LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/1908 (15/1809) 12.07.2016 A N T W O R T zu der Anfrage der Abgeordneten Dagmar Ensch-Engel (DIE LINKE.) betr.: Schutz der saarländischen Bevölkerung bei einer Katastrophe im AKW Cattenom Vorbemerkung der Fragestellerin: Das Atomkraftwerk Cattenom muss immer wieder wegen Pannen und Störfällen abgeschaltet werden . Es ist eine Gefahr für die Menschen in der gesamten Region. Dennoch plant die französische Regierung offenbar eine weitere Verlängerung der Laufzeit auf 50 Jahre. Vorbemerkung der Landesregierung zu den Fragen 2 bis 4: Ausgehend von den in Zusammenhang mit dem Reaktorunfall in Japan im Jahre 2011 gewonnenen Erkenntnissen hat die Strahlenschutzkommission (SSK) die fachlichen Grundlagen für den Notfallschutz in Deutschland und das dazugehörige Regelwerk einer Überprüfung unterzogen. Dabei wurde die Festlegung des für die Notfallplanung zugrundeliegenden Unfallspektrums stärker an den potenziellen Auswirkungen als an der berechneten Eintrittswahrscheinlichkeit von Unfällen orientiert. Im Zuge dieser Überprüfung hat sich eine Änderung der Planungsgebiete für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken ergeben, die letztlich in die Neufassung der „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen “ (Stand: 19./20.02.2015) mündeten. Evakuierungsplanungen richten sich inhaltlich nach diesen Rahmenempfehlungen in Verbindung mit den „Rahmenempfehlungen für die Planung und Durchführung von Evakuierungsmaßnahmen einschließlich der Evakuierung für eine erweiterte Region.“ Die Evakuierungsplanungen im Saarland werden derzeit diesem neuen Regelwerk angepasst. Ausgegeben: 12.07.2016 (12.05.2016) Drucksache 15/1908 (15/1809) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 2 - Wie erfolgt die Alarmierung der Bevölkerung im Falle einer atomaren Katastrophe im AKW Cattenom und wie ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Alarmierung in diesem Fall geregelt ? Zu Frage 1: Bei einem Unfall im Kernkraftwerk Cattenom erfolgt die Alarmierung und Warnung der betroffenen Bevölkerung primär durch Sirenensignale (einminütiger Heulton, Bedeutung : Rundfunk einschalten und auf Durchsagen achten) und andere Warnmittel, die eine Weckfunktion besitzen, (z.B. Lautsprecherdurchsagen). Gleichzeitig werden Erstinformationen über die möglichen Folgen des Unfalls sowie Informationen und Anweisungen über geeignetes Schutzverhalten über Rundfunk, Fernsehen und andere geeignete Medien gesteuert. Hierzu sind Vereinbarungen mit den Medien getroffen. Entsprechende Mustertexte sind vorbereitet. Die grenzüberschreitende Alarmierung der Krisenstäbe erfolgt durch das seitens des Kernkraftwerksbetreibers bereitgestellte satellitengestützte SELCA-System (Système d`Echanges et de Liaisons entre Cattenom et les Autorités) als technisches Warn- und Informationssystem, das in den vom Kernkraftwerk Cattenom betroffenen Ländern (Präfektur in Metz, Luxemburg, Saarland und Rheinland-Pfalz) eingerichtet ist. Über dieses System können Warnungen und Informationen bei einem Zwischenfall oder Unfall zuverlässig an die betroffenen Behörden übermittelt werden. Es ist im Saarland in der Führungs- und Lagezentrale des Landespolizeipräsidiums als Meldekopfstelle der saarländischen Landesregierung eingerichtet. Nach dem Zusammentreten der Krisenstäbe – auf saarländischer Seite der Verwaltungsstab (Katastrophenschutz) Land - erfolgt eine sofortige Kontaktaufnahme zu den Krisenstäben der Präfektur in Metz, in Luxemburg und des Landes Rheinland- Pfalz. Es wird unverzüglich eine Verbindungsperson in den Krisenstab der Präfektur in Metz entsandt. Auf der Grundlage des Lagebildes werden in regelmäßigen Telefonschaltkonferenzen