Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1906 19.03.2013 (Ausgegeben am 20.03.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dr. Verena Späthe (SPD) Abzweigung von Kindergeld in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/7729 Vorbemerkung des Fragestellenden: Eltern behinderter erwachsener Kinder, die Grundsicherung beziehen, erhalten Kindergeld für ihre Kinder über das 25. Lebensjahr hinaus, da davon auszugehen ist, dass mindestens Mehrkosten in dieser Höhe entstehen, sofern diese Kinder noch zu Hause leben. Seit geraumer Zeit „zweigen“ Kommunen das Kindergeld von Eltern von erwachsenen Kindern mit Behinderungen ab. Sie stellen bei der Kindergeldkasse einen Abzweigungsantrag , was die sofortige Einstellung der Kindergeldzahlung zur Folge hat. Außerdem wird von den betroffenen Eltern ein überprüfbarer Nachweis verlangt, dass sie Ausgaben in mindestens dieser Höhe für ihre Kinder getätigt hätten. Das Finanzgericht hatte einen runden Tisch angeregt, an dem alle Beteiligten in Sachsen-Anhalt (Landkreise, kreisfreie Städte, Familienkassen und das Finanzgericht ) eine gemeinsame und einfachere Lösung erarbeiten. Die Verwaltungspraxis ist landesweit nach wie vor sehr unterschiedlich. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales Frage Nr. 1: Welche Position nimmt die Landesregierung Sachsen-Anhalts zur Problematik Kindergeldabzweigungen ein? Im Grundsatz kann ein Abzweigungsantrag auf Auszahlung des Kindergeldes vom Träger der Sozialhilfe gestellt werden, wenn im Einzelfall der Kindergeldberechtigte 2 seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht offenkundig nicht nachkommt. Diese Möglichkeit zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips ist keine neuere Regelung, sondern bereits seit Bestehen des Sozialhilferechts möglich. Das Sozialhilferecht und das Einkommensteuerrecht, auf dessen Grundlage das Kindergeld gewährt wird, sind grundsätzlich zwei unterschiedlich zu bewertende Rechtsgebiete. Die nach dem Einkommensteuerrecht bestehende Abzweigungsmöglichkeit nach § 74 Abs. 1 EStG bleibt bestehen, auch wenn sie aus Sicht des Sozialhilferechts eine den Unterhaltsumfang beschränkende Regelung darstellt. Diesen Zwiespalt gilt es für die Sozialhilfeverwaltung zu lösen. Der Bundesfinanzhof hat in seiner fortlaufenden Rechtsprechung Grundsätze zur Abzweigung des Kindergeldes aufgestellt, die eine Entscheidung zugunsten der Sozialämter in berechtigten Fällen erleichtern sollen. Dies bedeutet aber nicht, so das zuständige Bundesministerium der Finanzen, dass nunmehr alle Eltern mit behinderten Kindern diesem Verfahren ausgesetzt werden müssen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat seine Rechtsauffassung im April 2011 zu der Frage der Abzweigung von Kindergeld für behinderte Kinder unter Hinweis auf die sozialhilferechtlichen Vorschriften konkretisiert. Aus sozialpolitischer Sicht soll die Heranziehung von grundsätzlich unterhaltsverpflichteten Eltern zu den nicht unerheblichen Aufwendungen eines Sozialhilfeträgers für Leistungen an volljährige behinderte Kinder im Regelfall auf 31 € (Wert 2011) begrenzt bleiben. Eine Abzweigung kann danach nur in Betracht kommen, wenn der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem volljährigen behinderten Kind nicht nachkommt und deutlich macht, dass er zu jeglichen Unterhaltsleistungen außer Stande sei. Gerade bei den in häuslicher Gemeinschaft mit den Eltern lebenden volljährigen behinderten Kindern kann darüber hinaus im Regelfall davon ausgegangen werden, dass Eltern erhebliche Aufwendungen für ihre behinderten Kinder haben, so