LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/927 (15/882) 06.06.2014 A N T W O R T zu der Anfrage des Abgeordneten Ralf Georgi (DIE LINKE.) betr.: Beachtung von Ausschluss-/Tabubereichen bei Windenergieanlagen Vorbemerkung des Fragestellers: „Dem Natur- und Artenschutz verbundene Bürgerinnen und Bürger im Saarland sind über Mitteilungen seitens einzelner Kommunen im Rahmen der Ausweisung von Flächen für die Nutzung von Windenergie irritiert, die Nutzung von Windkraft sei auch unter Unterschreitung der im sogenannten ‚Helgoländer Papier‘ sowie im ‚Leitfaden zur Beachtung artenschutzrechtlicher Belange beim Ausbau der Windenergienutzung im Saarland‘ genannten Mindestabstände (Ausschluss-/Tabubereich ) möglich.“ Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Nutzung von Windkraft auch unter Unterschreitung der im sogenannten "Helgoländer Papier" sowie im "Leitfaden zur Beachtung artenschutzrechtlicher Belange beim Ausbau der Windenergienutzung im Saarland" genannten Mindestabstände (Ausschluss-/ Tabubereich) möglich ist (bitte mit ausführlicher Begründung)? Bejahendenfalls: unter welchen Voraussetzungen ist dies aus Sicht der Landesregierung möglich und auf welche Rechtsprechung beruft sich die Landesregierung hierbei? Zu Frage 1: Grundsätzlich ist eine Nutzung von Windkraft – in engen Grenzen und im Einzelfall - auch unterhalb der in den o.g. Dokumenten definierten Schutzabstände möglich. Dies hat im Wesentlichen folgende Gründe: Ausgegeben: 06.06.2014 (14.04.2014) Drucksache 15/927 (15/882) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 2 - Die für verschiedene windkraftsensible Vogelarten definierten Abstandsempfehlungen beruhen auf fachlichen Erwägungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Staatlichen Vogelschutzwarten (LAG-VSW), die aus den renommiertesten Experten der Fachrichtung Ornithologie besteht, und repräsentieren damit den aktuellen Stand des Wissens. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass im Rahmen von NATURA 2000- Verträglichkeitsprüfungen (also wenn z.B. eine windkraftsensible Art als Erhaltungsziel eines solchen Schutzgebiets aufgeführt ist), die "besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse" zu Grunde zu legen sind, die zum entsprechenden Zeitpunkt verfügbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05). Dies können z.B. auch auf Tagungen diskutierte neue Forschungsansätze und Erkenntnisse sein, auch wenn diese (noch) nicht die (vor)herrschende Meinung widerspiegeln (LAU 2010). Gemäß § 2 Abs. 4 BauGB ist bei der Umweltprüfung im Rahmen von Bauleitplanverfahren (worüber zahlreiche Windenergie-Projekte planerisch gesteuert werden) auf den gegenwärtigen Wissensstand explizit abzustellen. Dennoch muss bei den o.g. Schutzabständen deutlich auf deren empfehlenden Charakter hingewiesen werden, d.h. dass das sog. "Helgoländer Papier" nicht den Rechtscharakter einer Verwaltungsvorschrift oder gar einer Verordnung besitzt, jedoch bei der artenschutzrechtlichen Prüfung von Windenergie-Vorhaben für diesen wichtigen, nicht der Abwägung zugänglichen, direktes Recht repräsentierenden Teil eine wichtige Grundlage für die behördliche Ermessensentscheidung darstellt. Deutlich muss darauf hingewiesen werden, dass die Abstandsempfehlungen für die Fortpflanzungsstätten der betroffenen Vogelarten bedeuten, dass bei Unterschreitung dieser Distanzen durch ein konkretes Projekt regelmäßig ein erhöhter Prüf-Aufwand erforderlich wird. Gleichwohl sind die aus den Abstandskriterien folgenden Restriktionsbereiche nicht als starre geometrische Gebilde zu verstehen, bei deren formaler Unterschreitung in jedweder Größenordnung automatisch eine artenschutzrechtliche