Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1873 12.03.2013 (Ausgegeben am 12.03.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) V-Leute und verdeckte Ermittler in Fußball-Fanszenen Kleine Anfrage - KA 6/7735 Vorbemerkung des Fragestellenden: Am 14. August 2012 berichtete „SPIEGEL ONLINE“, dass die Polizei in der FußballFanszene vermehrt auf den Einsatz von V-Leuten setzt. Dadurch werde das Verhältnis zwischen Anhängern und Ordnungshütern weiter belastet, es herrsche eine Atmosphäre des Misstrauens. Philipp Markhardt, der Sprecher des Bündnisses Pro Fans, glaubt an ganz gezielte Aktionen der Polizei: „Wir sind überzeugt davon, dass es bundesweit etliche Versuche gab und gibt, über V-Männer an Informationen aus der Fanszene zu kommen.“ Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Hat die Landesregierung Kenntnis vom Einsatz von V-Leuten in Fußball- Fanszenen und wenn ja, seit wann? 2. Ist der Landesregierung bekannt, ob über den Einsatz von V-Leuten hin- aus andere verdeckte Ermittlungsmethoden in der Fußball-Fanszene angewendet werden, und wenn ja, welche? 3. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über den Einsatz von V-Leuten, Informanten und verdeckten Ermittlern in der Fußball-Fanszene, und kann sie den Bericht des „SPIEGEL“ insoweit bestätigen, dass in letzter Zeit eine Ausweitung des Einsatzes vorgenommen wurde? 4. Wenn ja, ist der Landesregierung bekannt, aufgrund welcher Erkenntnisse dieses Vorgehen von welchem Gremium/welcher Behörde beschlossen oder angeordnet wurde? 2 10. Ist der Landesregierung bekannt, ob V-Leute, verdeckte Ermittler oder Informanten im Rahmen ihrer Tätigkeit in den Fanszenen selbst illegale Handlungen ausgeführt haben? Antwort zu den Fragen 1 - 4 sowie 10: Die Fragen zu Nr. 1, 2, 3, 4 und 10 der Kleinen Anfrage betreffen konkrete Fragestellungen zu polizeilichen und nachrichtendienstlichen Angelegenheiten. Es können in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil der Antworten keine Informationen zu Erkenntnissen der Landesregierung darüber mitgeteilt werden, ob Polizeibehörden oder die Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt Informanten, Vertrauenspersonen oder Verdeckte Ermittler in der FußballFanszene des Landes in Anspruch genommen oder eingesetzt haben und wenn dies der Fall gewesen sein sollte, wie viele Personen es waren und in welchem Zeitraum die Inanspruchnahme bzw. der Einsatz erfolgte. Zwar ist der parlamentarische Informationsanspruch grundsätzlich auf die Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit angelegt. Die Landesregierung trifft allerdings eine Schutzpflicht gegenüber ihren polizeilichen und nachrichtendienstlichen Quellen. Sie hat insoweit alle Handlungen zu unterlassen, die zur Enttarnung einer Quelle führen können. Die Antwort der Landesregierung auf diese Fragen muss insoweit als „Verschlusssache - Vertraulich“ eingestuft werden. Hierbei wird der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gefolgt, nach der bei der Erfüllung der Auskunftsverpflichtung gegenüber dem Parlament unter Geheimhaltungsaspekten wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen mit einbezogen werden können (vgl. BVerfGE 124, S. 161 [193]). Hierzu zählt auch die Geheimschutzordnung des Landtages (GSO-LT). Die Einstufung als Verschlusssache ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf das Wohl des Landes Sachsen-Anhalt und die schutzwürdigen Interessen Dritter geeignet, das Informationsinteresse des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Landesregierung zu befriedigen (Artikel 53 Absatz 3 und 4 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt). a) Die Preisgabe detaillierter Informationen an die Öffentlichkeit zur Inan- spruchnahme von Informanten