LANDTAG DES SAARLANDES 14. Wahlperiode Drucksache 14/292 (14/236) 06.10.2010 A N T W O R T zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr.: Sprachförderung von Kindern in Kindertagesstätten Vorbemerkung der Fragestellerin: „In den letzten zehn Jahren ist die Zahl sprachauffälliger Kinder um 350 Prozent angestiegen. Immer mehr Kinder fallen schon im Kindergarten mit Sprachstörungen auf, aber im Saarland finden Sprachstandsfeststellungen erst zur Schulreifeuntersuchung und somit zu spät statt.“ Vorbemerkung der Landesregierung: Bei der Beantwortung der Frage wird davon ausgegangen, dass mit sprachauffälligen Kindern diejenigen gemeint sind, für die ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich Sprache festgestellt wurde. Im schulischen Bereich ist die Zahl der Kinder mit anerkanntem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache beständig gestiegen: von 257 Schülerinnen und Schülern im Schuljahr 1999/2000 auf 769 im Schuljahr 2009/2010; dies ist ein Anstieg von rd. 200 %. Zum einen liegen die Gründe für den Anstieg in der veränderten Lebenssituation der Kinder. Dazu gehören unzureichende sprachliche Anreize in der Eltern-Kind-Interaktion , u. a. weil weniger Zeit durch Verpflichtungen beider Elternteile zur Verfügung steht. Bei einer zunehmenden Zahl von Ein-Kind-Familien erfolgt eine geringere anderweitige Sprachanregung; hierzu trägt bei, dass das Zusammenleben mehrerer Generationen immer seltener wird. Bei vielen Eltern fehlt aber auch das Wissen um die anderweitige Sprachanregung Bedeutung früh einsetzender und kontinuierlicher Sprachanregung. Der frühe Ersatz aktiver Ansprache durch verschiedene elektronische Medien wie Fernsehen, Computer sowie Bild- und Tonträger mit zum Teil unkorrekter Sprache trägt weiter dazu bei, insbesondere die aktive Sprachentwicklung zu verzögern. Ausgegeben: 06.10.2010 (16.08.2010) Drucksache 14/292 (14/236) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 2 - Als zweiter Grund für den Anstieg muss gesehen werden, dass heute – und das ist ausdrücklich zu begrüßen – mehr auf die Sprache der Kinder geachtet wird und dass es bessere Methoden gibt, Sprachauffälligkeiten festzustellen. Es ist ein Bewusstsein dafür entstanden, dass viele Auffälligkeiten verringert oder gar beseitigt werden können . Die in den Kindertageseinrichtungen tätigen Fachkräfte können i.d.R. sehr gut beurteilen , ob ein Kind, das sie über eine lange Zeit kennen und beobachten konnten, sprachlich auffällig ist oder gar an einer Sprachstörung zu leiden scheint. Demgegenüber haben Sprachstandsfeststellungen meist den Nachteil einer punktuellen Betrachtung, ohne Entwicklungen oder aktuelle Beeinträchtigungen berücksichtigen zu können. Warum werden Förderschullehrkräfte mit der Fakultas „Sprachbehindertenpädagogik“ im Saarland nicht wie in Rheinland-Pfalz verpflichtend und flächendeckend in den Kindergärten eingesetzt? Zu Frage 1: Seit Jahren fehlen aufgrund des bundesweiten Mangels nicht nur im Saarland Förderschullehrerinnen und -lehrer aller sonderpädagogischen Förderschwerpunkte außer Geistigbehindertenpädagogik. In Rheinland-Pfalz sind Förderschullehrkräfte nicht in KiTas eingesetzt. Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Sprache und Lernen bieten KiTas zwar systemische Beratung an; diese Beratung erfolgt jedoch möglichst außerhalb der Unterrichtszeit. Beratungsangebote können auch im Rahmen der Integrierten Förderung umgesetzt werden; dies erfolgt in Rheinland-Pfalz jedoch nicht flächendeckend . Wie im Saarland ist auch in Rheinland-Pfalz Sprachförderung zentraler und integrativer Bestandteil der gesamten pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen . Könnte der hohe Anstieg der Kinder mit Sprachstörungen gebremst werden, wenn Fachkräfte frühzeitig Defizite erkennen und Maßnahmen zur Behebung der Defizite