Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2085 16.05.2013 (Ausgegeben am 17.05.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Racial Profiling in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/7895 Vorbemerkung des Fragestellenden: Nach einem Grundsatzurteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom Oktober 2012 verstoßen Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 des Grundgesetzes. Menschenrechtsorganisationen begrüßten das Urteil des OVG. Innerhalb der Polizeigewerkschaften stieß der Richterspruch auf ein geteiltes Echo: Ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärte, Menschen dürften grundsätzlich nicht ausschließlich wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert werden, das Urteil sei in Hinblick auf den konkreten Fall nachvollziehbar. Demgegenüber übte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, scharfe Kritik. Er bezeichnete das Urteil als „schöngeistige Rechtspflege“, die praxisfern sei und die Polizeiarbeit erschwere. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Vorbemerkung: Pressemitteilung Nr. 30/2012 des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz: „Ausweiskontrolle eines dunkelhäutigen Deutschen durch die Bundespolizei: Verfahren nach Entschuldigung beendet“ Der Rechtsstreit um die Kontrolle eines Deutschen dunklerer Hautfarbe durch Beamte der Bundespolizei ist durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Verfahrensbeteiligten beendet worden, nachdem Vertreter der Bundespolizei sich für die Kontrolle im Zug entschuldigt haben. 2 Der Kläger, ein 26-jähriger Deutscher, wurde auf einer Zugfahrt von Kassel nach Frankfurt am Main von zwei Bundespolizisten angesprochen und aufgefordert, sich auszuweisen. Dies verweigerte der Kläger. Daraufhin durchsuchten die Polizisten seinen Rucksack vergeblich nach Ausweispapieren und nahmen ihn mit zu ihrer Dienststelle nach Kassel, wo seine Personalien festgestellt werden konnten. Die Beamten beriefen sich auf eine Vorschrift des Bundespolizeigesetzes, wonach die Bundespolizei zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet in Zügen jede Person kurzfristig anhalten, befragen und von ihr die Aushändigung mitgeführter Ausweispapiere verlangen kann, soweit aufgrund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, dass der Zug zur unerlaubten Einreise genutzt werde. Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, er sei allein wegen seiner dunkleren Hautfarbe kontrolliert worden. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz ließ die Berufung zu und vernahm die beiden Bundespolizisten in der mündlichen Verhandlung als Zeugen. Nach Beendigung der Beweisaufnahme machte das Gericht deutlich, dass das an den Kläger gerichtete Ausweisverlangen rechtswidrig war, weil die Hautfarbe des Klägers das ausschlaggebende Kriterium für die Ausweiskontrolle gewesen sei. Diese Maßnahme habe daher gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes verstoßen. Nachdem sich die Vertreter der Bundespolizei bei dem Kläger für die Kontrolle im Zug entschuldigt hatten, erklärten die Verfahrensbeteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das OVG erklärte das erstinstanzliche Urteil für wirkungslos und legte der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Beschluss vom 29. Oktober 2012, Aktenzeichen: 7 A 10532/12.OVG Rechtsgrundlage zur Durchführung lagebildabhängiger Kontrollen in Sachsen-Anhalt Die Polizei kann zur vorbeugenden Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität eine auf einer Bundesfernstraße, einem Autohof sowie der Straßenverbindung zwischen Autobahn und Autohof angetroffene Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, dass mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen (vgl. § 14 Abs. 3 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt - SOG LSA). Bei der Inanspruchnahme dieser, im Zweiten Teil des SOG LSA geregelten Befugnis hat die Polizei, auch die im Ersten Teil des SOG LSA enthaltenen allgemeinen Vorschriften zu beachten. Nach § 6 Abs. 3 SOG LSA darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Behinderung, seiner sexuellen Identität, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt werden. Mit dieser einfachgesetzlichen Regelung und dem Inhalt des § 11 SOG LSA wird dem kundigen Rechtsanwender ausreichend verdeutlicht, dass die sich aus Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 7 Abs. 3 Verf LSA ergebenden Grundrechte grundsätzlich nicht durch Maßnahmen aufgrund des SOG LSA eingeschränkt werden können; das heißt „polizeifest“ sind. 3 1. Sind der Landesregierung Fälle von Racial Profiling durch sachsen-anhal- tische Polizistinnen und Polizisten bekannt, und, wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgten diese in der Vergangenheit? Nein. 2. Sind der Landesregierung Fälle von Racial Profiling auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt durch Polizistinnen und Polizisten anderer Bundesländer oder der