LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/2123 (15/2102) 28.03.2017 A N T W O R T zu der Anfrage des Abgeordneten Klaus Kessler (B90/Grüne) betr.: Situation chronisch kranker, insbesondere diabetischer Kinder in den Schulen Vorbemerkung des Fragestellers: „Gesundheit und Bildung hängen nicht nur eng zusammen, sondern beeinflussen maßgeblich den späteren Lebensweg von Kindern und Jugendlichen . Eine repräsentative Studie des Robert Koch Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland kommt zu dem Ergebnis, dass 16% der 0 bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen ein chronisches Gesundheitsproblem haben wie etwa Allergien, Neurodermitis, Asthma, Herzerkrankungen oder Diabetes. Bezogen auf insgesamt rund 125.000 Kinder und Jugendliche, die im Saarland eine öffentliche Schule besuchen, kann man von rund 20.000 Schülerinnen und Schülern ausgehen, die ein chronisches Gesundheitsproblem haben.“ Vorbemerkung der Landesregierung: Der Zusammenhang von Gesundheit und Bildung wurde in zahlreichen Studien bestätigt . Einzelne konnten sogar belegen, dass das gesundheitsrelevante Verhalten stärker durch die Bildung als durch andere sozioökonomische Determinanten wie das Einkommen oder die berufliche Stellung beeinflusst wird. Vor diesem Wissenshintergrund verfolgt die Landesregierung mit dem Programm „Gesunde Schule“ einen ganzheitlichen Ansatz, der sich von der bisherigen Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung an Schulen durch eine systematische Vorgehensweise sowie durch eine umfassende Beteiligung und Mitwirkung unterscheidet. Die Gesunde Schule Saarland unterstützt gesundheitsfördernde Maßnahmen, um die Bildungsqualität insgesamt zu verbessern. Gesundheits- und Qualitätsentwicklung sind auf das Engste miteinander verzahnt. Handlungsempfehlungen und Hilfestellung für den Umgang mit chronisch erkrankten Kindern und Jugendlichen im schulischen Alltag stehen den Schulen unter anderem in Form des Rundschreibens betreffend „Umgang mit chronisch kranken Kindern in der Schule, Verabreichung von Medikamenten und Erste Hilfe durch Lehrkräfte“ vom 7. März 2012 (Az.: A 4/B – 2.4.3.0/D 5) zur Verfügung. Die Antworten zu den gestellten Fragen zitieren teilweise die betreffenden Inhalte des Rundschreibens. Ausgegeben: 28.03.2017 (22.02.2017) Drucksache 15/2123 (15/2102) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 2 - Hat die Landesregierung einen Überblick über gemeldete chronisch erkrankte Kinder und Jugendliche in der Schule? Wenn ja, welche chronische Erkrankungen liegen in welchem Umfang vor? Zu Frage 1: Gemäß der „Verordnung über die Verarbeitung personenbezogener Daten in den Schulen“ (vom 17. September 2008, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 20. Januar 2016 (Amtsbl. I S. 120). Fundstelle: Amtsblatt 2008, S. 1596) dürfen insbesondere auch Gesundheitsdaten als personenbezogene Daten, soweit sie nicht vom Gesundheitsamt übermittelt wurden, nur dann erhoben werden, wenn der Auftrag der Schule ohne die Nutzung nicht erfüllbar ist. Da die entsprechenden Daten demnach nur im konkreten Einzelfall erhoben werden, liegen der Landesregierung keine systematischen Erkenntnisse über Art und Häufigkeit chronischer Erkrankungen in Schulen vor. Saarlandspezifische Daten liegen lediglich vor für Kinder im Vorschulalter. Die Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen die von den Ärztinnen und Ärzten der Jugendärztlichen Dienste der kommunalen Gesundheitsämter durchgeführt und als 3. Bericht „Gesundheit und gesundheitliche Versorgung von Einschulkindern im Saarland“ vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie im Jahr 2015 veröffentlicht wurden, geben Folgendes an: Ca. 12 % der Einschulkinder leiden an chronischen Krankheiten. Dazu gehören u.a. allergisch bedingte chronische Erkrankungen der Haut und Atemwege, genetisch bedingte und/oder erworbene Erkrankungen des Stoffwechsels , des Herzens, des Nervensystems, des Skelettsystems, der Sinnesorgane sowie Krebserkrankungen (vgl. Einschulungsbericht 2015, S. 42 und S. 61). Wie viele gemeldete Diabetikerkinder gibt es an welchen Schulformen? (Bitte um eine Übersicht!) Zu Frage 2: Bei der zu Frage 1 genannten Einschulungsuntersuchung wurde bei 9 Kindern Diabetes mellitus Typ 1 festgestellt. Im Schulalter neu auftretende Krankheiten werden dadurch jedoch nicht erfasst. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Wie und durch wen erfolgt die gesundheitliche Versorgung dieser Kinder und Jugendlichen? Zu Frage 3: Je nach Versorgungssituation - z.B. in der Schule oder im häuslichen Bereich - und in Abhängigkeit von der Schwere der Beeinträchtigung und/oder der Reife des betroffenen Kindes bzw. des/der betroffenen Jugendlichen kann die notwendige gesundheitliche Versorgung der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes mellitus, z.B. die Injektion von Insulin oder die Blutzuckermessung, durch das Kind bzw. die/den Jugendliche/n selbst, durch seine/ihre Eltern oder andere Betreuungspersonen, in besonderen Fällen durch Lehrkräfte (siehe Antwort zu Frage 4), einen Pflegedienst als Leistung der ambulanten Kinderkrankenpflege gem. § 37 SGB V oder durch angelernte Integrationshelfer erfolgen. Drucksache 15/2123 (15/2102) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 3 - Nehmen Lehrkräfte die Versorgung wahr und/oder Integrationshelfer und aufgrund welcher Qualifikation erfolgt diese Versorgung? Zu Frage 4: Lehrkräfte: In der Schule können die Kinder und Jugendlichen nicht von ihren Eltern umsorgt werden, denen das Recht und die Pflicht dazu in erster Linie zukommt. Medizinisch -pflegerische Maßnahmen während der Schulzeit können aber Voraussetzung dafür sein, dass chronisch kranke Kinder oder Jugendliche individuell unterstützt werden und dadurch überhaupt erst am schulischen Leben teilhaben können. Insofern ergibt sich aus der im Schulpflichtgesetz verankerten Pflicht zum Schulbesuch auch eine Fürsorge- und Betreuungspflicht der Schule gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern. Diese Pflicht als Inhalt des Dienstverhältnisses der beamteten und des Arbeitsverhältnisses der tarifbeschäftigten Lehrkräfte, der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter sowie der Referendarinnen und Referendare gebietet es, die Anforderungen im Unterricht an eine aus Gesundheitsgründen geminderte Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern anzupassen. Generell gilt: Bei Unfällen oder sonstigen Notfällen ist das gesamte Schulpersonal gesetzlich verpflichtet, nach den jeweiligen persönlichen Möglichkeiten Hilfe zu leisten. Unter medizinischen Maßnahmen sind körperliche Eingriffe zu verstehen wie z.B. das Legen von Sonden, das Einführen von Kathetern, die Verabreichung von Injektionen oder das Absaugen von Schleim bei Kindern mit Mukoviszidose. Im Gegensatz zu den oben genannten Hilfeleistungen bei Notfällen oder Unfällen, bei denen im Einzelfall durchaus auch medizinische Maßnahmen ergriffen werden müssen, können medizinische Maßnahmen den Lehrkräften grundsätzlich nicht abverlangt werden. Daher soll in der Regel eine entsprechende Anleitung der betroffenen Schülerinnen und Schüler