Unzulässigkeit eines WEA-Vorhabens zu konstatieren wäre, respektive, dass bei deren Überschreitung ein Vorhaben ohne weiteres genehmigungsfähig ist. Vielmehr kommt es auf die sachgerechte Prüfung des konkreten Einzelfalls an, d.h. auf die Frage, in welcher Weise ein betroffenes Revierpaar die unterschiedlich strukturierte Landschaft innerhalb des durch die Abstandsempfehlung definierten Raums um die Fortpflanzungsstätte in Bezug auf den Standort der entsprechenden Anlage(n) nutzt. Daher ist bei Unterschreitung der o.g. Abstandsempfehlungen meist eine Aktionsraumanalyse erforderlich, um belastbare Erkenntnisse über die Bedeutung der anlagennahen und damit schlagrisikoreicheren Flächen als Homerange für die jagenden Individuen zu gewinnen. Diese Untersuchungen müssen einer den wissenschaftlichen Maßstäben und den vorhandenen Erkenntnissen entsprechenden Sachverhaltsermittlung genügen, um die naturschutzrechtliche Einschätzungsprärogative der Behörde zu begründen und damit im Einzelfall auch innerhalb der fachlich vorgezeichneten Restriktionsbereiche eine angemessene Konfliktbewältigung durch ein Windenergievorhaben zu gewährleisten. Die aus der vorgenannten Analyse hervorgehenden Informationen können dann in fallspezifisch auszugestaltende Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen einfließen, die ebenfalls bei der Beurteilung der artenschutzrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens (Prüfung auf eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) auch innerhalb der o.g. Schutzabstände zu berücksichtigen sind (vgl. zu diesem Aspekt auch BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07; OVG SH, Urt. v. 16.05.2013 – 2 L 80/11, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08). Drucksache 15/927 (15/882) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 3 - Schließlich ist es grundsätzlich auch möglich, dass eine Gemeinde bei der Darstellung von Konzentrationszonen für Windenergie in einem sachlichen Teil-Flächennutzungsplan gem. § 5 Abs. 2b BauGB in eine natur- und artenschutzrechtliche Ausnahmeoder Befreiungslage hineinplant (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2002; OVG Münster, Urt. v. 04.07.2012, Urt. v. 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE). Insofern kommt die grobe Rahmensetzung durch das Helgoländer Papier vor allem auf der höheren Abstraktionsebene der vorbereitenden Bauleitplanung (sachliche Teil- FNP, siehe auch Antwort zu Frage 3) zum Tragen, während bei konkreten Vorhabenumsetzungen auf Ebene der verbindlichen Bauleitplanung bzw. im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens die Einzelfallbetrachtung zu einer Bejahung der Genehmigungsfähigkeit auch innerhalb der o.g. Restriktionsbereiche führen kann. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass bei WEA-Projekten, die bauleitplanerisch vorbereitet werden, indem durch positive Funktionszuweisungen von Flächen in einem sachlichen Teil-FNP im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB der sog. Planvorbehalt erzeugt wird, bereits auf Ebene der vorbereitenden Bauleitplanung eine fundierte artenschutzrechtliche Betrachtung erfolgt, damit nicht Flächen, die unter Berücksichtigung einschlägig erprobter Schutzmaßnahmen naturschutzrechtskonform einer Bebauung zugeführt werden könnten, durch eine (möglicherweise ermessensfehlerhafte ) starre Anwendung der o.g. Schutz-Radien einen pauschalen Ausschluss erfahren. Die vorgenannten Gründe bzw. Umstände, die eine Zulässigkeit eines konkreten Windenergie-Vorhabens auch innerhalb der "kritischen Bereiche" der rahmensetzenden Konvention der LAG-VSW ermöglichen, verdeutlichen auch, dass in diesem Zusammenhang der apodiktisch