Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1065 26.04.2012 (Ausgegeben am 26.04.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Herr Frank Hoffmann (DIE LINKE) Wirtschaftliche Aspekte des Flughafens Leipzig/Halle Kleine Anfrage - KA 6/7425 Vorbemerkung des Fragestellenden: Der Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle zum Expressfrachtkreuz wurde durch die in öffentlicher Hand befindliche Mitteldeutsche Flughafen AG (MFAG) mit insgesamt ca. 350 Millionen € finanziert (Neubau der Start- und Landebahn Süd mit Vorfeld). Dies sowie die Gewährung einer unbegrenzten Nachtflugerlaubnis für DHL-Frachtflüge waren die Voraussetzungen zur Verlagerung des DHL-Europa-Hubs von Brüssel nach Leipzig. Im Falle einer Einschränkung der Nachtflugerlaubnis hätte DHL vom Flughafen Schadensersatz fordern können. Über eine Patronatserklärung in Höhe von 500 Millionen € wäre der Freistaat Sachsen, also die öffentliche Hand, für die dann fällige Entschädigungssumme haftbar gewesen. Sowohl die Zulässigkeit der Investition als auch der Patronatserklärung wurden in einem Beihilfeverfahren der EU-Kommission untersucht. In der Entscheidung der Kommission (C 48/2006 (ex N 227/2006)) vom 23. Juli 2008 wurde die Investitionssumme als staatliche Beihilfe im Sinne einer staatlichen Anlaufbeihilfe für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen akzeptiert. Die Patronatserklärung wurde jedoch für nichtig erklärt, da die öffentliche Hand hiermit Geschäftsrisiken von DHL zu Bedingungen (absichert), die kein Privatinvestor akzeptiert hätte. Ziel der Flughafengesellschafter, darunter des Landes Sachsen-Anhalt, war es, mit öffentlichen Geldern in erheblicher Größenordnung eine Anschubfinanzierung für ein Infrastrukturprojekt zu leisten, welches mittelfristig zu einem sich selbst tragenden Wirtschaftswachstum in der Region Halle/Leipzig beitragen sollte. Unter diesem Aspekt erscheint es gerechtfertigt, knapp vier Jahre nach der Inbetriebnahme des DHLEuropa -Hubs am Flughafen Leipzig/Halle die Frage nach dem sozialökonomischen Nutzen des Projektes zu untersuchen. 2 In diesem Zusammenhang muss auch die Tatsache hinterfragt werden, ob die von der Planungsbehörde Freistaat Sachsen gewählte Lärmschutzkonzeption, die sich auf ausschließlich passive Schallschutzmaßnahmen beschränkt, für den Flughafen und seine öffentlichen Gesellschafter wirtschaftlich tragfähig ist. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr I. Wie stellt sich die Wirtschaftlichkeit des Flughafens Leipzig/Halle aktuell dar? 1. Wie ist das Betriebsergebnis des Flughafens Leipzig/Halle auf der Grundlage des neuesten vorliegenden Jahresabschlusses? Der letzte vorliegende Jahresabschluss der Flughafen Leipzig/Halle GmbH bezieht sich auf das Geschäftsjahr 2010. Die Gesellschaft hat für dieses Geschäftsjahr ein Betriebsergebnis von -44,8 Millionen € erwirtschaftet. Darin enthalten sind Abschreibungen in Höhe von 47,5 Millionen €. 2. Ermöglicht dieses Betriebsergebnis auch die verzinste Abschreibung der in Form von Beihilfen an den Flughafen geflossenen öffentlichen Gelder? Es wird auf die Antwort zu Frage I.1. verwiesen. 3. Welche Zuweisungen hat das Land Sachsen-Anhalt als Gesellschafter des Flughafens Leipzig/Halle im letzten Haushaltsjahr an diesen geleistet bzw. welche Gewinnabführung des Flughafens ist in das Land Sachsen -Anhalt getätigt worden? Sachsen-Anhalt ist nicht Gesellschafter der Flughafen Leipzig/Halle GmbH. Als Aktionär hat Sachsen-Anhalt im Jahr 2011 Mittel in Höhe von 3 302 319,89 € an die Mitteldeutsche Flughafen AG überwiesen. Davon hat die Flughafen Leipzig /Halle GmbH 2 797 705,24 € erhalten. Dividenden oder Gewinnausschüttungen gab es in 2011 nicht. II. Welchen Effekt erbringt der Flughafen Leipzig/Halle zur Entlastung des Ar- beitsmarktes und der Sozialausgaben in Sachsen-Anhalt? 