Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2068 07.05.2013 (Ausgegeben am 08.05.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gewalthandlungen von Polizeibeamtinnen und -beamten im Amt in SachsenAnhalt Kleine Anfrage - KA 6/7842 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung Vorbemerkung: Die Landesregierung geht davon aus, dass sich die Kleine Anfrage nicht ausschließlich auf den Tatbestand der Körperverletzung im Amt nach § 340 StGB beschränkt, sondern alle während der Dienstausübung erfolgten Körperverletzungshandlungen durch Polizeibeamte betrifft. Der von der Rechtsprechung geforderte Missbrauch der Amtsgewalt soll folglich im Rahmen der Beantwortung dieser Kleinen Anfrage kein Ausschlusskriterium sein. Daneben sollen auch sonstige Straftaten von Polizeibeamten, die eine Gewaltstraftat darstellen, erfasst werden. In den Fällen, in denen nach § 152 StPO von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen oder nach § 170 Abs. 2 StPO ein Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, ist auf die erhebliche Kräfte bindende, händische Auswertung der geführten Vorgänge durch die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften verzichtet worden. 1. Wie viele Ermittlungsverfahren sind gegen Polizeibedienstete wegen Kör- perverletzung im Amt in Sachsen-Anhalt seit dem 1. Januar 2010 aufgrund welcher Sachverhalte und zu welchem Zeitpunkt eingeleitet worden? Bitte hierzu im Einzelnen den Verfahrensstand zum 31.Januar 2013 angeben. Im Berichtszeitraum vom 01.01.2010 bis 31.01.2013 sind von den Staatsanwaltschaften des Landes Sachsen-Anhalt insgesamt 303 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte wegen Gewaltdelikten im Amt eingeleitet worden (Anzahl der Verfahren, nicht der Beschuldigten), 2 davon - 1 Verfahren wegen Totschlags gemäß § 212 StGB - 271 Verfahren wegen Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB - 27 Verfahren wegen Nötigung gemäß § 240 StGB - 2 Verfahren wegen Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB - 2 Verfahren wegen Bedrohung gemäß § 241 StGB. Der Verfahrensstand in den 303 Ermittlungsverfahren lautet wie folgt: - 278 Verfahren: Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO (z. B. individuelle Täter nicht ermittelt, Nachweis der vorgeworfenen Handlung nicht zu führen, Handlung erfüllt keinen Straftatbestand , Rechtfertigungslage) - 1 Verfahren: Abgabe an eine andere Staatsanwaltschaft. - 9 Verfahren: Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 StPO (geringe Schuld). - 1 Verfahren: Einstellung gemäß § 153a StPO (gegen Geldauflage). - 3 Verfahren: Strafrichteranklage. - 1 Verfahren: Beantragung eines Strafbefehls. - 11 Verfahren: Die Ermittlungen dauern noch an. In dem von der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau geführten Ermittlungsverfahren wegen Totschlags hat der Polizeibeamte auf einen mit einer Machete angreifenden Mann aus Notwehr geschossen. Das Verfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Den nach §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren lagen folgende Sachverhalte zugrunde: a) Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau Um eine Fahrtüchtigkeit zu überprüfen, hat der Anzeigende den beschuldigten Polizeibeamten um Durchführung einer Atemalkoholmessung gebeten. Im Rahmen der sich anschließenden verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Anzeigenden und dem Polizeibeamten soll Letzterer den Anzeigenden zur Seite gestoßen haben. Verletzungsfolgen hat es nicht gegeben. