LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/279 (15/172) 14.12.2012 A N T W O R T zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (B90/Grüne) betr.: Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Schule Vorbemerkung des Fragestellers: „Laut Koalitionsvertrag hat sich die Landesregierung „die konzeptionelle Umsetzung des Artikels 24 (Bildung) der UN Behindertenrechtskonvention“ zum Ziel gesetzt. Dazu soll „die saarländische Integrationsverordnung überarbeitet“ und den Eltern „ein echtes Wahlrecht zwischen Regelschule und Förderschule“ zugesichert werden. Wir gehen davon aus, dass sich dieses echte Wahlrecht auf eine wohnortnahe Beschulung bezieht. Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: „Um dem besonderen Förderbedarf gerecht zu werden, benötigen alle Bildungs- und Betreuungseinrichtungen eine ausreichende Zuweisung von sonderpädagogischem Fachpersonal, Lehrkräften und Integrationshelferinnen und –helfern.“ Vorbemerkung der Landesregierung: Die Landesregierung beabsichtigt deutlich weiter gehende Veränderungen der Rechtsgrundlagen zur inklusiven Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Förderbedarfen als nur die Änderung der Integrationsverordnung. Nach Ansicht der Landesregierung kann eine Veränderung der Integrationsverordnung allein der Verpflichtung aus der UN-Behindertenrechtskonvention nicht gerecht werden. Ausgegeben: 14.12.2012 (10.10.2012) Drucksache 15/279 (15/172) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 2 - Nachweislich besteht ein Mangel an ausgebildeten Förderschullehrkräften im Saarland bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem sonderpädagogischem Förderbedarf in Integrationsmaßnahmen. Dies gilt unter Berücksichtigung der absoluten Zahlen besonders für die Förderschwerpunkte „Lernen“, „Emotionale und soziale Entwicklung“ sowie „Sprache“. Durch welche Maßnahmen will die Landesregierung einerseits dem Anstieg der Zahl dieser Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf entgegenwirken und andererseits den Mangel an ausgebildeten Förderschullehrkräften beseitigen? Zu Frage 1: Grundlage zur Verwirklichung der Inklusion ist der Artikel 24 der UN-Behinderten- rechtskonvention: Für den Bildungsbereich ergibt sich für die Verwirklichung von Inklusion in Schulen, dass allen Schülerinnen und Schülern – unabhängig von ihren Fähigkeiten , Beeinträchtigungen oder Behinderungen sowie von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft – ein grundsätzlich gleichberechtigter und ungehinderter Zugang zu den Bildungsangeboten und eine barriere- und diskriminierungsfreie Teilhabe am Unterricht und am Schulleben geboten wird. Tatsächlich ist bei sinkenden Schülerzahlen – allerdings bundesweit – ein Anstieg der Integrationsmaßnahmen erkennbar. Durch geeignete Maßnahmen müssen Schülerinnen und Schüler frühzeitig individuell gefördert werden, damit die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs in möglichst vielen Fällen vermieden wird. Die Maßnahmen müssen rechtzeitig in Familien (Frühförderung) und Kindergärten (Arbeitsstelle für Integrationspädagogik) beginnen und begleitend in den Schulen fortgeführt werden. Maßnahmen der Landesregierung:  Vorverlegung der schulärztlichen Untersuchung für alle Kinder im vorletzten Kindergartenjahr  Flächendeckendes Angebot „Früh Deutsch Lernen“ an allen saarländischen Grundschulen  Einführung des Kooperationsjahres zum Schuljahr 2010/11  Präventivmaßnahmen in allen allgemein bildenden Schulen durch zusätzliche Personalisierungen  Unterstützung der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf durch Förderschullehrkräfte und Eingliederungshelfern  Durchführung eines Pilotprojektes zur Entwicklung eines inklusiven