Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/1951 26.03.2013 Hinweis: Die Anlage ist als Objekt beigefügt und öffnet durch Doppelklick im Netz den Acrobat Reader. (Ausgegeben am 27.03.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Christoph Erdmenger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Qualität von Insolvenzverfahren Kleine Anfrage - KA 6/7812 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung 1. Gibt es in Sachsen-Anhalt Kriterien, nach denen Insolvenzverwalter be- stellt werden (Positivkriterien zur bevorzugten Berücksichtigung oder Negativkriterien zum Ausschluss einzelner Verwalter)? Wenn ja, welche? Wenn nein, wie stellt die Landesregierung sicher, dass die Entscheidungen sachgerecht gefällt werden? Die von den Insolvenzgerichten zu beachtenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung einer Person zu einem Verwalter in einem Insolvenzverfahren enthält § 56 InsO. Danach muss die Person aus dem Kreis der zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und Schuldnern unabhängige natürliche Person sein. Die konkrete Durchführung der Auswahl der Insolvenzverwalter befindet sich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 3. August 2004 (BVerfG ZIP 2004, 1649) im Fluss. Vor Beginn der Diskussion entsprach es der üblichen Praxis bei den Insolvenzgerichten , dass diese Listen mit Personen führten, die immer wieder zu Insolvenzverwaltern bestellt wurden. Eine Aufnahme in die Liste wurde regelmäßig mit dem Argument abgelehnt, dass es für den Bezirk des Insolvenzgerichtes eine ausreichende Anzahl bewährter Insolvenzverwalter gebe. Eine Neuaufnahme gab es demzufolge nur nach dem Ausscheiden eines auf der Liste geführten Verwalters (sog. „closed shop“). Nach dem jetzigen Stand der Rechtsprechung vollziehen sich kurz zusammengefasst die Auswahl und die Bestellung eines Insolvenzverwalters in zwei Schritten. Der erste Abschnitt besteht aus einem Vorauswahlverfahren (sog. 2 „Listing“). Darunter versteht man die Aufnahme von Bewerbern in die Liste der für ein Verwalteramt zur Verfügung stehenden Personen. Der Sinn dieses Abschnittes besteht darin, die Qualifikation und die Geeignetheit eines Bewerbers ohne Zeitdruck festzustellen. Im Gegensatz dazu besteht nämlich bei dem eigentlichen Eröffnungsverfahren typischerweise ein erheblicher Zeitdruck, der sehr häufig eine Feststellung aller relevanten Qualifikationen erschwert bzw. kaum möglich macht. Der Insolvenzrichter (typischerweise alle Insolvenzrichter bei einem mit den Aufgaben eines Insolvenzgerichtes betrauten Amtsgerichtes gemeinsam) hat die Kriterien für die erforderliche Eignungsprüfung zu entwickeln und transparent zu machen. Der Bewerber reicht dann neben seiner Bewerbung noch die nach den von den Insolvenzrichtern entwickelten Kriterien (Qualifikationsprofil) erforderlichen Unterlagen ein (vgl. beispielhaft den Fragebogen des Amtsgerichtes München in ZInsO 2009, 421). Für die Entscheidung über die Aufnahme des Bewerbers in die Vorauswahlliste hat der Insolvenzrichter entsprechend dem für dieses Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz den Sachverhalt aufzuklären. In diesem Verfahren wird geprüft, ob der Bewerber entsprechend dem Qualifikationsprofil des Insolvenzrichters den unbestimmten Rechtsbegriffen in § 56 Abs. 1 InsO „persönliche und fachliche Eignung “ entspricht. Die Entscheidung selbst ist dann im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG vor dem Oberlandesgericht anfechtbar. In einem zweiten Schritt erfolgt in dem Eröffnungsverfahren (Insolvenzantragsverfahren ) die Entscheidung über die Person, die in einem konkreten Insolvenzverfahren zum Insolvenzverwalter bestellt wird. