Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1439 17.09.2012 (Ausgegeben am 17.09.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Monika Hohmann (DIE LINKE) Frühkindliche Sprachstandserhebung und Sprachförderung in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/7586 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales Frage Nr. 1: Wie viele Kinder nahmen im Zeitraum von 2009 bis 2011 an den Sprachstandstests in den Kindertageseinrichtungen teil? Bitte geschlechtsspezifisch darstellen . Antwort zu Frage Nr. 1: Im Kindergartenjahr 2009/2010 nahmen insgesamt 16.066 Kinder in Sachsen-Anhalt an der Sprachstandsfeststellung teil. Davon waren 7.787 weiblich und 8.279 männlich . Für das Kindergartenjahr 2010/2011 konnte die Auswertung noch nicht abgeschlossen werden. Frage Nr. 2: Wie viele der unter 1. erfragten Kinder erhielten in den Jahren 2009 bis 2011 anschließende Sprachförderung? Bitte geschlechtsspezifisch darstellen und die Anteile der Kinder, die Sprachförderung in und außerhalb (Logopädie) der Kindertageseinrichtungen erhielten, darstellen. Antwort zu Frage Nr. 2: Im Kindergartenjahr 2009/2010 wurde im Rahmen der gemäß § 36 Abs. 2a Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SchulG LSA) durchgeführten Sprachstandsfeststellung bei 1.711 Kindern (722 weiblich und 989 männlich) festgestellt, dass sie eine über das übliche Maß hinausgehende pädagogische Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Sprachkompetenz bzw. bei der Aneignung der deutschen Sprache benötigen . Für diese Kinder war gemäß § 36 Abs. 2b SchulG LSA die Teilnahme an gezielten zusätzlichen pädagogischen Sprachfördermaßnahmen in der Kindertageseinrichtung im Kindergartenjahr 2010/2011 verpflichtend. Da für dieses Kindergartenjahr die 2 statistische Auswertung noch nicht abgeschlossen werden konnte, ist eine Darstellung der tatsächlichen Teilnehmerzahlen nicht möglich. Die Sprachstandsfeststellung in den Kindertageseinrichtungen hat nicht den Anspruch und ist auch nicht dafür geeignet, die Notwendigkeit einer sprachtherapeutischen oder logopädischen Behandlung zu erfassen. Für diese Diagnose ist auch das Testmaterial nicht geeignet. Ob bei einem Kind die Ursache für nicht altersgerecht entwickelte Fähigkeiten in Deutsch in einer Sprachentwicklungsstörung begründet liegt, lässt sich nur durch Fachexpertinnen und -experten (z. B. Kinderärztinnen /-ärzte, Logopädinnen/Logopäden) und mit spezifischer Sprachdiagnostik feststellen . Es bedarf auch einer spezifischen Sprachheilbehandlung bzw. -therapie. Es handelt sich somit bei der pädagogischen Sprachförderung (im Kindergartenalltag) und der Sprachheilbehandlung bzw. -therapie um zwei unterschiedliche Themengebiete . Der Landesregierung liegen keine aufgeschlüsselten Erhebungen über die Anzahl der Kinder vor, die außerhalb der Kindertageseinrichtung im Rahmen einer Sprachheilbehandlung bzw. -therapie gefördert wurden. Frage Nr. 3: Wie viele der unter 2. erfragten Kinder sind Kinder mit Migrationshintergrund und mit Benachteiligungen und/oder Behinderungen? Bitte geschlechtsspezifisch darstellen. Antwort zu Frage Nr. 3: Von den 1.711 Kindern, bei denen im Kindergartenjahr 2009/2010 ein Bedarf für eine zusätzliche pädagogische Sprachförderung festgestellt wurde, besaßen 274 Kinder (106 weiblich und 168 männlich) einen Migrationshintergrund. Der Landesregierung liegen keine Daten zur Anzahl der Kinder mit Benachteiligungen und/ oder Behinderungen vor, bei denen im Kindergartenjahr 2009/2010 ein Bedarf für eine zusätzliche pädagogische Sprachförderung festgestellt wurde. Frage Nr. 4: In welcher Form werden die Ergebnisse der in den Tageseinrichtungen durchgeführten Sprachstandstests und im Einzelfall anschließenden Maßnahmen der Sprachstandsförderung von den Tageseinrichtungen erhoben? Antwort zu Frage Nr. 4: Die Ergebnisse der Sprachstandsfeststellung werden in eigens hierfür entwickelten Ergebnisbögen festgehalten. Den Erziehungsberechtigten werden auf der Grundlage dieses Ergebnisbogens das Ergebnis und das ggf. weitere Verfahren erläutert. Wenn für Kinder das Verfahren nach dem Grob-Screening mit „Delfin 4 - Stufe 1“ nicht abgeschlossen ist - also die Notwendigkeit einer Teilnahme am Fein-Screening mit „Delfin 4 - Stufe 2“ oder an der zusätzlichen pädagogischen Sprachförderung besteht -, wird der Schulträger mit dem Ergebnisbogen informiert. Nach Abschluss der Sprachstandsfeststellung werden die zusammengefassten Daten jeder Kindertageseinrichtung dem Landesjugendamt in anonymisierter Form zugeleitet. Alle im Rahmen der Sprachstandsfeststellung erhobenen personengebundenen Daten sind zu vernichten, sobald diese für die Durchführung der Aufgabe nicht mehr erforderlich sind, spätestens jedoch mit Beginn des Schuljahres, in dem das Kind in die Schule eintritt. 