dass eine Abzweigung aus sozialhilferechtlicher Sicht regelmäßig nicht erfolgen sollte. Dieser Auffassung schließt sich die Landesregierung grundsätzlich an. Dennoch muss aus Sicht der Landesregierung in begründeten und offenkundigen Einzelfällen eine Abzweigung des Kindergeldes möglich sein. Dies gebietet schon allein das einzuhaltende Strukturprinzip der Subsidiarität der Sozialhilfe sowie die Verpflichtung zum gesetzmäßigen Handeln durch die zuständigen Verwaltungen. Frage Nr. 2: Wie viele Landkreise und kreisfreie Städte haben tatsächlich Kindergeldabzweigungen beantragt? Bitte für die letzten drei Jahre diese Landkreise und kreisfreien Städte aufführen einschließlich der Anzahl und Höhe der Abzweigungsanträge sowie der Anzahl ggf. anhängiger Gerichtsverfahren. In wie vielen Fällen leben die Kinder, für die Kindergeld abgezweigt wird, zu Hause? In den nachfolgenden Übersichten sind nach Jahren getrennt die Zahl der Abzweigungsanträge , die Höhe der tatsächlich abgezweigten Beträge, die Anzahl der Abzweigungsfälle für Kinder, die bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben sowie die Anzahl der anhängigen bzw. abgeschlossenen Gerichtsverfahren dargestellt. Den Abzweigungsanträgen liegen unterschiedliche Fallkonstellationen zugrunde, also auch Fallgestaltungen, die sich nicht auf volljährige behinderte Kinder, die zu Hause leben, beziehen. Die Angaben beruhen ausschließlich auf Angaben der Landkreise und kreisfreien Städte in Sachsen-Anhalt. 3 Für das Jahr 2010: Landkreise und kreisfreie Städte Anzahl der An- träge auf Kindergeldabzweigung für volljährige Kinder Höhe der abgezweig- ten Beträge in Euro Anzahl der Abzwei- gungsfälle für Kinder, die bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben Anzahl Gerichts- verfahren a) anhängig b) abgeschlossen Salzlandkreis 237 470.098,00 € 0 0 Saalekreis 182 372.553,64 € 0 a) 1 b) 1 Landkreis Harz* 14 0,00 € 0 0 Landkreis Börde 150 324 219,76 € 0 0 Stadt Magdeburg 225 150 831,62 € 96 a) 1 b) 0 Burgenlandkreis 192 353.314,00 € 0 0 Landkreis Wittenberg * 0 0,00 € 0 0 Jerichower Land 14 14.536,00 € 0 0 Landkreis Mansfeld-Südharz 0 0,00 € 0 0 Landkreis Stendal 149 311.216,74 € 0 0 Altmarkkreis Salzwedel 95 0,00 € 0 0 Stadt DessauRoßlau * 0 0, 00 € 0 0 Stadt Halle 206 412.814,86 € 0 0 Landkreis AnhaltBitterfeld * Keine Erhebung konkreter Antragszahlen erfolgt 185.154,50 € 218 0 * Angaben erfolgten ausschließlich für den Zuständigkeitsbereich der örtlich gewährten Grundsicherung 4 Für das Jahr 2011: Landkreise und kreisfreie Städte Anzahl der An- träge auf Kindergeldabzweigung für volljährige Kinder Höhe der abgezweig- ten Beträge in Euro Anzahl der Abzwei- gungsfälle für Kinder, die bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben Anzahl Gerichts- verfahren a) anhängig b) abgeschlossen Salzlandkreis 247 493.312,00 € 0 a) 0 b) 1 Saalekreis 221 37.825,64 € 40 a) 0 b) 1 Landkreis Harz* 224 214.273,37 € 121 0 Landkreis Börde 145 324.118,25 € 0 0 Stadt Magdeburg 158 316.917,55 € 38 a) 29 b) 17 Burgenlandkreis 202 388.062,15 € 0 0 Landkreis Wittenberg * 0 0,00 € 0 0 Jerichower Land 18 19.566,75 € 0 0 Landkreis Mansfeld-Südharz 0 0,00 € 0 0 Landkreis Stendal 156 332.756,94 € 2 a) 1 b) 0 Altmarkkreis Salzwedel 103 0,00 € 0 0 Stadt DessauRoßlau * 0 0,00 € 0 0 Stadt Halle 210 421.214,72 € 0 0 5 Landkreise und kreisfreie Städte Anzahl der An- träge auf Kindergeldabzweigung für volljährige Kinder Höhe der abgezweig- ten Beträge in Euro Anzahl der Abzwei- gungsfälle für Kinder, die bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben Anzahl Gerichts- verfahren a) anhängig b) abgeschlossen