LANDTAG DES SAARLANDES 16. Wahlperiode Drucksache 16/369 (16/308) 30.04.2018 A N T W O R T zu der Anfrage des Abgeordneten Ralf Georgi (DIE LINKE.) der Abgeordneten Dagmar Ensch-Engel (DIE LINKE.) betr.: Aktuelle Situation der Vögel im Saarland - Ursachen des Vogelsterbens Vorbemerkung der Fragesteller: „Die Zahl der Vögel in Europa und in Deutschland ist besorgniserregend geschrumpft. Beispielsweise ist nach Auskunft der Bundesregierung in der EU insgesamt die Zahl der Brutpaare in den landwirtschaftlichen Gebieten zwischen 1980 und 2010 um 300 Millionen zurückgegangen, ein Minus von 57 Prozent. Auch im Saarland wird von vielen Menschen ein Rückgang der Vögel beobachtet. Die derzeitige Rote Liste der Vögel des Saarlandes dokumentiert 16 ausgestorbene, 15 vom Aussterben bedrohte, 8 stark gefährdete und 7 gefährdete Vogelarten. Fakt ist, dass das Totalherbizid Glyphosat mitursächlich für das dramatische Insekten- und Vogelsterben ist. Über die aktuelle Situation der Vögel im Saarland ist kaum etwas bekannt, allerdings müssen auch im Saarland nach der EU-Vogelschutzrichtlinie Daten erhoben und ausgewertet werden.“ Vorbemerkung der Landesregierung: Die Artengruppe der Vögel ist die am besten untersuchte Tiergruppe im Saarland. Seit über 150 Jahren forschen Vogelkundler über die Verbreitung der Vögel im Saarland. Dies beruht insbesondere auf der hohen Attraktivität der Artengruppe, die sich auch aktuell in einer hohen Anzahl aktiver Avifaunisten zeigt. Ausgegeben: 02.05.2018 (13.03.2018) Drucksache 16/369 Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - - 2 - Wie oft und durch wen werden Daten zur Vogelfauna im Saarland erhoben (Vogelmonitoring)? Zu Frage 1: Es gibt eine einmalige Grunderfassung für NATURA 2000-Vogelschutzgebiete, die in den letzten Jahren vom Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz durchgeführt wurde. Diese Grunderfassung bildete die Grundlage für die inhaltliche Ausgestaltung der NATURA 2000-Schutzgebietsverordnungen. Die Erfassungen in den NATURA 2000-Gebieten werden im Rahmen des von der EU vorgegebenen NATURA 2000- Monitorings weitergeführt. Darüber hinaus gibt es eine ständig laufende ehrenamtliche, unsystematische Datenerhebung durch Mitarbeiterinnen des Ornithologischen Beobachterrings Saar (OBS), deren Daten z. B. unter https://www.ornitho.de/ einsehbar sind. Zusätzlich werden zwei bundesweite Vogelerfassungsprogramme (Kartierung häufiger und seltener Brutvögel) auch im Saarland systematisch durchgeführt, deren Ergebnisse zentrale Grundlage der Bewertungen sind. Diese Daten werden dem Land vom OBS in bestimmten zeitlichen Abständen auf Anfrage zur Verfügung gestellt. Das Saarland finanziert die Staatliche Vogelschutzwarte mit, daher besteht ein ständiger fachlicher Austausch. Die ebenfalls mit Landesmitteln unterstützte NABU- Vogelberingungsstation am „Ikea“-Biotop in Saarlouis-Lisdorf liefert wertvolle Grundlagendaten . Dem Land liegen darüber hinaus im Rahmen von Anträgen auf Genehmigung von Vorhaben, die mit Eingriffen in Natur- und Landschaft verbunden sowohl Bestandserhebungsdaten vor, als auch Monitoringdaten, sofern ein Monitoring in der Genehmigung beauflagt wurde. Diese Daten werden von der Behörde zur Überwachung der Einhaltung von Auflagen genutzt, stehen aber für allgemeine Auswertungen nicht zur Verfügung. Erwähnt werden kann in diesem Zusammenhang auch, dass der NABU in speziellen Aktionen wie z.B. „Stunde der Gartenvögel oder Wintervögelbeobachtung in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung regelmäßig Daten erhebt. Schließlich wäre auch noch auf den Atlas der Brutvögel des Saarlandes hinzuweisen, in dem Daten zur Verbreitung der Brutvögel mit Rasterkarte zu jedem Brutvogel zu finden