Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1657 03.12.2012 (Ausgegeben am 03.12.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Strafverfahren gegen Mitglieder des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ Kleine Anfrage - KA 6/7670 Vorbemerkung des Fragestellenden: Die deutsche Sektion des internationalen Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ wurde im September 2000 durch das Bundesministerium des Innern verboten. Auch nach dem Verbot kam es immer wieder zu Aktivitäten von Mitgliedern des Netzwerks, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richteten. Presseberichten zufolge leitete die Staatsanwaltschaft Halle nach dem Verbot ein Verfahren gegen insgesamt 38 Beschuldigte aus dem gesamten Bundesgebiet ein, weil diese die Aktivitäten des Netzwerks fortgeführt hätten. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung Vorbemerkung: Erkenntnisse der Landesregierung, die eine Fortführung der damals so bezeichneten „verbotenen rechtsextremen Netzwerkstruktur Blood an Honour“ in Sachsen-Anhalt belegen könnten, waren schon einmal Gegenstand einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Britta Ferchland (damals PDS) vom 26. Oktober 2000, Landtagsdrucksache 3/3769. Aus Gründen der Geheimhaltung und des Quellenschutzes wurde von der damaligen Landesregierung am 4. Dezember 2000 (Drs. 3/3924) keine Antwort erteilt und stattdessen auf eine am 20. Oktober 2000 erfolgte Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) verwiesen. 2 1. Welche Strafverfahren gegen Mitglieder des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ wurden in der Zeit bis zum Verbot des Netzwerks sowie im Zusammenhang mit dessen Aktivitäten durch sachsen-anhaltische Strafverfolgungsbehörden geführt? Bitte Strafverfahren, Behörde, Beginn des Verfahrens, Verfahrensgegenstand/-gegenstände, Anzahl der Beschuldigten und Verfahrensausgang einzeln auflisten. 2. Welche Strafverfahren gegen Mitglieder des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ wurden in der Zeit nach dem Verbot des Netzwerks sowie im Zusammenhang mit dessen Aktivitäten durch sachsen-anhaltische Strafverfolgungsbehörden geführt? Bitte Strafverfahren, Behörde, Beginn des Verfahrens, Verfahrensgegenstand/-gegenstände, Anzahl der Beschuldigten und Verfahrensausgang einzeln auflisten. Antwort der Landesregierung auf die Fragen 1) und 2): Die Mitgliedschaft in der Vereinigung „Blood and Honour“ wurde bestimmungsgemäß vor oder nach deren Verbot weder im Ministerium für Justiz und Gleichstellung noch im Geschäftsbereich der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg oder bei den ihr nachgeordneten Staatsanwaltschaften als EDV-Merkmal erfasst . Auch im Bundeszentralregister sind solche Angaben nicht enthalten. Die Kleine Anfrage könnte deshalb nur vollständig beantwortet werden, wenn sämtliche Ermittlungsakten aus den Jahren vor und nach dem Verbot der Vereinigung „Blood & Honour“ einzeln darauf durchgesehen würden, ob sich aus Ihnen irgendwelche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit der jeweiligen Beschuldigten zu dieser Vereinigung ergeben. Dies wäre mit einem zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage unvertretbaren Aufwand verbunden. Deshalb können die Fragen nicht vollständig beantwortet werden. Identifiziert werden konnte das von der Staatsanwaltschaft Halle unter dem Aktenzeichen 422 Js 9081/01 bearbeitete Verfahren, bei dem es sich um das in der Vorbemerkung bezeichnete Verfahren handeln dürfte. Dieses Ermittlungsverfahren richtete sich ursprünglich gegen eine Vielzahl von Beschuldigten wegen der Fortführung der rechtsextremistischen Organisation „Blood and Honour Division Deutschland“ nach deren Verbot durch Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 12. September 2000. Die Ermittlungen sind mit Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Halle am 13. Oktober 2006 gegen sieben Angeschuldigte wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot nach § 85 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 StGB abgeschlossen worden. Hinsichtlich eines weiteren Beschuldigten wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO, hinsichtlich der zahlreichen weiteren Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatnachweises eingestellt. Mit Urteil vom 12. März 2008 erkannte das Landgericht Halle - 8. große Strafkammer als Staatsschutzkammer - fünf Angeklagte der Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts einer unanfechtbar verbotenen Vereinigung für schuldig und verhängte gegen eine Angeklagte eine Geldstrafe von 75 und gegen zwei weitere Angeklagte Geldstrafen von jeweils 80 Tagessätzen zu je 25,00 €, wovon wiederum für jeden Angeklagten 10 Tagessätze als verbüßt galten . 3 Zwei Angeklagte wurden verwarnt unter Vorbehalt einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen für den einen und einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen für den anderen Angeklagten. Hinsichtlich zwei weiterer Angeklagter stellte das Landgericht Halle das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO ohne Auflagen bzw. gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung von 300,00 € an die Landeskasse jeweils mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ein. Hinsichtlich vier der Angeklagten erwuchs das Urteil in Rechtskraft. Auf die Revision eines der beiden Angeklagten, die unter Strafvorbehalt verwarnt worden waren, stellte der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 5. Februar 2009 das Verfahren mit Zustimmung des Generalbundesanwalts nach § 153 Abs. 2 StPO ein. Zu diesem Verfahren wird unten zu Ziffer 5.) noch gesondert ausgeführt. 