Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1272 06.07.2012 (Ausgegeben am 09.07.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Flächeninanspruchnahme durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gemäß Bundesnaturschutzgesetz Kleine Anfrage - KA 6/7505 Vorbemerkung des Fragestellenden: Siedlungs- und Verkehrsfläche umfasst „Gebäude- und Freifläche, Betriebsfläche (ohne Abbauland)“, „Erholungsfläche, Friedhof“ sowie „Verkehrsfläche“. Zur „Siedlungs - und Verkehrsfläche“ zählen auch nicht versiegelte Flächen. Schätzungen ergeben für die Siedlungs- und Verkehrsfläche einen Versiegelungsgrad von 43 % bis 50 %. Auch unter den Erholungsflächen gibt es versiegelte Flächen (z. B. Sportplätze ). Siedlungs- und Verkehrsflächen führen unter anderem zur Abnahme von landwirtschaftlichen Flächen. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland hat in den Jahren 2007 bis 2010 (gleitender Vierjahresdurchschnitt) um durchschnittlich 87 ha/Tag zugenommen.1 Die Flächenzunahme hat sich damit gegenüber dem Zeitraum 2006 bis 2009 verlangsamt, in dem die Zunahme noch 94 ha/Tag betrug. Ziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist es, die tägliche Inanspruchnahme neuer Siedlungs- und Verkehrsflächen bis zum Jahr 2020 auf 30 ha/Tag zu reduzieren.2 Der gleitende Vierjahresdurchschnitt zeigt eine kontinuierliche Abschwächung des Zuwachses der Siedlungs- und Verkehrsfläche zwischen den Jahren 2000 (129 ha pro Tag) und 2010 (87 ha pro Tag). Mit einer Fortsetzung der durchschnittlichen jährlichen Entwicklung der letzten Jahre wird das vorgegebene Reduzierungsziel bis zum Jahr 2020 nicht erreicht. 1 Statistisches Bundesamt: Nachhaltige Entwicklung in Deutschland - Indikatorenbericht - 2012 https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/UmweltoekonomischeGesamtrechnungen/Umw eltindikatoren/IndikatorenPDF_0230001.pdf?__blob=publicationFile 2 BT-Drucksache 17/8721, Seite 70 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/087/1708721.pdf 2 Für Siedlungs- und Verkehrsflächen wird auch landwirtschaftliche Nutzfläche umgenutzt . Der Deutsche Bauernverband thematisiert in seiner Kampagne „Stoppt den Landfraß“ den zunehmenden Flächenverbrauch in der Bundesrepublik und nennt als einen Grund dafür die Flächeninanspruchnahme durch naturschutzrechtliche Ausgleichs - und Ersatzmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Vorbemerkung: Eine termingerechte Erhebung und Aufbereitung der umfangreichen Daten durch die zuständigen Behörden für die Beantwortung der Fragen 1 bis 5 ist, wie in der beigefügten Antwort der Landesregierung dargestellt, leider nicht möglich. Zuarbeiten der betroffenen Ressorts sind abgefordert. Parallel dazu wurden über das Landesverwaltungsamt Zuarbeiten der oberen Naturschutzbehörde und der Unteren Naturschutzbehörden in Auftrag gegeben. 1. Wie viel Landwirtschaftsfläche (in Prozent und Hektar) konnte auf Grund- lage der §§ 14 und 15 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) durch naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in Sachsen-Anhalt seit dem Jahr 2007 nicht mehr bewirtschaftet werden? Bitte in Jahresscheiben und nach Landkreisen angeben. 2. Wie viel Landwirtschaftsfläche (in Prozent und Hektar) wurde durch ande- re Formen der Flächeninanspruchnahme in Sachsen-Anhalt seit dem Jahr 2007 nicht mehr bewirtschaftet? Bitte in Jahresscheiben und nach Landkreisen angeben. 3. Für welche konkreten Eingriffe in Natur und Landschaft wurden diese Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gemäß § 15 BNatSchG geleistet und wie viel Landwirtschaftsfläche ging durch diese Eingriffe (ohne Einrechnung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen) verloren? Bitte in Jahresscheiben und nach Landkreisen angeben. 4. Für welche Eingriffe in Natur und Landschaft wurden in welcher Höhe Ausgleichszahlungen gemäß des BNatSchG im selben Zeitraum in Sachsen -Anhalt geleistet und wie viel Landwirtschaftsfläche ging durch diese Eingriffe verloren? Bitte in Jahresscheiben und nach Landkreisen angeben . 5. Wie haben sich die gesamte Landwirtschaftsfläche, die Ackerfläche und die Grünlandfläche seit dem Jahr 2007 in Sachsen-Anhalt quantitativ [m2] entwickelt? Die termingerechte Erhebung und Aufbereitung der umfangreichen Daten durch die Genehmigungsbehörden (Landkreise und das Landesverwaltungsamt) zur Beantwortung der Fragen 1 bis 4 ist nicht möglich. Die naturschutzrechtliche 3 Eingriffsregelung ist unselbständiger Teil des jeweiligen Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsverfahrens. Die Beantwortung der Frage 5 bedarf einer Auswertung und Aufbereitung der statistischen Daten durch die Fachbehörden. Die Antworten zu den Fragen werden sofort nach Erhalt der Zuarbeit nachgereicht. 6. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG sind für Ausgleichs- und Ersatzmaß- nahmen für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen. Ab welchen Wertzahlen nach dem Bodenschätzungsgesetz wird von der Landesregierung bei Ackerflächen und bei Grünland von einem „für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeigneten Boden“ ausgegangen? Die besondere Eignung von Böden für die landwirtschaftliche Nutzung kann nicht pauschal, sondern nur regional und im Einzelfall beurteilt werden. Die Landesregierung hat deshalb für die Vollzugsbehörden keine Vorgaben erlassen . 7. Nach § 15 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG ist bei der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung vorrangig zu prüfen, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, durch Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen oder durch Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen , die der dauerhaften Aufwertung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes dienen, erbracht werden kann, um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden. Gibt es bei Behörden und anderen öffentlichen Stellen, insbesondere der oberen und den unteren Naturschutzbehörden sowie den Ämtern für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten, Listen oder Verzeichnisse mit Flächen, die für Entsiegelungsmaßnahmen geeignet sind? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie werden diese nach Einschätzung der Landesregierung bei der Festlegung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen genutzt? Flächendeckend liegen keine Listen oder Verzeichnisse vor, die Auskunft über für Entsiegelungsmaßnahmen geeignete Flächen ausweisen, da die Erstellung solcher Listen unter Berücksichtigung möglicher Altlasten sowie zum Teil ungeklärter Besitzverhältnisse einen sehr hohen Ermittlungsaufwand zur Folge hätte und die Kompensationsverpflichteten aufgrund der immens hohen Kosten für die Entsiegelung und des im Verhältnis dazu sehr begrenzten naturschutzfachlichen Aufwertungspotenzials solche Maßnahmen kaum nutzen. Da auch bei der Festlegung von Kompensationsmaßnahmen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, führt die gesetzlich verankerte Prüfpflicht nicht dazu, dass trotz Vorliegen einzelner Auflistungen nunmehr im vermehrten Umfang Abriss- und Entsiegelungsmaßnahmen für die Kompensation der Eingriffsfolgen ausgewählt werden. Es ist aber vorgesehen, in Abstimmung zwischen dem Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr und dem Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt an Hand einer konkreten Maßnahme zu untersuchen, wie insbesondere mit Hilfe der Instrumente der Flurneuordnung und der damit verbundenen Finanzierungsmöglichkeiten der Abriss einer Stallanlage und die Entsiegelung der dazu 4 gehörenden Flächen durchgeführt werden kann, um anschließend die beräumte Fläche naturschutz-fachlich aufwerten zu können. Auf kommunaler Ebene liegen z. T. Brachflächenkataster vor, die die Wiedernutzung solcher Flächen für Neuinvestitionen im Rahmen der Bauleitplanung erleichtern sollen. 8. Welche Möglichkeiten der Vermeidung des Entzugs von Landwirtschafts- fläche durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Rahmen der naturschutz -rechtlichen Eingriffsregelung sieht die Landesregierung in einer verstärkten Nutzung von Ökokonten und Flächenpools? Ökokontomaßnahmen können kaum zu einer Vermeidung des Entzugs von Landwirtschaftsfläche durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen beitragen, wenn sie nicht auf land- oder forstwirtschaftlich genutzter Fläche entwickelt werden. Flächenpools dienen lediglich dazu, aufwertungsfähige und relativ schnell für diese Nutzung verwendbare Flächen vorzuhalten. Eine signifikante Verringerung der Flächeninanspruchnahme ist bei Ökokontomaßnahmen im Einzelfall und bei bestimmten Biotopausprägungen möglich, wenn zwischen der Durchführung der Maßnahmen und der Zuordnung zu einem konkreten Eingriff eine längere Zeit verstrichen ist und die Fläche sich optimal entwickelt hat. Beide Instrumente, insbesondere auch die von der Landgesellschaft SachsenAnhalt gestalteten Flächenpools, verfolgen den Ansatz, einen Teil der Kompensationspflichten des Eingriffsverursachers konsensorientiert mit den Flächennutzern umzusetzen. Sachsen-Anhalt hat hier mit untergesetzlichen Regelungen den Rechtsrahmen vollständig ausgefüllt.