LANDTAG DES SAARLANDES 14. Wahlperiode Drucksache 14/582 (14/503) 20.09.2011 A N T W O R T zu der Anfrage der Abgeordneten Prof. Dr. Heinz Bierbaum (DIE LINKE.) Ralf Georgi (DIE LINKE.) betr.: Auswirkungen des § 22 Abs. 2a SGB II (neu ab 01. April 2011: § 22 Abs. 5 SGB II) auf junge Volljährige mit Verselbständigungsbedarf Vorbemerkung der Fragestellerin: „Das „Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" (1. SGB II-Änderungsgesetz) vom 24.03.2006 hat für erwerbslose junge Menschen, die volljährig und noch nicht 25 Jahre alt sind, durch ein so genanntes Auszugsverbot und die erweiterte Unterhaltsverpflichtung der mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Eltern(teile) die Lebensbedingungen erheblich und zumeist zusätzlich belastet. Die Möglichkeit eines Auszuges wird durch §22 Abs. 2a SGB II stark eingeschränkt. Die möglichen Auswirkungen der „Verhaftung junger Volljähriger in der familiären Bedarfsgemeinschaft“ sind gravierend : Verschärfende familiendynamische Konflikte, Existenzgefährdungen durch das Vorziehen von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit oder schulische /ausbildungsbezogene Abbrüche in Folge familiärer Konflikte. Statt den Jugendlichen mehr Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und damit ihren Weg in die Eigenständigkeit zu fördern, werden sie durch diese Bestimmung im elterlichen Haushalt verhaftet. Auf dem Weg ins Erwachsenensein zu leistende Entwicklungsaufgaben werden gesetzlich enorm erschwert . Das ist ein nicht hinnehmbarer massiver Eingriff in das Leben von Jugendlichen. Zuständig für die Umsetzung sind die jeweiligen kommunalen Träger.“ Ausgegeben: 20.09.2011 (31.05.2011) Drucksache 14/582 (14/503) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 2 - Vorbemerkung der Landesregierung: Mit der Einführung des SGB II Anfang 2005 wurden die Grundlagen der Arbeitsmarktstatistik in Deutschland geändert. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe basieren die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht mehr nur auf den Geschäftsdaten der Agenturen für Arbeit, sondern wurden um die Daten der neuen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II erweitert. Hierbei handelt es sich um die Geschäftsdaten der gemeinsamen Einrichtungen, der Arbeitsagenturen und Kommunen in getrennter Aufgabenwahrnehmung sowie der zugelassenen kommunalen Träger. Zur Sicherung der Vergleichbarkeit und Qualität wurde die Statistik der BA beauftragt, die bisherige Arbeitsmarktstatistik nach §§ 280 ff. SGB III unter Einschluss der Grundsicherung für Arbeitsuchende weiter zu führen. Die hierfür benötigten Daten werden aus den unterschiedlichen operativen Verfahren der BA (u. a. Datenbanksystem A2LL) und aus den aus kommunalen EDV-Systemen generierten und an die Statistik der BA übermittelten Meldungen gewonnen. Nach § 51b Absatz 1 Satz 1 SGB II erheben die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die für die Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Daten. Nach § 51b Absatz 1 Satz 2 SGB II wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Umfang der Daten, die zur Nutzung für die nach § 51b Absatz 3 SGB II festgelegten Zwecke erforderlich sind, einschließlich des Verfahrens zu deren Weiterentwicklung, festzulegen . Zu diesen Zwecken gehören insbesondere die Leistungserbringung, laufende statistische Berichterstattung sowie die Erstellung von Kennzahlen durch die BA nach den §§ 53 und 54 SGB II in Verbindung mit § 48a SGB II sowie die Wirkungsforschung nach § 55 SGB II. Basierend auf dieser Rechtsgrundlage werden nach den geltenden Übermittlungsstandards Entscheidungen zum Erstwohnungsbezug nach § 22 Abs. 5 SGB II (§ 22 Abs. 2a SGB II a. F.) statistisch nicht erfasst. Aus diesem Grund liegen zu den in der Anfrage formulierten Fragen keine Daten der amtlichen Statistik vor. Eine quantitative und qualitative Erfassung dieser Fälle liegt im Ermessen der jeweiligen Grundsicherungsträger vor Ort. Aus diesem Grund wurden die sechs saarländischen Grundsicherungsträger zur Beantwortung der Fragen schriftlich angehört. Im Ergebnis dieser Anhörung verfügt keiner der saarländischen Grundsicherungsträger über die entsprechenden Daten. Ausnahme davon sind zwei Grundsicherungsträger, die die Anzahl der eingelegten Widersprüche erfassen. Darüber hinaus liegen zu den Fragen 1 bis 16 nur von einzelnen Grundsicherungsträgern schriftliche Ausführungen vor, die in die Beantwortung der Fragen in