LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/614 (15/555) 29.08.2013 A N T W O R T zu der Anfrage des Abgeordneten Michael Neyses (PIRATEN) betr.: Manipulation in der Vermittlungsstatistik der Agentur für Arbeit Vorbemerkung des Fragestellers: „Der Bundesrechnungshof wirft der Agentur für Arbeit vor, die Vermittlungsstatistiken manipuliert zu haben, um eine bessere Erfolgsbilanz vorzutäuschen . Um eine verbesserte Erfolgsbilanz zu erreichen, wurden leicht vermittelbare Arbeitslose bevorzugt, während Langzeitarbeitslose weitgehend ignoriert wurden. In der Praxis sah es oft so aus, dass Lehrlinge, die ohnehin von ihren Firmen übernommen werden sollten, als erfolgreich vermittelt gezählt wurden. Im internen Zählsystem der Arbeitsagenturen zählt jeder Kunde, ob leicht vermittelbar oder langzeitarbeitslos , gleichwertig. Dadurch versuchten die Arbeitsagenturen die hohen Vorgaben aus der Zentralverwaltung zu erfüllen. Die Prüfer hatten festgestellt, dass in dem Untersuchungszeitraum für mehr als die Hälfte der Langzeitarbeitslosen keinen Stellensuchlauf gemacht und für 45 % keine ernstzunehmenden Kontakte aufgenommen hatten. Der Rechnungshof spricht von einer „diskriminierenden Vorgehensweise .“ Der Rechnungshof hatte in einer Stichprobe sieben von 156 Arbeitsagenturen und sieben Regionaldirektionen drei Monate lang untersucht. Da in allen Arbeitsagenturen Fehlsteuerungen festgestellt worden sind, stellen die Prüfer fest, dass es sich um ein grundsätzliches Problem bei den Arbeitsagenturen handelt.“ Ausgegeben: 02.09.2013 (28.06.2013) Drucksache 15/614 (15/555) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 2 - Vorbemerkung der Landesregierung: In seiner Prüfungsmitteilung vom 07.11.2012 hat der Bundesrechnungshof dargestellt, wie die Bundesagentur für Arbeit ihre Zielerreichung im SGB III steuert und welche Auswirkungen die Steuerung auf das Handeln der Agenturen für Arbeit hat. Er stellt im Wesentlichen Folgendes fest: 1. Das Steuerungssystem bewirkt Handlungsmuster der Arbeitsagenturen, die dem gesetzlichen Auftrag der Bundesagentur für Arbeit entgegenstehen. Weil im Zielsystem der Bundesagentur für Arbeit die Integration jedes Arbeitssuchenden gleichermaßen zählt, unabhängig davon, ob seine Integrationschancen gut oder schlecht sind, konzentrierten die Agenturen ihre Vermittlungsbemühungen stark auf Personen mit guten Integrationschancen. Aus Sicht des Bundesrechnungshofs läuft dieses Vorgehen dem gesetzlichen Auftrag einer verstärkten vermittlerischen Unterstützung von Personen mit erschwerter beruflicher Eingliederung zuwider. Das Zielsystem fördert nach Ansicht des Bundesrechnungshofs die Vernachlässigung von Arbeitslosen mit Vermittlungshemmnissen. Der Bundesrechnungshof stellt abschließend fest, dass die kritisierten Steuerungsmaßnahmen eine Reaktion der Agenturen und Regionaldirektionen auf das Steuerungssystem und die Zielerwartungen der Zentrale sind, welche als Begleiterscheinung der Steuerung über Kennziffern grundsätzlich zu betrachten seien. 2. Manipulationen einzelner Arbeitsagenturen Bei einigen Arbeitsagenturen stellt der Bundesrechnungshof darüber hinaus Manipulationen fest, die dazu dienten, das Mengenziel zu erreichen. So setzten Arbeitsagenturen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gezielt ein, um Daten von Langzeitarbeitslosen aus der Berechnung der Controllingdaten zu entfernen. Andere Arbeitsagenturen nahmen die Daten von Ausbildungsabsolventen in ihre IT auf und generierten so Integrationen, obwohl bekannt war, dass die Azubis von ihren Ausbildungsbetrieben übernommen werden. Zählten die saarländischen Arbeitsagenturen bzw. die Regionaldirektion Saarland zur Stichprobe bei der Untersuchung des Bundesrechnungshofs? Zu Frage 1: Wie der Presseberichterstattung zu entnehmen war, war auch der Bezirk der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland Gegenstand der Untersuchungen des Bundesrechnungshofes . Dieser hat die geprüften Dienststellen, wie auch sonst üblich, in seinem Bericht allerdings anonymisiert dargestellt. Der Landesregierung liegen daher keine weitergehenden Informationen vor. Sind in den Arbeitsagenturen bzw. bei der