erscheinende Begriff "Tabubereich" zumindest unglücklich gewählt ist, so dass eher von "Schutz- oder Vorsorgeabständen" gesprochen werden sollte. Muss aus Sicht der Landesregierung – bejahendenfalls mit welchem Inhalt – die Ausweisung entsprechender Ausschluss-/Tabubereiche im Flächennutzungsplan erfolgen? Zu Frage 2: Zur Steuerung der Windenergienutzung wurden im Landesentwicklungsplan, Teilabschnitt „Umwelt (Vorsorge für Flächennutzung, Umweltschutz und Infrastruktur)“ vom 13. Juli 2004 (Amtsbl. S. 1574) Vorranggebiete für Windenergie (VE) festgelegt. Gemäß Ziffer 64 des Landesentwicklungsplans, Teilabschnitt „Umwelt“, Teil A: Textliche Festlegungen, sind in Vorranggebieten für Windenergie (VE) alle Planungen, die in VE Grund und Boden in Anspruch nehmen, auf die Belange der Gewinnung von Windenergie in der Weise auszurichten, dass eine rationelle Nutzung der Windenergie gewährleistet ist. In den Vorranggebieten für Windenergie sollen vorrangig Windparks errichtet werden. Nach Ziffer 65 war die Errichtung von Windkraftanlagen außerhalb von Vorranggebieten für Windenergie (VE) ursprünglich ausgeschlossen. Drucksache 15/927 (15/882) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 4 - Um einen weiteren Ausbau der Windenergie und eine Errichtung von Windenergieanlagen auch außerhalb der bisherigen Vorranggebiete für Windenergie zu ermöglichen , wurde die landesplanerisch festgelegte Ausschlusswirkung mit der Verordnung über die 1. Änderung des Landesentwicklungsplans, Teilabschnitt „Umwelt (Vorsorge für Flächennutzung, Umweltschutz und Infrastruktur)“ betreffend die Aufhebung der landesplanerischen Ausschlusswirkung der Vorranggebiete für Windenergie vom 27. September 2011 (Rechtskraft mit Veröffentlichung im Amtsblatt des Saarlandes am 20. Oktober 2011, Nr. 34, Seite 342) aufgehoben. Die nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten Windenergieanlagen sind damit auch außerhalb von Vorranggebieten für Windenergie, soweit keine sonstigen öffentlichen Belange entgegenstehen, zulässig. Entgegenstehende öffentliche Belange sind gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (Planvorbehalt) auch die Darstellungen im Flächennutzungsplan der Gemeinde. Die Gemeinden haben daher um einem entsprechenden Wildwuchs vorzubeugen, die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Planungshoheit eigenständig Flächen für die Nutzung der Windenergie im Flächennutzungsplan darzustellen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, nach § 5 i.V.m. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB Windenergieanlagen im übrigen Gemeindegebiet auszuschließen (Konzentrationszonen für Windenergieanlagen im Flächennutzungsplan). Eine Verpflichtung der Gemeinden eine räumliche Steuerung auf der Ebene der Bauleitplanung vorzunehmen besteht allerdings nicht. Die Voraussetzungen von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB liegen nur vor, wenn der Konzentrationszonendarstellung ein schlüssiges Plankonzept zugrunde liegt, das sich auf den gesamten Außenbereich des jeweiligen Planungsraums erstreckt. Das Planungskonzept muss so ausgerichtet sein, dass eine Windenergienutzung auf Grund der ermittelten Windhöffigkeit tatsächlich möglich ist. Der Planungsträger muss die Entscheidung des Gesetzgebers, Windenergieanlagen im Außenbereich zu privilegieren (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), beachten und für die Windenergienutzung im Plangebiet in substantieller Weise Raum schaffen. Für die Steuerung der Windkraftnutzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 4 CN 1.11 und BVerwG 4 CN 2.11) die Ausarbeitung eines Plankonzeptes in vier Arbeitsschritten erforderlich. In einem