3 Vorgaben für die Form der Ergebnissicherung der Sprachfördermaßnahmen bei festgestelltem Sprachförderbedarf gibt es nicht. Frage Nr. 5: Welche Maßnahmen berücksichtigen im Bereich frühkindliche Sprachförderung die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung und deren Anspruch auf Barrierefreiheit, inklusive Angebote und persönliche Assistenz gemäß der UNBehindertenrechtskonvention ? Antwort zu Frage Nr. 5: Die Sprachförderung ist ein Schwerpunkt der Bildungsarbeit in allen Kindertageseinrichtungen . Das Bildungsprogramm „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ enthält als einen der sechs Bildungsbereiche den Bereich „Kommunikation, Sprache (n) und Schriftkultur“. Sprachliche Bildungsprozesse nicht nur zu ermöglichen, sondern herauszufordern, ist der fachliche Qualitätsanspruch in diesem Bildungsbereich . Dies ist eine permanente Aufgabe für die pädagogischen Fachkräfte, die sich durch den gesamten Alltag zieht. Es gibt jedoch Kinder, die mehr Unterstützung brauchen als andere. Um ihnen zu helfen, wird die Sprachstandsfeststellung durchgeführt. Wenn dieser Test zeigt, dass das jeweilige Kind eine über das übliche Maß hinausgehende pädagogische Unterstützung bei der Entwicklung seiner Sprachkompetenz bzw. bei der Aneignung der deutschen Sprache benötigt, wird es anschließend ein Jahr lang in der Kindertageseinrichtung mit besonderer Aufmerksamkeit gefördert. Anhand der Testergebnisse ist den Fachkräften der Tageseinrichtung ersichtlich, ob und in welchen Bereichen das zu fördernde Kind einen zusätzlichen pädagogischen Sprachförderbedarf aufweist . Gemäß § 8 des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege des Landes Sachsen-Anhalt (Kinderförderungsgesetz - KiFöG) sind die Tageseinrichtungen verpflichtet, entsprechende Maßnahmen für Kinder, die aufgrund von Behinderung oder Benachteiligungen besonderer Förderung und Betreuung bedürfen, vorzuhalten. Dies gilt auch für die Umsetzung der Sprachförderung gemäß Bildungsprogramm sowie bei festgestelltem Bedarf für eine zusätzliche pädagogische Sprachförderung. Über die Art der Maßnahmen liegen der Landesregierung keine statistischen Daten vor. Wenn bei einem Kind mit Behinderung durch Fachexpertinnen bzw. -experten und mit spezifischer Sprachdiagnostik die Notwendigkeit einer sprachtherapeutischen oder logopädischen Behandlung festgestellt wurde, sind unabhängig von den Maßnahmen im Rahmen der Sprachförderung gemäß Bildungsprogramm und zur zusätzlichen pädagogischen Sprachförderung weitere individuelle Leistungen möglich. Dies können z.B. Frühförderung gemäß § 30 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) oder heilpädagogische Leistungen nach § 56 SGB IX zur Förderung der Sprache sein. Frage Nr. 6: Aus welchen Gründen hat das Land von einer Evaluation der seit 2009 in den Tageseinrichtungen laufenden Sprachstandserhebungen und Sprachstandsförderungen abgesehen? 4 Frage Nr. 7: Ist beabsichtigt, eine solche Evaluation durchzuführen? Falls ja, zu welchem Zeitpunkt? Falls nein, bitte begründen. Antwort zu Frage Nr. 6 und Nr. 7: Für die Durchführung einer qualitativ angemessenen Evaluation der Sprachstandserhebung und der Sprachförderung bedarf es einer hinreichenden Datengrundlage. Seitens der Landesregierung wird hierzu eingeschätzt, dass dafür mindestens drei abgeschlossene Zyklen notwendig sind. Aufgrund der aktuellen Entwicklung aber auch aufgrund der begrenzten Haushalts-mittel wurde entschieden, die Planungen für 2013/2014 nicht mehr weiterzuführen. Frage Nr. 8: Wie viele Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt nehmen am Bundesprogramm „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ teil? In welcher Höhe werden Bundesmittel in Anspruch genommen? Antwort zu Frage Nr. 8: In Sachsen-Anhalt werden 94 Vorhaben (86 Einzelkindertageseinrichtungen