sowie zum Einsatz von Vertrauenspersonen und Verdeckten Ermittlern würde Rückschlüsse auf sensible Verfahrensweisen und Taktiken der betreffenden Behörden ermöglichen. Das Bekanntwerden dieser Informationen ließe somit befürchten, dass die wirksame Abwehr von Gefahren und die Bekämpfung von Straftaten sowie verfassungsfeindlicher Bestrebungen beeinträchtigt würde und hierdurch dem Wohl des Landes Sachsen-Anhalt Nachteile zugefügt würden. b) Unterstellt man, dass Informanten in Anspruch genommen bzw. Vertrauens- personen oder Verdeckte Ermittler in den Fußball-Fanszenen des Landes für die Polizei oder die Verfassungsschutzbehörde des Landes SachsenAnhalt eingesetzt waren - ob dies tatsächlich der Fall war, bleibt hier ausdrücklich offen -, dann könnten durchaus im Wege eines Ausschlussverfahrens Rückschlüsse auf die Identität der betreffenden Personen gezogen werden. Dies könnte zu Rachetaten gegenüber diesen Personen und ihrer Angehörigen führen, die geeignet wären, deren Leib, Leben und Freiheit 3 langfristig zu gefährden. Damit stünde zu befürchten, dass durch das Bekanntwerden dieser Informationen die schutzwürdigen Interessen Dritter verletzt würden. c) Darüber hinaus ist das Vertrauen in die Fähigkeit von Polizeibehörden und die Verfassungsschutzbehörde, die Identität ihrer Quellen zu schützen, für ihre Funktionsfähigkeit essentiell. Die Mitteilung von Erkenntnissen im Rahmen der öffentlichen Beantwortung einer Kleinen Anfrage, die Rückschlüsse auf Quellen zulassen, würde sich nachteilig auf die Fähigkeit von Polizei und Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt auswirken, solche Zugänge zu gewinnen bzw. solche Kontakte fortzuführen. Demgegenüber ist mit der GSO-LT ein Instrument geschaffen, das es den Abgeordneten des Landtages ermöglicht, die entsprechend eingestuften Informationen einzusehen. Dem parlamentarischen Kontrollrecht wird damit Rechnung getragen. Die als „Verschlusssache - Vertraulich“ eingestufte Antwort der Landesregierung auf die Fragen 1 bis 4 und 10 steht den Abgeordneten des Landtages deshalb in der Geheimschutzstelle des Landtages von Sachsen-Anhalt zur Einsichtnahme zur Verfügung. 5. Ist die Landesregierung der Ansicht, dass nachrichtendienstliche Ermitt- lungsmethoden innerhalb von Fußball-Fanszenen geeignet sind, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären? Wenn ja, auf welche Erkenntnisse, Studien oder Berichte stützt sie sich dabei? Würden im Einzelfall die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen unter Beachtung des verfassungsrechtlich gebotenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für den Einsatz nachrichtendienstlicher Ermittlungsmethoden vorliegen, dann wäre deren Einsatz aus Sicht der Landesregierung auch innerhalb der Fußball-Fanszene denkbar. 6. Hält die Landesregierung nachrichtendienstliche Ermittlungsmethoden, wie den Einsatz von V-Leuten oder verdeckten Ermittlern innerhalb von Fußball-Fanszenen für ein verhältnismäßiges Mittel? Antwort bitte begründen . Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 7. Setzten bzw. setzen Landeskriminalamt, Landespolizei oder andere Sicherheitsbehörden des Landes verdeckte Ermittler, V-Leute oder Informanten in Fußballfanszenen ein, und wenn ja, a) wo, in welchem Rahmen und mit welchem Einsatzziel; b) wer entscheidet auf Landesebene über diesen Einsatz; c) welche Erkenntnisse und Informationen erhoffen sich die Sicherheits- behörden davon? Die Verfahrensweise zur Anordnung des Einsatzes von V-Personen zu Zwecken der Gefahrenabwehr ist im § 18 Absatz 5 SOG LSA geregelt. Demnach darf der Einsatz von V-Personen nur durch den Behördenleiter oder einen von ihm Beauftragten angeordnet werden. Für den Einsatz von V-Personen 4 über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten ist die Zustimmung des Landeskriminalamtes als zuständiger Stelle erforderlich. