Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2009 18.04.2013 (Ausgegeben am 19.04.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Andreas Steppuhn (SPD) Urteil des Landesverfassungsgerichtes zur Eingemeindung von Gernrode, Bad Suderode und Rieder Kleine Anfrage - KA 6/7828 Vorbemerkung des Fragestellenden: Das Landesverfassungsgericht hat am 19. Februar 2013 die Eingemeindung von Gernrode, Bad Suderode und Rieder aufgrund eines Formfehlers für unrechtmäßig erklärt. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Kommunale Gebietsänderungen durch Vereinbarung der beteiligten Kommunen, durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bedingen gemäß Artikel 90 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt i. V. m. § 17 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt (GO LSA) einer vorherigen Anhörung der betroffenen Kommunen und deren Bürgerinnen und Bürger. Für die Anhörung der Bürgerinnen und Bürger gilt die über § 55 Satz 1 des Kommunalwahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt (KWG LSA) entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 1 KWG LSA, so dass die Bürgeranhörung zwei Monate vorher öffentlich bekannt zu machen ist. Im Fall einer kommunalen Gebietsänderung durch Gesetz obliegt zwar die Anhörung der Bürgerinnen und Bürger den Gemeinden als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises (§ 17 Abs. 2 Satz 4 GO LSA) bzw. den Verwaltungsgemeinschaften 2 oder den Verbandsgemeinden. Anhörungsverpflichteter ist jedoch der Landesgesetzgeber (LVerfG, Urt. vom 19. Februar 2013, LVG 60/10, LVG 61/10 und LVG 62/10, vgl. dort Ziffer 2.2., 2. Absatz). Anlässlich der Zuordnungen durch Gesetz in der gesetzlichen Phase der Gemeindegebietsreform hat der Landesgesetzgeber in Bezug auf die Anhörung der Bürgerinnen und Bürger auf die von der Landesregierung initiierten Anhörungen zurückgegriffen . Betreffend die Zuordnungen der Stadt Gernrode sowie der Gemeinden Bad Suderode und Rieder hatte das damalige Ministerium des Innern mit Erlass vom 4. September 2009, der am 9. September 2009 vom Ministerium des Innern versandt wurde, die Kommunalaufsichtsbehörde im Landkreis Harz aufgefordert, für die Durchführung der nach Artikel 90 Satz 2 Verf LSA i. V. m. § 17 Abs. 2 GO LSA erforderlichen Bürgeranhörungen in den drei Kommunen Sorge zu tragen. Die Verwaltungsgemeinschaft Gernrode/Harz als die für Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises zuständige Behörde war daraufhin mit Verfügung der Kommunalaufsichtsbehörde des Landkreises Harz vom 18. September 2009, die am 25. September 2009 bei der Verwaltungsgemeinschaft eingegangen war, gebeten worden, die Anhörungen der Bürgerinnen und Bürger durchzuführen. Dabei hatte die Kommunalaufsichtsbehörde des Landkreises Harz den Termin für die Bürgeranhörungen gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft Gernrode/Harz auf den 29. November 2009 festgesetzt. Hintergrund dieser Vorgabe war der Beschluss der Landesregierung vom 1. September 2009, nach dem sämtliche Anhörungen, die aus Anlass der gesetzlichen Phase der Gemeindegebietsreform durchgeführt werden mussten, bis zum 1. Dezember 2009 abgeschlossen sein sollten. Auf der Grundlage des § 6 Abs. 2 Satz 1 KWG LSA hätte dafür die öffentliche Bekanntmachung der für den 29. November 2009 festgesetzten Bürgeranhörungen in der Stadt Gernrode sowie den Gemeinden Bad Suderode und Rieder durch die Verwaltungsgemeinschaft Gernrode/Harz spätestens am 29. September 2009 im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Gernrode/Harz erfolgen müssen. Turnusgemäß sollte das nächste Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Gernrode /Harz am 30. September 2009 erscheinen. Es wäre der Verwaltungsgemeinschaft jedoch auch möglich gewesen, die Bekanntmachung bereits am 29. September 2009 durchzuführen. Dies erfolgte allerdings nicht. Nachdem dieser Termin seitens der Verwaltungsgemeinschaft nicht gehalten wurde, wies die Kommunalaufsichtsbehörde des Landkreises die Verwaltungsgemeinschaft an, bis spätestens zum 2. Oktober 2009 die öffentliche Bekanntmachung des Termins der Bürgeranhörungen zu veranlassen. Anderenfalls werde sie gemäß § 145 Abs. 5 GO LSA selbst anstelle und auf Kosten der Verwaltungsgemeinschaft tätig werden. Die Bekanntmachung der Bürgeranhörungen betreffend die Stadt Gernrode sowie die Gemeinden Bad Suderode und Rieder erfolgte jedoch erst am 8. Oktober 2009 in einem Sonderamtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Gernrode/Harz. 3 Zwar war damit die 2-Monats-Frist nicht eingehalten, jedoch ging die Landesregierung unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts zu Anhörungen in Zusammenhang mit Kreisgebietsreformen (vgl. z. B. LVG 2/93) davon aus, dass das Landesverfassungsgericht nicht auf die formelle Frist, sondern auf die sachliche Anhörung abstellt, die vorliegend unabhängig vom Fristlauf gegeben war, da die hier in Rede stehenden Anhörungen in einem dazu vergleichbaren Sachzusammenhang stehen. Dementsprechend wurde ebenso davon ausgegangen, dass trotz einer Unterschreitung der Frist von zwei Monaten die Anhörung gleichwohl den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt und daraus keine Verletzung des verfassungsrechtlichen Anhörungsrechts aus Artikel 90 Satz 2 LVerf folgt. Das Landesverfassungsgericht hat durch Urteile vom 19. Februar 2013 in den Verfahren LVG 60/10, LVG 61/10 und LVG 62/10 den kommunalen Verfassungsbeschwerden der Gemeinden Rieder und Bad Suderode sowie der Stadt Gernrode stattgegeben und § 3 des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Harz (GemNeuglG HZ), der die Auflösung der Stadt Gernrode sowie der Gemeinden Bad Suderode und Rieder und ihre Eingemeindung in die Stadt Quedlinburg normiert, für nichtig erklärt, da es an der Einhaltung die der Vorgaben des Artikels 90 Satz 2 LVerf folgenden einfachgesetzlichen Regelungen des § 17 Abs. 2 GO LSA i. V. m. §§ 55, 6 Abs. 2 Satz 1 KWG LSA fehlte . Die für die Bürgeranhörung bei Gebietsänderungen gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 KWG LSA vorgegebene Frist von zwei Monaten zur Bekanntmachung der Bürgeranhörungen wurde nicht eingehalten. Vor dem Hintergrund der oben genannten Urteile des Landesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2013 wird die Landesregierung die Frist von zwei Monaten zur Bekanntmachung von Bürgeranhörungen ihrem künftigen Handeln zugrunde legen. 1. Wer hat diesen Formfehler zu verantworten? Bitte die zuständige Ebene benennen. Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. 2. Wie ist dieser Formfehler zustande gekommen? Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. 3. Warum haben im Zusammenhang mit Frage 2 alle aufsichtsrechtlichen Mechanismen versagt? Es ist nicht zutreffend, dass alle aufsichtsrechtlichen Mechanismen versagt haben ; sie wurden nach den Urteilen des Landesverfassungsgerichts LVG 60/10, LVG 61/10 und LVG 62/10 jedoch nicht in den verfassungsrechtlich gebotenen Fristen ergriffen. 4. Wer kommt für den finanziellen Schaden, der möglicherweise durch eine Rückabwicklung der Eingemeindung entstanden ist bzw. noch entsteht, auf? Es ist allgemein anerkannt, dass aus der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes grundsätzlich kein erstattungsfähiger Anspruch Dritter folgt. 4 5. Rechnet die Landesregierung mit Schadensersatzklagen? Auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. 6. Wie beabsichtigt die Landesregierung mit der entstandenen Situation um- zugehen? Die Landesregierung hat in ihrer Sitzung am 19. März 2013 beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes über die Eingemeindung der Stadt Gernrode und der Gemeinden Bad Suderode und Rieder in die Stadt Quedlinburg zur Anhörung freizugeben. Nach Auswertung der Anhörungsergebnisse wird die Landesregierung - voraussichtlich im Juli 2013 - den Gesetzentwurf in den Landtag einbringen. 7. Welche Auswirkungen wird die Situation für das laufende Privatisierungs- verfahren des Kurzentrums Bad Suderode haben? Die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2013 zur Nichtigkeit des § 3 GemNeuglG HZ wirkt sich auf das von der Stadt Quedlinburg begonnene europaweite Verfahren zur Privatisierung des als Eigenbetriebes geführten Kurzentrums Bad Suderode dergestalt aus, dass die Stadt Quedlinburg das Verfahren selbst nicht im eigenen Namen zu Ende führen kann. Trägergemeinde des Eigenbetriebs Kurzentrum Bad Suderode ist aufgrund der oben angeführten Entscheidung des Landesverfassungsgerichts nunmehr die Gemeinde Bad Suderode. Für die Aufrechterhaltung des Kureigenbetriebes hat das Ministerium der Finanzen der Gemeinde Bad Suderode mit Bescheid vom 15. März 2013 eine Liquiditätshilfe in Höhe von 331.500,00 EUR bewilligt. Die Bewilligung erfolgte u. a. unter der Bedingung, dass der Gemeinderat Bad Suderode näher bezeichnete Beschlüsse des Stadtrates Quedlinburg betreffend die europaweite Ausschreibung des Kureigenbetriebes, die Schließung des Kureigenbetriebes und die damit einhergehenden Personalentscheidungen voll inhaltlich übernimmt und jeweils mit Beschluss bestätigt bzw. neu fasst. Die Gemeinde Bad Suderode hat die Bedingungen mittlerweile erfüllt.