Bundespolizei bekannt? Nein. 3. Teilt die Landesregierung die Einschätzung des DPolG-Bundesvorsitzenden Rainer Wendt, das Urteil „erschwere die Polizeiarbeit“, und, wenn ja, inwiefern wird die Polizeiarbeit dadurch voraussichtlich erschwert? Nein. 4. In welcher Weise hat die Landesregierung dafür Sorge getragen, dass die Inhalte des Urteils des OVG Rheinland-Pfalz den sachsen-anhaltischen Polizeibeamtinnen und -beamten zur Kenntnis gelangt und Racial Profiling in der Polizeiarbeit in Sachsen-Anhalt nicht zur Anwendung kommt? Der Umgang mit Menschen anderer Nationalität und/oder anderer Hautfarbe sowie die Wahrung ihrer Menschen- und Grundrechte ist Teil der Ausbildung von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten der Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt , und Laufbahngruppe 2, erstes Einstiegsamt (Bachelor-Studiengang), an der Fachhochschule Polizei sowie der Fortbildung der Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten des Landes Sachsen-Anhalt. Ausbildung von Polizeivollzugsbeamtinnen und –beamten der Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt Insbesondere im Fach Staats- und Verfassungsrecht werden die Menschen- und Grundrechte behandelt und ausführlich erörtert. Im Fach Öffentliches Dienstrecht wird bei den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Berufsbeamtentums das Diskriminierungsverbot i. S. d. Art 33 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG gesondert behandelt. Bei der Erarbeitung der Aufgaben des Einsatz- und Streifendienstes werden dienstkundliche Leitsätze im Umgang mit den Bürgern beim Einschreiten dargelegt . Ein Schwerpunkt dabei ist das vorurteilsfreie Auftreten gegenüber allen Gruppen der Bevölkerung. Neben dem Umgang mit Ausländern wird vermittelt, wie sich Polizeibeamte gegenüber Personen anderer Religionen und Rassen verhalten, wobei natürlich auch auf etwaige kulturelle Hintergründe eingegangen wird. Weiterhin werden im Fach Verkehrsrecht Anhaltegrundsätze für Fahrzeuge und anderer Verkehrsteilnehmer aufgezeigt. Eine Auswahl nach Hautfarbe, (ggf. 4 scheinbare) Rassenzugehörigkeit und anderen menschenverachtenden Gründen wird dabei immer ausgeschlossen. Kernposition ist es dabei immer, auf der Grundlage der zulässigen Eingriffsermächtigungen eine deeskalierende Kommunikation verbunden mit einem freundlichen und höflichen Auftreten der Polizei in den Vordergrund zu stellen. Im Bereich der Kriminalwissenschaften wird in der Lehre auf Tagesereignisse, die sich mit Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit auseinandersetzen, auch aktuell eingegangen. Bachelor-Studiengang an der Fachhochschule Polizei Der Bachelor-Studiengang an der Fachhochschule Polizei ist in den Rechtsfächern auf der Grundlage der bestehenden Gesetze unter Beachtung der relevanten Rechtssprechung konzipiert. Dies stellt sicher, dass die Absolventen des Studiengangs ihre polizeiliche Arbeit rechtsicher und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Schranken und des Übermaßverbots verrichten können. Dies allein führt bereits dazu, dass „Racial Profiling“ von den Absolventen des Studiengangs als rechtswidrig eingestuft werden muss. Die Ursachen und Hintergründe, welche aus sozialwissenschaftlicher Sicht zu rassistisch motivierten polizeilichem Handeln führen können, werden im Rahmen der Lehre ebenfalls thematisiert. Fortbildung der Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten Das Diskriminierungsverbot ist Bestandteil der Fortbildungsseminare A 203 (Rechtliche Grundlagen für polizeiliche Maßnahmen zum Schutz von Veranstaltungen ), A 204 (Polizeiliche Maßnahmen im Rahmen des Ausländerrechts und Asylrechts), A 205 (Anordnung und Vollzug von Freiheitsentziehungen im Polizeigewahrsam ), F 606 (Der Ausländerbeauftragte in der Polizei) und im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung Bestandteil jeder Fortbildungsveranstaltung, die Eingriffsbefugnisse der Polizei behandelt. Aspekte der interkulturellen Kompetenz, insbesondere des Umgangs mit Menschen anderer Kulturkreise, sind Bestandteil aller Englischfortbildungen (F 101 bis F 116) sowie der Fortbildungsveranstaltungen „Umgang mit Ausländern im Polizeivollzugsalltag“ (F 607), „Bekämpfung des politischen Extremismus sowie Gefahren des terroristischen Islamismus im Zuständigkeitsbereich der Polizei“ (F 303), „Verhaltensorientierte Prävention“ (G 201), „Umgang mit Gewalterfahrungen im polizeilichen Alltag“ (F 301). Alle Fortbildungsseminare im verhaltensorientierten Bereich behandeln unter anderem gewaltfreie kooperative Ansätze für Lösungen von zwischenmenschlichen Konflikten, zielführende zwischenmenschliche Kommunikation, Perspektivenwechsel (Verständnis andere Sicht- und Verhaltensweisen) und sozialadäquaten Umgang mit Stress. Das heißt, diese Fortbildungsveranstaltungen dienen neben dem Diskriminierungsverbot als Rechtsinstrument auch der Ausprägung von personalen Kompetenzen als individuelles Handlungsinstrument.