Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2083 16.05.2013 (Ausgegeben am 17.05.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kindliche Entwicklung in Armutslagen Kleine Anfrage - KA 6/7884 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales 1. Sieht die Landesregierung einen Zusammenhang zwischen kindlicher Ent- wicklung und familiären Armutslagen? Wenn ja, 1.1 Auf Grundlage welcher Untersuchungen und Studien wird dieser Zu- sammenhang von der Landesregierung angenommen? Die Landesregierung sieht einen Zusammenhang zwischen kindlicher Entwicklung und familiären Armutslagen. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. ARB) trifft Aussagen zu Personen, die besonders armutsgefährdet sind und verweist auf die Folgen . Die Erstellung des 2. ARB basiert auf mehreren Studien zur Armutsthematik (s. dort Quellenverzeichnis S.185ff.). Die Ergebnisse des 2. ARB lassen einen Zusammenhang zwischen kindlicher Entwicklung und familiärer Armutslagen erkennen. Die Landesregierung hat auch eine weitere Studie zur intergenerationalen Übertragung von Armut in Sachsen-Anhalt in Auftrag gegeben, die allerdings noch nicht abschließend bewertet worden ist. Zum Themenkomplex existieren neben den vorliegenden Berichten der Landesregierung sowie der Bundesregierung (Kinder- und Jugendberichte, Armuts- und Reichtumsberichte , Familienreporte) umfängliche Materialien. Zu nennen sind u. a. folgende Publikationen im Kontext dieser Fragestellung: - ISS- AWO Langzeitstudie: Lebenslagen, Lebensverlauf und Zukunftschancen von (armen) Kindern; 2 - Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS), Langzeitstudie des Robert Koch-Instituts zur gesundheitlichen Lage der Kinder und Jugendlichen in Deutschland; - „Von alleine wächst sich nichts aus ...“ Lebenslagen von (armen) Kindern und Jugendlichen bis zum Ende der Sekundarstufe I, Langzeitstudie im Auftrag des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt, 2012; - Dr. Ayerle, Dr. Gertrud M., „Familienhebammen im Netzwerk Frühe Hilfen“, Hrsg. Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH), Köln 2012; - Bertram, Hans; Kohl, Steffen und Rösler, Wiebke, Zur Lage der Kinder in Deutschland 2011/2012: Kindliches Wohlbefinden und gesellschaftliche Teilhabe . Deutsches Komitee für UNICEF, Köln 2011; - Prenzel, Manfred (Hg.); Vertiefende Analysen zu PISA 2006 [= Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Sonderheft 10, 2008]. 1.2 Welche Indikatoren nutzt die Landesregierung zur Abbildung von familiärer Armut und kindlicher Entwicklung? Als Indikatoren zur Abbildung von familiärer Armut sind z. B. zu nennen: - Bezug von Unterstützungsleistungen nach SGB II, - geringes Einkommen oder - kein Zugang zu Bildung und Teilhabe. Für die Bewertung der kindlichen Entwicklung gibt es unterschiedliche Parameter zur Messung der altersgerechten physischen, psychischen als auch der kognitiven Fähigkeiten . Einzelheiten können dem 2. ARB entnommen werden. 1.3 Welchen Zusammenhang zwischen sonderpädagogischem Förderbedarf und familiären Armutslagen sieht die Landesregierung? Die Zusammenhänge zwischen sonderpädagogischem Förderbedarf und familiären Armutslagen werden in verschiedenen Studien und Berichten gut wiedergegeben. In den PISA-Studien und in den vergleichenden Erhebungen wurde herausgearbeitet , dass Kinder und Jugendliche, die aus Familien mit geringem Einkommen und sozioökonomisch geringem Status kommen, eher Schwierigkeiten bei der Bewältigung der schulischen Anforderungen haben. Sie lernen eher im hauptschulbezogenen Unterricht oder auch an Förderschulen für Lernbehinderte. Beispielgebend für diese Erhebungen sind u. a. die Ausführungen von Herrn Prof. Baumert (Autor der zusammenfassenden Darstellungen zu PISA). Auch der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2011/12 „Starke Eltern - starke Kinder: Kindliches Wohlbefinden und gesellschaftliche Teilhabe“ geht auf diesen Sachverhalt ein. Im aktuellen Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung wird ebenfalls auf die Auswirkungen ungünstiger Soziallagen von Familien auf die kindlichen Entwicklungsmöglichkeiten hingewiesen. 