LANDTAG DES SAARLANDES 16. Wahlperiode Drucksache 16/536 (16/463) 03.09.2018 A N T W O R T zu der Anfrage der Abgeordneten Dennis Lander (DIE LINKE.) und Barbara Spaniol (DIE LINKE.) betr.: Gedenken an Euthanasie-Opfer an der Uniklinik Homburg Vorbemerkung der Fragesteller: „Im Saarland wurden in der Nazi-Zeit zwischen 1935 und 1944 etwa 2350 Menschen zwangssterilisiert , die Mehrzahl im damaligen Landeskrankenhaus Homburg. Von den zwischen 1150 bis 1600 Patienten der psychiatrischen Anstalten Homburg und Merzig wurden in der Nazizeit deutlich über 1000 deportiert und ermordet. Viele der Täter kamen nach dem Ende des Krieges und der Nazi-Barbarei ungeschoren davon. So wurde etwa der Homburger Arzt Hans Heinrich Heene, der als Gutachter Menschen zur Vergasung bestimmt hatte , lediglich mit einer Geldbuße belangt. Heenes ehemaliger Assistent Rudolf Leppien machte nach 1945 Karriere in Merzig. Auch der Arzt und Funktionär Horst Friedel konnte weiter unbehelligt als Arzt praktizieren, weil gegen ihn 1947 zwar wegen ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ ermittelt wurde, dieses Verfahren aber 1958 eingestellt wurde. Der ehemalige Chef des Homburger Landeskrankenhauses Oskar Orth, der mitverantwortlich für ‚Euthanasie-Maßnahmen‘ war, wurde 1947 sogar Ehrenbürger Homburgs. Bis 1997 war eine Straße nach ihm benannt. An die Opfer von Euthanasie und Zwangssterilisation erinnert in Homburg dagegen nichts.“ Ausgegeben: 03.09.2018 (13.06.2018) Drucksache 16/536 (16/463) Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - - 2 - Vorbemerkung der Landesregierung: Die von den Fragestellern angesprochene Thematik von Zwangsterilisation und Euthanasie im Dritten Reich ist in der Festschrift des Universitätsklinikums 100 Jahre „1909 – 2009: Von der Pfälzischen Heil- und Pflegeanstalt zum Universitätsklinikum des Saarlandes UKS“ in einem Beitrag von Dr. Gisela Tascher „Nationalsozialismus und Landeskrankenhaus“ für das frühere Landeskrankenhaus Homburg beschrieben worden. Diese Autorin hat sich 2016 in ihrem Aufsatz „NS-Zwangssterilisationen. Handeln auf Befehl des Führers. Die illegale und streng geheime Zwangssterilisation der "Rheinlandbastarde " von 1937 und die Strafverfolgung der ärztlichen Täter nach 1945“ auch mit Fällen der Zwangssterilisation am Bürgerhospital Saarbrücken befasst. Dieses war neben dem Landeskrankenhaus Homburg, der Heil- und Pflegeanstalt Merzig und dem Kreiskrankenhaus Merzig eines der saarländischen Krankenhäuser, in denen Zwangssterilisationen durchgeführt wurden. Sowohl die Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes als auch das Universitätsklinikum verstehen es als Verpflichtung, sich diesen schweren und schwierigen Themen zu widmen, sie aufzuarbeiten und eine Erinnerungskultur zu entwickeln. Sie haben die Themen vor Jahren aktiv aufgegriffen und widmen sich ihnen immer wieder in Form von Vorträgen und Promotionsarbeiten. Die Landesregierung sieht in diesen und auch vielfältigen Aktivitäten außerhalb der Universität des Saarlandes und des Universitätsklinikums einen Beleg für einen verantwortungsvollen Umgang mit deutscher Geschichte im Sinne einer Erinnerungskultur , der sich gegen das Verdrängen und Verschweigen nationalsozialistischer Verbrechen richtet und damit zum Gedenken an die Opfer des Dritten Reiches beiträgt. Nicht zuletzt die 1993 erfolgte Umbenennung des damaligen „Oskar-Orth-Preis“ der Stadt Homburg für hervorragende