und 8 Verbünde) mit 102 halben Stellen gefördert. Jede geförderte Einrichtung erhält pro Jahr 25.000 € für eine halbe Stelle einer pädagogischen Fachkraft mit spezieller sprachpädagogischer Qualifizierung. Einrichtungsverbünde erhalten pro Jahr 50.000 € für die Finanzierung einer Vollzeitstelle. Frage Nr. 9: Welche Aus- und Fortbildungsprogramme für Personal im Bereich der frühkindlichen Sprachförderung wurden realisiert, und welche finanziellen Hilfen wurden bzw. werden durch das Land dafür bereitgestellt? Antwort zu Frage Nr. 9: Im März 2009 wurden im Rahmen der Einführung der Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung 89 „Multiplikatorinnen für Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung mit Delfin 4“ in 3 zweitägigen Fortbildungsveranstaltungen qualifiziert. 88 von diesen Multiplikatorinnen haben von Mai bis Juli 2009 in einem zweiten Schritt jeweils ca. 15 Fachkräfte aus verschiedenen Kindertageseinrichtungen qualifiziert, so dass Qualifizierungen bei mindestens jeweils einer Fachkraft aus den zu schulenden 1.390 Kindertageseinrichtungen vorliegen. Diese Fachkräfte haben dann ihre Teams geschult. Eine Fachschullehrerin nahm an der Qualifizierung zur Multiplikatorin teil, um die Lehrerinnen und Lehrer der Fachschulen für Sozialpädagogik zu qualifizieren. Die 88 Multiplikatorinnen für die Kindertageseinrichtungen standen bis Ende des Jahres 2009 für Nachfragen und Beratung zur Verfügung. Für die Qualifizierung der Multiplikatorinnen wurden durch das Land insgesamt 76.400,00 € bereitgestellt (je 2.000,00 € für die 3 Fortbildnerinnen der TU Dortmund sowie je 800,00 € für die 88 Multiplikatorinnen für die Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen). Im Dezember 2010 wurde eine Fachtagung zum Thema „Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung in Sachsen-Anhalt“ durchgeführt. Dabei hatten pädagogische Fachkräfte aus Kindertageseinrichtungen und Grundschulen die Möglichkeit, detaillierte Informationen zum Thema zu erhalten. In diesem Zusammenhang wurden auch die Ergebnisse des Screenings 2010 vorgestellt. 5 Weitere Fortbildungsangebote hält das Land im Rahmen des Fortbildungsprogramms des Landesjugendamtes für sozialpädagogische Fachkräfte des Landes Sachsen-Anhalt bereit. Frage Nr. 10: Wie hoch ist der Anteil therapeutischen Fachpersonals an der Umsetzung der Sprachstandserhebung und Sprachstandsförderung in den Kindertageseinrichtungen ? Antwort zu Frage Nr. 10: Hierzu liegen der Landesregierung keine Daten vor. Frage Nr. 11: Vor dem Hintergrund des nach wie vor erheblichen Forschungs- und Entwicklungsbedarfs in diesem Bereich erarbeiten Bund und Länder derzeit eine gemeinsame Initiative zur Weiterentwicklung der Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung einschließlich unterstützender Forschung. Wie ist der aktuelle Sachstand dazu? Antwort zu Frage Nr. 11: Am 19. Oktober 2011 hat die Jugend- und Familienministerkonferenz mit einem Umlaufbeschluss „Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich der Sprachförderung , Sprachdiagnostik und Leseförderung" beschlossen, sich an der von der Steuerungsgruppe zur „Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich“ von Bund und Ländern gemäß Artikel 91b Abs. 2 GG geplanten gemeinsamen Initiative von Bund und Ländern im Bereich „Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung“ zu beteiligen. Herr Staatssekretär Prof. Klaus Schäfer aus Nordrhein-Westfalen wurde als Vertreter der JFMK benannt. Aufgabe der Steuerungsgruppe ist die Erstellung einer Expertise in Verantwortung eines wissenschaftlichen Konsortiums unter Vorsitz von Herrn Prof. Schneider (Universität Würzburg). Die Expertise liegt noch nicht vor. Frage Nr. 12: Auf der 334. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz am 9./10. Juni 2011 in Hannover haben die Kultusminister beschlossen, die Wirksamkeit der Sprachstandserhebungen sowie Sprachfördermaßnahmen vor dem Schuleintritt und während der Schulzeit mit dem Ziel zu überprüfen, länderübergreifende Empfehlungen zu erarbeiten. Wie ist der aktuelle Arbeitsstand der Erarbeitung? Antwort zu Frage Nr. 12: Eine Befassung der Kultusministerkonferenz mit der Expertise zur Wirkung der Sprachstandserhebung sowie Sprachfördermaßnahmen ist erst für das IV. Quartal 2012 vorgesehen.