Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1045 24.04.2012 (Ausgegeben am 24.04.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Frau Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung Kleine Anfrage - KA 6/7417 Vorbemerkung der Fragestellenden: In der Massentierhaltung werden zunehmendem Maße Antibiotika eingesetzt. Der Einsatz von Antibiotika kann zur Bildung von antibiotika-resistenten Keimen (zum Beispiel MRSA-Keimen) führen. Daraus entwickeln sich Krankheitserreger, die auch auf den Menschen übertragen werden können. Um potentielle Gefährdungen bewerten zu können, benötigt man belastbares Zahlenmaterial zum Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung in Sachsen-Anhalt. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt 1. Welche Zahlen liegen der Landesregierung über die Menge des Einsatzes von Antibiotika für die Jahre 2009 bis 2011 in Sachsen-Anhalt in der Tierhaltung vor? Bitte getrennt nach Tierart und Typ des Antibiotikums und in Jahresscheiben aufschlüsseln. Bitte auch die Entwicklung der Anzahl der Tiere für die einzelnen Jahre angeben. Bislang erfolgt deutschlandweit im Hinblick auf den Antibiotikaeinsatz in landwirtschaftlichen Nutztierhaltungen keine Mengenerfassung. Dementsprechend liegen für Sachsen-Anhalt keine Zahlen für 2009 bis 2011 vor. Bezüglich der auf Deutschland und das Jahr 2005 bezogenen Schätzzahlen des Bundesverbandes für Tiergesundheit e. V. und die von diesem Verband vorgelegten Angaben zu AntibiotikaWirkstoffgruppen , die in Tierhaltungen hauptsächlich eingesetzt werden, wird auf die Antwort der Bundesregierung (Drucksache 17/6908, 05.09.2011) auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 17/6807) zum Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung verwiesen. 2 2. Welche zusätzlichen Daten (Betriebsgrößen, Betriebsstandorte, verwende- te Form der Antibiotikaverabreichung, Dauer des Einsatzes der einzelnen Antibiotikagaben, Behandlungsergebnisse, Mortalitätsraten) liegen der Landesregierung in Verbindung mit dem Antibiotikaeinsatz vor? Diesbezüglich wird auf die Ausführungen zu Frage 1 verwiesen. 3. Welche Möglichkeiten hat die Landesregierung, den sachgemäßen und den Angaben entsprechenden Antibiotikaeinsatz durch die tierhaltenden Betriebe zu überprüfen? Wie wird die Beprobung durchgeführt (beispielsweise bei Futter, Tieren, Fleisch)? Ist die Art der Beprobung und Analyse geeignet, den vorschriftsmäßigen Einsatz von Arzneimitteln und die Einhaltung der vorgegebenen Wartezeiten nach ihrer Anwendung wirkungsvoll prüfen zu können? Bitte auch das Schema der Beprobung beschreiben . Im Rahmen des Nationalen Rückstandskontrollplanes (NRKP) werden Proben auf Ebene der Erzeugerbetriebe und der Schlachtbetriebe entnommen und unter anderem auf Rückstände von verbotenen Arzneimitteln untersucht. Des weiteren werden nach Vorgabe der Tierischen Lebensmittelüberwachungs-Verordnung auf Ebene der Schlachtbetriebe Proben entnommen und auf Rückstände von Antibiotika untersucht. Die Probenzahlen basieren auf statistischen Berechnungen und sind damit geeignet, den vorschriftsmäßigen Einsatz von Antibiotika zu überprüfen. Gemäß NRKP sind folgende Proben zu entnehmen: Rinder jedes 250. geschlachtete Tier Schweine jedes 2000. geschlachtete Tier Schafe jedes 2000. geschlachtete Tier Geflügel eine Probe je 200 Tonnen Jahresproduktion Aquakulturen eine Probe je 100 Tonnen Jahresproduktion Kaninchen eine Probe je 30 Tonnen Schlachtgewicht für die ersten 3 000 Ton- nen der Jahreserzeugung, darüber hinaus eine Probe je weitere 300 Tonnen Wild/Zuchtwild mindestens 100 Proben Honig eine Probe je 30 Tonnen für die ersten 3 000 Tonnen der Jahreser- zeugung, darüber hinaus eine Probe je weitere 300 Tonnen Milch eine Probe je 15 000 Tonnen Jahresproduktion Eier eine Probe je 1 000 Tonnen Jahresproduktion Nach den Vorgaben der Tierischen Lebensmittel-Überwachungsverordnung sind bei mindestens 2 % aller gewerblich geschlachteten Kälber und mindestens 0,5 % aller sonstigen gewerblich geschlachteten Huftiere amtliche Proben zu entnehmen und auf Rückstände zu untersuchen. 3 4. Wurden Stichproben bzw. entsprechende Überprüfungen in Mastbetrieben durchgeführt? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wann, an welchen Standorten, mit welchen Tierarten und mit welchen Ergebnissen? Bitte für die Jahre 2009 bis 2011 angeben. Im Rahmen des NRKP wurden Proben von Mastkälbern, Mastrindern, Mastschweinen , Masthähnchen, Suppenhühnern, Truthühnern, sonstigem Geflügel, Forellen, Karpfen und sonstigen Aquakulturtieren in Mastbetrieben entnommen. Dies erfolgte in folgenden Landkreisen/kreisfreien Städten: Jahr Landkreis/kreisfreie Stadt 2009 2010 2011 Altmarkkreis Salzwedel X X X Anhalt-Bitterfeld X X X Börde X X X Burgenlandkreis X X X Dessau-Roßlau X X Harz X X X Jerichower Land X X X Mansfeld-Südharz X X X Saalekreis X X X Salzlandkreis X X X Stendal X X Wittenberg X X X Bei den durchgeführten Untersuchungen wurde kein positiver Befund ermittelt. 5. Wie bewertet die Landesregierung die Überprüfung des Antibiotikaeinsat- zes in Tierhaltungsanlagen in Sachsen-Anhalt? Sieht die Landesregierung hier einen Verbesserungsbedarf? Wenn ja, welchen? Der sorgsame und sachgerechte Umgang mit Antibiotika ist aufgrund der damit verbundenen Risiken für die Belange des gesundheitlichen Verbraucherschutzes von entscheidender Bedeutung. Der Umgang mit Antibiotika ist daher einer strikten Reglementierung unterworfen worden. Die amtliche Überwachung der Einhaltung arzneimittelrechtlicher Vorschriften durch Tierärzte liegt in Sachsen-Anhalt in der Verantwortung des Landesverwaltungsamtes. Demgegenüber sind die Veterinärbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte für die Überwachung der Einhaltung tierarzneimittelrechtlicher Vorschriften durch Landwirtschaftsbetriebe zuständig. Die Kontrollen tierärztlicher Hausapotheken erfolgen gemäß Arzneimittelgesetz turnusmäßig sowie anlassbezogen. Die Kontrollen der Nutztierhaltungen erfolgen risikoorientiert . Den zuständigen Überwachungsbehörden stehen bereits jetzt sämtliche Instrumente zur Verfügung, um jedem Verdacht auf einen unsachgemäßen Einsatz von Tierarzneimitteln nachzugehen und entsprechende Verstöße zu unterbinden. Tierärztliche Hausapotheken und Landwirtschaftsbetriebe können jederzeit von den zuständigen Überwachungsbehörden kontrolliert werden. Bei Verstößen verfügen die Behörden über ausreichende Sanktionsmöglichkeiten. 4 Zu Jahresbeginn 2012 hat das BMELV einen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgelegt, in dem die Verschärfung der rechtlichen Bestimmungen und eine Erweiterung der Befugnisse der zuständigen Überwachungsbehörden mit dem Ziel vorgesehen ist, den Antibiotika-Einsatz auf das zur Behandlung von Tierkrankheiten absolut notwendige Maß zu beschränken. So ist vorgesehen, dass die Überwachungsbehörden einen erweiterten Zugriff auf die erfassten Abgabemengen von Antibiotika erhalten, um ihre Überwachung effektiver planen zu können. Praktizierende Tierärzte sollen verpflichtet werden können, auf Ersuchen der Überwachungsbehörden alle Daten zur Abgabe und Anwendung von Antibiotika zusammengefasst zu übermitteln. Für Antibiotika, die auch in der Humanmedizin besonders bedeutend sind, soll die Möglichkeit zur Umwidmung drastisch eingeschränkt werden. Beim Wechsel eines Wirkstoffes und vor einer eventuell erforderlichen Umwidmung sowie bei der wiederholten Anwendung eines Wirkstoffs soll die Erstellung eines sogenannten Antibiogramms (Laboruntersuchung über Wirksamkeit des betreffenden Antibiotikums ) verpflichtend vorgeschrieben werden. Dieser Entwurf wird gegenwärtig in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen intensiv diskutiert . Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass mit Hilfe der erweiterten Befugnisse die Überwachung auch in Sachsen-Anhalt deutlich erleichtert und beschleunigt werden wird. Gleichzeitig sollte aber bedacht werden, dass eine wesentliche Einschränkung der tierärztlichen Therapiefreiheit dazu führen kann, dass erkrankte Tiere nicht mehr effektiv behandelt werden können. Hieraus würden erhebliche Probleme im Tierschutz und in der Gesunderhaltung der Tierbestände resultieren. 6. Wie lang ist in Sachsen-Anhalt im Durchschnitt die Mastdauer bei den Masttieren in den Jahren 2009 bis 2011 (Angaben nach Tierarten, Betriebsgröße , Betriebsstandorten und in Jahresscheiben)? Mit wie vielen Mastdurchgängen ist zu rechnen? Falls der Landesregierung keine genauen Zahlen vorliegen, bitte Schätzwerte angeben und begründen, warum keine Daten vorliegen. Daten zur Mastdauer bei den Masttieren und zur Anzahl von Mastdurchgängen liegen der Landesregierung nicht vor, da diese statistisch nicht erhoben werden. Ein durchschnittlicher Betrieb erreicht in der konventionellen Schweinemast (Einstallgewicht des Mastläufers etwa 25 - 27 kg, Ausstallgewicht des Mastschweins etwa 110 - 116 kg) bei etwa 700 g täglicher Gewichtszunahme während der Mastperiode einen Umtrieb je Mastplatz von rund 2,5 pro Jahr inklusive Serviceperiode. Ändert sich zum Beispiel ein Parameter wie die Rasse, die eine geänderte genetische Leistungsfähigkeit oder Futterverwertung aufweisen kann, dann können sich auch die Parameter wie Mastdauer und Anzahl von Mastdurchgängen ändern. 