Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1736 04.01.2013 (Ausgegeben am 08.01.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Andreas Steppuhn (SPD) Ausschreibung und Vergabe von Rettungsdienstleistungen im Landkreis Harz Kleine Anfrage - KA 6/7694 Vorbemerkung des Fragestellenden: Im Landkreis Harz ist die Neuausschreibung zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen für Teilbereiche ins Stocken geraten. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie stellt sich der aktuelle Sachstand bei der Neuausschreibung der Ver- gabe von Rettungsdienstleistungen im Landkreis Harz dar? Die Ausschreibung von Leistungen im Rettungsdienst des Landkreises Harz wurde im Juli 2012 europaweit bekannt gemacht. Dies erfolgte in Vollzug der Entscheidung der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt vom 5. August 2011 (1 VK LSA 05/11), die durch Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. Dezember 2011 (2 Verg 10/11) bestätigt wurde. In dem laufenden Vergabenachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe von Leistungen im Rettungsdienst wurden die Vergabenachprüfungsanträge von zwei Antragstellern mit Beschluss der Vergabekammer beim LVwA vom 19. Oktober 2012 (2 VK LSA 17/12) insgesamt zurückgewiesen bzw. bereits verworfen . Gegen diesen Beschluss legte eine der Antragsstellerinnen Beschwerde beim OLG Naumburg ein. Als Termin für die mündliche Verhandlung wurde der 15. Februar 2013 anberaumt. Folglich ist mit dem endgültigen Abschluss dieses 2 Vergabenachprüfungsverfahrens in Form einer Entscheidung durch das OLG Naumburg nicht vor Anfang bzw. Mitte März 2013 zu rechnen. Erst wenn die Entscheidung des OLG Naumburg vorliegt, wird das gegenständliche Vergabeverfahren fortgeführt. 2. Wie bewertet die Landesregierung die Entscheidungen der ordentlichen Gerichte und der Vergabekammern in diesem Zusammenhang und welche Schlussfolgerungen werden daraus gezogen? Aufgrund der bestehenden Gewaltenteilung in der Bundesrepublik Deutschland steht der Landesregierung eine Bewertung der Entscheidungen der Judikative nicht zu. Die Entscheidungen der ordentlichen Gerichte und der Vergabekammer führten aktuell zur Novellierung des Rettungsdienstgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt, welches zum 1. Januar 2013 in Kraft tritt. 3. Wie stellen sich die einzelnen Entscheidungen im Detail dar? 1. Die Einbeziehung eines Dritten in die Erfüllung der Aufgabe des bodenge- bundenen Rettungsdienstes durch den Aufgabenträger beruht nach dem RettDG LSA 2006 auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag, der auch konkludent zustande kommen kann. Mit der Verlängerung einer Genehmigung nach § 11 RettDG LSA 2006 ist regelmäßig konkludent das Angebot verbunden , einen Auftrag zu den Konditionen des gesetzlich geregelten Beteiligtenmodells und im Rahmen der Genehmigung zu erteilen. 2. Ein Vertrag über die Erbringung von Leistungen des bodengebundenen Ret- tungsdienstes durch Dritte nach dem im RettDG LSA 2006 geregelten Beteiligungsmodell ist keine Dienstleistungskonzession. 3. Für die Antragsbefugnis in einem Nachprüfungsverfahren, welches die Fest- stellung der Unwirksamkeit von öffentlichen Aufträgen nach § 101b GWB zum Gegenstand hat, ist es ausreichend, dass dem Antragsteller durch die beanstandete Direktvergabe die Chance zur Beteiligung an einer Ausschreibung genommen wird. 4. Für ein Nachprüfungsverfahren, welches die Feststellung der Unwirksamkeit eines oder mehrerer öffentlicher Aufträge nach § 101b GWB zum Gegenstand hat, gilt an Stelle der allgemeinen Regelung zur Antragsfrist in § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB die speziellere Regelung des § 101b Abs. 2 GWB. 5. Eine Ausnahme von der Verpflichtung des Aufgabenträgers zur Durchfüh- rung eines förmlichen Vergabeverfahrens für die Erteilung eines Auftrags zur Erbringung von Dienstleistungen des bodengebundenen Rettungsdienstes durch Dritte ergibt sich nicht aus § 15 Abs. 2 RettDG LSA 2010. (zitiert nach juris; Aktenzeichen: 2 Verg 10/11, Entscheidungsdatum: 22. Dezember 2011) Die Entscheidung der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt vom 5. August 2011 (1 VK LSA 05/11) und der Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. Dezember 2011 (2 Verg 10/11) können im Wortlaut bei Be- 3 darf im Ministerium für Inneres und Sport abgefordert oder im Rechtsportal juris eingesehen werden. 