3 Die Förderung von Kindern und Jugendlichen an Förderschulen beruht auf der Grundlage der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Diese Feststellung erhebt nicht die soziale Situation der Eltern. Die Förderung der Leistungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen ist grundsätzliches Anliegen der Schule, unabhängig von der sozioökonomischen Situation der Eltern. Über die schulische Förderung soll es gelingen, die gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern. 1.4 Welche Zusammenhänge zwischen familiärer Armut und kindlicher Gesundheit sieht die Landesregierung? Daten zur familiären Armut, d. h. dem Einkommen von Familien, liegen im Zusammenhang mit kindlicher Entwicklung und Gesundheit nicht vor, sodass dieser Zusammenhang nicht fundiert bewertet werden kann. Bei einer Reihe von Untersuchungen und Studien wurde der Sozialstatus, d. h. Bildungsstatus und Beschäftigung, erhoben und mit der gesundheitlichen Entwicklung verglichen. Hierzu wird auf den 2. ARB verwiesen. 1.5 Mit welchen Programmen und Initiativen begegnet die Landesregierung diesen Zusammenhängen? Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt fördert Maßnahmen, die armen oder von Armut bedrohten Familien Zugang zu Bildung gewähren. Vorrangige Zielgruppe dieser Maßnahmen sind Familien ohne eigenes Einkommen und/oder mit geringem Einkommen . Das Programm „Familien stärken - Perspektiven eröffnen", das seit Ende 2012/Anfang 2013 in allen Landkreisen und kreisfreien Städten umgesetzt wird, unterstützt in besonderem Maße die Zielsetzung, Bedarfsgemeinschaften mit Kindern und hier insbesondere junge Familien dabei zu begleiten, den Weg aus der Arbeitslosigkeit heraus zu finden. Durch Familienintegrationscoaches werden die Familien, in denen Arbeitslosigkeit bereits lange andauert, sehr intensiv dabei unterstützt, berufliche Perspektiven zu entwickeln und zu realisieren. Dabei sollen die vorhandenen Hilfsangebote in den Regionen unter Berücksichtigung der familiären und individuellen Problemlagen einbezogen werden. Eine besondere Unterstützung im Rahmen des Programms stellt die Möglichkeit einer bis zu elf Monate dauernden Arbeitserprobung in Unternehmen dar, die durch die Familienintegrationscoaches ebenso begleitet wird, und in der Familien- und Berufsalltag miteinander in Einklang gebracht werden soll. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Programms ist die kooperative Zusammenarbeit der verschiedenen Unterstützungsstrukturen vor Ort, wie Träger , Verbände, Behörden, aber auch die Bereitschaft der Unternehmen, sich auch vor dem Hintergrund der Entwicklung des zukünftigen Arbeits- und Fachkräftebedarfes für dieses Arbeitskräftepotenzial zu öffnen. Gegenwärtig betreuen landesweit 39 Familienintegrationscoaches rund 800 Familien mit über 1000 Kindern unter 15 Jahre. Gut 670 Unternehmen wurden bereits kontaktiert, um eine berufliche Erprobung unter realistischen Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Fast 370 Unternehmen haben bereits ihr Interesse bekundet. 13 Personen sind in die berufliche Erprobungsphase eingestiegen. 22 Personen - zuvor Langzeitarbeitslose - konnten bisher im Rahmen des Programms in eine reguläre Arbeit vermittelt werden. Vor dem Hintergrund, dass es gerade bei allein erziehenden Frauen ein besonders hohes Armutsrisiko gibt und auch deren Kinder vom Armutsrisiko betroffen sind, wer- 4 den vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung in der EU-Stukturfondsperiode 2007-2013 im Rahmen der ESF Maßnahme „Ausbildung Alleinerziehender“ 5 Projekte gefördert, die neben flexiblen Lernwegen mit dem Ziel, eine Berufsausbildung abzuschließen , auch Betreuungs- und vor allem psychosoziale Beratungsangebote für die Teilnehmerinnen beinhalten. Durch den Abschluss einer Berufsausbildung sollen sich die Chancen für diese Frauen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen, ihre eigenständige Existenz gesichert und das Armutsrisiko gesenkt werden. Für die Förderung dieser Projekte wurden in der EU-Strukturfondsperiode 2007 - 2013 rund 1,6 Millionen Euro an Landes- und EU-Mitteln zur Verfügung gestellt. Durch Lokale Netzwerke Kinderschutz / Frühe Hilfen werden