Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/142 23.06.2011 (Ausgegeben am 27.06.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Sabine Dirlich (DIE LINKE) Kommunalisierung/Pauschalierung der Kosten der Unterkunft Kleine Anfrage - KA 6/7034 Vorbemerkung des Fragestellenden: Bundestag und Bundesrat haben am 25. Februar 2011 ein Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch beschlossen, nach dem die Bundesländer die Kreise und kreisfreien Städte per Landesgesetz ermächtigen oder verpflichten können, durch Satzung zu bestimmen, in welcher Höhe Kosten für Unterkunft und Heizung angemessen sind (§ 22a SGB II). Die Länder können die Kommunen zudem ermächtigen, die Bedarfe für Unterkunft und Heizung durch eine monatliche Pauschale abzugelten, sofern auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und die Pauschalierung dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Insbesondere Betroffeneninitiativen wie Erwerbslosen- und Sozialhilfevereine befürchten , dass im Ergebnis der Neuregelung die Leistungen für die Wohnkosten sinken und zunehmend nicht mehr die tatsächlichen Kosten abdecken werden. Steigende Mieten und Wohnnebenkosten könnten so bei einer großen Zahl von Erwerbslosen zu einer weiteren Unterschreitung des Existenzminimums führen. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales Vorbemerkung: Die in der Vorbemerkung der Fragestellerin verwendete Formulierung „…zu einer weiteren Unterschreitung des Existenzminimums führen…“ wird für nicht sachgerecht erachtet. Es ist nicht ersichtlich, woraus die Fragestellerin den Anschein der vorangegangenen Unterschreitung des Existenzminimums herleitet. Die Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II sieht für Leistungsberechtigte in der Regel die Übernahme der tatsäch- 2 lichen Kosten der Unterkunft und Heizung vor. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Kosten nicht angemessen sind. Dass sich die Angemessenheit am unteren Segment des örtlich zur Verfügung stehenden Wohnungsmarkts ausrichten muss, hat das Bundessozialgericht bereits entschieden. Dem Regel-Ausnahme-Verhältnis entsprechend werden exemplarisch in der Stadt Halle (Saale) rd. 95 % der tatsächlich anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen1. In den übrigen Kommunen des Landes sieht es ähnlich aus. Frage Nr. 1: Welche Abstimmungen und Vereinbarungen zur neu geschaffenen Gesetzeslage gab und gibt es bereits zwischen der Landesregierung und der kommunalen Ebene und wie beabsichtigt die Landesregierung, in Sachsen-Anhalt insgesamt damit umzugehen? Plant die Landesregierung gesetzgeberisch tätig zu werden ? Wenn ja, ab wann und inwiefern will sie dabei die unterschiedliche, zumeist aber angespannte Finanzsituation in den Kommunen berücksichtigen? Derzeit gibt es noch keine Abstimmungen und Vereinbarungen zwischen der Landesregierung und der kommunalen Ebene im Hinblick auf die durch die Neufassung der §§ 22ff. SGB II geschaffenen Gestaltungsmöglichkeiten. Die Landesregierung wird die Frage, ob in Sachsen-Anhalt von der Satzungskompetenz in § 22a SGB II Gebrauch gemacht werden soll, zunächst unter Beteiligung der kommunalen Ebene, insbesondere der kommunalen Spitzenverbände des Landes, gründlich prüfen. Die Landesregierung hat Aktionen in dieser Richtung momentan jedoch zurückgestellt, damit sich die Kommunen vorrangig auf den Aufbau der Verwaltungsstrukturen für die Erbringung der Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder und Jugendliche in Familien, die Leistungen nach dem SGB II, SGB XII, Kinderzuschlag und/oder Wohngeld beziehen, konzentrieren können. Ob und ggf. wann die Landesregierung gesetzgeberisch tätig wird, kann daher derzeit noch nicht vorausgesagt werden. Damit verbleibt es für die Leistungsberechtigten im Land vorerst bei der bisherigen Rechtslage. Frage Nr. 2: Wie beurteilt die Landesregierung hinsichtlich der Vorgaben in § 22a Abs. 2 SGB II die zu differenzierende Wohnungsmarktsituation in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten? Antwort bitte für jeden Landkreis und jede kreisfreie Stadt geben. Es wird auf die Antwort zu Frage Nr. 1 verwiesen. Eine Erörterung mit den Kommunen des Landes fand noch nicht statt. Frage Nr. 3: In welchem Maß wird die Landesregierung im Umgang mit den neuen bundesgesetzlichen Regelungen wirksame Vorkehrungen dafür treffen, dass die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung im Einzelfall auch künftig die tatsächlichen Kosten decken? Wie will sie sicherstellen, dass sie nicht niedriger als bisher und nicht unterhalb der Vorgaben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegen? Es wird auf die Antwort zu Frage Nr. 1 verwiesen. 