1. Wie viele Einwohner des Landes Sachsen-Anhalt sind auf dem Flughafen Leipzig/Halle beschäftigt? Möglichst aufgegliedert nach Arbeitgebern. Für die am Flughafen Leipzig/Halle ansässigen 134 Unternehmen wurden für 2010 zusammen 5 713 Arbeitnehmer erfasst. Dies entspricht einem Zuwachs von 11,9 % gegenüber 2009. Davon sind 662 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Unternehmen der Mitteldeutschen Flughafen AG beschäftigt. Die Wohnorte der Beschäftigten werden nicht zentral erfasst. Für die Unternehmen der Mitteldeutschen Flughafen AG lag der Anteil sachsen-anhaltinischer Mitarbeiter stets bei ca. 20 %. 3 2. Wie hoch sind die monatlichen Bruttoeinkommen der am Flughafen Leipzig/Halle beschäftigten Einwohner des Landes Sachsen-Anhalts? Möglichst Angabe der Einkommensverteilung, mindestens jedoch des Durchschnittseinkommens nach Berufsgruppen. Darüber liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 3. Wie hoch ist der Anteil der am Flughafen Leipzig/Halle beschäftigten Einwohner des Landes Sachsen-Anhalt mit ausschließlicher oder überwiegender Teilzeitbeschäftigung? Bitte Angabe der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit und der Anzahl der Schichten für diese Beschäftigtengruppe . Darüber liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 4. Wie hoch ist der Anteil der am Flughafen Leipzig/Halle beschäftigten Einwohner des Landes Sachsen-Anhalt mit ausschließlicher oder überwiegender Beschäftigung in der Nachtzeit (zwischen 22 und 6 Uhr)? Bitte Angabe der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit und der Anzahl Schichten für diese Beschäftigtengruppe. Darüber liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 5. Wie hoch ist der Anteil der am Flughafen Leipzig/Halle beschäftigten Einwohner des Landes Sachsen-Anhalt mit befristeten Arbeitsverträgen? Bitte Angaben der durchschnittlichen Arbeitszeit und der Anzahl Schichten für diese Beschäftigtengruppe. Darüber liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 6. Wie hoch ist der Anteil der am Flughafen Leipzig/Halle beschäftigten Einwohner des Landes Sachsen-Anhalt, die zusätzlich zu ihrem Arbeitsentgelt zeitweilig oder regelmäßig Leistungen nach SGB II (sog. ALG II) erhalten? Bitte Angabe des durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommens und der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit für diese Beschäftigtengruppe. Darüber liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. III. Von welchen Erwartungen (Flugpassagierentwicklung und Entwicklung der Zahl der Flüge pro Jahr) geht die Landesregierung bei der Entwicklung des Flugverkehrs auf dem Flughafen Leipzig/Halle bis zum Jahr 2025 aus? 1. Wie viele der Flüge von und zum Flughafen Leipzig/Halle sind Inlands- flüge? Bitte um tabellarische Auflistung in Schritten von jeweils 100 km Entfernung und getrennt für beide Flughäfen. Die Anzahl der Inlandsflüge unterscheidet sich von Tag zu Tag, von Winterflugplan zu Sommerflugplan und von Ferienwoche zu normaler Woche. Ein Flugplan liegt nur für den Passagierverkehr vor. Ca. die Hälfte der Flugbewegungen sind 4 aber Frachtflüge, für die kein Flugplan vorliegt. Selbst der Passagierflugplan ist am Tag seiner Veröffentlichung schon wieder überholt, da er laufend überarbeitet wird. Allein für den Ist-Zustand bedürfte die Antwort einer umfangreichen statistischen Auswertung, die nur durch die Betreibergesellschaft selbst vorgenommen werden könnte und bei dieser zu einem unvertretbaren Aufwand führen würde. 2. Wie viele dieser Flüge sind so genannte Zubringerflüge für Mittel- und Langstreckenflüge? Es gibt keine allgemeingültige Definition für „Zubringerflüge“. Für den Passagierverkehr gilt zum Beispiel, dass Flüge nach Frankfurt etwa 60 % Originäraufkommen bedienen, also Verkehrsnachfrage zwischen Mitteldeutschland und Hessen. Auf der anderen Seite ist der Flughafen Leipzig/Halle selber Hub im Frachtverkehr , das heißt alle DHL-Flüge sind auch Zubringerflüge. 