LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/1783 (15/1751) 18.04.2016 A N T W O R T zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (B90/Grüne) betr.: Urwald vor den Toren der Stadt Vorbemerkung des Fragestellers: „Seit 1997 gibt es den „Urwald vor den Toren der Stadt“ als Naturschutzgebiet und grünes Herz des Saarkohlenwaldes. Die Natur soll sich in diesem NATURA 2000-Gebiet auf unangetastete Weise entfalten. Dadurch kehren verloren geglaubte Arten ursprünglicher Auen und Wälder wieder zurück und die Flora und Fauna verändert sich ohne menschliche Eingriffe. Nachdem anfänglich das Großschutzgebiet für die sogenannten Wirtschafts- und Umweltjagden unter wissenschaftlicher Begleitung der Georg- August-Universität Göttingen noch zulässig war, wurde sie nach erheblichen Protesten aus der Bevölkerung eingestellt. In der Folge sollte die Forschungsgruppe Wildökologie an der rheinlandpfälzischen Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Trippstadt über Frischkotanalysen Hinweise auf Art und Höhe der Wildtierpopulationen im Schutzgebiet geben. Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden bislang jedoch nicht veröffentlicht.“ Vorbemerkung der Landesregierung: Die Landesregierung bekennt sich zu den Zielen des Schutzgebietes, die in der Naturschutzgebiet -Verordnung und in der Verordnung zur Ausweisung der Naturwaldzelle dargelegt sind. Dazu gehört auch, dass Jagdausübung stattfindet, wenn dies den Zielen des Schutzgebietes dienlich ist oder wenn in den angrenzenden Bereichen Wildschäden überhand nehmen. So wurde in den ersten zehn Jahren seit Gründung des Schutzgebietes im Jahr 1998, maximal über einen Zeitraum von 6 Stunden/Jahr (zwei Bewegungsjagden mit einer Dauer von jeweils 3 Stunden) eine Bewegungsjagd durchgeführt. Dass derzeit keine Bewegungsjagden durchgeführt werden, ist nicht auf „erhebliche“ Proteste aus der Bevölkerung zurückzuführen. Im Gegenteil; es gibt wegen der im angrenzenden Stadtgebiet Saarbrücken erheblichen Schwarzwildschäden immer wieder Stimmen aus der Bevölkerung, die fordern, den Wildbestand auch im Schutzgebiet zu verringern. Ausgegeben: 18.04.2016 (21.03.2016) Drucksache 15/1783 (15/1751) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 2 - Demonstrationen gegen die Durchführung der Jagd wurden seinerzeit von einer sehr kleinen Gruppe (weniger als 10 Personen) durchgeführt, von denen einzelne Teilnehmer bis dahin selbst aktiv an der Urwald-Jagd teilgenommen hatten. Der Großteil der Bevölkerung befürwortet die Jagdausübung, insbesondere aufgrund der Schwarzwildproblematik . Eingestellt wurde die Bejagung aufgrund der Tatsache, dass aus jagdfachlicher Sicht ein Freischneiden von Schussschneisen für erforderlich gehalten wurde, dies jedoch aus Gründen des Naturschutzes nicht möglich war. Zur Feststellung der Populationsdichte des Schalenwildes wurde die rheinlandpfälzische Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Trippstadt damit beauftragt, anhand einer Frischkotgenotypisierung entsprechende Daten zu erheben. Die Ergebnisse wurden bisher wie folgt veröffentlicht: Am 19.06.2013, Vorstellung der Ergebnisse im Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz , Saarbrücken: SANDRINI J.; EBERT C.; HOHMANN U.: Vorstellung der Zwischenergebnisse des Reh- Schwarzwildbestandserfassungs-Projektes. Am 26.09.2013, Vorstellung der Ergebnisse für die Fachöffentlichkeit in „Big Eppel“, Eppelborn SANDRINI J.; EBERT C.; HOHMANN U.: Bestandsschätzung von Rehwild und Schwarzwild auf der Grundlage von Kotgenotypisierung im Saarkohlenwald 2013 für Saarforsten. Am 22.11.2014, Vorstellung der Ergebnisse im Zuge der Tagung des Verbandes der Wildbiologen und Jagdwissenschaftler, TU München, in Weihenstephan: HOHMANN U.; HUCKSCHLAG D.; EBERT C.; SANDRINI J.; RAHLFS M.; THIELE B.: Jagd als Regulierungsinstrument? Am 11.06.2015, Vorstellung der Ergebnisse auf einer Veranstaltung des NABU, Scheune Neuhaus: HOHMANN U.: Bestandsschätzung von Rehwild und Schwarzwild auf der Grundlage von Kotgenotypisierung im Saarkohlewald 2013. Darüber hinaus wurde das Projekt im Jahresbericht 2013 der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft, Trippstadt, beschrieben und im Internet erwähnt. Eine Veröffentlichung ist im Sommer 2016 in dem Jahrbuch des Verbandes der Wildbiologen und Jagdwissenschaftler e. V. geplant. Titel: HOHMANN U. , C. EBERT, D. HUCKSCHLAG, U. HETTICH, J. SANDRINI: Jagd als Regulierungsinstrument ? Untersuchungsbefunde am Beispiel zweier Schwarzwildpopulationen (Sus scrofa) in Südwestdeutschland. Drucksache 15/1783 (15/1751) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 3 - Wird im Naturschutzgebiet „Urwald vor den Toren der Stadt“ seit dem Jagdjahr 2012/2013 die Jagd ausgeübt? a) Falls ja, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage und mit welcher Jagdmethode (z.B. Einzeljagd oder Gesellschaftsjagd) und mit welchem belegbaren Effekt für die Erreichung der Schutzziele in der Naturschutzgebietsverordnung? b) Auf welche jagdbaren Tierarten wird sie ausgeübt und mit welchem zahlenmäßigen Ergebnis pro Tierart? Zu Frage 1: Eine Jagdausübung erfolgt grundsätzlich nicht. Ausgenommen ist die aus Tierschutzgründen erforderliche Nachsuche von verletztem Wild. Führt die Forschungsgruppe Wildökologie an der rheinland-pfälzischen Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Trippstadt oder an anderen wissenschaftlichen Einrichtungen Untersuchungen durch, um Art und Höhe der Wildtierpopulationen im Schutzgebiet „Urwald vor den Toren der Stadt“ zu ermitteln? Falls ja, mit welchem Ergebnis? Falls nein, warum nicht? Zu Frage 2: Im Februar 2013 wurden in einem 3.740 ha großen Untersuchungsgebiet innerhalb des Saarkohlenwaldes Reh- und Wildschwein-Losungsproben zum Zwecke der Genotypisierung für eine anschließende Bestandsschätzung gesammelt. Innerhalb von vier Tagen konnten insgesamt 4.190 Reh- und 4.942 Wildschweinlosungen kartiert werden , von denen 910 (Reh) bzw. 1.308 (Wildschwein) aufgrund eines Mindestfrischegrades beprobt wurden. Für beide Tierarten wurde jeweils eine zufällig ausgewählte Unterstichprobe von 352 Rehproben und 351 Wildschweinproben im Labor genotypisiert . Von den Rehproben konnten 319 (90 %) erfolgreich genotypisiert werden, bei den analysierten Wildschweinproben betrug die Erfolgsrate 269 genotypisierte Proben (77 %). Die Auswertung der Reh-Genotypen zeigte, dass mit den 318 genotypisierten Proben 194 verschiedene Individuen erfasst wurden, von denen 76 durch zwei oder mehr Proben vertreten sind. Das Geschlechterverhältnis in der Reh-Stichprobe betrug 1 : 1,7 Böcke zu weiblichen Stücken (inkl. vorjährige Bock- und Rickenkitze). Der auf Basis des Beprobungsmusters geschätzte Rehbestand im Untersuchungsgebiet beträgt 400 Rehe (95 %-Konfidenzbereich 317 – 436 Rehe). Dies entspricht auf das Untersuchungsgebiet bezogen einer Dichte von 10,8 Rehen/100 ha (95 %-Konfidenzbereich 8,5 – 11,8 Rehe/100 ha). Die erfolgreich genotypisierten 269 Wildschwein-Losungsproben ließen sich zu 181 verschiedenen Individuen zuordnen, von denen 59 durch mehrere Proben vertreten waren. Das Geschlechterverhältnis betrug 1: 1,4 Keiler zu Bachen. Der Wildschweinbestand im Untersuchungsgebiet wird auf insgesamt 423 Tiere (95 %- Konfidenzbereich 335 – 462) geschätzt, was einer Dichte von 11,4 Wildschweinen/100 ha entspricht (95 %-Konfidenzbereich 9,0 – 12,5 Tiere/100 ha). Drucksache 15/1783 (15/1751) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 4 - Die Qualitätskontrolle mittels Blindtests und Genotypisierungs-Fehleranalysen zeigte, dass für beide Tierarten valide und reproduzierbare Laborergebnisse erzielt wurden, die eine geeignete Grundlage für die Bestandsschätzung darstellen. Im Vergleich zu anderen bereits untersuchten Populationen, z. B. im Pfälzerwald, wies allerdings der Wildschweinbestand im Saarkohlenwald eine geringere genetische Variabilität auf, die möglicherweise auf eine gewisse „Verinselung“ hindeutet. Eine Wiederholung der Untersuchung von 2013 (Frischkotgenanalyse) ist für 2017 angedacht. Wie haben sich die Wildtierpopulationen bzw. der Wildverbiss seit 1997, d. h. a) unter der Bedingung, dass gejagt wurde, b) unter der Bedingung, dass in einem längeren Zeitfenster generell nicht gejagt wurde, auf die Erreichung des Schutzzieles nach einer ungestörten Waldentwicklung bzw. artenreichen Naturverjüngung im Urwald ausgewirkt? Zu Frage 3: Regelmäßige Erhebungen über die Entwicklung der Wildtierpopulationen und den Wildverbiss gibt es nicht. Augenscheinlich gibt es Schäden an Jungpflanzen durch Verbiss von Schalenwild. Ob diese seit 2012 zu- oder abgenommen haben, kann nicht beurteilt werden. Bei der Zielsetzung des Schutzgebietes steht das Kriterium einer artenreichen Naturverjüngung hinter dem Ziel des Prozessschutzes. Nach derzeitiger, augenscheinlicher Einschätzung ist die Erreichung des Schutzzieles durch das Ruhenlassen der Jagd nicht gefährdet.