anonymisierter Form eingeflossen sind. Wie viele Anträge auf die Genehmigung von Erstauszügen aus der elterlichen Wohnung wurden seit Inkrafttreten des SGB II Änderungsgesetz pro Jahr gestellt (nach Kreisen aufgeschlüsselt)? Wie hoch ist der relative Anteil der bewilligten Anträge auf einen Erstauszug? Wie hoch ist die absolute Zahl der bewilligten Anträge (nach Kreisen aufgeschlüsselt)? Gibt es Veränderungen im zeitlichen Verlauf in der Anzahl der gestellten und auch der genehmigten Anträge? Drucksache 14/582 (14/503) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 3 - Wie viele Anträge auf einen Umzug nach dem Erstauszug wurden gestellt (nach Kreisen aufgeschlüsselt )? Wie hoch ist der relative Anteil der bewilligten Umzugsanträge ? Wie hoch ist die absolute Zahl der bewilligten Umzugsanträge? Gibt es Veränderungen im zeitlichen Verlauf in der Anzahl der gestellten und auch der genehmigten Anträge? Wie viele Jugendliche hatten einen Auszug aus der elterlichen Wohnung aufgrund des Tatbestandes a) „schwerwiegender sozialer Grund“ b) „zur Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt erforderlich “ c) „sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund“ beantragt? Wie vielen der Anträge wurde aufgrund der aufgelisteten einzelnen Gründe jeweils stattgegeben? Wie vielen der Anträge wurde aufgrund einer Kombination der aufgelisteten Gründe stattgegeben ? Um welche Kombinationen handelte es sich? Wie viele der Anträge wurden aufgrund der aufgelisteten einzelnen Gründe jeweils abgelehnt und mit welcher Begründung? Zu den Fragen 1 bis 8: Erfahrungsgemäß wird im Durchschnitt nicht mehr als ein Antrag je Monat im Rahmen des beschriebenen Verfahrens zur Entscheidung vorgelegt. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass in etwa der Hälfte der Fälle eine Bewilligung erfolgt, ansonsten eine Ablehnung. Die Entscheidungsgründe sind entsprechend der Komplexität der einzelnen Lebenssachverhalte äußerst vielschichtig und einer statistischen Auswertung nicht zugänglich. In der Regel berufen sich die Antragssteller auf schwerwiegende soziale Gründe. Arbeitsmarktrelevante Gründe oder sonstige ähnlich schwerwiegende Gründe i. S. d. Ziffern 2 und 3 § 22 Abs. 5 SGB II treffen nur in absoluten Ausnahmefällen zu. Bei einem Grundsicherungsträger erhalten von rund 330 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zwischen 18 und 24 Jahren aktuell nur 4 Personen, das sind 1,2%, den auf 80% gekürzten Regelbedarf, da sie den elterlichen Haushalt verlassen haben und keine Zustimmung des kommunalen Trägers zum Erstwohnungsbezug erteilt worden ist. Drucksache 14/582 (14/503) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 4 - Wie viele AntragstellerInnen griffen deutlich erkennbar zu zweifelhaften Auswegen zur Begründung des von ihnen gestellten Antrags auf einen Auszug, so z.B. Schwangerschaften, zu Scheinverheiratungen etc.? Zu Frage 9: Nach Einschätzung der Landesregierung erscheint es lebensfremd, wenn der Weg einer Scheinverheiratung gewählt würde, um die Bewilligungsvoraussetzungen für eine eigene Wohnung herbeizuführen, wenn bereits die Bildung einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II für die Antragsbewilligung ausreichend ist. Wie viele Jugendliche „wählten“ auf Grund des Dranges nach Verselbständigung den Weg in die Wohnungs- oder Obdachlosigkeit? Zu Frage 10: Eine entstehende Wohnungs- und Obdachlosigkeit wird von den Ordnungsämtern der Gemeinden auf der Grundlage des Polizeirechts behoben. Sofern dem Grundsicherungsträger Erkenntnisse über eine Obdachlosigkeit und eine möglicherweise hieraus resultierende Gefahrensituation vorliegen, werden die Ordnungsämter von Amts wegen informiert. In wie vielen Fällen wurde bei Ablehnung eines Auszugs aus der elterlichen Wohnung gesetzlicher Widerspruch eingelegt? Mit welchen Begründungen bei Ablehnung eines Auszugs aus der elterlichen Wohnung wurde gesetzlicher Widerspruch eingelegt? Wie oft in absoluten und relativen Zahlen wurde einem gesetzlichen Widerspruch gegen die Ablehnung eines Auszugs aus der elterlichen Wohnung stattgegeben? Zu den Fragen 11 bis 13: Seit Inkrafttreten der Regelung im Jahr 2006 wurden bei zwei saarländischen Grundsicherungsträgern insgesamt 20 Widersprüche eingelegt. Daneben gab es einen Fall von vorläufigem Rechtsschutz am Sozialgericht. Hauptsacheverfahren am Sozialgericht haben nicht stattgefunden. Die Begründungen im Einzelfall werden statistisch nicht erhoben. In der Regel