bereits vor der Einschulung einleiten? Zu Frage 2: Die Zunahme der Zahl von Kindern mit unterschiedlichen Sprachauffälligkeiten kann durch den verstärkten Einsatz von Fachkräften, die Defizite erkennen und Maßnahmen zu deren Behebung einleiten, nicht gebremst werden, aber notwendige, begleitende und/oder therapeutische Angebote können früher ansetzen. Um das frühe Erkennen von vorliegenden Sprachstörungen zu gewährleisten, wird Sprachförderung im Saarländischen Bildungsprogramm (SBP) und den dazu herausgegebenen Handreichungen für Kindergärten ausdrücklich als bedeutsames Bildungsziel benannt. Hier ist eine Sensibilisierung der Fachkräfte im Kindergarten in Bezug auf Sprache allgemein und Sprachförderung im Besonderen erfolgt. Somit wird bei allen Kindern, die eine KiTa besuchen, bereits lange vor der Einschulung deren Sprachfähigkeit intensiv beobachtet , um gegebenenfalls den Erziehungsberechtigten eine Vorstellung bei entsprechenden Therapeuten zu empfehlen. Drucksache 14/292 (14/236) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 3 - In den Landkreisen untersuchen die Jugendärztlichen Dienste der Gesundheitsämter in unterschiedlichem Maße auch Kinder im Vorschulalter, insbesondere in sozialen Brennpunkten. Dabei werden im Rahmen der Entwicklungsdiagnostik auch Sprachüberprüfungen durchgeführt und bei Bedarf entsprechende Therapiemaßnahmen empfohlen . Im Regionalverband Saarbrücken wurden im Rahmen eines Angebotes an die Kindergärten in den zurückliegenden Jahren gezielt Kinder im 5. Lebensjahr auf Sprachauffälligkeiten untersucht und eine Förderung im Kindergartenalltag allein oder ergänzend zu therapeutischen Maßnahmen durch entsprechend angeleitete Erzieherinnen mit guten Erfolg durchgeführt. In Kindertageseinrichtungen findet in allen Landkreisen und im Regionalverband Saarbrücken durch die sogenannten Sprachheilbeauftragten der Landkreise bzw. durch die Sprachheilambulanz des Regionalverbandes Saarbrücken eine sprachdiagnostische Begutachtung von im Kindergarten sprachauffälligen Kindern statt. Es handelt sich um ein niederschwelliges Angebot der Kreise bzw. seit 2004 des Landes, das von den einzelnen Einrichtungen in Anspruch genommen werden kann. Bei Therapiebedarf kann auch in den einzelnen Einrichtungen bzw. in der Sprachheilambulanz eine Behandlung durchgeführt werden, die komplementär zur ambulant durchgeführten logopädischen Therapie zu sehen ist und von den Krankenkassen mit finanziert wird. Damit sollen insbesondere die Kinder erreicht werden, die das Gesundheitsvorsorgesystem nicht in Anspruch nehmen. In den Kindergärten werden sprachauffällige Kinder ambulant durch Sprachheilpädagogen (= Förderschullehrer/innen mit der Fakultas für Sprachbehinderte) in genehmigter Nebentätigkeit und durch Logopäden gefördert. Seit 2003 gibt es an saarländischen Kindergärten das Programm „Hören, Lauschen, Lernen“ und für Migrantenkinder seit 2004 „Früh Deutsch lernen“. a) Reichen diese Maßnahmen vor dem Hintergrund der jährlich steigenden Anzahl sprachauffälliger Kinder aus? b) Ist nicht Vorbeugung und Früherkennung besser als Reparatur nach der Einschulung? Zu Frage 3: „Hören, Lauschen, Lernen“ ist ein Programm zur phonologischen Sensibilisierung in Vorbereitung des Erwerbs der Lese- und Schreibkompetenz. Das Programm richtet sich in erster Linie an Kinder in der letzten Phase vor der Einschulung. Eventuelle Auffälligkeiten oder Störungen im Spracherwerb des Kindes sollten möglichst zu einem früheren Zeitpunkt erkannt und behandelt werden. Die seit dem 1. Februar 2004 angebotene Sprachfördermaßnahme „Früh Deutsch Lernen “ wurde in diesem Jahr von 100 Grundschulen auf alle 160 Grundschulen ausgeweitet , damit alle Kinder mit festgestellten Sprachdefiziten – und das sind nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund – möglichst früh eine