ersten Arbeitsschritt sind diejenigen Flächen auszusondern, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für eine Windenergienutzung nicht in Frage kommen (sog. harte Tabuzonen). Diese Flächen sind im weiteren Planungsverfahren von vornherein einer Windenergienutzung entzogen, ohne dass es einer näheren Untersuchung bedarf und ohne dass der Plangeber dazu planerischen Ermessensspielraum hat. In einem zweiten Arbeitsschritt kann der Planungsträger weitere Flächen ausschließen , die nach seinen planerischen Zielsetzungen für die Windenergienutzung von vornherein nicht zur Verfügung stehen sollen (sog. weiche Tabuzonen, z. B. zur Lärmvorsorge). Auf diesen Flächen wäre Windenergienutzung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen zwar generell möglich. Der Plangeber schließt diese Flächen aber nach eigenem Ermessen durch selbst gesetzte, abstrakte, typisierte und für den gesamten Planungsraum einheitlich anzuwendende Kriterien für die Windenergienutzung aus. Eine Begründung zur Notwendigkeit und zur Bestimmbarkeit der ausgeschlossenen Flächen ist erforderlich. Die weichen Tabuzonen werden im weiteren Planungsverfahren ebenfalls nicht weiter einbezogen. Drucksache 15/927 (15/882) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 5 - Nach Aussonderung der harten und weichen Tabuzonen verbleiben Potenzialflächen (Suchflächen), die für die Festlegung von Konzentrationszonen für die Windenergie im Planungsraum in Betracht kommen. Sie sollen in einem dritten Arbeitsschritt zu den auf ihnen konkurrierenden Nutzungen in Beziehung gesetzt werden. Die Belange, die gegen die Konzentrationszonen für die Windenergie sprechen könnten, sind flächenbezogen mit dem Anliegen abzuwägen, der Windenergienutzung an geeigneten Standorten Raum zu geben, der in Umfang und Eignung ihrer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 Baugesetzbuch gerecht wird. Die Abwägungsentscheidung ist jeweils nachvollziehbar darzulegen. Hat ein Plangeber bei Arbeitsschritt 2 bewusst darauf verzichtet , ein bestimmtes Kriterium von vornherein pauschal für den Planungsraum als weiches Tabukriterium zu Grund zu legen, vergrößert dies den Anteil der zunächst verbleibenden Potenzialflächen und den Abwägungsbedarf bei Arbeitsschritt 3. In einem vierten Arbeitsschritt ist zu prüfen, ob die ausgewählten Konzentrationszonen ein hinreichendes Flächenpotenzial für die Windenergienutzung gewährleisten und ob der Windenergie substanziell Raum verschafft wird. Hierzu gibt es unterschiedliche Methoden. Die Prüfung kann beispielsweise anhand der Bewertung des Größenverhältnisses zwischen der Gesamtfläche der vorgesehenen Konzentrationszonen und der Gesamtfläche der Potenzialflächen, welche sich nach Abzug der harten Tabuzonen ergibt, erfolgen. Trägt das Planungskonzept nicht dazu bei, der Windenergienutzung im Planungsraum substanziell Raum zu verschaffen, ist der Arbeitsschritt 3 zu wiederholen. Kann auch über eine andere Bewertung der Potenzial-flächen kein ausreichender Raum für die Windenergienutzung im Planungsraum ausgewiesen werden, ist auch der Arbeitsschritt 2 zu wieder holen. Demnach müssen bei den weichen Tabuzonen Änderungen vorgenommen werden. Sofern nicht unter Frage 1 beantwortet: Ist nach Auffassung der Landesregierung die Nutzung von Windkraft für den Bereich unter 1.500 m zu Fortpflanzungsstätten des Rotmilans möglich? Wenn ja, unter welchen konkreten Voraussetzungen und auf Grund welcher konkreten Rechtsprechung? Zu Frage 3: Die für die Planungspraxis besonders bedeutsame Abstandsempfehlung von 1.500 m um Fortpflanzungsstätten des Rotmilans wurde auf Grund der bereits unter den Erläuterungen zu Frage 1 genannten "besten einschlägigen