sind. Aus welchem Jahr stammt die Rote Liste der Vögel im Saarland und wann wird sie aktualisiert? Zu Frage 2: Die letzte Rote Liste der Brutvögel stammt aus dem Jahr 2008, wird gerade aktualisiert und wird wahrscheinlich noch 2018 erscheinen. Die Rote Liste der Brutvögel des Saarlandes wird vom OBS in Zusammenarbeit mit der Landesregierung erstellt. Drucksache 16/369 Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - - 3 - Welche Entwicklung ist beim Brutvogelvorkommen der einzelnen Vogelarten im Saarland seit dem Jahr 2000 festgestellt worden? (Bestandsentwicklung , Zahlen der Bestandsgröße - bitte graphisch aufbereiten). Bei welchen Vogelarten sind deutliche Rückgänge, bei welchen Vogelarten deutliche Zunahmen zu verzeichnen? Zu Frage 3: Bestandsentwicklung allgemein (Trend): 1. Offenland: anhaltender Rückgang in unterschiedlicher Höhe je nach Art 2. Wald: stabile Populationen (nicht zunehmend) 3. Siedlung: leichter Rückgang bei fast allen Arten (außer Rabenkrähe, Elster) Zahlen zu Bestandsgrößen und zur Bestandsentwicklung bestimmter gefährdeter Vogelarten sind erst mit Vorliegen der neuen Roten Liste der Vögel des Saarlandes - voraussichtlich Ende des Jahres 2018- darstellbar. Nach dem aktuellen Kenntnisstand sind bei fast bei allen Vogelarten mehr oder weniger starke Rückgänge zu verzeichnen. In den letzten Jahren wurden v.a. bei häufigen und sehr häufigen Arten wie beispielsweise der Amsel, dem Star oder dem Haussperling Bestandseinbrüche beobachtet. Sehr deutliche Rückgänge sind auch bei Bodenbrütern wie Kiebitz, Bekassine, Braunkehlchen , aber auch bei Rebhuhn, Wachtel und Feldlerche festzustellen. Zu weiteren Arten mit deutlichen Rückgängen gehören Raubwürger (vom Aussterben bedroht) und Turteltaube. Deutliche Zunahmen gibt es bei den invasiven Neozooen wie Nilgans oder Kanadagans . Welches sind die wesentlichen Ursachen für diese deutlichen Rückgänge bzw. Zunahmen? Welche Rolle spielt nach Ansicht der Landesregierung bspw. dabei der Anbau von Mais oder der Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und Insektiziden? Welchen Einfluss haben Prädatoren wie Waschbären, Füchse usw. auf die Entwicklung von Brutvogelbeständen im Saarland? Zu Frage 4: Folgende bundesweit bekannten Hauptursachen können genannt werden: Veränderungen (Intensivierung) der Landbewirtschaftung: - Abnahme extensiver Landnutzungsformen; Zunahme von intensiv bewirtschaftetem Dauergrünland - Abnahme und Fehlen von artenreichen und strukturgebenden Landschaftselementen als Brut- und Nahrungshabitate - Verbrachung von extensiven Grünlandflächen (Rückgang Wiesenbrüter) - Intensive Ackernutzung Drucksache 16/369 Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - - 4 - Herbizide werden bei konventionellem Ackerbau (auch im Mais) regelmäßig angewandt um den Nutzpflanzenaufwuchs zu schützen und zu optimieren und frei von störenden Begleitpflanzen zu halten. Im erforderlichen Maß gilt dies auch für Insektizide. Das bedeutet in der Konsequenz, dass überall dort, wo Ackerbau größere und zusammenhängende Flächen einnimmt, der Lebensraum für eine artenreiche Begleitflora , für Insekten und von diesen lebende Vögel sehr eingeschränkt ist. Im Saarland gibt es jedoch noch einige Regionen mit überwiegend extensiver Landbewirtschaftung und einer relativ kleinteiligen Flächenstruktur mit artenreichen Säumen. Freizeitnutzung in der Fläche (Störanfälligkeit vieler Vögel) - Zunahme der Störung in sensiblen Zonen durch nicht gelenkte Outdoorsportarten (Joggen, Mountainbiking, Nordic-Walking, Kanusport, Geocaching, Querfeldeinläufe (Mission Mudder) - z.T. auch mit Lampen in der Dunkelheit Erneuerbare Energien (Windkraftanlagen und Biogasanlagen) - Einige Brutvögel (auch Fledermäuse) gelten als