LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/1354 (15/1265) 22.04.2015 A N T W O R T zu der Anfrage des Abgeordneten Michael Hilberer (PIRATEN) betr.: Verkehrssicherheit und berauschende Mittel Vorbemerkung des Fragestellers: „Die Verkehrssicherheit ist in unserem Land ein hohes Gut, welches es zu schützen gilt. Jedoch ist für den einzelnen Bürger die individuelle Mobilität gleichzeitig von großer Bedeutung. So ist etwa die Ausübung der beruflichen Tätigkeit häufig direkt oder indirekt an den Besitz einer Fahrerlaubnis geknüpft. Da der Fahrerlaubnis damit eine existenzsichernde Bedeutung zukommt, ist der Entzug der Fahrerlaubnis nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes in dessen Entscheidung aus dem Jahr 2002 (1 BvR 2062/96) nur dann verfassungsgemäß, wenn sich aus dem Verhalten und der Untersuchung des Verkehrsteilnehmers ausreichende Anhaltspunkte ergeben, aus denen auf das ständige Vorhandensein fahreignungsrelevanter körperlich-geistiger Leistungsdefizite geschlossen werden kann. Nach den § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zur Vorschrift genannten berauschenden Mittels ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt. Eine solche Wirkung liegt nach Satz 2 vor, wenn im Blut eine in dieser Anlage genannte Substanz nachgewiesen wird. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, dass Wirkungs- und Nachweisdauer zeitlich übereinstimmen. Dies hätte zur Folge, dass die Fahruntüchtigkeit des Kraftfahrzeugführers und damit eine Sanktionierung der Teilnahme am Straßenverkehr unter Einfluss von Rauschmitteln solange möglich wäre, wie das Vorhandensein der Wirksubstanzen im Blut des Kraftfahrzeugführers, egal in welcher Konzentration, mit entsprechenden Mitteln nachweisbar wäre. Infolge des technischen Fortschritts und immer genauerer Messinstrumenten hat sich inzwischen die Nachweisdauer für das Vorhandensein von Wirksubstanzen berauschender Mittel wesentlich erhöht. Kleinste Wirkstoffmengen können über einen immer längeren Zeitraum nachgewiesen werden. Dies berücksichtigend kann nicht jeder Nachweis eines Wirkstoffs im Blut eines Verkehrsteilnehmers ausreichen, um eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG zu legitimieren. Vielmehr ist die Vorschrift dahingehend verfassungskonform auszulegen, ob der untersuchte Verkehrsteilnehmer eine Blutkonzentration aufweist, durch welche seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt wird. Ausgegeben: 22.04.2015 (24.02.2015) Drucksache 15/1354 (15/1265) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 2 - Darüber hinaus regelt das Straßenverkehrsgesetz in Verbindung mit der Fahrerlaubnisverordnung (FeV), dass nur die Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen zugelassen werden dürfen, die über die notwendige körperliche sowie geistige Leistungsfähigkeit verfügen und nicht wiederholt oder in erheblichem Maße gegen Rechtsvorschriften verstoßen, welche die Teilnahme am Straßenverkehr unter Einfluss von berauschenden Mitteln sanktionieren. Hierbei obliegt die verfassungsgemäße Auslegung der Fahrerlaubnisverordnung gemäß § 73 Abs.1 FeV den obersten Landesbehörden. Vorbemerkung der Landesregierung: Die Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr ist – als Teilaspekt der grundsätzlichen Ausrichtung der Landesregierung auf die Schaffung sicherer Lebensverhältnisse im Saarland – mit hoher Priorität versehen. Die Beeinträchtigung