wissenschaftliche Erkenntnisse " gegenüber der vorherigen Dimension von 1000 m erhöht. Diese Anpassung beruht maßgeblich auf einer umfassenden und fachlich fundierten mehrjährigen (2007-2010) Telemetrie-Studie von MAMMEN et al. (2010) auf Basis von 2.760 Ortungen in 5 (für mitteleuropäische Verhältnisse typischen) Untersuchungsgebieten. Aus dieser Untersuchung geht eine entsprechende Nutzungsfrequenz von Rotmilan-Individuen (Revierpaaren ) in unterschiedlichen Distanzen zu den Horsten hervor (50 % innerhalb von 1000 m, 75 % innerhalb von 1500 m). Dass diese Aktivitäten – wie unter Frage 1 bereits ausgeführt - naturgemäß (allein schon auf Grund unterschiedlicher Beschaffenheiten des Horstumfelds und infolgedessen differenzierter Eignung von Teilflächen als Nahrungshabitat) nicht kreisförmig um den Horst verlaufen (vgl. auch VG Hannover, Urt. v. 22.11.2012 – 12 A 2305/11), liegt auf der Hand, so dass im Genehmigungsverfahren die einzelfallbezogene Betrachtung der Raumnutzung erforderlich ist. Drucksache 15/927 (15/882) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 6 - Einschränkend muss allerdings an dieser Stelle angemerkt werden, dass aus der vorgenannten Studie von MAMMEN et al. (2010) auch hervorgeht, dass auch Aktionsraumanalysen keine vollständige Abbildung der langjährigen Raumnutzung eines Revierpaars erlauben, da Rotmilane nicht nur dorthin fliegen, wo sie tatsächlich Nahrung vorfinden, sondern auch solche Strukturen (v.a. Grenzlinien) patrouillieren, wo sie Nahrung erwarten, und zudem teilweise starke jährliche Abweichungen zu beobachten sind. Auch angesichts der Tatsache, dass eine den wissenschaftlichen Maßstäben genügende Funktionsraumanalyse mittels Telemetrie und entsprechender Auswertung einen hohen materiellen und zeitlichen Aufwand mit sich bringt, wird in der Planungspraxis in den meisten Fällen auf die Frequenz der Habitatnutzung durch die beobachteten Individuen Bezug genommen. Hieraus lassen sich durchaus Jagdgebiete hoher, mittlerer und eher geringer Bedeutung kategorisieren. Neben der hohen Bedeutung der spezifischen Beschaffenheit der Freilandflächen (Grünland, Feldfrüchte) im Homerange eines Rotmilans ziehen Ernteereignisse die Tiere (in der Erwartung von dort befindlichen Kleinsäugern, auch Kadaver) regelmäßig stark an, so dass solche Flächenteile ebenfalls in der Raumnutzungs-Frequenz bedacht werden müssen. Trotz dieser Erkenntnisse sind Funktionsraumanalysen dazu geeignet, einschlägige Vermeidungs - und Minimierungsmaßnahmen grundsätzlich verorten und planen zu können. Auf Ebene der Flächennutzungsplanung wird sich eine solche Analyse regelmäßig auf eine überschlägige (gleichwohl methodisch saubere) Einschätzung der Nutzungsintensität der jeweiligen Flächenanteile (Wald, Grenzlinien-Strukturen, Grünland, Acker etc.) beschränken müssen, während auf Ebene der Genehmigungsplanung mit dann bekannter Anlagenanzahl, deren Höhe, Rotordurchmesser und Anordnung im Raum eine detailliertere Herangehensweise mit entsprechend erhöhter Beobachtungs- Frequenz und Datendichte erforderlich ist. Grundsätzlich wird man einen umso höheren Detaillierungsgrad der Betrachtung der Raumnutzung einer betroffenen Vogelart ansetzen müssen, je geringer die Distanz zwischen dem Standort einer geplanten Windenergieanlage und einer Fortpflanzungsstätte bzw. einem für die Art attraktiven Nahrungs-/Jagdhabitat ist. Die Erkenntnisse aus der o.g. Studie werden auch von der aktuellen Rechtsprechung aufgenommen, z.B. durch das Verwaltungsgericht Kassel, das sowohl den ursprünglichen sog. "Tabu-Bereich" der o.g. Fachkonvention der LAG-VSW von 1000 m um die Fortpflanzungsstätte eines Rotmilanpaars bestätigt hat (VG Kassel, Urt. v. 