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. b) Staatsanwaltschaft Magdeburg, Zweigstelle Halberstadt Im Juli 2012 löste sich im Revierkommissariat Nord in Magdeburg aus der Waffe des beschuldigten Polizeibeamten beim Entladen ein Schuss. Das Projektil schlug in den Fußboden ein. Eine sich in der Nähe befindliche Beamtin wurde durch absplitternde Fußbodenteile leicht am Bein verletzt. Das Verfahren wurde nach Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a StPO eingestellt. c) Staatsanwaltschaft Magdeburg, Zweigstelle Halberstadt Im Mai 2010 kam es nach einem Training des MEK, bei welchen Übungswaffen mit Farbmunition verwendet wurde, zu einer unbeabsichtigten 3 Schussabgabe. Ein Beamter wurde im Gesicht getroffen und zog sich eine Platzwunde am linken Jochbeinbogen zu. Das Verfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. d) Staatsanwaltschaft Magdeburg, Zweigstelle Halberstadt An Himmelfahrt 2010 ereigneten sich im Stadtpark Magdeburg Landfriedensbrüche . Als die eingesetzten Beamten, die von einer Gruppe von mindestens 20 Personen bedrängt wurden, gegen diese Gruppe „anliefen“, um die Gruppe zu zerstreuen, trat ein Beamter einem Knieenden an das rechte Bein, sodass dieser stürzte. Der Geschädigte machte bezüglich möglicher Verletzungen zum Geschehensablauf nachweislich falsche Angaben und zeigte anschließend kein Interesse daran, zur Aufklärung beizutragen. Das Verfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. e) Staatsanwaltschaft Magdeburg, Zweigstelle Halberstadt Im Juni 2011 sollte in Oschersleben ein per Haftbefehl gesuchter Beschuldigter festgenommen werden. Trotz intensiver Aufklärung kam es zur Verwechslung mit einer dem gesuchten Beschuldigten ähnlich sehenden Person . Da es sich um einen mutmaßlich gefährlichen Straftäter handelte, wurde der Geschädigte überwältigt, um Eigen- und Fremdgefährdung auszuschließen . Dabei zog sich der zu Boden gebrachte Geschädigte Schürfwunden zu. Der Geschädigte zeigte keinerlei Interesse an einer Strafverfolgung. Das Verfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. f) Staatsanwaltschaft Stendal Ein Polizeibeamter soll am 29.03.2010 in Stendal bei der Verbringung eines gesondert Verfolgten in das Polizeirevier geringfügig gegen das Verbot unverhältnismäßiger Gewaltanwendung bei vorläufiger Festnahme verstoßen haben. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. g) Staatsanwaltschaft Stendal Das von Amts wegen eingeleitete Ermittlungsverfahren richtete sich gegen einen Polizeibeamten, der im Rahmen der Abwehr eines Angriffes eines gesondert Verfolgten geringfügig im Übermaß Gewalt angewendet haben soll. Das Verfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. h) Staatsanwaltschaft Stendal Zwei Polizeibeamte sollen am 24.06.2010 in Gardelegen eine Handfessel derart fest angelegt haben, dass es bei dem gesondert Verfolgten zur Verletzung im Handgelenk gekommen sein soll. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. 4 i) Staatsanwaltschaft Stendal Der Beschuldigte soll am 09.10.2010 in Burg einem wegen Trunkenheit im Verkehr gesondert Verfolgten auf den Fuß getreten sein. Das Verfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. k) Staatsanwaltschaft Stendal Das von Amts wegen eingeleitete Ermittlungsverfahren betraf den Vorwurf des übereilten Einsatzes von Pfefferspray durch einen Polizeibeamten am 02.11.2010 in Salzwedel nach Provokation durch einen Geschädigten. Das Verfahren wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. 2. Wie viele Strafverfahren werden gegen Polizeibedienstete wegen Körper- verletzung im Amt in Sachsen-Anhalt seit dem 1. Januar 2010 und aufgrund welcher Sachverhalte geführt? Bitte im Einzelnen hierzu den Verfahrensstand zum 31. Januar 2013 angeben. Siehe Antwort zu Frage 3. 3. Wie viele Strafverfahren sind gegen Polizeibedienstete wegen Körperver- letzung im Amt in Sachsen-Anhalt seit dem 1. Januar 2010 aufgrund welcher Sachverhalte mit welchen Verfahrensausgängen und zu welchem Zeitpunkt abgeschlossen worden? Im Berichtszeitraum sind insgesamt 3 Strafrichteranklagen erhoben und 1 Strafbefehl beantragt worden. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Verfahren: a) Staatsanwaltschaft Stendal - Anklage vom 06.02.2012 Der 1984 geborene Polizeibeamte soll am 14.05.2011 am Rande einer Demonstration in Salzwedel eine gehbehinderte Dame gestoßen haben, sodass diese zu Fall gekommen sein soll. Das Strafverfahren wurde am 15.05.2012 im Rahmen der Hauptverhandlung gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. b) Staatsanwaltschaft Stendal - Anklage vom 08.02.2012 Der 54-jähige Polizeibeamte hat den Geschädigten am 01.11.2011 im Rahmen einer Verkehrskontrolle in Klötze an den Hals gefasst und gewürgt. Das Amtsgericht Gardelegen stellte das Verfahren am 05.06.2012 im Rahmen der Hauptverhandlung gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages i. H. v. 2.000,00 € ein. 5 c) Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau - Anklage vom 30.11.2010 Der Polizeibeamte hat einem Radfahrer eine Anhaltekelle nachgeworfen, die dabei zerbrach. Die nach dem Ergebnis der Ermittlungen dabei erfolgte Verletzung des Radfahrers und die Beschädigung seiner Jacke bestätigten sich im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme nicht. Der Angeklagte wurde wegen Sachbeschädigung an der Anhaltekelle zu einer Geldstrafe verurteilt. d) Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau - Strafbefehlsantrag vom 17.01.2012 Der beschuldigte Polizeibeamte hat in der Nacheile mit seinem Dienstfahrzeug einem eines Zoll- und Steuervergehens verdächtigen Radfahrer den Weg abgeschnitten, wobei es zu einer Berührung beider Fahrzeuge gekommen sein soll, in deren Folge der Radfahrer Schürfwunden erlitten haben soll. In der Hauptverhandlung über den Einspruch des Angeklagten konnte die Berührung beider Fahrzeuge nicht nachgewiesen werden. Vielmehr war der Radfahrer ohne Zutun aufgrund eigenen fahrerischen Unvermögens gestürzt und hatte sich verletzt. Der Angeklagte wurde freigesprochen (Urteil vom 25.04.2012). 4. Wie viele Disziplinarverfahren gegen Polizeibedienstete wegen Körperver- letzung im Amt wurden in Sachsen-Anhalt seit dem 1. Januar 2010 aufgrund welcher Sachverhalte und zu welchem Zeitpunkt eingeleitet? Bitte hierzu im Einzelnen den Verfahrensstand zum 31. Januar 2013 angeben. In den Jahren 2010 bis 2012 wurden insgesamt sechs Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit einer Körperverletzung im Amt eingeleitet. In zwei Fällen hat sich der ursprüngliche Verdacht nicht bestätigt. In vier Fällen wurden entsprechende Dienstvergehen erwiesen. Die Verfahren verteilen sich auf die folgenden Sachverhalte: a) Unverhältnismäßige Anwendung polizeilicher Zwangsmittel 2010 2 Verfahren eingeleitet Ein Verfahren endete 2010 mit einer Einstellung und Missbilligung, da aufgrund einer vorhergehenden strafrechtlichen Sanktion gemäß § 14 DG LSA die in Betracht kommende Disziplinarmaßnahme unzulässig war. Ein weiteres Verfahren endete mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 17.01.2013 (zum 31.01.2013 noch nicht rechtskräftig), demzufolge der Beamte nicht pflichtwidrig gehandelt hat. 2011 1 Verfahren eingeleitet Das Verfahren wurde 2012 eingestellt, nachdem sich der ursprüngliche Vorwurf nicht bestätigt hat. 6 2012 2 Verfahren eingeleitet Ein Verfahren endete 2012 mit einer Einstellung, da aufgrund einer vorhergehenden strafrechtlichen Sanktion gemäß § 14 DG LSA die in Betracht kommende Disziplinarmaßnahme unzulässig war. In einem weiteren Verfahren wurde 2012 eine Kürzung der Dienstbezüge ausgesprochen, die jedoch zum Stand 31.01.2013 noch nicht bestandskräftig war. b) Unbeabsichtigte Schussabgabe (Farbmarkierungswaffe) 2010 1 Verfahren eingeleitet Das Verfahren endete 2012 mit einem Verweis. Im Jahr 2013 wurden bis zum 31. Januar 2013 keine Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit einer Körperverletzung im Amt eingeleitet.