erfolgen. In Fällen, in denen Schülerinnen und Schüler die Tätigkeit nicht selbst durchführen können, sollte in der Regel ausgebildetes Pflegepersonal mit dieser Aufgabe betraut werden. Nur in begründeten Ausnahmefällen und mit schriftlicher Einverständnisverklärung kommen auch gleichwertig angelernte Personen für medizinische Maßnahmen in Betracht. Hilfsmaßnahmen sind Unterstützungsleistungen zum Zweck der medizinischen Versorgung , die im Gegensatz zu den medizinischen Maßnahmen nicht mit einem Eingriff in die körperliche Integrität verbunden sind. Solche Hilfen können etwa das Verabreichen von Medikamenten oder unter bestimmten Umständen auch die Aufforderung an ein diabetisches Kind sein, sich zu einem ärztlich angeordneten Zeitpunkt selbst Insulin zu spritzen. Medizinische Hilfsmaßnahmen können und sollten von allen Lehrkräften übernommen werden, wobei bei der Übernahme von Pflichten die zeitliche Komponente zu berücksichtigen ist, damit eine ausreichende Betreuung der übrigen Schülerinnen und Schüler gewährleistet bleibt. Voraussetzung dafür sind rechtzeitige Informationen sowie genaue schriftliche Absprachen zwischen Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigten und Schulleitung beziehungsweise Lehrkräften. - Die Eltern oder Erziehungsberechtigten müssen die zu den Maßnahmen bereiten Lehrkräfte oder Lehrhilfskräfte schriftlich beauftragen oder ermächtigen. Für den Verhinderungsfall ist nach Möglichkeit eine Vertretung festzulegen. - Es wird eine schriftliche ärztliche Verordnung vorgelegt, in der die erforderlichen Verordnungen/Handlungen und Maßnahmen (z. B. Blutzuckerkontrolle mittels Blutzuckersticks) detailliert aufgelistet sind, insbesondere ist anzugeben, welche Medikamente, wann, in welcher Menge und auf welchem Weg zu verabreichen sind. Drucksache 15/2123 (15/2102) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 4 - - Die Eltern informieren die Lehrkräfte umgehend über alle Aktualisierungen bzw. Veränderungen der Verordnungen unaufgefordert schriftlich und stellen entsprechend aktuelle ärztliche Verordnungen zur Verfügung. - Die beteiligten Lehrkräfte erhalten durch eine Ärztin oder einen Arzt eine entsprechende Unterweisung im Hinblick auf die konkreten Maßnahmen und die dabei einzuhaltenden Hygienemaßnahmen sowie über das Verhalten in Notfällen, die sich aus der Krankheit selbst oder aus Nebenwirkungen der Medikation ergeben können. - Es wird schriftlich vereinbart, welche Maßnahmen die Lehrkräfte im Notfall oder bei praktischen Problemen (notwendiges Material zu Hause vergessen, Schülerin oder Schüler weigert sich, die verordneten Medikamente einzunehmen) in welcher Reihenfolge einleiten können (z.B. Anruf bei Erziehungsberechtigten oder behandelnder Ärztin bzw. behandelndem Arzt, Rufen des Rettungsdienstes). In der Schule selbst müssen darüber hinaus alle relevanten Informationen vorliegen, um im Einzelfall eine notwendige Handlungsfähigkeit auch der übrigen Lehrkräfte zu gewährleisten. Lehrkräfte müssen wissen, dass eine chronische Erkrankung bei einer Schülerin oder einem Schüler vorliegt, wie sie sich auswirkt und wie im Unterricht angemessen reagiert werden kann. Der gezielte Austausch von Informationen, unter Berücksichtigung der spezifischen Situation der einzelnen Schülerin oder des einzelnen Schülers, ist Voraussetzung für eine optimale schulische Betreuung und Förderung. Die wichtigste Informationsquelle für Lehrkräfte sind die betroffenen Eltern und der betroffene junge Mensch selbst, ggf. unter Einbeziehung der behandelnden Ärztin beziehungsweise des behandelnden Arztes und/oder