Leistungen von Nachwuchsmedizinern in „Wissenschaftspreis der Stadt Homburg“ steht für einen Bewusstseinswandel und die Abkehr von den Mechanismen des „Verdrängens, Vergessens und Verschweigens“. Ist geplant, an der Uniklinik Homburg ähnlich wie an anderen Orten – beispielsweise in Form eines Mahnmals – an die Opfer von Euthanasie und Zwangssterilisation zu gedenken und wenn ja dann wie und ab wann? Wenn nein: warum nicht? Zu Frage 1: Die Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes plant wie schon in den letzten Jahren sich weiterhin des Themas Zwangsterilisation und Euthanasie insbesondere durch Veranstaltungen und Vorträge anzunehmen. Neben dem hiermit verbundenen Gedenken sollen Studierende, aber auch die Öffentlichkeit über die Verstrickung von Ärzten in das nationalsozialistische Unrechtssystem informiert werden. Für die jetzigen und künftigen Generationen von Medizin-und Zahnmedizin Studierenden sollen Impulse gesetzt werden, über die Gräueltaten der Ärzte und Zahnärzte während des Dritten Reiches nachzudenken und daraus Lehren für ihr eigenes zukünftiges Verhalten als Arzt oder Zahnarzt zu ziehen. Die Medizinische Fakultät und das Universitätsklinikum stehen auch anderen Formen des Gedenkens offen gegenüber. Es wurden daher bereits verschiedene Maßnahmen erörtert. Die Landesregierung wird sich in diesen Diskussionsprozess einbringen und sich für eine geeignete Form des Gedenkens einsetzen. Drucksache 16/536 (16/463) Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - - 3 - Plant die Landesregierung ähnlich wie in Hamburg ein öffentliches Gedenken an die Euthanasie- Opfer in Form einer Internetseite, auf der die Namen und ihre Geschichte veröffentlicht werden? Wenn nein: warum nicht? Zu Frage 2: Die Landesregierung prüft zurzeit, ob auf der Grundlage einer von Christoph Brass im Rahmen seiner Dissertation „Zwangssterilisation und Euthanasie im Saarland 1935 – 1945“ (2004) erstellten und im Landesarchiv verwahrten Patientenliste sowie anhand einer von der Homburger Doktorandin Claudia Flöter im Rahmen ihrer Dissertation „Zwangssterilisation und Euthanasie an neurologisch-psychiatrischen Patienten sowie Umgang mit ausländischen Patienten und Zwangsarbeitern im Landeskrankenhaus“ (2016) erstellten openoffice-Datenbank ein Abgleich mit Datenbeständen der Anstalt Bernburg sowie der bereits existierenden Opferdatenbank Hadamar möglich ist. Eine solche Aufarbeitung wird nicht vollständig sein können, da nicht alle Akten und Verlegungslisten zu verschiedenen Anstalten erhalten sind. Darüber hinaus waren sowohl vor als auch nach Schließung der Anstalten in Homburg und Merzig saarländische Patienten in Anstalten außerhalb des Saarlandes etwa in der Provinz Hessen- Nassau untergebracht und wurden zum Teil von dort ebenfalls über „Zwischenanstalten “ in die „Tötungsanstalten“ nach Hadamar oder Bernburg verbracht. Schwierig zu erfassen sein werden darüber hinaus auch die psychisch Kranken, die insbesondere nach Schließung der „Tötungsanstalten“ im August 1941 in den sogenannten „Zwischenanstalten “ unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen sind. Erst nach Klärung der Möglichkeiten eines Datenabgleichs wird darüber zu befinden sein, in welcher Form eine Veröffentlichung in Betracht kommt. Findet eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Verstrickungen saarländischer Ärzte in die Verbrechen der Nationalsozialisten und der Opfer statt und wird