Förderkonzepts an Regelschulen seit dem Schuljahr 2011/12  Evaluation und Begleitung des Projekts durch die Universität des Saarlandes  „Inklusion und Umgang mit Heterogenität“ sind verpflichtender Bestandteil der Lehrerausbildung an der Universität und im Studienseminar  „Inklusion und Umgang mit Heterogenität“ sind die Schwerpunktthemen der Lehrerfortbildungsinstitute  Ausbildung und Einsatz von Inklusionsberatern/innen  sorgfältige Erarbeitung eines Konzepts zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Regelschule durch eine eigens gegründete Arbeitsgemeinschaft Drucksache 15/279 (15/172) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 3 -  Beratung und Abstimmung der Entwicklung des Konzepts durch Lenkungssauschuss und Beirat  Enge Zusammenarbeit des Ministeriums für Bildung und Kultur mit dem Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie und dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr in Ministerien übergreifenden Arbeitsgruppen  Durchführen und Unterstützen von Veranstaltungen zum Thema „Inklusion“ durch die genannten Ministerien Maßnahmen gegen den Förderlehrermangel Im Saarland werden seit August 2009 Lehramtswärtern/innen im Studienseminar für das Lehramt an Förderschulen ausgebildet. Viele dieser jungen Lehrkräfte verbleiben nach Ausbildungsende im Saarland. Alle geeigneten Lehramtsbewerber/innen werden eingestellt und, wenn möglich, ins Beamtenverhältnis übernommen. Dabei wird die Eingangsbesoldung nicht abgesenkt. Des Weiteren wurden 21 Grundschullehrkräfte für präventive und sonderpädagogische Begleitung von Kindern in der Klassenstufe 1 fortgebildet. Sie werden im Unterricht der ersten Klassen an „belasteten Grundschulen“ als „Co - Lehrkräfte“ eingesetzt. Derzeit wird geprüft, ob weitere Lehrgänge dieser Art eingerichtet werden. Dennoch ist festzustellen, dass deutschlandweit ein Mangel an ausgebildeten Förderschullehrkräften besteht, der in absehbarer Zeit nicht gänzlich behoben werden kann. In welchem Umfang (Lehrerwochenstunden pro Kind) werden Integrationsmaßnahmen für die unterschiedlichen Förderschwerpunkte an Regelschulen im Schuljahr 2012/13 personalisiert? Zu Frage 2: Die Zuweisung der Förderschullehrkräfte an die einzelnen Regelschulen erfolgt durch die regionalen bzw. überregionalen Förderzentren. Da auf Wunsch der Schulen nur eine oder möglichst wenige Lehrkräfte den sonderpädagogischen Förderbedarf an den jeweiligen Regelschulen abdecken und dort naturgemäß verschiedene Förderschwerpunkte, ist eine Lehrer-Schüler-Relation in Bezug auf die verschiedenen Förderschwerpunkte nicht ermittelbar. Die Lehrerwochenstundenzuweisung einer Förderschullehrkraft an eine Regel-schule weist nicht aus, wie viele Stunden für welchen Schüler mit welcher Behinderungsart vorgesehen sind. Die Verteilung der Förderschullehrerstunden auf einzelne Schülerinnen /Schüler und/oder Klassen erfolgt vor Ort in Absprache der Förderschullehrkraft und der Schulleitung der Regelschule und kann auch im Lauf eines Schuljahres einer veränderten Situation angepasst werden. Insgesamt beträgt die Lehrer-Schüler Relation rund zwei Lehrerwochenstunden je Schüler. Dabei ist zu beachten, dass in der Regelschule nur wenige Schüler/innen mit sehr hohem Förderbedarf (wie beispielsweise „G-Kinder“) unterrichtet werden. In welchem Umfang (Lehrerwochenstunden pro Kind) werden die verschiedenen Förderschwerpunkte an den einzelnen Förderschulen im Schuljahr 2012/13 personalisiert? Drucksache 15/279 (15/172) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 4 - Zu Frage 3: Die Personalisierung an Förderschulen richtet sich nach der Verordnung über die Festlegung der Werte für die Klassen-, Gruppen- und Kursbildung und über SchülerLehrer -Relationen vom 19. Juli 1996 (Amtsbl. S. 723) – geändert durch Verordnung vom 8. Juni 2000 (Amtsbl. S. 1023) – vom 21. November 2000 (Amtsbl. S. 2035) – vom 4. Juli 2003 (Amtsbl. S. 1910 [1913]) – vom 28. Juli 2004 (Amtsbl. S. 1634 [1635]) – vom 28. Juli 2006 (Amtsbl. S. 1441 [1442]) – vom 4. April 2008 (Amtsbl. S. 662) – durch Gesetz vom 18. Juni 2008 (Amtsbl. S. 1258 [1272]) – durch VO vom 6. August 2009 (Amtsbl. S. 1389 [1391]) – vom 28. Juli 2010 (Amtsbl. I S. 1286) – und vom 24. Juni 2011 (Amtsbl. I S. 218) Am Stichtag 29. August 2012 ergaben sich, ausgehend von der Schüler-LehrerRelation und einer Unterrichtsverpflichtung der Förderschullehrkräfte von 27 Lehrerwochenstunden folgende Daten: Förderschule für Blinde und Sehbehinderte LWS pro Kind – Bereich Blinde 5, 4 – Bereich Sehbehinderte 3,86 Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige – Bereich Gehörlose 5,4 – Bereich Schwerhörige 3,86 Förderschule soziale Entwicklung 4,5 Förderschule geistige Entwicklung 6,75 Förderschule körperliche und motorische Entwicklung 6,75 Förderschule Lernen 2,45 Förderschule Sprache 3,86 Krankenhaus- und Hausunterricht 5,4 Im Vergleich zum Schuljahr 2011/12 gibt es keine Veränderungen. Hat sich die Zuweisung von Lehrerwochenstunden (pro Kind) für Integrationsmaßnahmen in diesem Schuljahr im Vergleich zum Schuljahr 2011/12 verändert? Wenn ja, in welchem Umfang und aus welchem Grund? Zu Frage 4: Im Schuljahr 2011/2012 wurden landesweit für die 2428 anerkannten Integrationsmaßnahmen in den Regelschulen 5041 Lehrerwochenstunden personalisiert. Das entspricht 2,08 Lehrerwochenstunden pro Maßnahme. Drucksache 15/279 (15/172) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 5 - Im Schuljahr 2012/2013 wurden landesweit für die 2805 anerkannten Integrationsmaßnahmen in den Regelschulen 5398 Lehrerwochenstunden personalisiert. Das entspricht 1,92 Lehrerwochenstunden pro Maßnahme. Durch den hohen Anstieg der Zahl der Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Schulen der Regelform um über 15 % konnte die bisherige durchschnittliche Zuweisung der Lehrerwochenstunden nicht beibehalten werden. Im Vorjahr standen für 6.274 Schülerinnen und Schüler (3.846 in Förderschulen und 2.428 in Regelschulen) Lehrkräfte im öffentlichen Dienst im Umfang von 810 Vollzeitlehrereinheiten zur Verfügung. Im laufenden Schuljahr stehen für 6.615 Schüler und Schülerinnen (3.810 in Förderschulen und 2.805 in Regelschulen) nur rund 820 VZLE bereit. Hat sich die Personalisierung an den Förderschulen in diesem Schuljahr im Vergleich zu Schuljahr 2011/12 verändert? Wenn ja, in welchem Umfang und warum? Zu Frage 5: Die Personalisierung an den Förderschulen hat sich in diesem Schuljahr im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die für den gemeinsamen Unterricht in Regelschulen zugewiesenen Lehrerstunden mit sonderpädagogischer Förderung ausreichend sind für eine erfolgreiche gemeinsame Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf? Zu Frage 6: Eine Erhöhung der Lehrerwochenstundenanzahl der Förderschullehrkräfte, die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht (Integration) unterstützen, ist wünschenswert. Sie setzt jedoch auch voraus, dass genügend geeignete Bewerber zur Einstellung zur Verfügung stehen. Dies ist derzeit nicht der Fall. Im Zusammenhang mit der Personalisierung im Förderschulbereich ist verschiedentlich die Behauptung erhoben worden, die Förderschulen würden quantitativ (Lehrerwochenstunden) und qualitativ (fachrichtungsbezogen) prioritär vor den Integrationsmaßnahmen personalisiert, was zu einer Benachteiligung der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen führe. Nehmen Sie bitte dazu Stellung, insbesondere zu