4. Wie bewertet es die Landesregierung, dass die Übergangsregelung des Landes in § 15 des Rettungsdienstgesetzes, welche es den Landkreisen ermöglicht, mit der Neuausschreibung noch bis zum 31. Dezember 2013 zu warten, offensichtlich nicht standgehalten hat? Mit Gesetz zur Änderung des RettDG LSA vom 1. Dezember 2010 und der damit verbundenen Einführung einer Übergangsregelung in § 15 war es das gesetzgeberische Ziel, die erheblichen Rechtsunsicherheiten bei der Erteilung von Genehmigungen für den bodengebundenen Rettungsdienst bis zur Novelle des RettDG LSA zu überwinden und eine Verlängerung bestehender Genehmigungen , bis zum 31. Dezember 2013, ohne Ausschreibung vorübergehend zu ermöglichen . Mit Beschluss vom 22. Dezember 2011 (2 Verg 10/11) hat der Vergabesenat des OLG Naumburg sich dahin gehend geäußert, dass sich aus § 15 RettDG LSA 2010 keine Ausnahme zur Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens für die Erteilung eines Auftrages zur Erbringung von Dienstleistungen des bodengebundenen Rettungsdienstes durch Dritte ergibt. Diesem Beschluss ist Folge zu leisten. 5. Ist in Bezug auf Frage 2 der Rechtsweg durch den Landkreis Harz ausge- schöpft worden? Der LK Harz hat den Rechtsweg vollständig ausgeschöpft. 6. Wie bewertet es die Landesregierung, dass die Neuausschreibung zur Vergabe der Rettungsdienstleistungen im Landkreis Harz gegebenenfalls dazu führt, dass die Beschäftigten von Rettungsdiensten zukünftig nur noch zu erheblich schlechteren Lohnbedingungen beschäftigt werden? Wie oben geschildert, ist die Verlängerung der Genehmigung nach § 15 RettDG LSA gleichzeitig zumindest konkludent auch eine Verlängerung der Verträge zur Leistungserbringung im Rettungsdienst. Daher bestand hier eine Ausschreibungspflicht . Bei einer Ausschreibung müssen vom Auftraggeber verschiedene Vergabegrundsätze eingehalten werden. Es werden diverse Anforderungen gestellt, also Ausschreibungsparameter festgelegt, welche von den Bietern erfüllt werden müssen. Unter den Bewerbern, welche die entsprechenden Bedingungen erfüllen, ist demjenigen die Genehmigung oder der Auftrag zu erteilen, der im Rahmen der angeforderten rettungsdienstlichen Leistung unter Wichtung und Wertung aller Umstände das wirtschaftlichste Konzept vorlegt. Die Wertung der Kriterien obliegt dem Landkreis Harz im Rahmen seiner Vergabeentscheidung . 7. Was gedenkt die Landesregierung zu tun, um zu vermeiden, dass die Be- schäftigten der Rettungsdienste zukünftig immer mehr zu Dumpingbedingungen beschäftigt werden? Die Beschäftigten im Rettungsdienst nehmen eine gesellschaftlich verantwortungsvolle Aufgabe wahr und es steht außer Frage, dass folglich eine entsprechende Lohnzahlung erfolgen sollte. Die Auswahl der Leistungserbringer 4 hat nach in Auswahlverfahren bekannt zu machenden objektiven Kriterien zu erfolgen. Daher sieht der § 13 Abs. 3 Nr. 3 im neuen RettDG LSA vor, dass Bewerbern die Genehmigung u. a. verwehrt werden soll, wenn sie nicht die Gewähr einer tarifgerechten Vergütung Ihrer Mitarbeiter bieten. Für die Bereiche mit entsprechenden Tarifverträgen greifen die tarifvertraglichen Regelungen der Tarifpartner im Rahmen der Tarifautonomie. Für die Bereiche außerhalb des Tarifregelwerkes sind entsprechende Initiativen auf Bundesebene , z. B. die Festlegung von entsprechenden Lohnuntergrenzen, erforderlich . 8. Welche Lösungswege kann die Landesregierung mit dem Landkreis Harz aufzeigen, damit es zu einer ordnungsgemäßen Ausschreibungsvergabe von Rettungsdienstleistungen kommt? Diesbezüglich wird zuerst auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Die Entscheidung des OLG Naumburg zu einer Beschwerde einer Antragstellerin im anhängigen Vergabeverfahren steht noch aus. Da der bodengebundene Rettungsdienst eine Pflichtaufgabe des eigenen Wirkungskreises der Landkreise und kreisfreien Städte ist, kann die Landesregierung daher nur im Wege der Rechtsaufsicht gemäß § 133 Abs. 2 Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt tätig werden. Eine entsprechende intensive Beratung des Landkreises Harz hat gemäß § 133 Abs. 1 Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt am 7. November 2011 im Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt stattgefunden. 9. Sieht die Landesregierung die Möglichkeit, die laufende Ausschreibung komplett aufzuheben und eine neue Ausschreibung durchzuführen? Wie zuvor geschildert bleibt die Entscheidung des OLG Naumburg abzuwarten. Anhaltspunkte, die das Aufheben der Ausschreibung rechtfertigen, sind derzeit nicht bekannt. 