Landkreis AnhaltBitterfeld * Keine Erhebung konkreter Antragszahlen erfolgt 334.060,21 € 217 0 * Angaben erfolgten ausschließlich für den Zuständigkeitsbereich der örtlich gewährten Grundsicherung Für das Jahr 2012: Landkreise und kreisfreie Städte Anzahl der An- träge auf Kindergeldabzweigung für volljährige Kinder Höhe der abgezweig- ten Beträge in Euro Anzahl der Abzwei- gungsfälle für Kinder, die bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben Anzahl Gerichts- verfahren a) anhängig b) abgeschlossen Salzlandkreis 259 524.755,00 € 0 a) 0 b) 1 Saalekreis 308 430.892,36 € 32 0 Landkreis Harz* 34 282.453,17 € 61 a) 5 b) 0 Landkreis Börde 155 367.331,18 € 0 0 Stadt Magdeburg 133 404.314,10 € 17 a) 7 b) 0 Burgenlandkreis 197 382015,72 € 0 0 Landkreis Wittenberg * 35 900,00 € 35 0 Jerichower Land 9 8.480,50 € 0 0 Landkreis Mansfeld-Südharz 56 10.235,39 € 2 0 Landkreis Stendal 152 320.743,08 € 2 a)1 b) 0 6 Landkreise und kreisfreie Städte Anzahl der An- träge auf Kindergeldabzweigung für volljährige Kinder Höhe der abgezweig- ten Beträge in Euro Anzahl der Abzwei- gungsfälle für Kinder, die bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben Anzahl Gerichts- verfahren a) anhängig b) abgeschlossen Altmarkkreis Salzwedel 104 0,00 € 0 0 Stadt DessauRoßlau * 0 0,00 € 0 0 Stadt Halle 212 426.854,05 € 0 0 Landkreis AnhaltBitterfeld * Keine Erhebung konkreter Antragszahlen erfolgt 279.088,59 € 168 a) 5 b) 127 * Angaben erfolgten ausschließlich für den Zuständigkeitsbereich der örtlich gewährten Grundsicherung Frage Nr. 3: Wie erklärt sich die Landesregierung die Unterschiede im Land und was hat sie unternommen, um das Verwaltungsverfahren anzugleichen und damit betroffenen Eltern gleiche Lebensumstände in Sachsen-Anhalt zu sichern? Inwiefern die von den Sozialhilfeträgern erfolgten Abzweigungsanträge berechtigt waren, kann die Landesregierung nicht beurteilen. Sie ist nicht befugt, prüfend in die kommunale Selbstverwaltung einzugreifen. Es ist lediglich zu vermuten, dass bei Sozialhilfeträgern , die eine erhöhte Anzahl von Abzweigungsanträgen und tatsächlichen Abzweigungsfällen vorweisen, das Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 7. April 2011 strenger ausgelegt wurde, als dies der Intention des Bundes entsprach. Mit dem zum 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 20. Dezember 2012 (BGBl. I 2012, 2783) ist für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Bundesauftragsverwaltung eingetreten . Damit unterliegen die Grundsicherungsträger den fachlichen Weisungen des Bundes. Am 20. Dezember 2012 hat das Ministerium für Arbeit und Soziales auf Fachebene das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gebeten, die Problematik der Abzweigung von Kindergeld im Zusammenhang mit der Ausführung der Bundesauftragsverwaltung nach dem 4. Kapitel des SGB XII kurzfristig mit einem Hinweis bzw. Erlass hinreichend konkret zu regeln. Das in Rede stehende Thema wurde seitens des Ministeriums für Arbeit und Soziales anlässlich einer Bund-Länder-Besprechung am 7. Februar 2013 nochmals thematisiert. Im Ergebnis hierzu erarbeitet das Ministerium für Arbeit und Soziales derzeit einen die Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nochmals verdeutlichenden Erlass für die unter der Bundesauftragsverwaltung stehenden Grundsicherungsträger. 7 Darüber hinaus wird es im Rahmen der Umsetzung der Bundesauftragsverwaltung regelmäßig einen fachlichen Austausch von Informationen zwischen den Trägern der Grundsicherung und dem Ministerium für Arbeit und Soziales auch zum Thema der Abzweigung von Kindergeld geben.