1 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Stand Feb. 2011 3 Frage Nr. 4: In welcher Form beabsichtigt die Landeregierung, zukünftig dafür Sorge zu tragen, dass in den Kommunen sozial ausgeglichene Bewohnerstrukturen geschaffen und erhalten werden können und in hinreichendem Maße der Gefahr einer Konzentration prekärer Wohn- und Lebensverhältnisse begegnet wird? Nach der aktuell im Land gültigen Rechtslage, insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, sieht die Landesregierung keine Gefahr einer Konzentration präkerer Wohnstrukturen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestimmt sich die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft aus dem Produkt aus (fiktiv) angemessener Wohnfläche und dem Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards am örtlichen Wohnungsmarkt (so z. B. BSG, Urt. vom 22. September 2009, Az.: B 4 AS 18/09 R, Rn. 13 ff.). Das Bundessozialgericht betont insbesondere, dass die Verhältnisse des einfachen Wohnstandards , nicht jedoch des untersten Mietsegments, maßgeblich sind. Dabei sieht das Bundessozialgericht ferner ausdrücklich vor, dass die für das Konzept zur Festlegung der angemessenen Unterkunftskosten durchzuführende Datenerhebung über einen ausreichend großen Vergleichsraum erfolgen muss, um der Ghettobildung vorzubeugen (BSG, a. a. O., Rn. 19). Daher sind, ausgehend vom jeweiligen Wohnort der Hilfeempfängerin/des Hilfeempfängers, diejenigen ausreichend großen Räume (nicht bloße Orts- oder Stadtteile) Vergleichsmaßstab der Wohnbebauung, die aufgrund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebensund Wohnbereich bilden. Wie die Beibehaltung des Standards bei einer eventuellen Satzungsermächtigung der Kommunen sichergestellt werden kann, wird durch die Landesregierung ggf. noch zu prüfen sein. Frage Nr. 5: Mit welchen Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung der Leistungen nach dem Wohngeldgesetz rechnet die Landesregierung aufgrund der veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen in Sachsen-Anhalt? Durch Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen im SGB II und SGB XII hinsichtlich der Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung wird nicht mit Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung der Leistungen nach dem Wohngeldgesetz gerechnet. Auswirkungen sind durch die auf dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (EGRBEG) vom 24. März 2011 beruhenden Änderungen des § 12a SGB II zu erwarten, der Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen , sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Durch die Regelungen in Satz 2 sind Leistungsempfangende nicht verpflichtet, Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde. Durch Beibehaltung der Möglichkeit, auf freiwilliger Basis weiterhin Wohngeld für ein weiteres Haushaltsmitglied oder Wohngeld und Kinderzuschlag für Zeiträume 4 unterhalb von drei Monaten zu beantragen, werden auch im Einzelfall Schlechterstellungen vermieden. Die Regelung führt zu Einsparungen bei Wohngeldleistungen von Bund und Land. Die Inanspruchnahme von Leistungen für die Unterkunft nach dem SGB II und SGB XII würde in vergleichbarem Umfang zunehmen. Allerdings bleibt abzuwarten, inwieweit die Leistungsberechtigten auf die veränderten Bedingungen reagieren werden. Des Weiteren ist gegenüber dem Monat Mai ein leichter Anstieg von Erstanträgen für Leistungen des Monats Juni - bei insgesamt sinkender Anzahl von Wohngeldempfängern - zu verzeichnen, der darauf zurückzuführen sein könnte, dass auch Kindern in Wohngeldhaushalten gemäß Artikel 5 EGRBEG (Änderung des Bundeskindergeldgesetzes ) Leistungen zustehen. Auch hier sind die finanziellen Auswirkungen nicht absehbar, da die angesichts der Gesetzesänderung mögliche Zunahme der Wohngeldanträge für Haushalte mit Kindern abzuwarten bleibt. Im Jahr 2010 wurden 67,2 Millionen € Wohngeld gezahlt. Die aktuelle Prognose für das Jahr 2011 liegt bei ca. 64 bis 65 Millionen €.