die möglichen Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung (z.B. Jodblockade, Aufenthalt in Gebäuden, Evakuierung, Warnung vor dem Verzehr frisch geernteter Lebensmittel) intensiv erörtert und abgestimmt. Hierzu gehören notwendige grenzübergreifende Absprachen und die Verständigung über Entscheidungen zur Gefahrenabwehr. Darüber hinaus erfolgen zusammen mit dem Land Rheinland-Pfalz gemeinsame radiologische Lagebewertungen, die auch mit den Fachberatern Strahlenschutz der Präfektur in Metz und des Großherzogtums Luxemburg ausgetauscht werden. Ziel ist es, Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung diesseits und jenseits der Grenze möglichst einheitlich umzusetzen. Wie wird eine mögliche Evakuierung der Bevölkerung durchgeführt? Zu Frage 2: Eine Evakuierung ist dann eine wirkungsvolle Schutzmaßnahme, wenn sie vor einer Freisetzung erfolgt. Während der Freisetzungsphase oder wenn eine Freisetzung unmittelbar bevorsteht, werden keine Evakuierungen durchgeführt. Drucksache 15/1908 (15/1809) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 3 - Nach den neuen „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen“ müssen planerische Vorbereitungen einer Evakuierung bis zu der Mittelzone (20-km-Radius um die Anlage) sichergestellt werden. Die kürzeste Entfernung vom Kernkraftwerk Cattenom zu der Landesgrenze des Saarlandes liegt bei etwa 12 km. Demnach ist das Saarland von der Maßnahme „Evakuierung“ in dem Planungsgebiet „Mittelzone“ von dem Kernkraftwerk Cattenom betroffen. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass das Saarland Evakuierungsplanungen schon seit jeher weitreichend in einem 25-km-Radius um das Kernkraftwerk Cattenom praktiziert hat. In Bezug auf die Umsetzung der neuen Planungen wurde in Abstimmung mit dem Land Rheinland-Pfalz für die Schutzmaßnahme „Evakuierung“ festgelegt, den bisherigen Planungsradius von 25-km beizubehalten, da in diesem Umkreis bereits umfangreiche Vorbereitungen realisiert sind. Dieses vorangestellt legt der Verwaltungsstab (Katastrophenschutz) Land auf der Grundlage des radiologischen Lagebildes das gefährdete Gebiet für eine notwendige Evakuierung fest und trifft die Anordnung gegenüber den Krisenstäben in den Gemeindeverbänden , die für die Umsetzung zuständig sind. Wichtige Entscheidungsfaktoren sind die Entwicklung des Ereignisses im Kernkraftwerk, die zu erwartende Dosis und die zur Verfügung stehende Zeit. Während der Evakuierung darf keine Freisetzung von radioaktiven Stoffen zu erwarten sein. Die Anordnung zur Evakuierung der Bevölkerung aus den betroffenen Gebieten wird durch Bekanntgabe mittels Aufruf an die Bevölkerung öffentlich ausgesprochen. Der Evakuierungsaufruf erfolgt durch die in der Antwort zu Frage 1 beschriebenen Warnsysteme . Die betroffene Bevölkerung wird aufgefordert, das gefährdete Gebiet sofort zu verlassen und für einen organisierten Transport mit Bussen hierfür die in dem Planungsradius festgelegten Sammelstellen aufzusuchen. Gleichzeitig werden bereit gestellte Notunterkünfte bekannt gegeben, die in ausreichender Entfernung von dem betroffenen Gebiet liegen. Aufgrund von vorliegenden Erfahrungswerten ist davon auszugehen, dass sich ca. 70 % der Bevölkerung aus Eigeninitiative direkt aus dem betroffenen Gebiet, vornehmlich mit dem privaten PKW, entfernen wird ohne zuvor eine Sammelstelle aufzusuchen. Für diesen Personenkreis werden zwar ebenfalls die Notunterkünfte bereit gestellt, allerdings ist dies nicht planbar. Erfahrungsgemäß wird nur ein Teil dieser Personen die Notunterkünfte aufsuchen. Viele werden Unterkünfte außerhalb des Saarlandes bevorzugen (z.B. bei Bekannten oder in Hotels) oder auch bei Bekannten , Freunden, Verwandten