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar. Hiergegen bestehen trotz eines subjektiven Rechts der Bewerber auf eine fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens keine Bedenken. Entscheidend für diese Bewertung sind die Besonderheiten der hier vorliegenden multipolaren Konfliktlage. In einem Insolvenzverfahren geht es nämlich nicht nur um den chancengleichen Zugang zum Insolvenzverwalteramt, sondern zuvörderst um das Interesse der Gläubiger und der Schuldner an einem reibungslosen und zügigen Fortgang des Insolvenzverfahrens durch die beschleunigte Bestellung des Insolvenzverwalters (BVerfG ZIP 2006, 1355 [1359]). In Sachsen-Anhalt haben die nach § 2 Abs. 1 InsO bestimmten Amtsgerichte mit den Aufgaben eines Insolvenzgerichtes (Amtsgerichte Dessau-Roßlau, Halle (Saale), Magdeburg und Stendal) die Kriterien für die Aufnahme in die Vorauswahlliste nicht in Fachzeitschriften veröffentlicht. Das Verfahren für das „Listing “ der Interessenten für das Amt eines Insolvenzverwalters in die Vorauswahlliste gestaltet sich wie folgt: Bei dem Amtsgericht Dessau-Roßlau erhält der Bewerber einen Fragebogen, durch dessen Beantwortung die Qualifikation des Bewerbers beurteilt wird. Einer der vier mit Insolvenzsachen befassten Richter prüft auf der Basis der Angaben die Eignung des Bewerbers. Bei einem positiven Ergebnis empfiehlt er den weiteren Insolvenzrichtern die Aufnahme in die Vorauswahlliste. Widersprechen sie dem nicht, wird der Bewerber in die Liste eingetragen. Die für die Insolvenzrichter des Amtsgerichtes Dessau-Roßlau relevanten Kriterien richten sich nach den allgemeinen Empfehlungen in den Fachpublikationen. Danach sind zum Beispiel der berufsqualifizierende Abschluss, die Fortbildung zum Fachanwalt für Insolvenzrecht, die Dauer der bisherigen Tätigkeit als Verwalter, 3 die Zahl der bereits bearbeiteten Verfahren, deren Umfang und Ergebnis (insbesondere , ob eine Sanierung des Unternehmens gelungen ist) von Bedeutung. Relevant sind ferner die Größe der Kanzlei und ob sie so gelegen ist, dass Verfahren im Einzugsgebiet des Amtsgerichtes Dessau-Roßlau effektiv bearbeitet werden können. Als ein Negativkriterium werden strafrechtliche Ermittlungsverfahren , Verhängung von Zwangsgeldern, Entlassungen aus dem Amt des Verwalters und Delisting bei anderen Insolvenzgerichten betrachtet. Bei dem Amtsgericht Halle (Saale) müssen die Interessenten einen vollständigen Lebenslauf einreichen, der insbesondere die Eignung für das Amt als Insolvenzverwalter darstellen soll. Häufig schließen sich an die Einreichung Bewerbergespräche an. In die Liste aufgenommen worden sind überwiegend Rechtsanwälte , die zu einem großen Teil über einen längeren Zeitraum in renommierten Insolvenzverwalterkanzleien tätig sind oder waren. Viele der Bewerber verfügen zudem über eine Fachanwaltsqualifikation im Bereich des Insolvenzrechts , zum Teil auch über weitere Qualifikationen wie Steuerberater und / oder Wirtschaftsprüfer, Fachanwalt für Steuerrecht oder Fachanwalt für Wirtschaftsrecht . Zu einem geringen Teil sind auch Diplom-Kaufleute in die Liste aufgenommen worden. Die Bestellung für Großverfahren erfolgt in der Regel erst nach einer mehrjährigen Tätigkeit für das Amtsgericht Halle (Saale) im Bereich der Klein- und Mittelverfahren. Bei dem Amtsgericht Magdeburg wird eine gemeinsame Vorauswahlliste aller mit Insolvenzverfahren befassten Richter für die Bestellung zum Insolvenzverwalter / Treuhänder geführt. Die einzelnen Arbeitsschritte in dem Verfahren des Listings haben die beteiligten Richter untereinander aufgeteilt. Nach der Bewerbung eines Interessenten erhält dieser einen Fragebogen und ein Anschreiben, das die einzelnen Bewerbungskriterien enthält. Soweit sich aus der Beantwortung keine Bedenken ergeben, schließt sich ihr ein Bewerbergespräch mit einem der Insolvenzrichter an. Danach besteht die Möglichkeit für den Interessenten , sich bei den weiteren Insolvenzrichtern vorzustellen. Für die Aufnahme eines Interessenten in die Vorauswahlliste bestehen folgende Mindestkriterien: - ein sachlich und personell