oder teilweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität verübt wurde. Bei transidenten Menschen lag der Anteil bei 8 %. Fast ein Fünftel aller Befragten erlebte im selben Zeitraum Belästigungen oder Bedrohungen („harassment“). Im EU-Durchschnitt wurden 22 % der schwersten Vorfälle von Gewalt, die in den fünf Jahren vor Durchführung der Studie begangen wurden, bei der Polizei angezeigt, jedoch nur 6 % im Falle von Bedrohung oder Belästigung. Fast die Hälfte derjenigen Befragten, die sich nicht an die Polizei gewandt hatten, war der Auffassung, dass diese ihrem Fall nicht nachgegangen wäre, und ein Drittel befürchtete homo- oder transphobes Verhalten der Polizistinnen und Polizisten. Ein signifikanter Unterschied besteht in der Offenheit der Befragten mit ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität gegenüber ihrem Umfeld: Während im europäischen Durchschnitt etwas weniger als die Hälfte der Befragten gegenüber keinem oder nur einzelnen Familienmitgliedern offen mit ihrer sexuellen bzw. geschlechtlichen Identität umgeht, leben 79,4 % der Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer im engeren Familienkreis und 45,3 % im weiteren Familienkreis umfassend offen. Auch am Arbeitsplatz sind die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer eher geoutet als die Europäerinnen und Europäer: Letztere sind nur zu 21 % gegenüber ihren Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen bezüglich ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität offen, im Vergleich zu 37,5 % der Befragten in Rheinland-Pfalz. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlichte im April 2016 erste Ergebnisse ihrer Umfrage und kommt zu dem Schluss: „Diskriminierungserfahrungen sind in Deutschland weit verbreitet. Knapp ein Drittel der Menschen in Deutschland (31,4 %) hat nach eigener Aussage in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung aufgrund eines im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannten Merkmals erlebt.“6) Der bisherige Auswertungsstand gibt nur einzelne Hinweise auf die Situation von LSBTTI, weitere Publikationen sind jedoch geplant. So stellen die Autorinnen und Autoren fest, dass Diskriminierungserfahrungen aufgrund des Geschlechts bzw. der Geschlechtsidentität vor allem im Erwerbsleben auftreten. Die Angaben der befragten transidenten Personen sind jedoch nicht extra ausgewiesen . Des Weiteren werden „Diskriminierungserfahrungen aufgrund der sexuellen Orientierung insbesondere im privaten Bereich, also im Freundes- und Bekanntenkreis bzw. der Familie, aber auch in der Öffentlichkeit überdurchschnittlich häufig gemacht“7). In der rheinland-pfälzischen Untersuchung wurden die Lebensbereiche Freundeskreis, Familie und Öffentlichkeit getrennt erfragt und ausgewertet. In der Familie haben knapp 50 % noch nie ausgrenzende Erfahrungen gemacht und im Freundeskreis 60 %. Die Öffentlichkeit hingegen ist der Lebensbereich, in dem der größte Teil der Befragten Benachteiligungen erlebt hat. Darüber hinaus sei noch hingewiesen auf die jüngst veröffentlichte Erhebung „Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland“8). Die Studie eines Forscherteams der Universität Leipzig ist Teil einer repräsentativen Langzeitbeobachtung , in deren Rahmen alle zwei Jahre Bürgerinnen und Bürger zu ihren politischen Einstellungen befragt werden. 2016 wurde als zusätzliches Instrumentarium auch ein Fragebogen zur Abwertung von Homosexuellen eingesetzt. Die Ergebnisse: „40 % der Befragten stimmten der Aussage zu, es sei ‚ekelhaft‘, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen, und fast 25 % finden Homosexualität unmoralisch, also jeder bzw. jede Vierte. Schließlich denken 36,2 % der Befragten, dass Ehen zwischen Frauen bzw. zwischen Männern nicht erlaubt sein sollten.