diese vom Land aktuell gefördert? Wenn ja: in welcher Form? Wenn nein: warum nicht? Zu Frage 3: Eine wissenschaftliche Aufarbeitung ist zum Teil bereits in den Dissertationen von Christoph Brass, „Zwangssterilisation und Euthanasie im Saarland 1935 bis 1945" (2004) sowie von Claudia Flöter „Zwangssterilisation und Euthanasie an neurologischpsychiatrischen Patienten sowie Umgang mit ausländischen Patienten und Zwangsarbeitern im Landeskrankenhaus Homburg/Saar“ (publikationen.sulb.unisaarland .de/handle/20.500.11880/22341, 2016) erfolgt. Bei der Bearbeitung dieser Themenstellung war die Doktorandin Flöter von Herrn Prof. Faßbender betraut worden. Ergebnisse dieser Arbeit wurden zusätzlich in der renommierten Zeitschrift "Nervenarzt" 2016, S. 195 ff. unter dem Titel „Die Homburger Nervenklinik im Nationalsozialismus. Besonderheiten in der saarländischen Grenzregion“ veröffentlicht. Drucksache 16/536 (16/463) Landtag des Saarlandes - 16. Wahlperiode - - 4 - Darüber hinaus ist die Dissertation von Gisela Tascher „Die Entwicklung des Gesundheitswesens im Saargebiet und Saarland von 1920-1956 im Spiegel der machtpolitischen Verhältnisse“ (2007, http://archiv.ub.uniheidelberg .de/volltextserver/volltexte/2008/8059/pdf/Zusammenfassung v1.pdf) zu nennen, die die Geschichte der NS-Medizin an der Saar im Sinne einer täterorientierten Längsstudie verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt hat. Die Veröffentlichung dieser Arbeit, die u.a. von der Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes und von der Ärztekammer des Saarlandes unterstützt wurde, ist mit Mitteln des damaligen Ministeriums für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales gefördert worden. Die Autorin Tascher befasst sich schon seit Jahren mit intensiven Studien zur Verstrickung von Ärzten in Machenschaften des Dritten Reiches. Ferner ist auf die wissenschaftliche Aufarbeitung der Verstrickung auch von saarländischen Ärzten und Zahnärzten in Zwangssterilisation und Euthanasie durch die Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes in Zusammenarbeit mit der Paul Fritsche Stiftung Wissenschaftliches Forum zu verweisen. Unter dem Motto „Erinnerungskultur an der Medizinischen Fakultät“ wurde etwa am 13. Februar 2016 ein Symposium zur Geschichte der Medizin in Homburg in den Jahren 1933 bis 1945 veranstaltet. Im Rahmen der Homburger Hochschul-woche wurde außerdem am 7. Juni 2016 von Dr. Sascha Topp, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Köln, und Träger des Herbert-Lewin-Forschungspreises des Bundesministeriums für Gesundheit und der Bundesärztekammer, zum Thema "Zwischen Abwehr und Verinnerlichung historischer Verantwortung: zum Umgang mit Zwangssterilisation und Euthanasie-Verbrechen in Deutschland am Beispiel der Ärzteschaft" ein Gastvortrag gehalten. Am 26. Oktober 2017 hielt die Literaturwissenschaftlerin Professor Aleida Assmann, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2018, eine Gastvorlesung zum Thema „Euthanasie und das Denkmal der Grauen Busse“. Am 17.5.2018 wurde von Dr. Gisela Tascher in einem Vortrag das Thema „Die Gründung der kassenzahnärztlichen und kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands im Sommer 1933 und die Gleichschaltung der Zahnärzte“ aufgegriffen. Die Paul Fritsche Stiftung Wissenschaftliches Forum wird auch weiterhin mit Vorträgen und Symposien zur Etablierung einer verantwortungsvollen Erinnerungskultur beitragen .