voll ausgestattetes Büro, welches sich nicht unbe- dingt im Landgerichtbezirk Magdeburg befinden muss; es genügt eine zeitnahe Bearbeitung der Verfahren und die Erreichbarkeit für die Verfahrensbeteiligten , - berufliche Erfahrung, die eine eigenständige, von den Gläubigern und dem Insolvenzschuldner unabhängige, beanstandungsfreie und praktische Bearbeitung von Insolvenzverfahren ermöglicht, - Führung von Anderkonten für jedes einzelne Verfahren, - eine laufende Vermögensschadenshaftpflichtversicherung über mindestens eine Million Euro je Schadensfall, - geordnete Vermögensverhältnisse, die es ermöglichen, den bestehenden fi- nanziellen Verpflichtungen in absehbarer Zeit nachzukommen und 4 - keine strafgerichtlichen Verurteilungen, die den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben oder wegen eines insolvenzspezifischen Sachverhaltes, der erhebliche Bedenken an einer ordnungsgemäßen Abwicklung zwingend aufkommen lässt. Die Insolvenzrichter bei dem Amtsgericht Stendal prüfen Interessenten daraufhin , ob sie - die Berufsgrundsätze der Vereinigung der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) - die aktuellen Grundsätze der Uhlenbruck-Kommission und - die Grundsätze der ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung (GOI) einhalten. Die einzelnen Anforderungen sind vom Amtsgericht Stendal nicht veröffentlicht worden. Sie sind im Internet aber auf den Seiten der einzelnen Verbände einsehbar und jedem qualifizierten Bewerber ohnehin bekannt. Negativkriterien ergeben sich aus der Beantwortung eines bei größeren Verfahren versandten Fragenkatalogs oder aufgrund von Feststellungen aus der Verfahrensführung bei vorhergehenden Insolvenzverwaltungen. Nach der verfassungsrechtlichen Ordnung sowohl des Grundgesetzes als auch der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt scheidet ein Eingreifen der Landesregierung in den Prozess des Listings wie auch in das Verfahren der Bestellung zum Insolvenzverwalter in einem konkreten Insolvenzverfahren aus. Zwar handelt es sich bei den beiden genannten Entscheidungen der Insolvenzgerichte nicht um Rechtsprechung, also nicht um eine Tätigkeit des Amtsgerichtes als neutrale Instanz der Streitentscheidung. Bei der Entscheidung handelt es sich vielmehr um einen Akt der vollziehenden Gewalt, der mit dem Ziel eines besonderen rechtsstaatlichen Schutzes aufgrund des Richtervorbehaltes nicht der Exekutive überlassen worden ist. Dabei werden die Entscheidungen der Gerichte in voller richterlicher Unabhängigkeit getroffen (BVerfG ZIP 2006, 1355 [1357]). Dies bedeutet, dass die Landesregierung weder Weisungen erteilen, noch Bitten, Anregungen und Empfehlungen abgeben kann, die zu einer Einflussnahme auf die Entscheidung des Richters führen könnte. 2. Wie beurteilt die Landesregierung das Gütesiegel der Gläubigerschutz- vereinigung Deutschland? Findet es in Sachsen-Anhalt durch die Amtsgerichte Berücksichtigung? Wenn ja, durch welche? Der Landesregierung ist das Gütesiegel der Gläubigerschutzvereinigung Deutschland e. V. bekannt. Mit dem GSV-Gütesiegel strebt die Gläubigerschutzvereinigung eine bessere Transparenz von professioneller und konstruktiver Insolvenzverwaltung an. Neben der Unabhängigkeit und Integrität des Insolvenzverwalters geht es um die Qualität der Insolvenzverwaltungen, die sich wesentlich an den Restrukturierungserfolgen und der Insolvenzquote für die Gläubiger messen lassen muss. 5 Die Landesregierung begrüßt grundsätzlich auf allen Ebenen die Bemühungen um mehr Erfolge bei der Restrukturierung von in Insolvenz gefallenen Unternehmen und bei der Erhöhung von Insolvenzquoten. Allerdings ist der Landesregierung auch durch Presseveröffentlichungen bekannt, dass der GSV e. V. von Teilen des mit Insolvenzsachen befassten Personenkreises eher kritisch gesehen wird. So ist die Dienstleistungstochter GSV Service GmbH selbst in die Insolvenz gefallen. Bei den vier Insolvenzgerichten in Sachsen-Anhalt findet das Gütesiegel der Gläubigerschutzvereinigung e. V. als solches bei der Entscheidung über die Bestellung einer natürlichen Person zum Insolvenzverwalter keine über die Tatsache der Zertifizierung hinausgehende gesonderte positive Berücksichtigung. Die Kriterien für die Verleihung des Gütesiegels werden aber nach den obigen Ausführungen der Landesregierung positiv gewertet. 