Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1372 16.08.2012 (Ausgegeben am 16.08.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Zur Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/7583 Vorbemerkung des Fragestellenden: Auf ihrer Konferenz vom 31. Mai/1. Juni 2012 beschlossen die Jugend- und Familienminister (JMFK) der Länder Änderungen im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Die JMFK sprach sich gegen eine bundesweite Umverteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus, räumt jedoch die Möglichkeit länderinterner Regelungen bzw. von Kooperationsvereinbarungen im Rahmen des Unterbringungsverfahrens ein. Ausländische Kinder und Jugendliche, die nicht in Begleitung Erwachsener reisen, sollen gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII dort in Obhut genommen werden, wo sie angelangen. Im Rahmen des Inobhutnahmeverfahrens soll auch über notwendige Maßnahmen der Jugendhilfe entschieden werden. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind in den Jahren 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011 sowie im ersten Halbjahr 2012 in Sachsen-Anhalt angelangt? Aufstellung bitte nach Alter und Geschlecht differenziert vornehmen. Die Zugangszahlen der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ab dem Jahr 2004 können der unten stehenden Tabelle entnommen werden. Eine fortlaufende statistische Erfassung der Zugangszahlen erfolgt erst seit dem Jahr 2009. Die Angaben der Jahre 2004 bis 2008 beruhen auf eine Einzelabfrage bei den Landkreisen und kreisfreien Städten zum Stichtag 31.05.2008. Eine Differenzierung nach dem Geschlecht ist nicht vorgesehen. 2 Eine Ermittlung weiterer Daten im Sinne der Fragestellung könnte nur im Wege einer umfangreichen Einzelauswertung der entsprechenden Ausländerakten bei sämtlichen Ausländerbehörden des Landes erfolgen, wovon mit Blick auf den damit verbundenen erheblichen Verwaltungsaufwand aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abgesehen wurde. Jahr Alter 0 bis 16 Jahre 17 bis 18 Jahre 2004 34 45 2005 17 24 2006 19 25 2007 14 22 2008 (nur Januar bis Mai) 6 4 2009 10 28 2010 5 37 2011 20 40 1. Halbjahr 2012 10 39 2. Wo und wie wurden diese untergebracht? Aufstellung bitte nach Landkrei- sen und kreisfreien Städten differenziert vornehmen. Eine Statistik im Sinne der Fragestellung wird nicht geführt. Eine Ermittlung der Daten könnte nur im Wege einer umfangreichen Einzelauswertung der entsprechenden Akten in den Landkreisen und kreisfreien Städten erfolgen, wovon mit Blick auf den damit verbundenen erheblichen Verwaltungsaufwand aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abgesehen wurde. 3. Wie gestaltet sich die soziale und psychologische Betreuung und Beglei- tung dieser Kinder und Jugendlichen? Die Jugendhilfemaßnahmen im Sinne des Achten Buches Sozialgesetzbuch unterscheiden nicht zwischen ausländischen und inländischen Kindern. Insofern erhalten die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bei einer notwendigen Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII die gleichen Betreuungs- und Begleitungsmaßnahmen wie alle hilfsbedürftigen Kinder und Jugendliche. Unabhängig von diesem Grundsatz steht in Sachsen-Anhalt für die vorläufige Unterbringung und qualifizierte Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen neben jeder anderen geeigneten Jugendhilfeeinrichtung die Clearingstelle in Magdeburg als Inobhutnahmeeinrichtung im Sinne des § 42 SGB VIII zur Verfügung. Aufnahme finden hier sowohl alleinreisende Minderjährige, die in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt in Halberstadt ankommen, als auch diejenigen, die durch die örtlichen Jugendämter in den Landkreisen und kreisfreien Städten in Obhut genommen werden. Das Clearingverfahren zielt darauf ab, 3 die ausländer-, asylverfahrens- und jugendhilferechtlichen Aspekte im Interesse des Minderjährigen zu klären. Während des Verfahrens werden sozialpädagogische Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sowie migrationsspezifische Angebote (z. B. Deutschunterricht) unterbreitet. Der Vormundschaftsverein „Refugium e. V.“ steht als unabhängige rechtliche Vertretung für die Führung der Vormundschaften zur Verfügung. Er vertritt die Interessen der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in allen sie betreffenden Verfahren. Für die Migrationsberatung der Jugendlichen und jungen erwachsenen Zuwanderer bis zum 27. Lebensjahr sind die Jugendmigrationsdienste zuständig. Jugendmigrationsdienste , deren Beratungsstellen bedarfsgerecht in Sachsen-Anhalt verteilt sind, bieten auch den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine bedarfsspezifische Beratung und Betreuung an. Traumatisierte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge können im Psychosozialen Zentrum in Halle und Magdeburg behandelt werden. Es bietet Flüchtlingen eine kultursensible, fremdsprachenkompetente Therapie und Begutachtung speziell im Hinblick auf Traumatisierungen in den Herkunftsländern bzw. während der Flucht und Migration. 4. Wie beabsichtigt die Landesregierung die o. g. Beschlüsse der JMFK zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen umzusetzen und welche etwaigen landesinternen Regelungen oder Kooperationen sind in diesem Zusammenhang vorgesehen? Die Regelungen zur Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII sind für die Jugendämter rechtlich bindend. Die Ablehnung der Inobhutnahme eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings unter Hinweis auf das Asylverfahrensgesetz würde geltendem Recht widersprechen. Die Inobhutnahme, das Clearingverfahren sowie die asylverfahrens- und ausländerrechtliche Behandlung einschließlich der landesinternen Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt sind in einem gemeinsamen Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport und des Ministeriums für Arbeit und Soziales geregelt. Weiteren Handlungsbedarf sieht die Landesregierung mit Blick auf die Beschlüsse der Jugend- und Familienministerkonferenz derzeit nicht. 5. Die JMFK beauftragte die Bund-Länder-AG mit der Prüfung der Einführung einer Kostenerstattungsregelung, nach der auch die Verwaltungskosten, die den Kommunen durch die Gewährung von Jugendhilfe entstehen, erstattet werden sollen. Welche Ergebnisse liegen derzeitig vor? Welche Maßnahmen sind noch geplant? Unter Federführung des Landes Nordrhein-Westfalen wurde zur Regelung der Kostenerstattung für im Rahmen der Jugendhilfe entstehende Verwaltungskosten ein Gesetzentwurf erarbeitet, der derzeit länderübergreifend zur Abstimmung auf Arbeitsebene vorliegt.