Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1205 19.06.2012 (Ausgegeben am 19.06.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sören Herbst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beschäftigung von politischen Gefangenen in der DDR für Unternehmen im „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ Kleine Anfrage - KA 6/7488 Vorbemerkung des Fragestellenden: Das schwedische Unternehmen IKEA hat in der DDR an mehreren Fertigungsstätten Möbel für den internationalen Markt herstellen lassen. Dabei sollen nach Medienberichten auch Werkstätten in Haftanstalten zum Zuge gekommen sein. Bei der Fertigung wurden demnach auch politische Häftlinge eingesetzt. Dokumentiert sind auch Fertigungsstätten für IKEA-Möbel in Sachsen-Anhalt. Medien berichteten darüber hinaus über weitere Unternehmen, die in größerem Umfang Produkte in Haftanstalten der DDR herstellen ließen, insbesondere Unternehmen des Versandhandels. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung Vorbemerkung: Im Anschluss an das Potsdamer Abkommen von 1945 sah die noch im gleichen Jahr vom Alliierten Kontrollrat erlassene Direktive Nr. 19 „über die Grundsätze der Verwaltung der deutschen Gefängnisse und Zuchthäuser“ einen gesetzlichen und humanen Vollzug vor. In der sowjetischen Besatzungszone etablierte sich eine zweigleisige Verwaltung. Die Besatzungsmacht unterhielt eine Sowjetische Militäradministration, unter dieser Herrschaft errichteten die Deutschen die Deutsche Justizverwaltung. Die Haftanstalten gehörten mit ihren Betrieben in den Bereich der Planwirtschaft. Fortan war es ein wesentliches Ziel, die Arbeitskraft der Gefangenen zur Erreichung hoher Planziele auszunutzen. Etwa ein Jahr nach der Gründung der DDR, gegen Ende des Jahres 1950, hatten die Sowjets die gesamte Verwaltung des Strafvollzuges auf das Ministerium des Inneren der DDR übertragen. 2 Die Verankerung des Strafvollzugs im Ministerium des Inneren (MdI) - und nicht bei der Justiz - verlieh dem Vollzug neben den bürokratischen Zügen zugleich polizeilichmilitärische . Bei „staatsfeindlichen“ Delikten in einem weiten Sinne, einschließlich der „Republikflucht“, gab es eine Zuständigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Dem MfS unterstanden zudem bestimmte Untersuchungshaftanstalten und andere Einrichtungen für Straftäter, u. a. die Anstalt Bautzen II. Andere Untersuchungshaftanstalten waren dem Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) zugeordnet . Das MfNV verfügte zusätzlich über Arrestanstalten und sonstige Vollzugseinrichtungen . Das MdI hatte eine Abteilung „Verwaltung Strafvollzug“ (VSV). Dieser zentralen Einheit untergeordnet waren 15 Vollzugsverwaltungen auf der Ebene der Bezirksdirektionen der Volkspolizei (BDVP). Diesen wiederum unterstanden die verschiedenen Strafvollzugsanstalten. Der jeweilige Anstaltsleiter war von seinem Dienstgrad her Major oder Oberleutnant. An Personal standen insgesamt 1.900 Offiziere, 5.900 Wachtmeister und 730 Zivilbeschäftigte zur Verfügung. Den heutigen Justizvollzugsanstalten, dem Landesbetrieb für Beschäftigung und Bildung der Gefangenen (LBBG) und der Justizverwaltung des Landes Sachsen-Anhalt liegen zur Frage der Beschäftigung von politischen Gefangenen in der DDR für Unternehmen im „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ fast 22 Jahre nach der Wiedervereinigung keine unmittelbar greifbaren Erkenntnisse aus dem Geschäftsbereich vor. Eine Auswertung alter Aktenbestände, die auf mehrere Standorte (vgl. Antwort zu Frage 5) verteilt sind, ist der Vollzugsverwaltung weder aus personellen und schon gar nicht im Zeitrahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage möglich und stünde angesichts ungewisser Ergebnisse außer Verhältnis zum dafür betreibenden Verwaltungsaufwand . Auf Anfrage beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR teilte dieser zur Beschäftigung von Gefangenen in DDRStrafvollzugsanstalten grundsätzlich Folgendes mit: „Erste Maßnahmen zum Einsatz von Häftlingen im Strafvollzug zur „Besserungsarbeit “ ergriffen die seinerzeit zuständigen Justizverwaltungen der Sowjetischen Besatzungszone schon kurz nach dem Kriegsende. Nach Übertragung der Verantwortung für den Strafvollzug an das Ministerium des Innern der DDR im Jahre 1950 organisierte dieses ab Mitte der fünfziger Jahre den generalstabsmäßigen Arbeitseinsatz von Gefangenen. Etwa 90 % aller verurteilten Strafgefangenen mussten zuletzt tatsächlich arbeiten - ernsthafte Erkrankungen, Arbeitsunfälle, Streiks, Verlegungen und Gerichtstermine sowie Engpässe bei der Zulieferung von Rohstoffen verhinderten, dass tatsächlich immer alle Häftlinge arbeiteten. Überwiegend erfolgte der Arbeitseinsatz in Werkhallen auf dem Gelände von Haftanstalten . Zur Anleitung der Häftlinge als Arbeitskräfte kamen deswegen zur jeweiligen Arbeitsschicht Mitarbeiter der Stammbetriebe in die Haftanstalt; dem ging eine Überprüfung der betreffenden Personen durch die Staatssicherheit voraus. Doch auch außerhalb der Gefängnismauern (wie im Untertagebau oder beim Gleisbau) wurden Häftlinge eingesetzt. Oftmals geschah dies nur zeitweise, bis Infrastrukturmaßnahmen beendet oder Produktionsengpässe behoben waren; die entsprechenden 3 Außenarbeitskommandos oder Haftarbeitslager wurden dann aufgelöst - was einen Überblick zusätzlich erschwert. Produziert wurde in der Regel für verschiedene DDR-Betriebe sowie etliche staatliche Stellen, doch in der Strafvollzugsanstalt Brandenburg-Görden beispielsweise wurden schon ab 1952/53 Möbel auch für den Export gefertigt. Welche Produkte und Teilprodukte Häftlinge für verschiedene VEB-Stammbetriebe fertigen mussten, die diese dann weiterverarbeiteten und letztlich an bestimmte Westfirmen verkauften, lässt sich gegenwärtig aktengestützt nicht vollständig übersehen. Weitere Recherchen werden hierfür von Nöten sein, doch wird die schlechte Überlieferungslage einem lückenlosen Überblick wohl entgegenstehen.“ Dieses vorausgeschickt beantwortet die Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welchen Kenntnisstand besitzt die Landesregierung derzeit über die Fer- tigung von Möbeln oder anderen Erzeugnissen in Haftanstalten der DDR, die für IKEA bestimmt waren? Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse vor. 2. Welche Erkenntnisse gibt es über den Einsatz von politischen Gefange- nen in den unter 1. genannten Einrichtungen? Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse vor. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) teilt auf Anfrage mit: „Grundsätzlich bestand für alle Strafgefangenen in der DDR Arbeitspflicht, gleich ob sie aus politischen oder kriminellen Gründen verurteilt worden waren. Politische Häftlinge sollten allerdings nicht als Funktionshäftlinge bzw. Vorarbeiter eingesetzt werden, um jeglichen Einfluss auf Mitinsassen zu vermeiden. Sie sollten auch nicht tageweise außerhalb der Gefängnismauern arbeiten, da eine Flucht dort leichter möglich gewesen wäre, was bei politischen Häftlingen unter allen Umständen vermieden werden sollte. Zwar waren in einigen Haftanstalten besonders viele politische Gefangene konzentriert (wie etwa in Cottbus oder Hoheneck), ab 1955 saßen jedoch fast immer politische Gefangene zusammen mit kriminellen Häftlingen ein - nicht zuletzt deshalb, weil sich letztere leichter instrumentalisieren (z. B. als Spitzel einsetzten) ließen. Es sollten eigentlich auch keine Arbeitskommandos mit ausschließlich politischen Gefangenen gebildet werden, um eine Gruppenbildung zu verhindern. Ökonomische Zwänge machten es in der Praxis indes oft „erforderlich“, von den genannten Regeln