7. Wurden Untersuchungen in Schlachthöfen im Hinblick auf das Vorkom- men von multiresistenten Keimen in den letzten drei Jahren durchgeführt? Wenn ja, mit welchen Ergebnissen? Wenn nein, warum nicht? Im nachgefragten Zeitraum wurden auf Schlachthofebene 23 Proben Masthähnchen (Halshaut) beprobt; hiervon erwiesen sich vier Proben als positiv für MRSA. 5 8. Kann die Landesregierung ausschließen, dass in Sachsen-Anhalt kein mit multiresistenten Keimen belastetes Fleisch in den Handel gelangt? Wenn ja, auf welche Weise? Wenn nein, wie gedenkt die Landesregierung den Vertrieb von kontaminiertem Fleisch im Handel zum Schutze der Verbraucher /innen zu verhindern? Nein. Da inzwischen multiresistente Keime entlang der Lebensmittelkette nachgewiesen werden, ist ein Inverkehrbringen von mit diesen Keimen behafteten Lebensmitteln nicht generell zu verhindern. Gerade im Fall von Geflügelfleisch ist jedoch davon auszugehen, dass dieses von den Verbraucherinnen und Verbrauchern unter Beachtung allgemein bekannter küchenhygienischer Grundregeln vorbereitet und nur vollständig durchgegart verzehrt wird (siehe Zubereitungshinweis auf der Verpackung ). Dadurch werden sämtliche vegetativen Keime, und zwar nicht nur multiresistente Keime, sondern auch pathogene Keime wie Salmonellen wirksam inaktiviert. Grundsätzlich müssen Anstrengungen unternommen werden, bereits durch verantwortungsvollen Antibiotikaeinsatz eine Ausbreitung resistenter Bakterien entlang der Lebensmittelkette zu vermeiden (siehe auch Antworten zu den Fragen 5, 9 und 10). 9. Wie gedenkt die Landesregierung zukünftig gegen den massiven Einsatz von Antibiotika in der Tiermast in Sachsen-Anhalt aktiv zu werden? Bitte um Angabe der Aktivitäten auf den unterschiedlichen Entscheidungsebenen . Bislang liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass in der Mast landwirtschaftlicher Nutztiere in Sachsen-Anhalt Antibiotika generell massiv eingesetzt werden. Antibiotika sind grundsätzlich auch bei Tieren als wichtiges Instrument zur Behandlung von Infektionskrankheiten anzusehen. Allerdings geht jeder Einsatz von Antibiotika bei Lebensmittel liefernden Tieren mit Risiken einher (unter anderem toxische und allergisierende Wirkungen von Antibiotikarückständen in Lebensmitteln tierischer Herkunft , Ausbildung von Antibiotika-Resistenzen). Um die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben sicherzustellen, werden die in Sachsen-Anhalt für die Überwachung des Verkehrs mit Tierarzneimitteln zuständigen Behörden weiterhin das verfügbare Instrumentarium verwenden, ggf. ergänzt durch die nach der vorgesehenen Änderung des Arzneimittelgesetzes zusätzlichen Möglichkeiten (siehe Ausführungen zu Frage 5). 10. Erachtet die Landesregierung Maßnahmen, insbesondere zur messbaren Verbesserung des Hygienestandards, der Tierbetreuung und der Haltungsbedingungen in Tierbeständen zur Verhinderung von Infektionen und sonstigen Krankheiten als notwendig? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche Maßnahmen sind geplant und wann sollen sie umgesetzt werden? Eine Optimierung der Hygienestandards, der Haltungsbedingungen und gegebenenfalls des betrieblichen Managements wird seitens der Landesregierung grundsätzlich als notwendig erachtet, um Infektionskrankheiten effektiver als bisher vermeiden und den Antibiotika-Einsatz bei Nutztieren insgesamt vermindern zu können. Ebenso ist davon auszugehen, dass eine Überprüfung und erforderlichenfalls Korrektur der 6 Zuchtziele bei landwirtschaftlichen Nutztieren im Hinblick auf Infektionsanfälligkeit von erheblicher Bedeutung ist. Hieraus folgt, dass die auf den genannten Sektoren notwendigen Maßnahmen nicht primär das Arzneimittelrecht und dessen Umsetzung betreffen, sondern tierseuchenrechtliche, tierschutzrechtliche, tierzüchterische sowie betriebswirtschaftliche Fragestellungen umfassend mit einzubeziehen sind. Insoweit bedürfen die Lösungen, die gefunden werden müssen, einer wissenschaftlichen Untersetzung sowie einer bundesweiten Umsetzung.