Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2223 01.07.2013 (Ausgegeben am 02.07.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sören Herbst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arzneimittelstudien in der DDR Kleine Anfrage - KA 6/7955 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales 1. Welche Kenntnisse besitzt die Landesregierung derzeit über Arzneimittel- studien westdeutscher Pharmaunternehmen in Sachsen-Anhalt in den Jahren 1980 bis 1989? Soweit bekannt, 1.1 wie viele solcher Studien wurden in wessen Auftrag und durch wen genehmigt durchgeführt? 1.2 an welchen Standorten fanden diese Studien statt? Bitte auch Anga- ben dazu, ob es sich um Haftanstalten oder Militärkrankenhäuser handelte. 1.3 welche Medikamente wurden gegen welche Krankheiten getestet? 1.4 wie viele Personen nahmen - unwissentlich - an diesen Studien teil? Bitte differenziert darstellen nach Altersgruppen U1, U6, U14, U18 und Ü18. 1.5 wie viele Klienten in Psychiatrischen Einrichtungen waren betroffen? Welche Diagnosen hatten die betroffenen Personen jeweils? 1.6 inwieweit liegen der Landesregierung Informationen über die Motive der beteiligten Mediziner und Medizinerinnen vor? 1.7 wie verlief das weitere Schicksal dieser Personen insb. deren Krankheitsverläufe im Zusammenhang mit den Arzneimittelstudien? Gegenwärtig liegen der Landesregierung keine vollständigen Angaben über Studien von 1980 bis 1989 auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt vor. Aus einer Zusammenstellung des Bundesgesundheitsamtes vom November 1991 für den Zeitraum von 1988 bis zum 30. September 1990 sind klinische Prüfungen in folgenden Einrichtungen bekannt: 2 Medizinische Akademie Magdeburg (jetzt: Medizinische Fakultät der Otto-vonGuericke Universität Magdeburg), Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lungenklinik Lostau, Fachkrankenhaus Bernburg, Fachkrankenhaus Haldensleben. Militärkrankenhäuser sind nicht darunter. Hinsichtlich der heutigen Justizvollzugsanstalten liegen keine Erkenntnisse vor. Eine Auswertung alter Aktenbestände , die auf mehrere Standorte verteilt sind, ist der Justizvollzugsverwaltung insbesondere personell nicht möglich und stünde angesichts ungewisser Ergebnisse außer Verhältnis zum dafür zu betreibenden Verwaltungsaufwand. Eine vollständige Liste über die auf dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen Anhalt an Patientinnen und Patienten getesteten Medikamente liegt der Landesregierung nicht vor. Vorhanden ist lediglich eine auf den Zeitraum von 1988 bis 30. September 1990 begrenzte Aufstellung von Prüfungen, die von dem zentralen Gutachterausschuss befürwortet und anschließend vom Ministerium für Gesundheit der DDR genehmigt wurden. Ob und in wieweit die Prüfungen auch durchgeführt wurden, ist nicht ersichtlich. Folglich sind auch Aussagen weder über die Teilnahme von Personen/Klienten und deren weitere Entwicklung noch über die Motivation beteiligter Medizinerinnen und Mediziner möglich. 2. Welche Schritte beabsichtigt die Landesregierung zu unternehmen, um zur umfassenden Aufarbeitung und zur wissenschaftlichen Analyse der Medikamentenstudien westdeutscher Pharmaunternehmen in der DDR beizutragen - beispielsweise durch entsprechende Forschungsaufträge? Das Thema ist nicht landesspezifisch, so dass dem Bund bei der länderübergreifenden Aufarbeitung der Angelegenheit eine besondere Rolle zukommt und er daher eine Studie in Auftrag geben wird. Die Verbraucherschutzministerkonferenz hat - auch auf Drängen der Landesregierung von Sachsen-Anhalt - am 17. Mai 2013 beschlossen, die Medikamententests in der DDR in den betroffenen Jahren dringend, zügig und rückhaltlos aufzuklären und die Mitwirkungspflicht der Pharmaunternehmen bzw. ihrer Nachfolgeunternehmen zu berücksichtigen . Die Bundesregierung ist dabei gebeten worden, die entsprechenden Maßnahmen umgehend einzuleiten. Für die Gesundheitsministerkonferenz am 26./27. Juni 2013 ist beabsichtigt, einen ähnlichen Beschluss zu fassen, u. a. mit Anforderungen an Inhalte und das Verfahren bei der Auftragsvergabe der Studie. 