10. Sieht die Landesregierung die Möglichkeit, dass der Landkreis Harz die Ausschreibung der Rettungsdienstleistungen aufhebt, um die Aufgaben durch einen bereits vorhandenen Eigenbetrieb durchführen zu lassen? Da es sich bei dem bodengebundenen Rettungsdienst um eine Pflichtaufgabe des eigenen Wirkungskreises des Landkreises handelt, entscheidet der Landkreis Harz über das „Wie“ der Aufgabendurchführung von Rettungsdienstleistungen eigenständig. Die Landesregierung wird sich daher an Spekulationen zu möglichen Aufgabendurchführungen nicht beteiligen. 11. Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass der Landkreis Mansfeld-Südharz geplante Ausschreibungen von Rettungsdienstleistungen zurückgenommen hat und diese vollständig durch einen Eigenbetrieb erbringen lässt? Der Rettungsdienst ist eine Pflichtaufgabe der Landkreise bzw. der kreisfreien Städte im Rahmen des eigenen Wirkungskreises. Die Durchführung dieser Aufgabe ist auch in Form eines Eigenbetriebes möglich. Wie bei jeder juristischen Person sind auch hier Vor- und Nachteile zu verzeichnen. Auf die Entschei- 5 dungsfindung für oder gegen einen Eigenbetrieb im Landkreis hat das Land, wie z. B. auch im Fall des Landkreises Mansfeld-Südharz, keinen Einfluss. 12. Ist es richtig, dass der Landkreis Harz von den Krankenkassen alle auflau- fenden Kosten für Rettungsdienstleistungen erstattet bekommt, dies auch unabhängig davon, ob die Leistungen durch einen Eigenbetrieb oder durch anderweitige freie Leistungserbringer, wie z. B. DRK und ASB, erbracht werden? Ja. Der LK Harz erhält über die satzungsgemäßen Rettungsdienstentgelte von den Krankenkassen alle betriebswirtschaftlich notwendigen Kosten erstattet, unabhängig davon, welche Leistungserbringer tätig sind. Das Verfahren gestaltet sich folgendermaßen: Gemäß § 12 RettDG LSA ermittelt der Landkreis jährlich die Kosten für den Rettungsdienst. Dazu gehören: - die Kosten aller rettungsdienstlichen Leistungserbringer (Eigenbetrieb und alle Hilfsorganisationen) - die Kosten für die ärztliche Leitung des Rettungsdienstes und die Kosten für die Sicherstellung des Notarztdienstes (Leistungserbringer: Kassenärztliche Vereinigung) - die Kosten der Abrechnungsstelle (Einsatzabrechnung) - die anteiligen Kosten für die Leitstelle Auf der Grundlage der Kostenermittlung werden die Entgelte ermittelt und eine Vereinbarung über das ermittelte Budget zwischen Landkreis, Krankenkassen und Leistungserbringern abgeschlossen. Parallel dazu erlässt der Landkreis eine Satzung über die Höhe der berechneten Entgelte für die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes. Aus den Entgelt-Erlösen, die der Landkreis für die Rettungsdienst-Einsätze von den Krankenkassen (oder Patienten) erhält, bekommen die Leistungserbringer das in der Vereinbarung festgelegte Budget in monatlichen Abschlägen. Welche Leistungserbringer tätig werden, wirkt sich lediglich auf die Höhe der jährlichen Kosten aus. 13. Wer konkret berät seitens der Landesregierung den Landkreis Harz? Der LK Harz als Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes nimmt die entsprechenden Aufgaben im Rahmen des eigenen Wirkungskreises wahr. Demzufolge kommt hier lediglich die Rechtsaufsicht gemäß § 133 Abs. 2 der Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt zum Tragen. Für den Landkreis Harz sind das Landesverwaltungsamt als obere Rechtsaufsichtsbehörde und das MI LSA als oberste Rechtsaufsichtsbehörde zuständig. Die Rechtsaufsicht erstreckt sich auf die Einhaltung von Recht und Gesetz. Sie bezieht sich nicht auf die Zweckmäßigkeit des Handelns. 6 14. Wie beurteilt die Landesregierung die Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen im europarechtlichen Kontext? Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist ab Erreichen bestimmter Schwellenwerte eine europaweite Ausschreibung erforderlich. Das trifft derzeit auch auf Rettungsdienstleistungen zu, die der Träger nicht selber ausführt. Die einzuhaltenden Qualitätsstandards im Bereich Rettungsdienstleistungen werden schon im Ausschreibungsverfahren vorgegeben und somit sichergestellt. Eine Berücksichtigung von Bietern kommt nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen infrage . Da bisher aufgrund unterschiedlicher Rechtssprechung der nationalen Gerichte und des EUGH eine erhebliche Rechtsunsicherheit herrscht, wurde im neuen Rettungsdienstgesetz das Konzessionsmodell eingeführt. Im Rahmen der Erteilung von Konzessionen ergeben sich Möglichkeiten, die unter dem Vergaberecht nicht bestehen, sowie Spielräume, die die Spannbreite kommunaler Handlungsformen erweitern und zu mehr Rechtssicherheit führen sollen.