20.10.2010 – 7 K 2768 04 KS), wie auch in einem neueren Urteil (VG Kassel, Urt. v. 15.06.2012 – 4 K 749/11.KS) das Überwiegen artenschutzrechtlicher Belange gegenüber einem WEA-Vorhaben innerhalb eines regelmäßig genutzten Aktionsraums des Rotmilans innerhalb des zu betrachtenden Prüfbereichs (hier sogar noch 6000 m zu Grunde gelegt , aktuell 4000 m) bestätigt, obwohl innerhalb des früher angesetzten 1000 m- Ausschlussbereichs in diesem Fall keine Anlagen geplant waren. Aus dieser Rechtsprechung geht hervor, dass also sogar über den als "Ausschlussbereich " definierten 1500 m-Radius hinaus eine artenschutzrechtliche Unzulässigkeit von WEA-Vorhaben gegeben sein kann, wenn bestimmte Umstände diese Schussfolgerung bedingen. Wesentlich sind bei der Einzelfallbetrachtung Zahl und räumliche Anordnung und eben Abstand der betroffenen Fortpflanzungsstätte(n) von den einzelnen Windenergieanlagen und ebenso deren Zahl, Anordnung und Höhe (Typ). Wie bereits unter Frage 1 angesprochen und mit Beispielen aus der einschlägigen Rechtsprechung ergänzt, sind hierbei auch mögliche artenschutzrechtliche Vermeidungs-, Minimierungs -, Kompensations- und sonstige Schutzmaßnahmen in die behördliche Ermessensentscheidung einzustellen. Drucksache 15/927 (15/882) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 7 - So können gerade beim Rotmilan die anlagennahe Flächengestaltung in Kombination mit weiter entfernten Attraktivierung von Nahrungshabitaten sowie phasenweise Abschaltungen nach Ernteereignissen im Wirkumfeld einer Anlage effektive Instrumente zur Bewältigung auch nur temporär signifikant erhöhter Konfliktlagen darstellen (vgl. u.a. VG Kassel, 15.06.2012 – 4 K 749/11 KS; VG Arnsberg Urt. v. 22.11.2012 – 7 K 2633/10; OVG NRW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08) und kann demnach auch bei formaler Unterschreitung des 1500 m – Abstands eine artenschutzrechtliche Zulassungsfähigkeit gegeben sein. Ein klassisches Beispiel wäre ein Rotmilanhorst am Rande eines ausgedehnten Fichtenforsts mit einseitig vorgelagerten weitreichenden strukturreichen Grünland-Flächen. In solchen Fällen kann von einer starken Frequentierung der attraktiven Nahrungsbereiche des offenen strukturreichen Grünlands und einer entsprechend geringen bis möglicherweise ausbleibenden Nutzung des Fichtenforsts ausgegangen werden. Gleichwohl können aber gerade im Frühjahr auch möglicherweise vorhandene Waldinseln hochattraktive Nahrungsflächen darstellen, die inmitten des grundsätzlich unattraktiven Waldbereichs liegen. Ebenso sind je nach Ausdehnung der Waldflächen auch Überflüge in weiter entfernte Nahrungsgebiete denkbar, so dass auch solche Situationen nicht pauschalisiert werden dürfen. Wann unterliegt der Rotmilan nach Auffassung der Landesregierung im Rahmen der Nutzung von Windenergie einem "signifikant erhöhten Tötungsrisiko "? Welche konkreten gerichtlichen Entscheidungen hat die Landesregierung zur Beantwortung dieser Frage herangezogen (bitte Angabe Gericht, Entscheidungsdatum und Aktenzeichen)? Zu Frage 4: Diese Frage kann ebenfalls nur auf den konkreten Einzelfall (mit den jeweiligen abiotischen und biotischen Rahmenbedingungen) bezogen, seriös beantwortet werden. Im bereits oben unter Frage 3 zitierten Urteil des VG Kassel vom 15.06.2012 – 4K 749/11.KS - wurde entschieden, dass die Errichtung einer Windkraftanlage innerhalb eines wesentlichen Nahrungshabitats des Rotmilans unzulässig ist und das signifikant erhöhte Tötungsrisiko nicht durch bestimmte Maßnahmen vermieden oder spürbar verringert werden könne. Bei der Frage des signifikant erhöhten Kollisionsrisikos war der von der LAG VSW (2007) empfohlene Ausschlussbereich von 1000 m und