3. Wie viele Insolvenzverfahren wurden in Sachsen-Anhalt pro Jahr seit 2000 durchgeführt? Bitte nach Amtsgericht differenziert angeben. Die Frage nach der Zahl der durchgeführten Insolvenzverfahren lässt offen, ob nach der Anzahl der Insolvenzantragsverfahren und/oder nach der Anzahl der eröffneten Insolvenzverfahren gefragt wird. Die Landesregierung führt deshalb in der Anlage die Anzahl beider Verfahren bezogen auf die vier Insolvenzgerichte in Sachsen-Anhalt per Stichtag 14. März 2013 auf. Des Weiteren enthält die Übersicht bei beiden Verfahren eine weitere Differenzierung nach Insolvenzverfahren (IN), Verbraucher- und Kleininsolvenzverfahren (IK) und den Verfahren Europäischen Rechts (IE). 4. Welche Informationen sind der Landesregierung über die von sachsen-an- haltischen Amtsgerichten betreuten Insolvenzverfahren bekannt? Werden ihr die Namen der betroffenen Unternehmen, der Gläubiger und der Insolvenzverwalter sowie die Ergebnisse des Insolvenzverfahrens bekannt? Wenn nein, warum nicht? Bis zum Ablauf des 31. Dezember 2012 war die Erhebung von Daten für die Statistik der Insolvenzen in § 39 EGGVG geregelt. Seit dem 1. Januar 2013 ist die Grundlage der Datenerhebung für die Insolvenzstatistik das Gesetz über die Insolvenzstatistik vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2582, 2589). Die nach den gesetzlichen Regelungen zulässigen Merkmale werden bei den Statistischen Landesämtern gesammelt und sodann beim Statistischen Bundesamt für die Insolvenzstatistik zusammengeführt. Die sich daraus ergebende aktuellste monatlich erscheinende Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes aus der Fachserie 2 Reihe 4.1 „Unternehmen und Arbeitsstätten“ „Insolvenzverfahren “ stammt vom 12. März 2013 (Stand: Dezember 2012). Die finanziellen Ergebnisse der eröffneten Verfahren sollen nach Ziffer 1.3 der Erläuterungen im zweiten Jahr nach dem Eröffnungsjahr in der Fachserie 2, Reihe 4.2 veröffentlicht werden. Das Statistische Bundesamt bereitet die Veröffentlichung dieser Zahlen vor. Aktuelle Zahlen sind im Internet nicht abrufbar. Einige Zahlen werden auch jeweils im Statistischen Jahrbuch veröffentlicht. 6 Der Landesregierung sind ferner die im jährlichen Turnus vom Statistischen Landesamt herausgegebenen Statistischen Berichte zu den Insolvenzverfahren bekannt. Diese können auf der Seite des Statistischen Landesamtes www.statistik.sachsen-anhalt.de unentgeltlich heruntergeladen werden. Derzeit sind dort die Jahresberichte 2006 bis 2011 eingestellt. Ferner werden auf der Seite einzelne Insolvenzdaten veröffentlicht. Schließlich ist der Landesregierung auch die Höhe der Forderungen bekannt, die von den jeweils in einem Monat eröffneten Insolvenzverfahren betroffen sind. Neben der Insolvenzstatistik des Statistischen Bundesamtes ist der Landesregierung die Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung „Insolvenzen in Deutschland - 1. Halbjahr 2012“ bekannt (u. a. veröffentlicht in ZInsO 2012, 1302). Der Untersuchung lassen sich nur auf Sachsen-Anhalt bezogenen Zahlen nicht entnehmen. Den Veröffentlichungen lassen sich weder die Namen der in Sachsen-Anhalt in Insolvenz gefallenen Unternehmen noch die Namen aller Insolvenzgläubiger und Insolvenzverwalter oder die Ergebnisse der konkreten Insolvenzverfahren entnehmen. Da diese Daten für die ministerielle Arbeit ohne einen konkreten Anlass ohne Belang sind, werden sie auch nicht von den Insolvenzgerichten berichtet .