windkraftsensibel. Die konsequente Anwendung der artenschutzrechtlichen Regelungen bei den Genehmigungsverfahren mit entsprechenden Auflagen schließt ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für diese Arten aus. Dennoch kann es bei diesen Vogelarten im Einzelfall zu Schlagopfern (bei Fledermäusen zu Barotraumata) kommen. Abgesehen vom Individuenbezug des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots ist dann davon auszugehen , dass es zu keiner erheblichen Auswirkung auf den Erhaltungszustand der Populationen der entsprechenden Arten kommt. - Biogasanlagen spielen mittelbar eine Rolle, da hierfür zurzeit als Hauptsubstrat meist der energiereiche Mais angebaut wird. Maisfelder sind z.B. für Bodenbrüter als Bruthabitat nur sehr eingeschränkt verwendbar. Allerdings ist der Maisanbau im Saarland aufgrund der geringen Anzahl von Biogasanlagen in den letzten 20 Jahren nur unwesentlich angestiegen. Die Maisanbaufläche im Saarland beträgt rund 10 Prozent an der Ackerfläche. Veränderung der Garten- und Grünanlagenstruktur in Dörfern und Städten - Naturferne Vorgartenstruktur - Keine Nutzgärten; wenige Obstgärten, pflegeleichte, arten- und strukturarme Ausgestaltung von Gärten und Grünflächen Vogelschlag an Glasflächen - Die Länderarbeitsgemeinschaft der Staatlichen Vogelschutzwarten (LAG-VSW) nehmen an, dass an Glasscheiben in Deutschland jedes Jahr viele Millionen Vögel verunglücken, vermutlich über 100 Millionen oder sogar deutlich mehr. Diese Annahme muss ins Verhältnis gesetzt werden zu a) der Zahl von rund 70 – 100 Millionen Vogelbrutpaaren in Deutschland, was nach der Brutzeit durch die Zahl der Jungvögel mehrere 100 Millionen Individuen ergibt, und Drucksache 16/369 Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - - 5 - b) der Zahl von 170 – 500 Millionen durchziehenden und überwinternden Gastvögeln in Deutschland. Es wird insgesamt deutlich, dass der Faktor Glas für die Vogelpopulationen Deutschlands und Europas eine sehr hohe Relevanz als Mortalitätsfaktor besitzt. Der Einfluss von Prädatoren auf die Entwicklung von Brutvogelbeständen wurde bisher im Saarland nicht untersucht. Da der Waschbär im Saarland noch nicht so verbreitet und häufig ist wie in andern Bundesländern, ist ein Einfluss bisher nicht erkennbar. Auch für den Fuchs gibt es bisher im Saarland keine Anzeichen und Meldungen für einen messbaren Einfluss auf die Vogelfauna. Hauptbeute des Fuchses sind (Feld)Mäuse, Regenwürmer und Früchte. Dagegen können als Hauptprädator für unsere heimische Vogelwelt die zahlreichen Hauskatzen benannt werden. Sie haben einen sehr großen Einfluss auf die Brutvogelbestände . Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bisher unternommen bzw. plant die Landesregierung, um einem Rückgang der Vögel im Saarland entgegenzuwirken Zu Frage 5: 1. Ausweisung von NATURA 2000-Vogelschutzgebieten und Beachtung von Planungsbelangen bei der FFH-Vogelschutzrichtlinie Im Saarland sind 118 FFH-Gebiete mit einer Fläche von 26.575 Hektar (10,2 Prozent der Landesfläche) und 41 Vogelschutzgebiete mit 23.910 Hektar (9,2 Prozent der Landesfläche) als Natura 2000-Gebiete ausgewiesen. Da diese Gebiete sich teilweise überschneiden, besteht das Netz Natura 2000 im Saarland insgesamt aus 125 Gebieten mit einer Fläche von 30.178,2 Hektar; das entspricht 11,7 Prozent der Landesfläche. Alle Schutzgebiete sind aktuell per Verordnung unter Schutz gestellt, lediglich ein Gebiet befindet sich noch im laufenden Ausweisungsverfahren. In den Verordnungstexten sind die Schutzziele für zu schützende Arten und Lebensräume explizit dargestellt. Weiterhin sind Pflichtmaßnahmen zum Erhalt der Zielarten und – lebensräume aufgeführt. Sie müssen von den betroffenen Bewirtschaftern