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 1 - 4 und 10 verwiesen. 8. Waren der Einsatz von V-Leuten, Informanten oder verdeckten Ermittlern oder von diesen erhobenen Informationen Bestandteil von Verabredungen oder Beratungen der Konferenz der Innenminister und –senatoren (IMK) und ihrer Arbeitskreise? Die Inanspruchnahme von Informanten sowie grundsätzliche Erwägungen des Einsatzes von V-Personen und Verdeckten Ermittlern sind wiederkehrende Themen in den Gremien der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder. Seit dem Jahr 2000 ist die nationale Zusammenarbeit in diesem Bereich in der Kommission „Einsatz- und Ermittlungsunterstützung“ der AG Kripo (Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt) institutionalisiert. 9. Welche Straftaten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung durch den Einsatz von V-Leuten in der Fußball-Fanszene aufgeklärt? Bitte nach Datum , Straftatbestand, Anzahl der Straftäter, Art der Ermittlungsmethode, Fußballverein, Liga und Fanvereinigung aufschlüsseln. Der Landesregierung ist die Kenntnislage der Bundesregierung nicht bekannt. Im Übrigen wird auf die Beantwortung zu den Fragen 1 - 4 und 10 verwiesen. 11. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass V-Leute oder verdeckte Ermittler als „Agents Provocateurs“ tätig waren bzw. sind? Die Beantwortung dieser Frage liegt außerhalb der Zuständigkeit der Landesregierung . Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. 12. Existiert eine länderübergreifende Zusammenarbeit, Information und Ko- ordination von Einsätzen und Ermittlungen im Bereich der Kriminalität im Umfeld von Fußballereignissen, und wenn ja, welche Informationen hat die Landesregierung im Rahmen dieser Zusammenarbeit über Einsätze von V-Leuten und verdeckten Ermittlern und Informanten? Ein institutionalisierter Informationsaustausch anlässlich von Fußballspielen erfolgt über die Landesinformationsstelle für Sporteinsätze in meinem Haus mit der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen. Grundlage für den Informationsaustausch ist der Bericht der Arbeitsgruppe „Sport und Sicherheit“ vom 23. Juli 1991. Hiernach übersenden die Polizeibehörden im Vorfeld eines Fußballspiels einen Vorausbericht und nach dessen Beendigung einen Verlaufsbericht mit relevanten Erkenntnissen. Die ZIS verbreitet diese Berichte zusammengefasst und bewertet periodisch als „Lagebericht Fußball“. Darin enthalten sind auch Kriminalitätsphänomene, die im Zusammenhang mit polizeilichen Einsätzen anlässlich von Fußballspielen auftreten. Einsätze von V-Leuten und verdeckten Ermittlern sind nicht Gegenstand dieser Berichte. Insofern wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. 5 13. In welche polizeilichen Datenbanken und Dateien gehen nach Kenntnis der Landesregierung Informationen aus den Berichten von V-Leuten und verdeckten Ermittlern ein? Bitte aufschlüsseln. Die in polizeilichen Datenbanken und Dateien gespeicherten Informationen werden auf unterschiedliche Weise gewonnen. In den Dateien wird nicht gesondert erfasst, ob diese Informationen durch VP, VE oder Informanten gewonnen wurden . 14. Wird die Tätigkeit als Informant bzw. als V-Person mittels eines Personen- eintrages in der Datei „Gewalttäter Sport“ vermerkt? Wenn ja, wie viele Eintragungen gibt es? Nein. 15. Werden die Landesligavereine nach Kenntnis der Landesregierung über den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern informiert? Wenn ja, in welcher Form geschieht dies? Wenn nein, warum nicht? Sollte im Einzelfall die Inanspruchnahme von Informanten bzw. der Einsatz von Vertrauenspersonen oder Verdeckten Ermittlern auf der Grundlage geltenden Rechts erfolgen, dann würde nach Abschluss der Maßnahme im jeweiligen Einzelfall geprüft werden, ob die hiervon betroffene Person ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme unterrichtet werden kann (§ 18 Absatz 6 SOG LSA bzw. § 101 Strafprozessordnung). 