3. Wie viele der Flüge finden von und zu Zielen statt, die mit der Bahn schon jetzt in höchstens sechs Stunden erreichbar sind bzw. nach Realisierung aller Maßnahmen des Bedarfsplans Schiene in maximal sechs Stunden erreichbar wären? Es kann davon ausgegangen werden, dass alle innerdeutschen Ziele im Passagierverkehr mit der Bahn innerhalb von sechs Stunden aus der Region Halle /Leipzig zu erreichen sind. 4. Wie sieht die Energiebilanz für diese Flüge über kurze und mittlere Dis- tanzen im Verhältnis zur Bahn aus? Über die Energiebilanz der Flugbewegungen im Jahr 2025 liegen der Landesregierung im Jahr 2012 keine Erkenntnisse vor. 5. Sind Biokraftstoffe (Agrosprit) nach Ansicht der Landesregierung eine Lösung für die Problematik des rasant steigenden Anteils des Luftverkehrs an den Treibhausgasemissionen? Bitte mit Begründung. Die Landesregierung sieht keinen rasanten Anstieg des Anteils des Luftverkehrs an den Treibhausgasemissionen. Der Luftverkehr verursacht weltweit nur rund 1,7 % der Treibhausgasemissionen. Dieser Anteil ist trotz Verkehrswachstums seit langem stabil, weil unter anderem die Luftverkehrsbranche seit Mitte der 90er-Jahre den durchschnittlichen spezifischen Treibstoffverbrauch bereits um 30 % reduziert hat. Der Einsatz von Biokraftstoffen kann nach Ansicht der Landesregierung zur weiteren Verbesserung der Ökobilanz im Luftverkehr beitragen. 6. Gibt es aus Sicht der Landesregierung weitere alternative Treibstoffe für den Luftverkehr? Wenn ja, welche sind das und warum? Aus Sicht der Landesregierung lässt der Stand der Technik derzeit keinen flächendeckenden Ersatz fossilen Treibstoffes zu. Praxistests im kleinen Maßstab in den letzten Jahren (unter anderem von der Deutschen Lufthansa) haben aber die technische Machbarkeit des Fliegens mit Biokraftstoffen bewiesen. Am Einsatz weiterer alternativer Treibstoffe wird geforscht. Ein Viertel der Betriebskosten ei- 5 ner Fluggesellschaft fällt für Kerosin an und damit liegt es im ureigenen Interesse der Branche, ihren Kerosinverbrauch zu senken. Dieses ökonomische Interesse ist die Hauptantriebskraft von Innovationen in diesem Bereich. IV. Sind weitere Start- und Landebahnen geplant? 1. Von welchen Szenarien für die Entwicklung des Fluggastaufkommens geht die Landesregierung dabei aus? Weitere Start- und Landebahnen sind für den Flughafen Leipzig/Halle für die voraussagbare Zukunft nicht geplant, daher existieren keine diesbezüglichen Szenarien für die Entwicklung des Fluggastaufkommens. 2. Inwiefern setzt sich die Landesregierung für einen Verzicht auf plan- mäßige Nachtflüge am Flughafen Leipzig/Halle in der Zeit von 22 bis 6 Uhr ein? Der Flughafen Leipzig/Halle verfügt über eine rechtskräftige und höchstrichterlich bestätigte Betriebsgenehmigung. Diese erlaubt Nachtflüge im Luftfrachtverkehr. Aus Sicht der Landesregierung ist dies eine strategisch bedeutsame Eigenschaft für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Mitteldeutschlands. Leipzig/Halle hat sich in den letzten Jahren zum zweitgrößten deutschen und fünftgrößten europäischen Luftfrachtstandort entwickelt. Diese Verkehrsentwicklung und die damit einhergehenden Impulse für Wachstum und Beschäftigung in Mitteldeutschland sind ganz wesentlich mit der Ansiedlung des DHL Hubs verbunden, dessen Geschäftsmodell zwingend auf Nachtflüge angewiesen ist. Darüber hinaus gewinnt Leipzig/Halle durch betriebliche Beschränkungen an anderen deutschen Verkehrsflughäfen zunehmend einen Wettbewerbsvorteil und ein Alleinstellungsmerkmal . Letztlich besitzt der Standort aufgrund seiner Betriebsgenehmigung für die gesamte Bundesrepublik strategischen Charakter. Aus Sicht der Landesregierung gilt es, diesen Vorteil wirtschaftspolitisch zu erhalten und auszubauen. 