Sprachförderung in Deutsch erfahren. Das Sprachförderkonzept ist im Übrigen sehr erfolgreich. Von insgesamt 707 teilnehmenden Kindern im Vorkurs 2009 konnten 580 Kinder, das sind 82 %, ohne Probleme in das 1. Schuljahr 2009/210 eingeschult werden. Drucksache 14/292 (14/236) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 4 - Im Bewusstsein, dass die Grundlage für ein erfolgreiches Lernen in der Schule das Beherrschen der deutschen Sprache ist, nimmt das Land hierfür Mittel im Umfang von 4 Mio. € in die Hand. Neben „Hören, Lauschen, Lernen“ und „Früh Deutsch lernen“ hat die Saarländische Landesregierung das Projekt „SIGNAL“ im Praxisfeld der KiTas installiert. „SIGNAL“ hat Sprachbildung und soziale Integration von Kindern und Eltern mit Migrationshintergrund zum Ziel. Dieses Projekt wird aktuell von bisher 8 auf 12 Beratungskindergärten ausgeweitet. Das Projekt „SIGNAL“ ebenso wie „KIKUS“, ein Programm zum frühen Sprachenerwerb in Kindergarten und Grundschule mit entsprechendem Material, richten sich an die Kinder nicht deutscher Herkunftssprache bereits ab Eintritt in den Kindergarten und berücksichtigen auch das sozio-familiäre Umfeld als wesentlichen Faktor für den Spracherwerb der Kinder. Zu Frage 3 a): Derzeit geht die Landesregierung davon aus, dass die getroffenen Maßnahmen ausreichen , zumal gerade in jüngster Zeit eine Ausweitung der Programme erfolgt ist und die Auswirkungen dieser Ausweitungen noch nicht ausgewertet sind. Zu Frage 3 b): Ja, weshalb gerade im SBP so großer Wert auf Sprachförderung im Alltag der KiTas gelegt wird. Wie setzt sich seit dem Jahr 2000 die Gruppe der sprachauffälligen Kinder zusammen? Bitte jährliche Auflistung bis 2010, differenziert nach a) Kindern mit Migrationshintergrund, b) Deutschen Kindern und c) Jungen und Mädchen Zu Frage 4: a) und b) Angaben zur Nationalität bzw. zum Migrationshintergrund sind in den Integrationsstatistiken nicht erfasst. Der Anteil der deutschen bzw. ausländischen Kinder in der Förderschule Sprache kann folgender Tabelle entnommen werden: Drucksache 14/292 (14/236) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 5 - Anteil der deutschen bzw. ausländischen Kinder in der Förderschule Sprache *: Schuljahr Gesamtzahl Ausländ. Kinder Anteil in % 2000/01 123 4 3,3 2001/02 127 1 0,8 2002/03 131 4 3.1 2003/04 120 5 4,2 2004/05 152 5 3,3 2005/06 163 7 4,3 2006/07 187 11 5,9 2007/08 199 13 6,5 2008/09 190 9 4,7 2009/10 191 7 3,7 c) Schüler und Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der Sprache (in Regelschulen und der Förderschule Sprache ) * Schuljahr männlich weiblich gesamt Anteil Mädchen in % 2000/01 nicht mehr zu ermitteln 257 2001/02 nicht mehr zu ermitteln 272 2002/03 202 101 303 33,3 2003/04 221 113 334 33,8 2004/05 267 115 382 30,1 2005/06 300 114 414 27,5 2006/07 354 121 475 25,5 2007/08 417 120 537 22,3 2008/09 459 158 617 25,6 2009/10 532 188 720 26,1 * Anmerkung: In diesen Angaben des Statistischen Landesamtes sind die Kinder in den Schulkindergärten der Förderschule Sprache und der Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige (seit 2005/2006 eigene Schulkindergartengruppen für Kinder mit Förderbedarf Sprache) nicht erfasst . Im Schuljahr 2009/201 wurden im Schulkindergarten der Förderschule Sprache 27 Kinder und im Schulkindergarten der Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige 22 Kinder mit Förderbedarf im Bereich Sprache gefördert. Drucksache 14/292 (14/236) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 6 - Wann sollte nach Ansicht der Landesregierung Sprachförderung sinnvollerweise ansetzen? Zu Frage 5: Bereits seit 2001 gibt es im Saarland ein flächendeckendes Neugeborenen-Hörscreening (NGHS) mit Nachsorgekonzept. Im Rahmen des NGHS wird bei allen neugeborenen Kindern in den Geburtshilfe- und kinderklinischen Abteilungen das Hörvermögen