abzuweichen . Die vielgestaltige Benachteiligung speziell der politischen Gefangenen im Strafvollzug der DDR schloss den Arbeitseinsatz ein - etwa durch Zuteilung besonders unbeliebter Arbeitsplätze oder durch zusätzliche Verpflichtung zum (unentgeltlichen ) Reinigen der Maschinen nach Schichtende etc. Gerade politische Gefangene wurden oft zu schweren, gefährlichen oder monotonen Arbeiten herangezogen, für die gewöhnliche Werktätige sich kaum gewinnen ließen. Die 4 Arbeitsschutzbestimmungen wurden außerordentlich lax gehandhabt, weswegen zahlreiche Unfälle vorkamen; Verstümmelungen waren in metallverarbeitenden Betrieben keine Seltenheit und gelegentlich kamen Häftlinge gar zu Tode (etwa durch Quecksilbervergiftung in Bitterfeld 1980/81). In der Regel wurde dies auf angebliche Unachtsamkeit der Gefangenen zurückgeführt, doch gelegentlich wurden auch Betriebsangehörige wegen grob fahrlässiger Handlungsweise bestraft. Die Häftlinge wurden durch die Aufseher zur Arbeit gezwungen, etwa bei plötzlicher Arbeitsverweigerung auch mit grober körperlicher Gewalt. Manche politischen Häftlinge verweigerten aber aus weltanschaulichen Gründen dauerhaft die Arbeit, da sie für das SED-Regime „keinen Handschlag tun wollten“. Sie wurden - in der Ära Honecker - meist für mindestens sechs Monate in Isolationshaft verlegt und gingen jeglicher Vergünstigung verlustig. Die Arbeitsentlohnung erfolgte auf mehrfach veränderter Berechnungsgrundlage und beließ den Häftlingen zuletzt nur etwa 20 % des ihnen eigentlich zustehenden Lohns. Für dieses Geld durften sie dann in gefängniseigenen Verkaufsstellen Lebensmittel sowie Produkte des täglichen Bedarfs zu weit überhöhten Preisen hinzukaufen.“ 3. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung bisher über die Ferti- gung von Waren im Auftrag anderer bundesdeutscher oder internationaler Unternehmen in den Gefängniswerkstätten der DDR vor? Den DDR-Vollzugsbehörden selbst war nicht bekannt, welche durch Gefangene produzierten Waren von den Betrieben oder Kombinaten im Auftrag bundesdeutscher oder internationaler Unternehmen produziert wurden. Dass aber Produkte der Arbeitseinsatzbetriebe auch in das damalige nichtsozialistische Ausland exportiert wurden, war sehr wohl bekannt (z. B. Fernsehgeräte von RFT Staßfurt). Einzelne Produktionszahlen und/oder Exportanteile ergeben sich hingegen nicht aus den Unterlagen des Vollzuges, sondern aus den Unterlagen der Betriebe und Kombinate der früheren DDR, in denen die Gefangenen zur Arbeit eingesetzt waren. Durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) wird eingeschätzt, dass dazu erforderliche weitere Recherchen aufgrund der unzureichenden Aktenlage prognostisch kaum präzise Zahlen zu ermitteln sein werden. Des Weiteren teilt der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) mit: „Im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt befanden sich unmittelbar vor der friedlichen Revolution in folgenden Strafvollzugseinrichtungen (StVE) bzw. Strafvollzugsabteilungen (SV-Abt.) und Jugendhäusern (JH) Gefangene für nachstehende Betriebe im Arbeitseinsatz: StVE Volkstedt: Walzwerk Hettstedt 200 Häftlinge, Mansfeldkombinat Niederröblingen 80, Kupferbergbau Sangerhausen 30, Mansfeldkombinat Konsumgüter 40, Anlagen- und Gerüstbau 25, Braunkohlewerk Röblingen 30, Volkseigene Gut Eisleben 7, Reichsbahndirektion Eisleben 30; 5 JH Dessau: Gas- und Elektrogeräte 206; Blechwaren Rothemark 80; Zementanlagenbau Dessau 120; Junkalor Dessau 120, Elektromotorenwerk 30; SV-Abt. Dessau: Fotochemisches Kombinat Wolfen 600, Kinderfahrzeuge Dessau 20, Neontechnik Halle 25; StVE Halle: Schuhkombinat 350, Textilreinigung 80, Polstermöbel Halle 25; JH Halle: Drehmaschinenfabrik Leipzig 150; Leuchtenbau Halle 180; ElektroMetallwaren Zwintschöna 150; Elektroinstallation