innerhalb des Saarlandes in ausreichender Entfernung vom Kernkraftwerk unterkommen. Für die Führung der Verkehrsströme sind Verkehrsführungskonzepte ausgearbeitet, um der Bevölkerung ein rasches Verlassen des gefährdeten Gebietes zu ermöglichen, ohne dass die Arbeit der Einsatzkräfte beeinträchtigt wird. Fachberater der Polizei und Experten des Verkehrsministeriums sind im Katastrophenschutzstab des Landes vertreten und arbeiten in enger Abstimmung zusammen mit den Krisenstäben der Gemeindeverbände. Drucksache 15/1908 (15/1809) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 4 - Stehen für die Saarländerinnen und Saarländer jederzeit und ausreichend entsprechende Schutzräume /Notplätze zur Verfügung? (bitte auflisten) Zu Frage 3: Nach den bisherigen Planungen stehen für die zu evakuierende Bevölkerung ausreichende Notunterkünfte in den Gemeinden Beckingen, Losheim am See, Weiskirchen und der Stadt Wadern zur Verfügung. Alternativ werden Notunterkünfte in den Städten Saarlouis und Püttlingen und in den Gemeinden Überherrn, Saarwellingen, Bous, Heusweiler und Riegelsberg vorgehalten. Bei den Notunterkünften handelt es sich in der Regel um Mehrzweckhallen, Schulen, Turnhallen und Gemeindehäuser, da dort aufgrund der vorhandenen technischen Infrastruktur (Telefon, Internet, Strom, Wasser, Heizung, Sicherheitseinrichtungen), der bestehenden Raumaufteilung und der verfügbaren Funktionsbereiche (Küche, Gemeinschaftsräume, Toiletten) eine größere Anzahl Menschen schnell und sicher untergebracht werden kann. Im Zuge der notwendigen Anpassung der bisherigen Planungen an die neuen Vorgaben (siehe hierzu die Vorbemerkungen der Landesregierung) wurden inzwischen neue Aufnahmegebiete und Notunterkünfte in einer Entfernung von größer als 60 km von dem Kernkraftwerk Cattenom definiert. Alle Orte, die außerhalb dieses Radius liegen, kommen als Aufnahmeorte in Frage. Folglich sind Notunterkünfte in den Landkreisen St. Wendel, Neunkirchen, Saarpfalz-Kreis und im Regionalverband Saarbrücken bereit zu stellen. Die zuständigen Gemeindeverbände haben aktuell bereits geeignete Unterkünfte nach der Rangfolge der Verkehrsanbindung sowie der Qualität und Ausstattung gemeldet. Wichtige Aufnahmeorte sind demnach Neunkirchen, Spiesen-Elversberg, Illingen, Saarbrücken (Ost), Friedrichsthal, Sulzbach, Qierschied, Kleinblittersdorf, Bexbach, St. Ingbert, Homburg, Blieskastel Freisen, Marpingen, Türkismühle, Oberthal und St. Wendel. Eine im Zuge der Umsetzung bereits durchgeführte Bedarfsermittlung hat eine ausreichende Anzahl von Notunterkunftsplätzen für die zu evakuierende Bevölkerung ergeben. Sind für Kindergärten und Schulen entsprechende Notfallpläne ausgearbeitet worden und finden mit den Kindern und Jugendlichen regelmäßig entsprechende Notfallübungen statt? Zu Frage 4: Im derzeit gültigen Evakuierungsplan des Landkreises Merzig-Wadern sind im Evakuierungsgebiet besondere Objekte erfasst. Hierzu gehören auch entsprechende Planungen für Kindergärten und Schulen. Im Fall der Evakuierung, bei dem die Schließung der Einrichtungen im Vorfeld nicht angeordnet wurde, werden die Kinder und Jugendliche, welche nicht durch die Angehörigen an der Einrichtung abgeholt wurden, durch Kräfte des Katastrophenschutzes und mit Bussen evakuiert. Im weiteren Verlauf erfolgt der Transport zu einer vorgeplanten Sammelstelle, an der die Übergabe an die Eltern zentral erfolgen kann. Durch die Überarbeitung der Landesplanung zu einem Ereignis im KKW Cattenom wurde die Erprobung der Evakuierungsmaßnahmen bisher nicht durchgeführt. Eine entsprechende Katastrophenschutzübung, die vom Landkreis Merzig-Wadern ausgearbeitet wurde, wird nach Überarbeitung der Planungen umgesetzt .