untersucht. So werden Hörschäden zum frühest möglichen Zeitpunkt erkannt und es kann entsprechend reagiert werden: etwa durch eine therapeutische Behandlung oder durch spezielle Frühförderung der Kinder. Auf diese Weise wird den Kindern bereits zu einem denkbar frühen Zeitpunkt der Weg für eine gute Hör- und Sprachentwicklung geebnet. Sprachförderung bzw. die konstruktive und unterstützende Begleitung des Spracherwerbsprozesses sollte so früh wie möglich ansetzen. Aus diesem Grunde hat dieses Thema im SBP einen so großen Stellenwert als eigener Bildungsbereich und gilt auch als Querschnittsaufgabe in den sechs anderen Bildungsbereichen. Aktuell werden die entsprechenden Handreichungen zum SBP, die bisher auf den Kindergarten bezogen vorliegen, auf die Kinderkrippen und damit auf Kinder unter drei Jahren ausgeweitet. Zusätzlich beteiligt sich das Saarland an einem Projekt der Bundesregierung unter Leitung des Deutschen Jugendinstitutes zur „Sprachlichen Bildung und Förderung für Kinder unter drei Jahren“. Hier werden Konzepte und Materialien entwickelt, die im Anschluss in allen saarländischen Kindergärten bzw. Krippen aber auch bundesweit umgesetzt werden sollen. Bei der Arbeit mit dieser Altersgruppe wird Sprachförderung eine herausragende Bedeutung beigemessen, so dass entsprechende Unterstützungsund Förderangebote sehr früh erfolgen. Wie will die Landesregierung diesen nicht mehr tolerablen Anstieg um 350 Prozent stoppen und gibt es Pläne, besondere Maßnahmen zu ergreifen? Wenn ja welche? Wenn nein, warum nicht? Zu Frage 6: Die Saarländische Landesregierung nimmt die Problematik von Sprachauffälligkeiten von Kindern sehr ernst. Aus diesem Grunde wurden und werden die bei den Antworten zu den Fragen 3. und 5. bereits genannten Maßnahmen umgesetzt. Darüber hinaus werden Fortbildungen zur Unterstützung der Fachkräfte und Maßnahmen zur Information der Öffentlichkeit geplant bzw. bereits umgesetzt. Der Anstieg der Zahl der Schüler/innen mit festgestelltem Förderbedarf im Bereich der Sprache um 200 % in den zurückliegenden 10 Jahren muss aber differenziert betrachtet werden. Zumeist handelt es sich hier nicht um manifeste Behinderungen, sondern überwiegend um Sprachentwicklungsverzögerungen; diese Störungen können in wenigen Jahren durch adäquate Sprachförderung behoben werden. Dies wird anhand der Schülerzahlen der Förderschule Sprache deutlich: im Schuljahr 2009/2010 wurden 178 Schüler/innen in den Schulkindergartengruppen und in den Klassen 1 bis 4 gefördert, aber nur noch 40 in den Klassen 5 bis 9. Drucksache 14/292 (14/236) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 7 - Welche Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher gibt es, insbesondere bezogen auf die Sprachdiagnostik und – förderung? Wie oft werden diese jährlich angeboten ? Zu Frage 7: Die Saarländische Landesregierung fördert grundsätzlich die Fortbildung von Fachkräften in KiTas. Zusätzlich werden trägerinterne Fortbildungen zur Implementierung des SBP gefördert. Dabei ist der Bereich Sprache, Sprachauffälligkeit und Sprachförderung immer wieder Thema. Darüber hinaus bieten die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege für ihre Einrichtungen und das Landesjugendamt für alle Interessierten themenspezifische Fortbildungen an. Auch hier hat Sprache und Sprachentwicklung einen entsprechenden Stellenwert. Grundsätzlich beinhaltet jedes Angebot zum SBP auch zwangsläufig das Themenfeld Sprache als Querschnittsaufgabe. Des Weiteren steht das Bildungsministerium in engem Kontakt mit dem MSI - Multilinguales Sprachtherapeutisches Institut - an der cts-Caritasklinik St. Theresia in Saarbrücken , um gemeinsam Konzepte zur Information, Diagnostik und Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte zu entwickeln. betr.: Sprachförderung von Kindern in Kindertagesstätten