langfristig eingehalten werden. Insofern sind die Habitat- und Fortpflanzungsbedingungen für die Vogelfauna gerade in diesen Schutzgebieten gut bis optimal und tragen somit zur Stabilisierung der Populationen maßgeblich bei. 2. Umsetzung von Förderprogrammen wie z. B. - Förderung von Gebäudebrütern Gegen den zunehmenden Verlust von Brutplätzen für Gebäudebrüterarten durch Gebäudesanierungen und Wärmedämmungen an Gebäuden. Haussperlinge und Mauersegler sind in den letzten Jahrzehnten derart zurückgegangen, dass beide Gebäudebrüterarten in die Rote Liste der bedrohten Tierarten aufgenommen worden sind. Mit geeigneten Nisthilfen kann den Arten geholfen werden. Im Rahmen der Umsetzung der saarländischen Biodiversitätsstrategie sollen in den nächsten zwei Jahren gerade im besiedelten Bereich gezielt Projekte und Maßnahmen durchgeführt werden, die gebäudebewohnende Tierund Pflanzenarten und somit v.a. auch Vogelarten gefördert werden. Drucksache 16/369 Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - - 6 - - Förderung von Streuobstwiesen im Rahmen der ELER-Förderung (AUKM) Gefördert werden Altbestand-Streuobstwiesen genauso wie Neuanpflanzungen. Extensive Streuobstwiesen sind wichtige Habitate für selten gewordene Brutvogelarten (Spechte). - Förderung von Blühflächen/Blühstreifen in der Feldflur über AUKM (Prämiensatz: 600,- € je Hektar): Blühflächen dürfen auf jeweils maximal 2 ha je Schlag bei einer Mindestgröße von 0,10 ha pro beantragtem Schlag angelegt werden. Blühstreifen entlang von genutzten Äckern sind wichtige Rückzugsräume für Insekten und bodenbrütende Vogelarten. - Förderung von innerörtlichen Blühflächen (Aktionsprogramm „Dem Saarland blüht was“, 2017 standen dafür insg. 300.000 € zur Verfügung): Umwandlung von brachliegenden innerörtlichen Flächen in attraktive Blühflächen mit regionaltypischen Pflanzen, um damit Bienen und anderen Insekten als reichhaltige und dauerhafte Nahrungsgrundlage zu dienen. Insektenvielfalt bedeutet in diesem Zusammenhang gleichzeitig zusätzliches Nahrungsangebot für Brutvögel im besiedelten Bereich. - Ausbau der Ökolandbau-Fläche (= ELER-Förderung) Der Anteil ökologisch bewirtschafteter Fläche im Saarland von derzeit 15,7% soll konsequent weiter ausgebaut werden. Das Saarland nimmt hier bundesweit eine Spitzenstellung ein. Auf ökologisch bewirtschafteten Flächen werden keine synthetischen Dünger oder Pestizide eingesetzt. Insofern ist die stoffliche Grundbelastung hier deutlich geringer als auf konventionell bewirtschafteten Flächen. - Im Bereich des Staatsforstes wird im Rahmen der naturnahen Forstwirtschaft der Schutz von Specht- und Hohlenbäumen festgeschrieben (Saarforstinterne Bewirtschaftungsrichtlinien ). Auch die Horstschutzvereinbarung, die zwischen Saarforst, OBS und NABU Landesverband Saarland abgeschlossen wurde, dient dem Schutz von Greif- und Großvögeln auf Saarforst-Flächen. - Auch die mit Landesmitteln unterstützten NABU-Projekte am Dillinger Saarsee („Ökosee“) bzw. den „Alt- und Totholz-“ und „Sumpfdotterblumen“-Projekten helfen der Vogelwelt. Insbesondere mit der Umgestaltung des Dillinger Saarsees durch den NABU Saarlouis wurde ein herausragendes Biotop für die saarländische Avifauna geschaffen. - Neben den schon länger etablierten Großschutzgebieten dient der jüngst eingerichtete Nationalpark u.a. auch der Vogelwelt. Ähnliches gilt für das Naturschutzgroß -Projekt „Landschaft der Industriekultur Nord“ und auch für den „Urwald vor den Toren der Stadt“. - Generell führen alle Maßnahmen in der Saarländischen Biodiversitätsstrategie integrativ zur Verbesserung der Habitatsituation für gefährdete Tier- und Pflanzenarten . Die Vogelfauna profitiert von diesem breiten Maßnahmenspektrum gleichermaßen .