Wittenberg 50; Baumaschinen Halle 10; StVE Thale: Eisenhüttenwerk Thale 280, Merktik Quedlinburg 80, Gummiwerke Ballenstedt 50, Staatliche Forstwirtschaft Ballenstedt 10, Eisenhüttenwerk Thale Bau 20, Braunkohlewerk Nachterstedt 25; StVE Raßnitz: Braunkohlewerk Deuben 105, Braunkohlewerk Geiseltal 45, Chemische Werke Buna 110, Schlachthof Halle 30, LPG Gröbers 30, Aluminiumfolie Merseburg 15, Schraubenwerke Zerbst 25; StVE Bitterfeld: Braunkohlekombinat Bitterfeld 250, Chemiekombinat Bitterfeld 430, Metallaufbereitung Halle 50, Steinzeugwerk 36, Bekleidung/MdI 80; StVE Naumburg: Metallwaren Naumburg 350, Deutsche Reichsbahn-Gleisbaubetrieb Naumburg 40, Kamm und Haarschmuck 30, Möbelwerke Naumburg 15, Plastica Bad Kösen 42; StVE Magdeburg-Sudenburg: Magdeburger Armaturen 170, Stahlgießerei Magdeburg 190, Meßgeräte Magdeburg 50; SV-Abt. Athensleben: Fernsehgeräte Staßfurt 200.“ 4. Welche Erkenntnisse gibt es über den Einsatz von politischen Gefange- nen in den unter 3. genannten Einrichtungen? Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse vor. 5. Welche Schritte beabsichtigt die Landesregierung zu unternehmen, um zur umfassenden Aufarbeitung und zur wissenschaftlichen Analyse der Forschungserkenntnisse beizutragen und die bestehenden Ansätze dazu zu unterstützen - beispielsweise durch entsprechende Forschungsaufträge ? Die Landesregierung beabsichtigt derzeit keine Schritte zur Aufarbeitung zu unternehmen oder eigene Forschungsvorhaben zu dieser Fragestellung zu entwickeln . Soweit entsprechende Forschungsvorhaben neben dem BStU von Wissenschaftlern und/oder wissenschaftlichen Einrichtungen betrieben werden, würden diese im Rahmen der Möglichkeiten der Landesregierung (z. B. Zugang zu Altaktenbeständen) unterstützt werden. 6 Für eigene Forschungsvorhaben stehen darüber hinaus dem Justizhaushalt keine Mittel zur Verfügung. 6. Unterstützt die Landesregierung die von IKEA angekündigten Aufklä- rungs- und Aufarbeitungsbemühungen und wird sie dem Unternehmen dabei bei Bedarf umfassenden Zugang zu evtl. benötigten Unterlagen ermöglichen ? Die Firma IKEA ist bisher nicht an die Landesregierung herangetreten. Die Landesregierung wird die angekündigten Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühen der Firma IKEA im Rahmen der Möglichkeiten unterstützen. Sofern sich die Firma IKEA an die Landesregierung wendet, wird der Zugang zu eventuell benötigten Unterlagen im Bedarfsfalle geprüft werden, sofern diese sich im Zuständigkeitsbereich der Landesregierung befinden. 7. Wie positioniert sich die Landesregierung bezüglich Forderungen nach einer angemessenen Entschädigung durch IKEA und evtl. weiterer Unternehmen , sollte sich der Einsatz von politischen Häftlingen beweissicher nachweisen lassen? Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) regelt die juristische und soziale Wiedergutmachung für strafrechtliches Unrecht und rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehungen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) bzw. in der DDR sowie in Ost-Berlin zwischen 1945 und 1990. Es nennt zum einen die Voraussetzungen, unter denen Unrechtsakte für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben werden können, und enthält zum anderen Vorschriften über Wiedergutmachungsleistungen für Opfer. Mit dieser bundesgesetzlichen Regelung kam die Bundesrepublik der im Einigungsvertrag (Artikel 17) enthaltenen Verpflichtung nach, für alle Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats - und verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung eine Rehabilitierungsmöglichkeit einschließlich angemessener Entschädigungsregelungen zu schaffen. Soweit die Firma IKEA oder andere Unternehmen neben den o. g. staatlichen Entschädigungsleistungen weitere eigene Leistungen erwägen, betrachtet die Landesregierung dies als eine Entscheidung der Unternehmen. 