Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2310 18.07.2013 (Ausgegeben am 18.07.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Zum Umgang mit Gewaltopfern im Rahmen von rechtsmedizinischen Untersuchungen Kleine Anfrage - KA 6/7944 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Wie ist das Verfahren der Polizei in Sachsen-Anhalt im Umgang mit Gewalt- opfern? Unter welchen Umständen sowie Kriterien werden rechtsmedizinische Untersuchungen bzw. Analysen in Auftrag gegeben? Wer beauftragt wen mit der Begutachtung der Opfer? Bitte getrennt nach Polizeidirektionen darstellen. Die Aufgaben des Opferschutzes bei der Polizei sind im Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport vom 21.12.2009 „Prävention und Opferschutz als Aufgaben der Polizei in Sachsen-Anhalt“ (MBl. LSA S. 15) geregelt. Die Aufgabenwahrnehmung im Rahmen der polizeilichen Prävention und des Opferschutzes auf kommunaler Ebene obliegt den Polizeirevieren. Dort sind nebenamtlich tätige Opferschutzbeauftragte benannt, die insbesondere Opfer von (sexualisierten ) Gewaltstraftaten in verhaltensorientierter und/oder sicherungstechnischer Hinsicht beraten, über weiterführende Hilfsangebote sowie Möglichkeiten zur nachsorgenden Opferbetreuung informieren und gegebenenfalls an entsprechende Interventionsstellen vermitteln. Zu den polizeilichen Leistungen zählt in diesem Zusammenhang die polizeiliche Beratung, nicht jedoch die Opferbetreuung . Weiterhin sind im Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport vom 19.10.2010 „Polizeiliche Maßnahmen zur Verhütung von Gewalteskalationen in engen sozialen Beziehungen, in Fällen von Stalking sowie in Fällen von Kindeswohlgefährdung “ (MBl. LSA S. 566) Maßnahmen zur Gewährleistung eines wirksamen Schutzes dieser Opfer vor weiterer Gewalt geregelt. 2 Die körperliche Untersuchung von Gewaltopfern erfolgt nach § 81c StPO. Danach können Opfer einer Gewalttat immer ohne ihre Einwilligung dann rechtsmedizinisch untersucht werden, soweit zur Erforschung der Wahrheit festgestellt werden muss, ob sich an ihrem Körper eine bestimmte Spur oder Folge einer Straftat befindet. Die Veranlassung der Durchführung einer - auch freiwilligen - körperlichen Untersuchung der Opfer von Gewalttaten erfolgt in allen Polizeidirektionen grundsätzlich nach einer Einzelfallprüfung und Würdigung der Gesamtumstände. Eine Prüfung erfolgt insbesondere bei Straftaten gegen das Leben, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit. Im Dienstbezirk der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord werden mit der körperlichen Untersuchung bei schweren Gewaltdelikten grundsätzlich die rechtsmedizinischen Institute Halle und Magdeburg beauftragt. Die körperliche Untersuchung bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wird einzelfallabhängig entweder durch einen Gynäkologen (niedergelassener Facharzt oder Arzt im Krankenhaus) unter Hinzuziehung eines Rechtsmediziners vorgenannter Institute oder durch einen Rechtsmediziner dieser Institute unter Hinzuziehung eines Gynäkologen durchgeführt. Die Entscheidung über eine körperliche Untersuchung trifft grundsätzlich die zuständige Staatsanwaltschaft. Die Vergabe erfolgt von der zuständigen Staatsanwaltschaft. Im Dienstbezirk der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost werden die rechtsmedizinischen Institute Halle und Magdeburg mit der Durchführung von körperlichen Untersuchungen beauftragt. Opfer sexueller Gewalt werden durch einen niedergelassenen Facharzt oder einen Arzt im Krankenhaus untersucht. Die Entscheidung über die Begutachtung trifft die zuständige Staatsanwaltschaft. Die Vergabe erfolgt von der zuständigen Staatsanwaltschaft. Im Dienstbezirk der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd wird das