des Schulärztlichen Dienstes. Im Übrigen wird auf das den Schulen vorliegende Rundschreiben betreffend „Umgang mit chronisch kranken Kindern in der Schule, Verabreichung von Medikamenten und Erste Hilfe durch Lehrkräfte“ vom 7. März 2012 (Az.: A 4/B – 2.4.3.0/D 5) verwiesen. Integrationshelfer/-innen ermöglichen Kindern und Jugendlichen mit kognitiven und/oder körperlichen Einschränkungen einen Besuch allgemeinbildender Schulen. Chronisch kranke Kinder und Jugendliche haben nur dann einen Anspruch auf Integrationshilfe , wenn zugleich eine der o.g. Einschränkungen vorliegt. Integrationshelfer/-innen sind angelernte Hilfskräfte. Eine bestimmte berufliche Qualifikation wird nicht vorausgesetzt. Ob und wie sie geschult werden, liegt in der Zuständigkeit des Maßnahmeträgers. Die Behandlungspflege wie z. B. Sondierung, Spritzen geben, Messung des Blutzuckers, Medikamentengabe gehört nicht zu ihrem Aufgabenbereich . Ist gewährleistet, dass diabetischen Kindern und Jugendlichen die gleiche Teilhabe am Bildungsangebot einer Schule gewährleistet wird und auch in jedem Fall der Besuch einer Regelschule ermöglicht wird, falls dies der Wunsch der Eltern ist? Zu Frage 5: Es ist kein Fall bekannt, wonach ein chronisch krankes Kind nicht an einer Regelschule beschult wurde, wenn die Erziehungsberechtigten dies wünschten. Drucksache 15/2123 (15/2102) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 5 - Wie steht die Landesregierung zur Einführung eines Schulgesundheitssystems an öffentlichen Schulen? Zu Frage 6: Die Landesregierung ist der Auffassung, dass in den Schulen ein System der Schulgesundheitspflege etabliert ist. Zahlreiche Beteiligte tragen dort gemeinsam zur Prävention von Krankheiten sowie zur Förderung und Erhaltung der Gesundheit bei. Beispielhaft zu nennen sind: - Jugendmedizinischer Dienst der Gesundheitsämter (z.B. Schuleingangsuntersuchungen , Impfungen, Impfberatung, Infektionsschutz) - Jugendzahnärztlicher Dienst und Arbeitsgemeinschaft Jugendzahnpflege (z.B. Zahnmedizinische Prophylaxe, gruppenbezogene Prävention) - Schulpsychologischer Dienst (Diagnose, auf die Schule bezogene Therapie, Beratung , Förderung und Unterstützung von Schülerinnen und Schülern, Erziehungsberechtigten und Lehrkräften bei der Vermeidung und Überwindung von besonderen Schulschwierigkeiten) - Unfallkasse, Arbeitsmedizinischer Dienst (z.B. Unfallprävention, Arbeitssicherheit) - Lehrkräfte (gesundheitsförderndes Verhalten, Gesundheitswissen, Prävention) - Psychosoziale Beratungsstellen (Suchtprävention, Suchtberatung) - Sozialarbeit in der Schule (Prävention, Beratung) Bei der Gesunden Schule Saarland handelt es sich um die Etablierung eines Landesprogramms als fester und wichtiger Bestandteil des Systems Schule. Die Gesunde Schule Saarland verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, bündelt und systematisiert die unterschiedlichen Maßnahmen, die bereits vorhanden sind, und ergänzt diese, wo Handlungsbedarf besteht. Wie beurteilt die Landesregierung die Machbarkeitsstudie des Landes Brandenburg zum Innovationskonzept Schulpflegekräfte? Zu Frage 7: Die Ergebnisse der Studie zeigen sehr deutlich, mit welchen enormen finanziellen, strukturellen und inhaltlichen Herausforderungen die Umstellung des bestehenden Systems der Schulgesundheitspflege zum Konzept der Schulpflegekräfte verbunden sein könnte. Für eine abschließende Beurteilung werden die Ergebnisse des in Hessen und Brandenburg in Zusammenarbeit mit der AOK auf der Grundlage der Machbarkeitsstudie eingerichteten Modellprojektes „Schulgesundheitskräfte“ abzuwarten sein.