Familien frühzeitig niedrigschwellig Informationen und Unterstützung angeboten, was sich auch positiv auf die Förderung der Kindergesundheit auswirkt. Das Gesetz zum Schutz des Kindeswohls und zur Förderung der Kindergesundheit (Kinderschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt) hat unter anderem die Steigerung der sogenannten U-Untersuchungen zum Ziel. Hier hat sich gezeigt, dass die Inanspruchnahme unter anderem erhöht ist, wenn betroffene Familien durch Familienhebammen betreut werden. Wenn nein, 1.6 Auf Grundlage welcher Untersuchungen und Studien wird dieser Zu- sammenhang von der Landesregierung negiert? Beantwortung entfällt. 2. Wie viele Familien beziehen in Sachsen-Anhalt Leistungen für Hilfen zur Er- ziehung gemäß § 27 SGB VIII? Bitte angeben für die Jahre 1990, 2000 und 2010 bis 2012 und differenziert nach Landkreisen und kreisfreien Städten. Im Jahr 2007 wurde die Statistik der Hilfen zur Erziehung neu konzipiert, d. h. inhaltlich und methodisch umgestellt. Seit dieser Zeit erfolgt auch erst eine Erfassung der Hilfen nach § 27 SGB VIII. Deshalb können für die Jahre 1990 und 2000 keine Angaben gemacht werden. Bezüglich der Daten für die Jahre 2010 und 2011 wird auf die Beantwortung der Frage 2.1 verwiesen. Die aufbereiteten Daten für das Jahr 2012 stehen noch nicht zur Verfügung. 2.1 Wie hoch ist der prozentuale Anteil derjenigen Familien, die gemäß der EU-Definition von Armut in Armutslagen leben, die Hilfen zur Erziehung beziehen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Familien, die Hilfen zur Erziehung beziehen? Angaben gemäß der EU-Definition von Armut werden vom Statistischen Landesamt nicht in Verbindung mit den Hilfen zur Erziehung erfasst. Erfasst werden jedoch die Transferleistungen; d. h. die Herkunftsfamilie bzw. der/die junge Volljährige lebt teilweise oder ganz von Arbeitslosengeld II bzw. Leistungen nach dem SGB II, bedarfsorientierter Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Sozialhilfe nach dem SGB XII (siehe Spalte „Transferleistungen“ in der nachfolgenden Tabelle). Die Spalte „insgesamt“ beinhaltet die familienorientierten und Einzelhilfen nach den §§ 27 - 35 SGB VIII (beendete Hilfen und Hilfen am 31.12.). 5 Hilfen zur Erziehung1) und Hilfen zur Erziehung mit Transferleistungen 2) Quelle: Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Halle (Saale), 2013 2010 2011 insgesamt mit Transferleistungen Anteil insgesamt mit Transferleistungen Anteil Gebiet Anzahl in % Anzahl in % Sachsen-Anhalt 20974 13253 63,19 20174 12332 61,13 Dessau-Roßlau 783 425 54,28 765 360 47,06 Halle (Saale) 2488 1786 71,78 2590 1867 72,08 Magdeburg 2095 1124 53,65 2370 1388 58,57 Altmarkkreis Salzwedel 647 434 67,08 512 256 50,00 Anhalt-Bitterfeld 1423 944 66,34 1189 738 62,07 Börde 1366 737 53,95 1498 852 56,88 Burgenlandkreis 1476 1030 69,78 1032 671 65,02 Harz 2016 1188 58,93 2195 1205 54,90 Jerichower Land 806 501 62,16 758 498 65,70 Mansfeld-Südharz 1332 923 69,29 959 610 63,61 Saalekreis 3184 1912 60,05 3042 1732 56,94 Salzlandkreis 1612 1146 71,09 1408 926 65,77 Stendal 738 516 69,92 619 448 72,37 Wittenberg 1008 587 58,23 1237 781 63,14 1) familienorientierte §§ 27 und 31 und Einzelhilfen nach §§ 28, 29, 30, 32, 33, 34, 35 SGB VIII (beendete Hilfen und Hilfen am 31.12.) 2) Transferleistungen: Die Herkunftsfamilie bzw. der/die junge Volljährige lebt teilweise oder ganz von Arbeitslosengeld II (SGB II), bedarfsorientierter Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Sozialhilfe (SGB XII) 3. Wie viele Familien und wie viele Kinder wurden in den letzten drei Jahren in a) Erziehungsberatungsstellen und b) Familien-, Ehe- und Lebensberatungsstellen betreut? Bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen, kreisfreien Städten und Jahresscheiben angeben. Daten zu Familien und Kindern, die in den letzten drei Jahren in Erziehungsberatungsstellen sowie in Familien-, Ehe- und Lebensberatungsstellen betreut wurden, liegen der Landesregierung nicht vor. Die statistische Erfassung erfolgt nicht nach Einzelpersonen, Paaren oder Familien, sondern nach problemspezifischen Beratungsfällen entsprechend dem Schwerpunkt des Beratungsprozesses.