3. Befanden sich unter den Beschuldigten in Strafverfahren hiesiger Behörden auch Personen aus der sog. 41er- bzw. der 100er-Liste des BKA im NSU-Komplex? Falls ja, wer? Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei der „41er“-Liste um die Aufstellung derjenigen Personen handelt, die vom Bundeskriminalamt in der Antwort auf einen „Beweisbeschluss BKA-2“ des Zweiten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in der 17. Wahlperiode (kurz: 2. PUA) berücksichtigt wurden. Diese Liste ist als „VS-NfD“ klassifiziert. Zur sog. „100er“-Liste hat das BKA am 8. November 2012 mitgeteilt, dass diese hingegen als „VS-V“ eingestuft wurde, ausschließlich zum Zwecke der Erfüllung des Beweisbeschlusses BMI-7 des 2. PUA erstellt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz übersandt worden ist. Aufgrund einer Entscheidung des Generalbundesanwaltes (GBA) stünden alle Anfragen bezüglich dieser Personenübersichten unter Entscheidungsvorbehalt des GBA. Der Generalbundesanwalt hat allerdings ein Ersuchen des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt um Übermittlung der „100er“-Liste unter Verweis darauf abgelehnt, dass die Liste nicht auf Erkenntnissen beruhe, die im Rahmen eigener Ermittlungsverfahren erlangt wurden und sich lediglich bei Einzelabfragen hinsichtlich bestimmter auf der Liste geführter Personen die Genehmigung vorbehalten. Aufgrund dessen konnten hier lediglich die Personendaten der o. g. „41er“-Liste daraufhin überprüft werden, ob sie mit Beschuldigten aus im Geschäftsbereich der hiesigen Staatsanwaltschaften geführten Straf- bzw. Ermittlungsverfahren übereinstimmen. Dies führte zu folgenden Ergebnissen: Drei der auf der „41er“-Liste aufgeführten Personen wurden als Beschuldigte in Ermittlungsverfahren geführt. Alle Ermittlungsverfahren wurden nach Maßgabe von § 170 Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. In allen Fällen erfüllte das angezeigte Verhalten entweder keinen Straftatbestand oder aber es fehlte an einem Nachweis für die Tatbegehung durch die Beschuldigten. Zwei weitere Personen der „41er“-Liste sind zudem als Betroffene in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren erfasst worden. 4 Eine Anklageerhebung konnte gegen keine auf der „41er“-Liste aufgeführte Person festgestellt werden. Mit Blick auf die Unschuldsvermutung sieht sich die Landesregierung nach Einstellung sämtlicher Ermittlungsverfahren gehindert, die Namen der betroffenen Personen zu benennen, zumal sich keines der vorstehend genannten Verfahren gegen ein Mitglied des sog. „NSU-Trios“ richtete. 4. Gab es - vor oder nach dem Verbot von „Blood and Honour“ - Verfahren in Zusammenhang mit dem Neonazi-Netzwerk gegen Beschuldigte aus Sachsen -Anhalt in anderen Bundesländern? Falls ja, welche? Die Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaften des Landes Sachsen -Anhalt haben keinen Zugriff auf Daten zu Ermittlungsverfahren aus anderen Bundesländern. Es gibt nur das staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister, über das eine Recherche nach Beschuldigtennamen und allgemeinen Straftatbeständen unter einem Bezugsaktenzeichen möglich ist. Darüber hinausgehende Recherchen würden Datenschutzbestimmungen und nicht zuletzt das aus Artikel 2 Grundgesetz abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen verletzen und verbieten sich daher. 5. Entspricht es den Tatsachen, dass im Verfahren gegen 38 Beschuldigte die Staatsanwaltschaft Halle Ermittlungen aus „ermittlungstaktischen Gründen” nicht mit dem Bundesamt sowie den Landesämtern für Verfassungsschutz abstimmte? Welche „ermittlungstaktischen Gründe“ standen einer länderübergreifenden Abstimmung entgegen? Gemeint ist offensichtlich das oben bereits in der Antwort zu Ziffer 2.) dargestellte Strafverfahren 422 Js 9081/01 der Staatsanwaltschaft Halle. Der dieses Verfahrens anfangs bearbeitende Oberstaatsanwalt wechselte während des laufenden Ermittlungsverfahrens zur Staatsanwaltschaft Hildesheim in Niedersachsen und dürfte inzwischen pensioniert sein. Die abschließende Bearbeitung des Verfahrens erfolgte sodann durch einen heute noch bei der Staatsanwalt Halle tätigen Staatsanwalt. Auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft wurden diesem Staatsanwalt die Fragen zu Ziffer 5.) vorgelegt. Dieser hat keine Erinnerung daran, dass aus „ermittlungstaktischen Gründen“ mit dem Bundesamt oder dem Landesamt für Verfassungsschutz eine Abstimmung nicht erfolgte. 6. Gab es weitere Strafverfahren im Kontext von „Blood and Honour“, bei denen aus ermittlungstaktischen oder anderen Gründen eine Abstimmung mit Behörden des Bundes oder anderer Länder unterblieb? Falls ja, welche und warum? Da keine weiteren Verfahren feststellbar sind (s. o.), kann auch diese Frage nicht beantwortet werden.