ist streitig, ob das Tatbestandsmerkmal der schwerwiegenden sozialen Gründe im Einzelfall als gegeben anzusehen ist. Die 20 Widerspruchsverfahren wurden wie folgt abgeschlossen: • 5 Fälle: Widerspruch zurückgezogen bzw. Erledigungserklärung. • 5 Fälle: Widerspruch durch Widerspruchsbescheid zurückgewiesen. • 9 Fälle: Abhilfeentscheidung (in der Regel wegen neuen Sachverhaltsvortrages). • 1 Fall: noch offen. Drucksache 14/582 (14/503) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 5 - Die Stattgabe des Widerspruchs ist in keinem Fall erfolgt, woraus sich eine Stattgabequote von 0% ergibt. Wie viel Zeit nimmt die Bearbeitung eines Antrages durchschnittlich in Anspruch? Zu Frage 14: Grundsätzlich werden Antragsentscheidungen unverzüglich nach Vorlage aller entscheidungsrelevanten Unterlagen bzw. nach Abschluss der notwendigen Sachverhaltsermittlungen durch die Grundsicherungsträger umgehend getroffen. Die durchschnittliche Entscheidungsdauer – bezogen auf alle Neuanträge – liegt bei 1 bis 2 Arbeitstagen . Wie schlüsselt sich das Alter der AntragsstellerInnen auf? Zu Frage 15: Zu dieser Frage liegen von den saarländischen Grundsicherungsträgern keine Daten vor. Welche Anlaufstelle gibt es für Jugendliche, die nach Ablehnung ihres Antrages Beratungsbedarf haben? Zu Frage 16: Grundsätzlich stehen den Jugendlichen die allgemein vorhandenen Beratungs- und Unterstützungsangebote offen. Sofern sich Jugendliche trotz einer Ablehnung noch im SGB-II-Bezug befinden, geben die Fallmanager in den Jobcentern weitere Hilfestellung und Beratung. Darüber hinaus bieten auch die Sozialdienste der Jugendämter ihre Beratungsleistungen flächendeckend an. Bei den Fällen mit intensiverem Beratungsbedarf , z. B. zur Bewältigung innerfamiliärer Konflikte, bieten u. a. auch die Familienberatungsstelle des Bistums Trier und die Beratungsstelle des Caritasverbandes ihre Unterstützung an. Sofern die in der Person liegenden Voraussetzungen erfüllt sind, erbringt des Weiteren auch das Jugendamt Hilfen für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII. Drucksache 14/582 (14/503) Landtag des Saarlandes - 14. Wahlperiode - - 6 - Wie bewertet die Landesregierung die Vorschriften im Hinblick darauf, dass junge Menschen wichtige Entwicklungsaufgaben während des Überganges vom Kindes- zum Erwachsenenstatus bewerkstelligen müssen, zu denen auch die Ablösung vom Elternhaus gehört, dass das Auszugsverbot aber die Entwicklungsaufgabe der Ausbildung von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit als Möglichkeit administrativ zu blockieren vermag? Zu Frage 17: Die Landesregierung verweist darauf, dass die kommunalen Träger verpflichtet sind, Bundesrecht umzusetzen. Dies gilt insofern auch für § 22 Abs. 5 SGB II. Darin wird ein Vorbehalt der Kostenübernahme für Unterkunft und Heizung geregelt für den Fall, dass ein unter 25-jähriger Hilfsbedürftiger aus der elterlichen Wohnung umziehen will. Grundsätzlich bedarf es vor dem Umzug einer Zusicherung durch den kommunalen Träger. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn schwerwiegende soziale Gründe vorliegen (Satz 1), der Umzug für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist (Satz 2) oder ein sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt (Satz 3). Wie bewertet die Landesregierung die Vorschriften im Hinblick darauf, dass das Auszugsverbot familiäre Konflikte zwischen Eltern und Jugendlichen administrativ befördert, da es Jugendliche und Eltern zwingt, eventuell vorhandene inner-familiäre Konflikte auf engstem Raum fortdauernd auszutragen , da ein Auszug erschwert wird? Zu Frage 18: Die Landesregierung verweist auf § 2 Satz 1 und 3 SGB II. Wie bereits in der Antwort zu Frage 17 dargelegt, wird kommunalen Trägern darin die Möglichkeit eröffnet, bei Vorliegen von schwerwiegenden sozialen oder sonstigen Gründen den Auszug aus der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils eine Lösung herbeizuführen. Wie bewertet die Landesregierung die Ungleichbehandlung , die sich daraus ergibt, dass Jugendliche im Recht des SGB III/ BAföG das Elternhaus verlassen dürfen, während das SGB II den Verbleib im Elternhaus als Regelfall ansieht? Zu Frage 19: Die Vorschriften des SGB III und des BAföG zielen darauf ab, dass der/die Jugendliche aufgrund der Aufnahme einer beruflichen Ausbildung, die im überregionalen Bereich liegt, die elterliche Wohnung verlässt. Dies entspricht dem Tatbestand in § 22 Absatz 5 Satz 2 Nummer 2 SGB II.