“9) Zu Frage 3: Die Sicherheitsbehörden dürfen und wollen aufgrund ihres Selbstverständnisses Einstellungen im Sinne einer geistigen Haltung für sich genommen nicht erfassen, sondern lediglich in Verbindung mit einer zielgerichteten Agitation oder bestimmten, z. B. gegen Minderheiten gerichteten Aktivitäten. Nach den insoweit vorliegenden Erkenntnissen sind Homo- und Transphobie kein Alleinstellungs- und Wesensmerkmal des Rechtsextremismus und Islamismus. Indessen gründet die Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen, so u. a. wegen ihrer sexuellen Orientierung, im Rechtsextremismus auf einer rassistisch geprägten, feindbildfixierten Weltanschauung. Insofern sind auch homophobe Einstellungen in rechtsextremistischen Kreisen seit jeher verbreitet, wenngleich sie in Agitation und Aktion bislang einen vergleichsweise geringeren Stellenwert haben. Im Bereich des Islamismus – einer Form des religiös begründeten Extremismus – existieren im Hinblick auf Männer und Frauen feste Rollenbilder, denen Homosexualität zuwiderläuft. Transsexualität stellt für Islamisten einen illegitimen Eingriff in die göttliche Schöpfung dar und wird daher ebenfalls abgelehnt. Gleichwohl liegen hier keine Erkenntnisse vor, wonach Homosexualität und, mehr noch, Transsexualität zu den vorrangig thematisierten Fragen oder Agitationsfeldern bei Islamisten in Deutschland zählt. Homo- und transphobe Einstellungen sind nach Kenntnis der Sicherheitsbehörden kein Bestandteil linksextremistischer Agitation. 3 6) ebd., S. 1. 7) ebd., S. 18. 8) Oliver Decker, Johannes, Kiess, Elmar Brähler (Hrsg.): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, 2016. 9) Die Studie enthält keine Zahlen über die Befürworterinnen und Befürworter zur Öffnung der Ehe. Geht man davon aus, dass alle Befragten geantwortet haben, würden 63,8 % die Aussage „Ehen zwischen zwei Frauen bzw. zwischen zwei Männern sollten nicht erlaubt sein" ablehnen, also im Umkehrschluss die gleichgeschlechtliche Ehe befürworten. Diese Zahl liegt nahe an den Ergebnissen einer repräsentativen Umfrage, die das Marktforschungsinstitut YouGov im Januar 2016 zu diesem Thema durchgeführt hat. Hier würden 68 % der Teilnehmenden „ein Gesetz, das homosexuellen Paaren die Ehe ermöglicht“, befürworten (https://yougov.de/news/2016/01/28/leicht-wachsende-mehrheit-fur-legalisierungder -ho/). Drucksache 17/465 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Zu Frage 4: Zu dieser Frage hat die Landesregierung QueerNet Rheinland-Pfalz e. V um eine Stellungnahme gebeten, die wie folgt lautet: „QueerNet Rheinland-Pfalz e. V, der offizielle Ansprechpartner der Landesregierung für LSBTTI, verfügt über einen guten Einblick in homo- und transphobe Einstellungen, weil das Netzwerk Gruppen, Vereine und Initiativen aus ganz Rheinland-Pfalz im Bereich sexuelle und geschlechtliche Identität vereint. Wir stellen fest, dass die Ablehnung gleicher Rechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transidente und Intersexuelle zunimmt. Lesben und Schwulen wird die Ehe unter Berufung auf die vor 15 Jahren geschaffene „Eingetragene Partnerschaft“ verweigert. Neu ist, dass die Ablehnung gleicher Rechte auch offensiv argumentativ vertreten wird und damit dieser Zustand der Ungleichheit im Eherecht zementiert werden soll. Die Verweigerung, die Ehe zu öffnen, schließt die Ungleichbehandlung von Kindern in sogenannten Regenbogenfamilien ein. Ebenso stellen wir fest, dass die Beseitigung der Hürden beim Transsexuellengesetz (z. B. das Erfordernis von zwei Gutachten) nach wie vor nicht erfolgt ist und es an Zugängen zu kostenfreier medizinischer Versorgung bei der Transition und Nachsorge mangelt. In beiden Fällen handelt es sich um Diskriminierung durch rechtliche Ungleichbehandlung. Die bisher größte repräsentative Studie und Betroffenenbefragung zum Stand von Diskriminierungserfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Jahr 2015 durchgeführt hat, zeigt als Ergebnis, dass nichtheterosexuelle Menschen die häufigste Diskriminierungserfahrung im Bereich „Öffentlichkeit/Freizeit“ erleben, gefolgt von der Diskriminierung am Arbeitsplatz. Im Bereich „Geschlecht/Geschlechtsidentität“ ist das Verhältnis umgekehrt. Diese Ergebnisse entsprechen den Erfahrungen der Mitgliedsorganisationen von QueerNet Rheinland-Pfalz e. V. Sichtbarkeit zu unterlassen, heißt Diskriminierung durch „Unsichtbar-Machen“ fortzuführen. Daher gehört Öffentlichkeitsarbeit zu den Schwerpunkten der überwiegend ehrenamtlichen Arbeit der Mitgliedsorganisationen von QueerNet Rheinland-Pfalz e. V. Anlässlich des International Days against Homophobia and Transphobie (IDAHOT) und zum Christopher Street Day (CSD) zeigen die Gruppen, dass Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transidente und Intersexuelle sichtbar sind, sichtbar sein wollen und sich gegen vermehrte (auch körperliche) Übergriffe und rechtliche Benachteiligungen wehren. Im Alltag allerdings fehlt diese Sichtbarkeit, die Heterosexuellen selbstverständlich ist. Daher müssen Öffentlichkeitskampagnen regional und landesweit durchgeführt werden. Auf kommunaler Ebene hat die Stadt Mainz die Kampagne „Ich liebe wie ich lebe“ in vorbildlicher Weise durchgeführt. Das Land ist hier gefordert, in seiner Öffentlichkeitsarbeit die Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Transidenten und Intersexuellen noch weiter zu erhöhen. Nach oben genannter Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erleben insbesondere Transidente die häufigste Diskriminierung in der Arbeitswelt. Viele verlieren während der Transition ihren Arbeitsplatz. Hier fehlen ausreichende Unterstützungsangebote durch kompetente Ansprechpersonen vor Ort und in den begleitenden Institutionen wie z. B. der Agentur für Arbeit. Die Betroffenen „verstecken“ ihre sexuelle Identität oder „erfinden“ eine heterosexuelle Identität, um sich vor Benachteiligung und Mobbing zu schützen, wie Berichte der Mitgliedsorganisationen von QueerNet Rheinland-Pfalz e. V. zeigen. Diskriminierung geschieht hier durch Verhindern gleicher Ausbildungs-, Berufs und Karrierechancen. Diskriminierungserfahrungen im Bereich „Bildung“ bestehen vor allem darin, dass über nicht heterosexuelle und geschlechtliche Identitäten nicht oder abwertend gesprochen wird. „Schwul“ als Schimpfwort für alles, was nicht gefällt oder misslingt, oder „schwule Sau“ gehören zum Alltag auf Schulhöfen – häufig ohne dass dies von Pädagoginnen oder Pädagogen in ausreichendem Maße zurückgewiesen wird (vgl. die bundesweite Studie des DJI aus dem Jahr 2015). Über nicht-heterosexuelle Identitäten und Lebensformen wird im Unterricht kaum gesprochen. Eine Darstellung in verschiedenen Unterrichtsfächern als gleichwertige und gleichberechtigte Lebensform fehlt zu oft, wie die Erfahrungen des Bildungsprojektes SchLAu zeigen, bei dem ausgebildete ehrenamtliche Schülerinnen und Schüler in der Regel ab der 8. Klasse informieren. Diskriminierung geschieht hier durch Verweigern des gleichen Zugangs zu vorurteilsfreien Informationen. Die Mitgliedsorganisationen von QueerNet Rheinland-Pfalz e. V. erleben die Auswirkungen der oben genannten Formen von Diskriminierung in der Nicht-Akzeptanz und Herabsetzung einer gleichwertigen und nach dem Grundgesetz gleichberechtigten Identität (vgl. Art. 1 und 3 GG). Zurückweisungen, Beleidigungen, Benachteiligungen, auch körperliche Gewalt, schränken die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ein und mindern ihre Lebensqualität. Sie hinterlassen bei den Betroffenen die Erfahrung, schutzlos zu sein und sich gegen Übergriffe nicht oder nur unzureichend wehren zu können. Sie können vielerlei psychische und physische Folgen nach sich ziehen. Studien zeigen, dass die Selbstmordrate nicht-heterosexueller Jugendlicher bis zu viermal höher ist als die gleichaltriger heterosexueller Jugendlicher. Die Diskriminierung durch verbale und körperliche Gewalt zeigt mittelbare und unmittelbare Folgen. Eine Beratungsstruktur, die regional so ausgebaut ist, dass Kompetenz im Bereich sexuelle und geschlechtliche Identität gleichermaßen zur Verfügung steht, existiert nur unzureichend. QueerNet Rheinland-Pfalz beobachtet, dass die oben genannten Diskriminierungen im „intellektuellen Raum“ weniger aus Unkenntnis als mit Absicht geschehen. Im Alltag zeigen sie sich oft als Übernahme von Vorurteilen, die aus Medien und sozialen Umgebungen übernommen sind. In beiden Fällen ist eine klare Haltung gefordert: Diskriminierungen zurückweisen, Polizei zu Hilfe rufen. In der Beobachtung der Mitgliedsorganisationen von QueerNet Rheinland-Pfalz e.V. fehlt dies immer öfter sowohl in der Zivilgesellschaft als auch im politischen Raum.