Prüfbereich von 6000 m von maßgeblicher Bedeutung. Das VG geht im Urteil vom 15.06.2012 in Übereinstimmung mit dem Urteil des VG Kassel vom 20.10.10, Az.: 7K- 2768/04.KS, davon aus, dass ein signifikant erhöhtes Risiko innerhalb des Ausschlussbereichs (1000 m) immer vorliegt und innerhalb des Prüfbereichs dann, wenn sich hier mehrere für den Rotmilan attraktive, nicht nur kurzzeitig bzw. zeitweise zur Verfügung stehende Nahrungshabitate befinden oder die Anlagen innerhalb eines Flugkorridors gebaut werden sollen und dies durch Untersuchungen belegt ist (vgl. Urteil ThürOVG vom 14.10.09, 1KO 372/06). Im vorliegenden Fall wurden die Nahrungshabitate nahezu ganzjährig von den Rotmilanen genutzt, so dass Vermeidungsmaßnahmen wie z.B. die temporäre Abschaltung keine spürbare Verringerung des Kollisionsrisikos gebracht hätten und der Betreiber keinen Einfluss auf alle Nahrungshabitate hatte. Drucksache 15/927 (15/882) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - - 8 - Für die Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos genügt es nicht alleine, dass ein Gebiet von Rotmilanen regelmäßig aufgesucht wird (vgl. VG Arnsberg Urt. v. 22.11.2012 – 7 K 2633/10), sondern (von mehreren Vögeln bzw. mehreren Individuen verschiedener Paare) überwiegend aufgesucht wird (vgl. VG Kassel, 15.06.2012 – 4 K 749/11 KS). Außerhalb des o.g. von der LAG-VSW empfohlenen Schutz-Bereichs bedarf es greifbarer Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer besonderen Prüfung (Thür OVG, Urt. v. 14.10.2009 – 1 KO 372/06). Das Urteil des VG Kassel sowie auch zwei die signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos bejahende Urteile (HessVG, Urt. v. 17.12.2013 - 9 A 1540/12.Z; VG Cottbus, Urt. v. 07.03.2013 – VG 4 K 6/19) beziehen sich auf Situationen, in denen das betroffene Gebiet den regelmäßigen Aktionsraum von mehreren Rotmilanpaaren repräsentierte, in einem Fall befanden sich sogar 9 Brutpaare im dort angesetzten Prüfradius von 6 km, im anderen Fall fünf Rotmilan- Brutplätze in Abständen zwischen 630 bis 2875 m. Die Fragen Nr. 3 und 4 rekurrieren grundsätzlich auf die naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative bei der behördlichen Ermessensentscheidung im Ramen von Genehmigungsverfahren. Eine solche wurde der zuständigen Behörde mehrfach in der aktuellen Rechtsprechung zuerkannt (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14.07; Urt. v. 12.08.2009 – 9 A 64.07; Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12.10) und spezifisch auch für immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren betont (OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.04.2011 – 12 ME 274/10; VG Halle, Urt. v. 24.03.2011 – 4 A 46/10). Die Einschätzungsprärogative kommt auf zwei Ebenen zum Tragen: erstens im Rahmen der Erfassung des Bestands der geschützten Arten und zweitens bei der Bewertung der Gefahren , denen die Exemplare der geschützten Arten bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sein würden (VG Hannover, Urt. v. 22.11.2012 – 12 A 2305/11). Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es anerkannt, dass Beurteilungsspielräume der Verwaltung unter anderem bei komplexen Gefährdungslagen, über die noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Resultate vorliegen, bestehen. Die Rechtsanwendung ist daher auf die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis angewiesen. Wie LAU (2011) ausführt, darf mit Prognosewahrscheinlichkeiten , Schätzungen und – soweit der Sachverhalt damit angemessen erfasst werden kann – mit Worst-Case-Annahmen gearbeitet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.08.2009 – 9 A 64.07; BVerwG, Urt. v. 18.03.2009 – 9 A 39.07).