der Frage der Benachteiligung von Kindern im gemeinsamen Unterricht gegenüber denjenigen an Förderschulen durch die Zuweisung von fachfremden Förderschullehrkräften an Regelschulen, das sind Lehrkräfte ohne Qualifizierung für die jeweils spezielle Beeinträchtigungsart eines Kindes! Drucksache 15/279 (15/172) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 6 - Zu Frage 7: Die Personalisierung der Förderschulen richtet sich nach den Vorgaben der Verordnung über die Festlegung der Werte für die Klassen-, Gruppen- und Kursbildung und über Schüler-Lehrer-Relationen. Für die Personalisierung von Integrationsmaßnahmen gibt es keine rechtlichen Vorgaben. Aus den Ausführungen zu den Fragen 3 und 4 ist eine quantitativ bessere Versorgung von Förderschulen im Vergleich zu Integrationsmaßnahmen zu ersehen. Die Landesregierung wird darauf achten, dass die Stundenzuweisung bei der Personalisierung von Schülerinnen und Schülern in Integrationsmaßnahmen im Vergleich zur Personalisierung der Förderschulen künftig ausgewogener gestaltet wird. Zu bedenken ist aber auch, dass Schülerinnen und Schüler mit einem hohen Förder-, Unterstützungs- und Pflegeaufwand deutlich häufiger Förderschulen als Regelschulen besuchen. Die Landesregierung verfolgt das Ziel, im Sinne der Behindertenrechtskonvention, allen Kindern und Jugendlichen eine individuelle Förderung zukommen zu lassen, u. a. durch eine Budgetierung der Regelschulen mit Förderschullehrkräften für die Förderbedarfe Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung und damit verbunden eine personale Kontinuität durch den Einsatz eines oder – bei Bedarf – mehrerer Sonderpädagogen für die fachliche, teamorientierte und präventive Arbeit an einer Schule. Eine ausschließlich „fachbezogene“ Zuweisung von Förderschullehrkräften an Regelschulen ist weder sinnvoll noch durchführbar. Oftmals sind Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Förderbedarfen in einer Klasse bzw. einer Klassenstufe. Bei einer „fachbezogenen“ Zuweisung wären mitunter mehrere Förderschullehrkräfte mit wenigen Lehrerwochenstunden in derselben Regelklasse. Dies ist weder sinnvoll noch wird es von den Regelschulen gewünscht. Vielmehr wird von den Regelschulen gewünscht, dass wenige Förderschullehrkräfte mit möglichst vielen Lehrerwochenstunden an ihren Schulen personalkonstant eingesetzt werden. Da die regionalen Förderzentren über Lehrkräfte verschiedener Fachrichtungen verfügen, besteht immer die Möglichkeit, sich mit einer Kollegin/einem Kollegen zu beraten. Wie viele Kinder werden im Schuljahr 2012/13 im gemeinsamen Unterricht fachfremd, d.h. ohne Qualifizierung einer Förderschullehrkraft für die Beeinträchtigungsart des Kindes unterrichtet? Zu Frage 8: vgl. hierzu Antwort auf Frage 7. Durch welche Maßnahmen und bis wann will die Landesregierung die so genannte echte Wahlfreiheit der Eltern zwischen der Beschulung in einer Förderschule und im gemeinsamen Unterricht in einer Regelschule erreichen? Drucksache 15/279 (15/172) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 7 - Zu Frage 9: Die Wahlfreiheit der Erziehungsberechtigten eines Schülers mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinsichtlich der Beschulung an einer Regelschule oder einer Förderschule besteht weitestgehend. Wann und in welchem Umfang setzt die Landesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarte Neuregelung des Einsatzes der Integrationshelfer im Schulbereich um, wonach dieser Bereich, inklusive der Übertragung des entsprechenden Haushaltsansatzes, in Zukunft in das Bildungsministerium verlagert und neu ausgestaltet werden soll? Zu Frage 10: Von der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarung wird Abstand genommen.