durch psychoaktive Substanzen wie Alkohol oder Drogen zählt nach der Polizeilichen Verkehrsunfallstatistik Saarland seit Jahren zu den fünf Hauptunfallursachen bei Verkehrsunfällen mit Personenschaden (VUP). Danach hat die Polizei in den Jahren 2011 bis 2013 die Unfallursache Alkohol bei insgesamt 751 Unfällen mit Personenschaden festgestellt. Dabei wurden 12 Getötete, 240 Schwerverletzte und 756 Leichtverletzte registriert. Im gleichen Zeitraum hat die Polizei im Saarland ausweislich des Bundeslagebildes Drogen im Straßenverkehr 2011 bis 2013 bei insgesamt 116 VUP die Unfallursache Drogen festgestellt. Dabei wurden 4 Menschen getötet, 48 schwer- und 102 leichtverletzt. Alkohol und Drogen spielten somit insgesamt bei 867 Verkehrsunfällen eine Rolle, bei welchen Menschen verletzt oder getötet wurden. Insgesamt verloren bei diesen Unfällen 16 Menschen ihr Leben, 288 wurden schwer- und 858 leichtverletzt. Bei insgesamt 1162 Personen führten Alkohol und Drogen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs damit zu menschlichem Leid. Verkehrspolizeiliche Maßnahmen zur Erkennung von alkohol- und/oder drogenbeeinflussten Fahrern gehören seit vielen Jahren zum Repertoire der Vollzugspolizei bei der Bekämpfung der Hauptursachen von Verkehrsunfällen, komplettiert um entsprechende Verkehrsaufklärungs- und Präventionsprogramme. Zum Nachweis des Drogenkonsums stehen der Polizei im Rahmen der Verkehrsüberwachung neben theoretischen und praktischen Kenntnissen aus dem Drogenerkennungsprogramm DrogenVortestverfahren auf Urin- und Speichelbasis zur Verfügung. Wie hoch ist nach Auffassung der Landesregierung das relative Unfallrisiko bei einer Verkehrsteilnahme unter Einfluss der berauschenden Mittel Alkohol und Cannabis (Bitte aufschlüsseln nach: Alkohol 0,5 Promille BAK Vollblut, Alkohol 1,05 Promille BAK Vollblut, Cannabis THC unter 5 ng/ml Blutserum, Cannabis THC über 10 ng/ml Blutserum)? Zu Frage 1: Der Konsum von Alkohol, illegalen Drogen und Medikamenten beeinflusst die für sicheres Fahren relevanten kognitiven und motorischen Fähigkeiten und kann somit die Fahrtüchtigkeit vermindern 1 . Drucksache 15/1354 (15/1265) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 3 - Die Ermittlung des Unfallrisikos bei einer Verkehrsteilnahme unter Einfluss der berauschenden Mittel Alkohol und Cannabis orientiert sich daher an vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen. Dazu kommen die Erkenntnisse über das Verhalten des Probanden und die Motorik zur Tatzeit. Hinsichtlich der Unfallrisiken im Zusammenhang mit Alkohol haben Krüger et al. (1995) im sogenannten „Würzburger Roadside Survey“ die Ergebnisse internationaler Forschungen für Deutschland bestätigt. Demgemäß ergeben sich die nachfolgend dargestellten Werte 2 : Blutalkoholkonzentration (BAK) in Promille im Vollblut Risiko, an einem Unfall beteiligt zu sein Risiko, einen Unfall zu verursachen 0,4 bis unter 0,6 0,84 3 1,05 0,6 bis unter 0,8 2,20 3,48 0,8 bis unter 1,0 6,38 9,87 1) (DRUID-Studie – „Driving under Influence of Drugs, Alcohol and Medicines“ [Fahren unter dem Einfluss von Drogen, Alkohol und Medikamenten]) 2) Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen 3 ) Anmerkung: Die Wertedarstellung bezieht sich auf das Risiko eines nicht alkoholisierten Kraftfahrzeug- führers (Ausgangswert 1). Werte <1 sind der statistischen Berechnungsmethode geschuldet. Zum Unfallrisiko unter dem Einfluss von