LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/218 (15/160) 13.11.2012 A N T W O R T zu der Anfrage der Abgeordneten Jasmin Maurer (PIRATEN) betr.: Essstörungen im Saarland Vorbemerkung der Fragestellerin: „Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen nehmen immer mehr zu und zählen zu den am meisten unterschätzten Krankheiten. Krankheitsbilder wie Magersucht (Anorexia nervosa), EssBrechsucht (Bulimia nervosa) oder Binge Eating Disorder (Essattacken) nehmen in unserer Gesellschaft stark zu und haben meist viele Ursachen. Schuld an dem veränderten Essverhalten der Kinder und Jugendlichen ist neben biologischen und familiären Faktoren das gängige Schönheitsideal, welches durch die Medien (Mode-, Film- und Werbebranche ) propagiert wird. Des Weiteren spielen auch Stress und Depressionen bzw. andere psychosomatische Erkrankungen eine wichtige Rolle.“ Gibt es Verteilungsunterschiede zwischen in der Stadt lebenden Menschen und auf dem Dorf lebenden Menschen? a) Wenn ja, worin sind diese begründet? Zu Frage 1: Hierzu sind keine spezifischen Untersuchungen für das Saarland bekannt. Darüber hinaus ist anzumerken, dass „Dorf“ keine fassbare statistische Größe ist. Für den ambulanten Bereich liegen Zahlen für das zweite Quartal 2012 darüber vor, bei wie vielen Patienten als Diagnosen Anorexia nervosa, Bulimia nervosa oder atypische Formen beider Krankheitsbilder festgestellt wurden. Diese Zahlen wurden allerdings nicht nach dem Wohnort der Patienten aufgeschlüsselt, dies ist der Kassenärztlichen Vereinigung des Saarlandes auf Grund der derzeitigen Umzugssituation im Moment nicht möglich: Ausgegeben: 13.11.2012 (01.10.2012) Drucksache 15/218 (15/160) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Alter Männer Frauen unter 15 Jahre 151 136 zwischen 15 und 18 Jahren 18 96 zwischen 18 und 30 Jahren 56 406 zwischen 30 und 65 Jahren 160 953 über 65 Jahre 35 117 Quelle: Kassenärztliche Vereinigung des Saarlandes, Zahlen für das 2. Quartal 2012 Für den stationären Bereich liegen dem Statistischen Landesamt des Saarlandes zur Diagnose Essstörungen die aktuellsten Zahlen für das Jahr 2010 vor. Essstörungen sind nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10-WHO 2011) unter der Klassifikation F50 benannt. ICD1 Fälle Männer Fälle Frauen F50.0 2 49 F50.1 0 13 F50.2 0 9 F50.3 0 1 F50.5 0 7 F50.8 3 6 F50.9 3 5 Quelle: Statistisches Landesamt des Saarlandes, Zahlen für das Jahr 2010 Aufschlüsselung der Diagnosen entsprechend der Kreise: Regionalverband Saarbrücken: 23 Kreis Merzig-Wadern: 12 Kreis Neunkirchen: X Kreis Saarlouis: 19 Saarpfalz-Kreis: 19 Kreis St. Wendel: X Wohnort außerhalb Saarland: 8 Quelle: Statistisches Landesamt des Saarlandes, Zahlen für das Jahr 2010 Auf Grund der geringen Anzahl ist eine Aufschlüsselung in Gemeinden nicht möglich. In einem der Landkreise ist die Anzahl so gering, dass der tatsächliche Wert aus Datenschutzgründen geheim gehalten werden muss; was wiederum dazu führt, dass die Werte eines weiteren Landkreise gesperrt werden müssen. 1 Aufschlüsselung der ICD-Codes siehe Anlage 1 - 2 - Drucksache 15/218 (15/160) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Essstörungen bei Kindern sind unter F98.22 oder auch R63.23 und R 63.34 vermerkt. In beiden Positionen zusammen sind für 2010 im Saarland insgesamt 6 Fälle nachgewiesen . Eine Aufschlüsselung nach Wohnort kann auf Grund der geringen Anzahl, die aus Datenschutzgründen eine Geheimhaltung erfordert, nicht erfolgen. Welche Präventionsmaßnahmen werden getroffen? Zu Frage 2: Bei den Krankheitsbildern Anorexia nervosa und Bulimia nervosa handelt es sich um komplexe Störungen mit somatischen und psychischen Komponenten, die auch Suchtpotentiale im Sinne einer Komorbidität umfassen. Der präventive Ansatz muss diese Facetten aufgreifen und die unterschiedliche Alters- und