“ 4 Landtag Rheinland-Pfalz – 17.Wahlperiode Drucksache 17/465 Zu Frage 5: In ihrem Koalitionsvertrag vom 17. Mai 2016 hat die Landesregierung Rheinland-Pfalz mit dem Schwerpunkt „Vielfalt – ein Gewinn für alle“ ihr Engagement zur Bekämpfung von Benachteiligungen aufgrund verschiedener Merkmale bekräftigt, zu denen auch Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität und der Geschlechtsidentität gehören. Dabei sollen die Ziele des in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedeten Landesaktionsplans „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen“ weiter verfolgt werden: die Bekämpfung von Diskriminierungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, die volle rechtliche Gleichstellung und die Förderung gesellschaftlicher Akzeptanz von LSBTTI. Vorbehalte, Vorurteile, feindseliges und gewalttätiges Verhalten gegenüber LSBTTI entstehen nicht selten aus Unwissenheit und aufgrund mangelnder oder falscher Informationen. Daher ist die Informations-, Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit eine zentrale Aufgabe im Landesaktionsplan. Der Maßnahmenplan der Landesregierung umfasst 174 Einzelmaßnahmen und ist auf folgende Lebensbereiche ausgerichtet: Arbeitswelt, Rechtspolitik und Polizei, Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung, Gesundheit, Alter und Pflege, Antidiskriminierungsarbeit und Partizipation, Gesellschaft und Gedenkkultur, Sport sowie Familie, Kinder und Jugend. Der Maßnahmenplan wird prozesshaft und als Daueraufgabe umgesetzt. Dabei werden alle relevanten gesellschaftlichen Akteure und Gruppen einbezogen, wie zum Beispiel Kommunen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften , Sport- und Jugendverbände und LSBTTI-Gruppen, um in ihren Bereichen die Aktivitäten der Landesregierung zu unterstützen und durch eigene Beiträge anzureichern. Beispiele für Maßnahmen gegen Homo- und Transphobie sind: – Fortbildungen für Justizvollzugsbeamtinnen und Justizvollzugsbeamte zum Thema „Sexuelle Vielfalt – Toleranz und Akzeptanz im Vollzugsalltag“, – Qualifizierung von Sozialdiensten in Jugendstrafanstalten und Jugendarrestanstalten zum Thema LSBTTI in Kooperation mit Pro Familia e. V., – Fortbildung für Richterinnen und Richter sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der Familien- und Sozialgerichtsbarkeit zum Thema „Aktuelles zum Unterhaltsrecht – Ehe und Eingetragene Lebenspartnerschaften“, – Einsatz von regionalem Ansprechpersonen zum Thema LSBTTI in allen Polizeipräsidien in Rheinland-Pfalz, – Aufnahme von den Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in die Studienplanung der Polizeiausbildung, – Symposium „Vielfalt als Chance verstehen – Gleichgeschlechtliche Lebensweisen als Herausforderung für die Polizei“ auf dem Campus Hahn der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz für Polizeibehörden und Polizeieinrichtungen, – Einsatz des „Kita-Koffers für Familien- und Lebensvielfalt“ in Kindertagesstätten, – Implementierung der Themen Sozialisation, Erziehung, Bildung, Integration, Werteerziehung und Sexualerziehung in Studium und Vorbereitungsdienst von Lehrkräften, – Aufnahme von den Themen sexuelle und geschlechtliche Identität und Diversity in Lehrpläne, – Förderung des Schulaufklärungsprojekt „SchLAu RLP“ zur Werbung um Akzeptanz für die Vielfalt menschlicher Lebensentwürfe , – Förderung des Projekts „Familienvielfalt“ zur Information und Aufklärung über die Vielfalt von Familien- und Lebensentwürfen, – Qualifizierung von Trainerinnen und Trainer des Rheinhessischen Turnerbundes zu den Themen Vielfalt, Integration und Inklusion, – Zusammenarbeit aller nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz im Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz Zusammengeschlossenen der Selbsthilfegruppen und Betroffenenverbände, um gemeinsam Aufklärungs- und Informationsarbeit zu betreiben und zusätzlich von Diskriminierung betroffenen Menschen zeitnah Informationen und Hilfestellung zur Verfügung zu stellen, – Informationsarbeit der Landesantidiskriminierungsstelle Rheinland-Pfalz für Einrichtungen der Beratung und Unterstützung für Betroffene, um mehr Wissen über die Möglichkeiten der rechtlichen Gegenwehr bei Diskriminierung in die Institutionen zu bringen. Unter www.regenbogen.rlp.de sind alle Maßnahmen des Landesaktionsplans „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen – Akzeptanz für queere Lebensweisen“ in einem Bericht beschrieben. Anne Spiegel Staatsministerin 5