Regionaldirektion Anfragen zu statistischen Manipulationen bzw. Untersuchungen erfolgt? Drucksache 15/614 (15/555) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 3 - Zu Frage 2: Von Seiten der Landesregierung sind keine derartigen Anfragen bei der Arbeitsagentur oder der Regionaldirektion erfolgt. Die Landesregierung hat keine Kenntnis darüber, ob von anderer Seite Anfragen oder Untersuchungen erfolgt sind. Werden Langzeitarbeitslose und leicht zu vermittelnde Arbeitslose bei den Arbeitsagenturen im Saarland unterschiedlich beraten? Zu Frage 3: Der Bundesrechnungshof beschreibt und analysiert in seiner Prüfungsmitteilung zunächst sowohl Hintergrund als auch Rahmenbedingungen des Systems der Zielsteuerung für alle Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit: Die Bundesagentur für Arbeit legt die Zielwerte für die einzelnen Zielindikatoren in Zielvereinbarungen fest. Jede Ebene (Zentrale, Regionaldirektionen, Arbeitsagenturen) verfügt über eigene Zielwerte bezogen auf die jeweilige Dienststelle. In Zielnachhalteoder Performancedialogen wird auf und zwischen den Ebenen regelmäßig über die Zielerreichung gesprochen. Je nach Entwicklungsstand werden Steuerungsmaßnahmen vereinbart. Alle drei Ebenen schließen persönliche Zielvereinbarungen mit allen Führungskräften ab und beurteilen im Rahmen der Leistungsbeurteilung, inwieweit die Führungskraft die vereinbarten Ziele ihres Verantwortungsbereiches erreicht hat. Über eine leistungsabhängige Gehaltskomponente wirkt sich die Zielerreichung auch auf die Vergütung der Führungskräfte aus. Zwar ist die Agentur für Arbeit Saarland damit auch in das Gesamtsystem der Zielsteuerung eingebunden, ohne jedoch systemische Änderungsspielräume zu haben. Daher adressiert der Bundesrechnungshof auch den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit als Gesamtverantwortlichen für das System der Zielsteuerung und die Dimensionierung der Zielerwartung. Hinweise auf andere als die erforderlichen system- und zielgruppenbedingten Unterschiede in der Beratung von Langzeitarbeitslosen und leicht zu vermittelnden Arbeitslosen durch die Agentur für Arbeit Saarland hat die Landesregierung nicht. Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung dahingehend, dass diese Manipulation aufgrund hoher Vorgaben der Zentralverwaltung geschehen ist? Zu Frage 4: Der Bundesrechnungshof stellt zunächst für alle untersuchten Agenturen systembedingte Arbeitsweisen fest, die in keiner Weise in den Bereich der Manipulation fallen. Er stellt das System der Bundesagentur „Führen über Ziele“ nicht in Frage, kritisiert aber mögliche Fehlanreize, um die Zielerwartungen der Zentrale angemessen zu erfüllen . Drucksache 15/614 (15/555) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 4 - Arbeitsagenturen würden sich im Sinne der Bestenauslese bevorzugt um marktnahe Kunden bemühen und weniger um Personen mit Vermittlungshemmnissen. Bezogen auf diesen Vorwurf hat der Bundesrechnungshof die auch nach Ansicht der Landesregierung notwendigen Schlussfolgerungen für das System der Zielsteuerung der Bundesagentur für Arbeit gezogen. Unter dem übergeordneten gesetzlichen Ziel, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und die Dauer der faktischen Arbeitslosigkeit nachhaltig zu verkürzen, muss neben der quantitativen auch die qualitative Integrationsarbeit für unterschiedliche Personengruppen in den Fokus der Zielsteuerung rücken. In ihrem Entwicklungsprogramm „BA 2020“, das im letzten Jahr präsentiert wurde, hat die Bundesagentur für Arbeit die intensive Betreuung marktferner Kunden als zentrales Handlungsfeld definiert. Erforderlich ist eine Weiterentwicklung des Systems der Zielsteuerung, damit das politische Rahmenziel einer verstärkten vermittlerischen Unterstützung von Personen mit erschwerter beruflicher Eingliederungsperspektive künftig in der Tätigkeit der Arbeitsagenturen angemessen Berücksichtigung findet. Das wird insbesondere bewirkt, indem nicht jede Eingliederung in Arbeit gleichermaßen zählt, unabhängig davon, ob sie geringeren oder größeren Aufwand erfordert. Die gleiche Schlussfolgerung hat der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit, in dem