Geschlechtsverteilung berücksichtigen . Diese Komplexität ist durch allgemeine Maßnahmen der primären Prävention kaum zu vermitteln. In den psychosomatischen Abteilungen der Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken (Münchwies und Berus) finden Maßnahmen der tertiären Prävention statt. Im Rahmen der gesundheitlichen Selbsthilfe engagieren sich Betroffene und Angehörige ebenfalls, um eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes und Rückfälle zu vermeiden . Im Saarland wird keine spezielle Beratungsstelle für Menschen mit Essstörungen vorgehalten . Allerdings führen einige Suchtberatungsstellen Erstgespräche und vermitteln dann an entsprechende Experten. Zurzeit gibt nur wenige Selbsthilfegruppen, diese sind ähnlich organisiert sind wie die Anonymen Alkoholiker. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellt umfassendes Informationsmaterial für Betroffene, für Eltern und Schulen bereit. Gibt es Aufklärungsarbeit in Schulen? a) Wenn ja, wie sieht diese aus? b) Wenn nein, warum nicht? Zu Frage 3: Informationen und Aufklärung über gesundes Essverhalten und gesunde Ernährung sind in den Lehrplänen der Fächer Sachunterricht, Biologie bzw. Naturwissenschaften der allgemeinbildenden Schulen enthalten. Schönheitsideale oder die Wirkung von Werbung werden darüber hinaus zum Beispiel in den Fächern Bildende Kunst oder Deutsch thematisiert. Gesundheitsförderung durch Bewegung ist Thema im Fach Sport. Das Verhältnis zum eigenen Körper ist ein Aspekt, der bei der Behandlung der Thematik „Pubertät“ (Sachunterricht, Naturwissenschaften) besprochen wird. 2 Aufschlüsselung der ICD-Codes siehe Anlage 1 3 Aufschlüsselung der ICD-Codes siehe Anlage 1 4 Aufschlüsselung der ICD-Codes siehe Anlage 1 - 3 - Drucksache 15/218 (15/160) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Da es sich bei Essstörungen in der Regel um psychosomatische Erkrankungen mit Suchtpotentialen im Sinne einer Komorbidität handelt, bezieht sich schulische Suchtprävention auch auf Verhaltensstörungen wie problematisches Essverhalten. Ziel ist es u.a., die Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, ihr Verhalten zu reflektieren und ggf. zu verändern. Programme wie zum Beispiel „Klasse2000“, „Lions-Quest - Erwachsen werden“ oder Erlebnispädagogische Programme tragen zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung , zur Steigerung des Selbstbewusstseins und von Selbstsicherheit sowie zur Verbesserung von Konfliktfähigkeit bei. Sie thematisieren Motivation /Einstellungen sowie Verhaltensweisen und erhöhen sowohl Handlungskompetenz als auch Frustrationstoleranz. Schulische Suchtprävention trägt damit auch zur Resilienz in Bezug auf Essstörungen bei. - 4 - Drucksache 15/218 (15/160) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Anlage 1: F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren F50.- Essstörungen Exkl.: Anorexia o.a.A. (R63.0) Fütterschwierigkeiten und Betreuungsfehler (R63.3) Fütterstörung im Kleinkind- und Kindesalter (F98.2) Polyphagie (R63.2) F50.0 Anorexia nervosa Info.: Die Anorexia ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. Am häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen; heranwachsende Jungen und junge Männer, Kinder vor der Pubertät und Frauen bis zur Menopause können ebenfalls betroffen sein. Die Krankheit ist mit einer spezifischen Psychopathologie verbunden, wobei die Angst vor einem dicken Körper und einer schlaffen Körperform als eine tiefverwurzelte überwertige Idee besteht und die Betroffenen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst festlegen. Es liegt meist Unterernährung unterschiedlichen Schweregrades vor, die sekundär zu endokrinen und metabolischen Veränderungen und zu körperlichen Funktionsstörungen führt. Zu den Symptomen gehören eingeschränkte Nahrungsauswahl, übertriebene