8. Wie gedenkt die Landesregierung den Aktenbestand an DDR-Haftakten zu komplettieren, zu erhalten und dauerhaft zu sichern - auch mit Hinblick auf die bevorstehende Justizvollzugsstrukturreform? Bei der Zentralen Auskunftsstelle für Justizvollzug bei der JVA Halle wird in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv in Berlin eine Gesamtübersicht über den Verbleib von Gefangenenpersonalakten von Verhafteten und Inhaftierung der DDR geführt. Die nachfolgende Archivübersicht zeigt den gegenwärtigen Stand der Lagerung des Aktenbestandes, für den der Justizvollzug heute verantwortlich zeichnet. Der Aktenbestand, der sich in den Justizvollzuganstalten befindet, die im Rahmen der avisierten Justizvollzugsreform geschlossen werden, wird 7 entweder in die Zentrale Auskunftsstelle überführt oder in einem zentralen Aktenlager in einem der verbleibenden Justizvollzugsanstalten untergebracht. Entsprechende Konzepte werden gegenwärtig entwickelt. Grundlage bildet das Landesarchivgesetz Sachsen-Anhalt. Strafvollzug DDR Zeitraum Aktueller Aufenthaltsort Adresse Strafvollzugseinrichtung Bitterfeld 1950 - 1990 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle Strafvollzugseinrichtung Dessau 1974 - 1990 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle 1960 1971 - 1976 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle Jugendanstalt Dessau 1977 - 1990 JVA Dessau W.-LohmannStr . 27 06844 Dessau-Roßlau 1950 - 1976 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle Strafvollzugseinrichtung Halberstadt 1977 - 1990 JVA Dessau-Roßlau Außenstelle Magdeburg Halberstädter Str. 8a 39112 Magdeburg 1950 - 1984 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle Jugendanstalt Halle 1985 - 1990 JVA Halle Nebenstelle W.-Busch-Str. 38 06118 Halle Strafvollzugseinrichtung Halle 1950 - 1989 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle 1950 - 1986 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle Strafvollzugseinrichtung Magdeburg 1987 - 1990 JVA Dessau-Roßlau Außenstelle Magdeburg Halberstädter Str. 8a 39112 Magdeburg 1950 - 1979 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle Strafvollzugseinrichtung Naumburg 1980 - 1990 JVA Volkstedt Außenstelle Naumburg Am Salztor 5 06618 Naumburg Strafvollzugseinrichtung Raßnitz 1977 - 1991 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle 8 Strafvollzugseinrichtung Stendal 1950 - 1989 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle Strafvollzugseinrichtung Thale 1950 - 1990 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle 1950 - 1976 Zentrale Auskunftsstelle bei der JVA Halle Am Kirchtor 20, 06108 Halle Strafvollzugseinrichtung Volkstedt 1977 - 1990 JVA Volkstedt Am Sandberg 11 06295 Volkstedt 9. Welche Bedeutung misst die Landesregierung einer wissenschaftlichen Auswertung der DDR-Haftakten zu und welche Wege der Umsetzung verfolgt sie? Gefangenenpersonalakten und Schriftgutbestände aus dem damaligen DDRStrafvollzug kommen als zeitgeschichtliche Dokumente eine herausragende Bedeutung zu. Sie geben nachfolgenden Generationen die Möglichkeit, darüber einen Eindruck zu gewinnen, „wie es wirklich war“, aber auch Betroffenen die Chance zur Rekonstruktion und Wiedergewinnung des eigenen Lebens zu bieten . Die Landesregierung verfolgt keine eigenen Schritte zur wissenschaftlichen Auswertung der DDR-Haftakten und sieht die Aufarbeitung zuförderst als eine Aufgabe von wissenschaftlichen Forschungsvorhaben an, die etwa im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht zu unterstützen ist. 10. Welche sonstigen Aktenbestände sieht die Landesregierung als geeignet an, den Erkenntnisstand bezüglich der Beschäftigung von DDR-Zwangsarbeitern im Auftrag bundesdeutscher und internationaler Unternehmen zu erforschen und aufzuarbeiten? Welche Schritte sind geplant, um diese Bestände zu erschließen? Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Auf Anfrage teilt der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) Folgendes mit: „Da das Organ Strafvollzug dem Ministerium des Innern der DDR unterstand, ist hauptsächlich das Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde mit der Erschließung von Sachakten zum ostdeutschen Strafvollzug betraut. Konkret befinden sich Unterlagen zu allen wichtigen Haftanstalten in den Beständen DO 1/11 (Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei) und DO 1/32 (Verwaltung Strafvollzug); die Überlieferungslage ist jedoch gerade für die Ära Honecker desolat. Das Bundesarchiv hat zudem eine Übersicht zum Verbleib von Gefangenenpersonalakten erarbeitet . In den Bezirken existierten mit den sogenannten Abteilungen Strafvollzug der Bezirkbehörden der Deutschen Volkspolizei regionale Schaltzentren des Straf- 9 vollzugs (mit beschränkten Kompetenzen). Deshalb ist auch in den Landesarchiven Material zu finden. Die Überlieferungslage der zuletzt rund 80 Haftanstalten des Ministeriums des Inneren ist sehr unterschiedlich und entzieht sich einer einheitlichen Darstellung . Ähnlich verhält es sich mit den Akten der Volkseigenen Betriebe, für die seinerzeit produziert wurde; hier müssten eigentlich Lieferverträge mit den Westfirmen abgelegt worden sein. Sofern überhaupt entsprechend archiviert wurde, sind mit Auflösung der Betriebe vermutlich viele Unterlagen vernichtet worden oder in den Unternehmensarchiven schwer zugänglich. Archive wichtiger DDR-Betriebe ohne heutigen Rechtsnachfolger werden teilweise auch von den Landesarchiven verwahrt. Der Staatssicherheitsdienst selbst verfügte über 17 Untersuchungshaftanstalten mit teilweise angeschlossenen „Strafgefangenenarbeitskommandos“, in denen die Häftlinge in erster Linie in den Werkstätten der U-Haftanstalten tätig waren, aber darüber hinaus auch zum Arbeitseinsatz in verschiedenen Wirtschaftsbereichen kamen. Im Archiv des BStU sind dazu eine Reihe von Quellen überliefert . In erster Line betrifft dies den Teilbestand der Abteilung XIV (Untersuchungshaft /Strafvollzug). Diese war u. a. für die Absicherung des Arbeitseinsatzes und den Transport der Gefangenen zu den externen Arbeitsorten verantwortlich . Darüber hinaus führte sie die Gefangenenakten, von denen ca. 15 000 im Teilbestand überliefert sind. Weitere Gefangenenakten befinden sich in den bereits vom MfS archivierten Unterlagen. Weitere in Betracht kommende Sachaktenbestände sind: Neben dem nur im Berliner Archiv zu findenden Bereich Kommerzielle Koordinierung der Bestand der (für Volkswirtschaft zuständigen) Hauptabteilung XVIII (in den bezirklichen Überlieferungen entsprechend die Abteilungen XVIII), Unterlagen der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe sowie Akten der für das Ministerium des Innern verantwortlichen Linie VII der Staatssicherheit. Letztere verfügte in den größeren Gefängnissen über einige hauptamtliche Mitarbeiter (in sogenannten Operativgruppen), die den Abteilungen VII der Bezirksverwaltungen oder den Kreisdienststellen zugeordnet waren - weswegen auch in den Außenstellen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR dazu aller Voraussicht nach Unterlagen zu finden sein werden. Die Mitarbeiter dieser Linie VII führten inoffizielle Mitarbeiter unter den Aufsehern sowie unter den politischen Gefangenen, hatten jedoch vor allem die Verhinderung von politisch widerständigem Verhalten der Gefangenen und weniger die Planerfüllung vor Augen. Ebenso sinnvoll dürfte die Auswertung von Unterlagen der Strukturbereiche des MfS sein, die anleitend einbezogen waren, wie z. B. die Leitungen der Bezirksverwaltungen, von Kreis- oder Objektdienststellen .“