derzeit auch die saarländische Landesregierung vertreten ist, nach Erhalt der Prüfungsmitteilung des Bundesrechnungshofs bereits im März 2013 gezogen. Der Verwaltungsrat ist das Aufsichts- und Legislativorgan der Selbstverwaltung und überwacht die Arbeit des hauptamtlichen Vorstands. Zu den strategischen Aufgaben des Verwaltungsrats gehören auch die Genehmigung der geschäftspolitischen Ziele als Ausgangspunkt des Haushaltsplanungsprozesses sowie die laufende Kontrolle der Erreichung dieser Ziele. Alle drei im Verwaltungsrat vertretenen Gruppen (Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Öffentliche Hand) haben dem Vorstand in ihrer Gremienarbeit wiederholt verdeutlicht, dass die Kritik des Bundesrechnungshofs sehr ernst zu nehmen und eine umfassende Überarbeitung des Steuerungssystems erforderlich ist. Insbesondere qualitative Aspekte der Integrationsarbeit müssten stärker in die Bewertung der Zielerreichung einfließen , so dass mit einer Fokussierung der Arbeitsagenturen auf die Vermittlung marktnaher Arbeitsloser keine besseren Zielwerte erreicht werden als dies bei der Integration von Personen mit Vermittlungshemmnissen der Fall ist. Indem die intensive Arbeit mit Kunden mit Unterstützungsbedarf besser im Zielsystem abgebildet wird, soll ein wesentlicher Fehlanreiz vermieden werden. Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit hat dem Verwaltungsrat daraufhin einen Vorschlag zur Erweiterung des Zielsystems um qualitative Steuerungsindikatoren unterbreitet . Insbesondere die Nachhaltigkeit der Integrationen (d.h. der Arbeitnehmer ist sechs Monate nach Beschäftigungsaufnahme nicht wieder arbeitslos), die Zahl der Integrationen von Personen, die bereits über sechs Monate arbeitslos sind, die Stellenbesetzung in Klein- und Mittelbetrieben sowie die Einmündung Jugendlicher in Ausbildung fließen zukünftig in die Bewertung der Zielerreichung mit ein. Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsrat das Institut für Arbeitsmarkt - und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit gebeten, unter qualitativen Aspekten die Nachhaltigkeit von Vermittlungsaktivitäten zu untersuchen. Drucksache 15/614 (15/555) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 5 - Im Mai hat der Verwaltungsrat der skizzierten Weiterentwicklung des Zielsystems und seiner Anwendung ab 2014 grundsätzlich zugestimmt. Über die präzise prozentuale Gewichtung zwischen dem Gesamtindex „Qualität“ und dem Gesamtindex „Quantität“ wird der Verwaltungsrat unter Berücksichtigung noch ausstehender Modellrechnungen unter Anwendung der erweiterten Steuerungsindikatoren in den 156 Arbeitsagenturen entscheiden. Im Juni hat der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit dem Bundesrechnungshof seine mit dem Verwaltungsrat abgestimmten Überlegungen zur Weiterentwicklung des Zielsystems vorgestellt. Der Bundesrechnungshof hat diese Überlegungen grundsätzlich positiv aufgenommen. Die Landesregierung erwartet von der Erweiterung der Zielsteuerung um wesentliche qualitative Steuerungselemente, dass im Rahmen der Zielwertplanung wie auch der Zielnachhalte- oder Performancedialoge zwischen Zentrale, Regionaldirektionen und Arbeitsagenturen sich unrealistisch hohe quantitative Zielerwartungen deutlich reduzieren werden. Im Hinblick auf die festgestellten Manipulationen in einzelnen Arbeitsagenturen merkt der Bundesrechnungshof an, dass die Bundesagentur für Arbeit dringend mögliche Fehlsteuerungen aufdecken und beenden muss. Zudem sollte sie regelmäßig überprüfen , inwieweit die Zielerreichung bei den Arbeitsagenturen rechtmäßig zustande gekommen ist. Dieser Bewertung schließt sich die Landesregierung an. Es ist Aufgabe aller beteiligten Fach- und Führungskräfte im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit, Fehlinterpretationen von systemischen Vorgaben und Anwendungsfehler bei der Umsetzung zu korrigieren. Dazu verfügt die Bundesagentur für Arbeit in allen Dienststellen über hochwertige interne Kontrollsysteme. Die „Interne Revision“ der Bundesagentur für Arbeit überprüft diese Kontrollsysteme sowie die Wahrnehmung der Fachaufsicht regelmäßig und berichtet dem Vorstand und Verwaltungsrat.