körperliche Aktivitäten, selbstinduziertes Erbrechen und Abführen und der Gebrauch von Appetitzüglern und Diuretika. Exkl.: Appetitverlust (R63.0) Psychogener Appetitverlust (F50.8) F50.1 Atypische Anorexia nervosa Info.: Es handelt sich um Störungen, die einige Kriterien der Anorexia nervosa erfüllen, das gesamte klinische Bild rechtfertigt die Diagnose jedoch nicht. Zum Beispiel können die Schlüsselsymptome wie deutliche Angst vor dem zu Dicksein oder die Amenorrhoe fehlen, trotz eines erheblichen Gewichtsverlustes und gewichtsreduzierendem Verhalten. Die Diagnose ist bei einer bekannten körperlichen Krankheit mit Gewichtsverlust nicht zu stellen. F50.2 Bulimia nervosa Info.: Ein Syndrom, das durch wiederholte Anfälle von Heißhunger und eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts charakterisiert ist. Dies führt zu einem Verhaltensmuster von Essanfällen und Erbrechen oder Gebrauch von Abführmitteln. Viele psychische Merkmale dieser Störung ähneln denen der Anorexia nervosa, so die übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht. Wiederholtes Erbrechen kann zu Elektrolytstörungen und körperlichen Komplikationen führen. Häufig lässt sich in der Anamnese eine frühere Episode einer Anorexia nervosa mit einem Intervall von einigen Monaten bis zu mehreren Jahren nachweisen. Inkl.: Bulimie o.n.A. Hyperorexia nervosa F50.3 Atypische Bulimia nervosa Info.: Es handelt sich um Störungen, die einige Kriterien der Bulimia nervosa erfüllen, das gesamte klinische Bild rechtfertigt die Diagnose jedoch nicht. Zum Beispiel können wiederholte Essanfälle und übermäßiger Gebrauch von Abführmitteln auftreten ohne signifikante Gewichtsveränderungen, oder es fehlt die typische übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht. - 5 - Drucksache 15/218 (15/160) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - F50.4 Essattacken bei anderen psychischen Störungen Info.: Übermäßiges Essen als Reaktion auf belastende Ereignisse, wie etwa Trauerfälle, Unfälle und Geburt. Inkl.: Psychogene Essattacken Exkl.: Übergewicht (E66.-) F50.5 Erbrechen bei anderen psychischen Störungen Info.: Wiederholtes Erbrechen bei dissoziativen Störungen (F44.-) und Hypochondrie (F45.2) und Erbrechen, das nicht unter anderen Zustandsbildern außerhalb des Kapitels V klassifiziert werden kann. Diese Subkategorie kann zusätzlich zu O21.- (exzessives Erbrechen in der Schwangerschaft) verwendet werden, wenn hauptsächlich emotionale Faktoren wiederholte Übelkeit und Erbrechen verursachen. Inkl.: Psychogenes Erbrechen Exkl.: Erbrechen o.n.A. (R11) Übelkeit (R11) F50.8 Sonstige Essstörungen Inkl.: Pica bei Erwachsenen Psychogener Appetitverlust Exkl.: Pica im Kindesalter (F98.3) F50.9 Essstörung, nicht näher bezeichnet F98.2 Fütterstörung im frühen Kindesalter Info.: Eine Fütterstörung mit unterschiedlicher Symptomatik, die gewöhnlich für das Kleinkindalter und frühe Kindesalter spezifisch ist. Im allgemeinen umfasst die Nahrungsverweigerung extrem wählerisches Essverhalten bei angemessenem Nahrungsangebot und einer einigermaßen kompetenten Betreuungsperson in Abwesenheit einer organischen Krankheit. Begleitend kann Rumination - d.h. wiederholtes Heraufwürgen von Nahrung ohne Übelkeit oder eine gastrointestinale Krankheit - vorhanden sein. Inkl.: Rumination im Kleinkindalter Exkl.: Anorexia nervosa und andere Essstörungen (F50.-) Fütterprobleme bei Neugeborenen (P92.-) Fütterschwierigkeiten und Betreuungsfehler (R63.3) Pica im Kleinkind- oder Kindesalter (F98.3) R63.2 Polyphagie Inkl.: Überernährung o.n.A. Übermäßige Nahrungsaufnahme R63.3 Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung Inkl.: Ernährungsproblem o.n.A. Exkl.: Ernährungsprobleme beim Neugeborenen (P92.-) Fütterstörung nichtorganischen Ursprungs beim Kleinkind (F98.2) - 6 - betr.: Essstörungen im Saarland