16. Welche Vergünstigungen oder Entschädigungen erhalten nach Kenntnis der Landesregierung V-Leute für ihre Dienste bei der Fanüberwachung? Zum Zweck einer einheitlichen Verfahrensweise in Bund und Ländern hat der Ständige Arbeitskreis „Innere Sicherheit“ der Innenministerkonferenz (AK II) die bundesweit abgestimmten „Allgemeinen Grundsätze zur Bezahlung von V-Personen und Informanten“ erarbeitet und beschlossen. Sollten in SachsenAnhalt V-Leute bei der Fanüberwachung eingesetzt werden, würde die Umsetzung gemäß der „Allgemeinen Grundsätze und Richtlinien zur Bezahlung von Vertrauenspersonen und Informanten im Land Sachsen-Anhalt“, Erlass des MI LSA vom 19. März 2010 erfolgen. Demnach werden die im Einzelfall den V-Personen/Informanten entstehenden Kosten und Entlohnungen von der jeweiligen Polizeibehörde/Polizeidienststelle, die die V-Person führt bzw. den Informanten in Anspruch nimmt, getragen. Eine Überwachung der Fanszene in ihrer Gesamtheit gibt es in Sachsen-Anhalt nicht. 17. Schätzt die Landesregierung die Wirksamkeit von repressiven Maßnah- men und nachrichtendienstlichen Mitteln gegenüber der Fußball-Fanszene bei der Bekämpfung rechts- und ordnungswidriger Handlungen höher ein, als den Dialog mit organisierten Fußballfans? Antwort bitte begründen. Der Landesregierung ist es ein vordringliches Anliegen, den Dialog mit den organisierten Fußballfans und Fußballvereinen in Sachsen-Anhalt zu führen. Ein nachhaltiger und intensiver Dialog bindet diese Fans ein und fördert das gegen- 6 seitige Verständnis. Eine frühzeitige und offene Kommunikation schafft Information und Transparenz und fördert das Vertrauen. Die friedlichen Fans sind für die Landesregierung unverzichtbare Partner gegen Gewalt und für mehr Sicherheit. Beispielhaft für die vielfältigen Bemühungen der Landesregierung wird an dieser Stelle die Mitarbeit im Projekt „MuT - Menschlichkeit und Toleranz im Sport“, die Partnerschaft im Rahmen des „Nationales Konzept Sport und Sicherheit (NKSS)“ des Nationalen Ausschusses für Sport und Sicherheit sowie den „Runder Tisch - Gegen Gewalt im Fußball“ genannt. Das Projekt „MuT“ wird ihm Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ vom Bundesministerium des Innern gefördert und durch das Land Sachsen-Anhalt kofinanziert. Das „Nationale Konzept Sport und Sicherheit (NKSS)“ wurde als Antwort auf die Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen von der IMK erarbeitet und 1993 verabschiedet. Es enthält Empfehlungen zu den Handlungsfeldern Fanbetreuung im Rahmen von Sozialarbeit, Stadionordnung, Stadionverbote, Ordnungsdienste , Stadionsicherheit und Zusammenarbeit aller Beteiligten. Partner sind neben einer Vielzahl von Fanprojekten, Kommunen, kommunalen Verbänden, Sportvereinen und –verbänden auch die Polizeien der Länder und des Bundes. Als eine wesentliche Leitlinie dieses Konzeptes steht der intensive und offene Dialog zwischen Vereinen, Verbänden, Fanprojekten und der Polizei mit den Fans an vorderster Stelle. Mit dem „Runder Tisch - Gegen Gewalt im Fußball“ möchte die Landesregierung an die Vielzahl bestehender nationaler Netzwerke anknüpfen und auf der Basis des erwähnten Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit aufbauend die Interessen aller Beteiligten im gemeinsamen Dialog koordinieren. Dieses Ziel soll insbesondere durch die Beteiligung der Fanprojekte Magdeburg und Halle (Saale) sowie der Fanbeauftragten des 1. FCM und von Germania Halberstadt erreicht werden.