Cannabis gibt es für Deutschland keine belastbaren Daten nach Konzentrationsklassen im Blut. Für Cannabis insgesamt hat die DRUID-Studie eine Risikoerhöhung auf das Zweifache für Unfälle mit Personenschaden ergeben. Allerdings konnte daraus kein eindeutiger Grenzwert abgeleitet werden. Epidemiologische Untersuchungen zeigen insgesamt eine Erhöhung des Unfallrisikos bei ansteigenden Konzentrationen von Tetrahydrocannabiol (THC). Aufgrund der geringen Fallzahlen können mittels dieser Studien allerdings keine Unfallrisiken für exakte THC-Konzentrationen bestimmt werden. Um für einzelne THC-Konzentrationen Aussagen treffen zu können, müssten experimentelle Daten herangezogen werden. Die weiteren wissenschaftlichen Forschungs- und Untersuchungsergebnisse bleiben hierzu im Blick der zuständigen Stellen. Ab welcher nachgewiesenen THC-Konzentration im Blutserum in ng/ml geht die saarländische Landesregierung aktuell davon aus, dass nach verfassungskonformer Auslegung des § 24 a StVG eine THC-Konzentration vorliegt, welche die Annahme rechtfertigt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Verkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war? Zu Frage 2: Nach § 24a Abs. 2 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels - dazu zählt THC - im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. Der Verordnungsgeber - die Bundesregierung - hat anders als bei alkoholischer Beeinflussung keinen Grenzwert der THC-Konzentration bestimmt, ab dem von Fahruntüchtigkeit auszugehen ist; das ist vielmehr Aufgabe der Rechtsprechung. Drucksache 15/1354 (15/1265) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 4 - Das Saarländische Oberlandesgericht geht insoweit - seit Jahren - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen deutschen Oberlandesgerichte davon aus, dass bei einer nachgewiesenen THC-Konzentration von 1 ng/ml im Blutserum der analytische Grenzwert einer Rauschmitteleinwirkung im Sinne des § 24a Abs. 2 StVG erreicht ist. Plant die Landesregierung, diesen Grenzwert für THC-Konzentration aufgrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und Studien zu überarbeiten ? Wenn ja, welche konkreten Änderungen sind durch die Landesregierung angedacht? Zu Frage 3: Bei § 24a StVG wie auch den spezifischen Straftatbeständen des Strafgesetzbuches (§§ 315c, 316 StGB) handelt es sich um bundesrechtliche Regelungen. Grenzwerte werden vom Bundesgesetzgeber (§ 24a Absatz 1 StVG), von der Rechtsprechung (§§ 315c, 316 StGB) und mit Hilfe der „Grenzwertkommission“ nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen festgelegt. Von daher ergeben sich für die Landesregierung keine Ansätze, in der angefragten Weise tätig zu werden. Wie viele Unfälle (insgesamt bzw. mit Personenschäden oder mit Todesfolge) wurden durch Fahrten unter Einfluss von berauschenden Mitteln im Zeitraum zwischen dem 01.01.2013 und dem 31.12.2013 im Saarland registriert? (Bitte nach Unfallfahrten unter Alkoholeinfluss und solchen unter Einfluss „anderer berauschender Mittel“ gem. Anlage zum § 24a StVG und Unfallfolge einzeln aufschlüsseln.) Zu Frage 4: Zwischen dem 01.01.2013 und dem 31.12.2013 ereigneten sich insgesamt 762 Verkehrsunfälle , bei denen ein Unfallbeteiligter ein Fahrzeug unter alkoholischer Beeinflussung und/oder berauschender Mittel im öffentlichen Verkehrsraum geführt hatte. Dabei wurden 4 Personen getötet, 62 Personen schwer- und 254 Personen leichtverletzt . Die Verkehrsunfälle (VU) gliedern sich wie folgt: Drogenbeeinflussung: 12 VU mit Personenschaden (1x getötet, 3x schwerverletzt, 14x leichtverletzt) 27 VU mit Sachschaden Drogenbeeinflussung und Alkoholbeeinflussung: 11 VU mit Personenschaden (2x schwerverletzt, 12x leichtverletzt) 25 VU mit Sachschaden Alkoholbeeinflussung: 219 VU mit Personenschaden (3x getötet, 57x schwerverletzt, 225x leichtverletzt) 457 VU mit Sachschaden Medikamentenbeeinflussung 3 VU mit Personenschaden (3x leichtverletzt) 8 VU mit Sachschaden Drucksache 15/1354 (15/1265) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 5 - Hinweis: Die Differenz zu den ausgewiesenen VU-Zahlen aus der Polizeilichen Verkehrsunfallstatistik (PVS) 2013 ergibt sich aus den unterschiedlichen Zeiten der jeweiligen Datenerhebung . Die Daten für die PVS basieren auf dem Stand Januar 2014. Die oben aufgeführten Daten wurden aktuell abgefragt. Die Unterschiede ergeben sich aus dem Umstand, dass zeitverzögert Nachmeldungen eingehen, die in der PVS nicht mehr enthalten, wohl aber in der aktuellen Erhebung ausgewiesen sind. Wie viele Verstöße gegen § 24a StVG wurden im Zeitraum zwischen dem 01.01.2013 und dem 31.12.2013 durch die Polizei zur Anzeige gebracht ? (Bitte nach Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss und unter Einfluss „anderer berauschender Mittel“ gem. Anlage zum § 24a StVG einzeln aufschlüsseln.) Zu Frage 5: Im Zeitraum zwischen dem 01.01.2013 und dem 31.12.2013 wurden durch die Vollzugspolizei des Saarlandes landesweit insgesamt 630 Ordnungswidrigkeitenanzeigen wegen des Verdachts des Verstoßens gegen § 24a StVG eingeleitet, davon 455 Ordnungswidrigkeitenanzeigen aufgrund von Alkoholkonsum und 175 nach dem Konsum berauschender Mittel. In wie vielen Fällen wurde die Fahrerlaubnis im Zeitraum zwischen dem 01.01.2013 und dem 31.12.2013 wegen „fehlendem Trennungsvermögen “ nach Bekanntwerden eines Verstoßes gegen § 24a StVG durch die zuständige Fahrerlaubnisbehörde gänzlich entzogen? (Bitte nach Entziehung wegen Alkoholkonsum mit Verweis auf Anlage 4 Punkt 8.2 FeV und wegen Cannabiskonsum mit Verweis auf Anlage 4 Punkt 9.2.2 aufschlüsseln .) Zu Frage 6: Entsprechend dezidierte Daten stehen seitens der Fahrerlaubnisbehörden im Saarland nicht zur Verfügung. Die gängigen, in der Nutzung befindlichen Führerscheinprogramme erfassen zwar die behördlichen Entzüge, unterscheiden jedoch nicht nach dem Rechtsgrund für den Entzug. Auf die Erhebung der Gesamtzahlen aller behördlichen Entzüge wurde daher verzichtet, da die Gesamtausweisung im Sinne der konkreten Fragestellung keine nutzbaren Erkenntnisse erbringt. Auch eine Nachfrage beim Kraftfahrtbundesamt blieb erfolglos, da dort im Rahmen der Erfassung der Verwaltungsbehörden Schlüsselzahlen verwendet werden, die ausschließlich auf die Neigung zu Trunk-, Rauschmittel- oder Arzneimittelsucht hindeuten, nicht jedoch „fehlendes Trennungsvermögen “ ausweisen. Drucksache 15/1354 (15/1265) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 6 - In wie vielen Fällen wurde die Entziehung der Fahrerlaubnis im Zeitraum zwischen dem 01.01.2013 und dem 31.12.2013 bei feststehender Nichteignung (fehlendes Trennungsvermögen) durch die Verwaltungsbehörden mit sofortiger Wirkung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zur Gefahrenabwehr angeordnet? (Bitte nach Art des Rauschmittels einzeln aufschlüsseln.) Zu Frage 7: Siehe Antwort zu Frage 6.