3. Wie viele außerplanmäßige Flugbewegungen hält die Landesregierung nachts an diesem Standort für verträglich? Bitte mit Begründung. Jedem Flug liegt in der Regel ein Flugplan zugrunde, der bei den zuständigen Behörden einzureichen ist. Dies gilt auch für Charter- oder Sonderflüge. Insofern kann die Landesregierung die Frage nach „außerplanmäßigen Flugbewegungen“ nicht beantworten. Die Anzahl der möglichen Flugbewegungen richtet sich nach der technischen Kapazität des Start- und Landebahnsystems, welche nach Auskunft der Mitteldeutschen Flughafen AG je nach Startrichtung im Abflug 60 bzw. 62 Flugbewegungen und im Anflug 86 Flugbewegungen in der Stunde umfasst. 6 V. In welcher Höhe wurden Aufträge im Zuge des Ausbaus des Flughafens Leipzig/Halle an Firmen aus Sachsen-Anhalt vergeben? Bitte Angabe in Jahresscheiben. Der Flughafen Leipzig/Halle hat seit Beginn der 90er-Jahre ca. 1,5 Milliarden € investiert. Darunter befinden sich Bau- und Ausrüstungsinvestitionen sowie Maßnahmen zum Lärmschutz. Eine vollständige Erfassung der vergebenen Aufträge nach Herkunft der beauftragten Firmen liegt nicht vor. Nur für ausgewählte größere Projekte werden den Aufsichtsgremien der Flughafengesellschaft Vergabespiegel vorgelegt. Beispielsweise wurden beim Projekt Start- und Landebahn Süd mit 31 % der vergebenen Bausumme Aufträge im Wert von mehr als 90 Millionen € an Unternehmen aus Sachsen-Anhalt vergeben. VI. Wird das Land Sachsen-Anhalt seine Rolle als Gesellschafter des Flughafens Leipzig/Halle auch dazu nutzen, um die Erarbeitung eines auch für die öffentliche Hand vertretbaren Kompromisses zwischen Profitabilität des Flughafens einerseits und Schaffung auskömmlich vergüteter Arbeitsplätze sowie einem ausreichenden Maß an Schallschutz für die vom Fluglärm betroffenen Anwohner andererseits einzufordern? Wenn ja, wie (mit Hilfe welcher Gremien und Mechanismen) und in welchem zeitlichen Rahmen wird das geschehen? Hinsichtlich der Vergütung von Beschäftigten hat das Land Sachsen-Anhalt lediglich Einfluss auf Unternehmen, bei denen eine Beteiligung besteht. Grundsätzlich obliegt die Vereinbarung von Vergütungsangelegenheiten aber den Tarifpartnern . Für die Unternehmen der Mitteldeutschen Flughafen AG existiert seit vielen Jahren ein Haustarifvertrag, der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen einerseits und sozialer Verantwortung als Arbeitgeber der Öffentlichen Hand andererseits gewährleistet. Es gibt hinsichtlich der Unternehmensgruppe Mitteldeutsche Flughafen AG jedenfalls keinerlei Hinweise auf nicht auskömmlich vergütete Arbeitsplätze. Hinsichtlich des Maßes an Schallschutz verweist die Landesregierung darauf, dass der planfestgestellte Schallschutz höchstrichterlich bestätigt wurde. Diesen planfestgestellten Schallschutzmaßnahmen liegen Kriterien zugrunde, die weit über die geltenden Grenzwerte des aktualisierten Fluglärmschutzgesetzes hinausgehen und somit deutschlandweit einzigartig sind. 7 VII. Wird das Land Sachsen-Anhalt im Rahmen seiner Verpflichtung zur Erhaltung der öffentlichen Daseinsvorsorge versuchen, den Freistaat Sachsen als Planungsbehörde dazu zu bewegen, neben den im Zuge des Planfeststellungsbeschlusses für die Erweiterung des Flughafens Leipzig/Halle 2004 festgelegten kostenintensiven rein passiven Schallschutzmaßnahmen auch auf aktive Schallschutzmaßnahmen wie das nächtliche Verkehrsverbot für die lautesten Flugzeugmuster zu drängen? Wenn ja, wie (mit Hilfe welcher Gremien und Mechanismen) und in welchem zeitlichen Rahmen wird das geschehen? Alle in Leipzig/Halle verkehrenden Flugzeugmuster entsprechen den Zulassungsvorschriften nach deutschem und europäischem Recht. Für Forderungen nach über diese Zulassungsvorschriften hinausgehenden Beschränkungen fehlt jede rechtliche Grundlage. Der Flughafen Leipzig/Halle nutzt jedoch auf Basis der explizit dafür entwickelten Bonusliste des BMVBS das Mittel der Entgeltstaffelung nach Lärmklassen.