3. Wie gedenkt die Landesregierung, den Aktenbestand an entsprechenden Patientenakten zu komplettieren, zu erhalten und dauerhaft sicherzustellen ? Mit Schreiben vom 24. Mai 2013 wurde die Landeskrankenhausgesellschaft seitens der Landesregierung gebeten, auf ihre Mitglieder dahin gehend einzuwirken , dass diese aktuell nicht noch relevante Akten vernichten. Die Führung von Patientenakten und deren Aufbewahrung ist eine Selbstverwaltungsangelegenheit des Krankenhauses. Diese Akten stehen überdies im Eigentum des Krankenhauses. Deshalb hat die Landesregierung in der Regel keine Befugnis zur Sicherung der Patientenakten. Eine Sicherstellung oder Beschlagnahme 3 von Patientenakten aufgrund des § 94 der Strafprozessordnung setzt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren voraus. Soweit Körperverletzungsdelikte in Betracht kommen, dürften diese vorbehaltlich der Prüfung des Einzelfalls spätestens nach zehn Jahren verjährt sein. Die Verjährung wäre - bei Beginn der Frist am 3. Oktober 1990 - im Jahr 2000 eingetreten . 4. In welchem Umfang wurden Patientenakten in den betreffenden Kranken- häusern in Sachsen-Anhalt gemäß Frage 1.2 aus dieser Zeit bereits vernichtet ? Beispielsweise über welchen Aktenbestand aus dieser Zeit verfügen die Krankenhäuser in Sachsen-Anhalt? Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 5. Soweit Patienten und Patientinnen aus der ehemaligen DDR unwissentlich an Medikamentenstudien teilgenommen haben, wie bewertet die Landesregierung die Möglichkeit von Entschädigungen? Maßgebend für die Beurteilung, ob eine Entschädigung in Frage kommt, ist die Rechtslage zur Zeit der Durchführung der Arzneimittelstudien. Gemäß § 17 des DDR-Arzneimittelgesetzes vom 27. November 1986 (GBl. I S. 473) wurde bei pflichtwidrig verursachten Gesundheitsschäden der Patienten als Folge der klinischen Prüfung von Arzneimitteln ein Anspruch auf Schadensersatz gewährt, den die Staatliche Versicherung der DDR zu erfüllen hatte. Die Gesundheitseinrichtung hatte den Schadensfall dieser Versicherung zu melden, auch wenn der Patient einen Antrag auf Schadensersatz nicht gestellt hatte. Pflichtwidriges Handeln des Prüfarztes war insbesondere gegeben, wenn er den Patienten über die Bedeutung und den Umfang der Prüfung, den Ablauf der Untersuchungen sowie über mögliche Wirkungen, Nebenwirkungen oder Risiken nicht ausreichend aufgeklärt und sein Einverständnis mit der Prüfung nicht eingeholt hatte (§ 7 Abs. 2 DDR-Arzneimittelgesetz). Somit sind für Patientinnen und Patienten, bei denen die Prüfung von Arzneimitteln bis zum 2. Oktober 1990 abgeschlossen worden war, Ersatzansprüche für pflichtwidrig verursachte Gesundheitsschäden erloschen. Für nicht pflichtwidrig verursachte Gesundheitsschäden aus der Anwendung von Arzneimitteln in der DDR gab es einen Anspruch auf Entschädigung nur, wenn der Gesundheitsschaden vor dem 3. Oktober 1990 eingetreten war. Dies traf auf Fälle zu, in denen schädliche Wirkungen des Arzneimittels bei seiner Anwendung nicht bekannt oder nicht vorhersehbar waren. Der Anspruch auf staatliche Leistungen war durch das Bundesgesetz über den Abschluss von Unterstützungen der Bürger der ehemaligen DDR bei Gesundheitsschäden infolge medizinischer Maßnahmen (UnterstützungsabschlussGesetz ) vom 6. Mai 1994 (BGBl. I S. 990) geregelt und bis Mai 1995 geltend zu machen. Daher bleibt für Patientinnen und Patienten, die Nachteile erlitten haben, die nicht aufgrund der genannten Rechtsansprüche ausgeglichen worden sind, eine Möglichkeit der Entschädigung nur, wenn die Krankenhäuser, deren Ärztinnen und Ärzte pflichtwidrig handelten, freiwillig eine Entschädigung zahlen.