rechtsmedizinische Institut Halle für körperliche Untersuchungen nach schweren Gewaltdelikten in Anspruch genommen. Opfer sexueller Gewalt werden im Universitätsklinikum Halle-Kröllwitz untersucht. Durch die untersuchenden Ärzte wird bei Erfordernis das rechtsmedizinische Institut Halle einbezogen. Eine Begutachtung der Opfer erfolgt nur im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Die Anforderung wird in den meisten Fällen durch die Polizei, in der Regel schriftlich mit tatbezogenen Fragestellungen , an die Rechtsmedizin übergeben, zum Teil auch durch die Staatsanwaltschaft direkt. 2. In wie vielen Fällen wurden in den drei Polizeidirektionen in den letzten fünf Jahren entsprechende Gutachten an Opfern in Auftrag gegeben? In den Geschäftsbereichen des Ministeriums für Inneres und Sport und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung werden keine Statistiken über die Vergabe von Aufträgen zur Durchführung von körperlichen Untersuchungen an Opfern geführt. Zur Beantwortung der Frage wurden die rechtsmedizinischen Institute Halle und Magdeburg um eine Zuarbeit gebeten. Dort ist jedoch keine vollumfängliche Da- 3 tenerhebung im Sinne der Fragestellung möglich. Es können nur Daten für die Jahre 2011 und 2012, getrennt nach Justiz und Polizei, erhoben werden. Eine weitere Differenzierung ist nicht möglich. Danach hat das rechtsmedizinische Institut Halle 2011 und 2012 jeweils 102 Gewaltopfer im Auftrag der Justiz oder der Polizei untersucht. Das rechtsmedizinische Institut Magdeburg hat 2011 98 und 2012 115 Gewaltopfer im Auftrag der Justiz oder der Polizei untersucht. 3. Wie ist der aktuelle Stand der Zusammenarbeit der interministeriellen bzw. behördenübergreifenden Arbeitsgruppe der Staatsanwaltschaften und der Polizei in Sachsen-Anhalt? Die Regierungsparteien des Landtags von Sachsen-Anhalt stellen in ihrer Koalitionsvereinbarung der Jahre 2011 bis 2016 fest (Punkt 9.1), dass es eine zentrale Aufgabe in der Rechtspolitik ist, die Sicherheit der Bevölkerung vor Straftätern zu erhöhen. Es wurde vereinbart, dass die Koalitionspartner die gute interministerielle Zusammenarbeit zwischen Innen- und Justizressort unter Einbeziehung der Polizeipräsidenten und Staatsanwaltschaften im Rahmen der tätigen Arbeitsgruppen fortsetzen. In Umsetzung dieses Punktes haben Vertreter des Ministeriums für Inneres und Sport und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung in einer Besprechung am 12.09.2011 vereinbart, dass die bisherigen Besprechungen zwischen beiden Ressorts auch zukünftig regelmäßig und daneben anlassbezogen stattfinden. Bei Bedarf werden an den Sitzungen auch Leiter von Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften teilnehmen. Die Besprechungen auf Ebene der Polizeidirektionen und Staatsanwaltschaften werden fortgeführt. 4. Welche Problemfelder wurden bereits mit welchem Ergebnis bearbeitet? Welche Themen und Sachverhalte sollen künftig noch mit welchem Ziel innerhalb welches Zeitrahmens behandelt werden? Im Rahmen dieser interministeriellen Besprechungen werden wesentliche Themenstellungen , die beide Geschäftsbereiche betreffen, behandelt. Es fanden Informationsaustausche über aktuelle Gesetzesvorhaben des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt (z. B. Neuregelung der Sicherungsverwahrung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) und über Organisationsveränderungen innerhalb der jeweiligen nachgeordneten Geschäftsbereiche (z. B. Strukturüberlegungen in der Polizei, Reform des Justizvollzuges in Sachsen-Anhalt und der Sicherungsverwahrung) statt. Weiterhin erfolgten Informationsaustausche über aktuelle Maßnahmen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung (z. B. Bekämpfung des Rechtsterrorismus, Nutzung von Sozialen Netzwerken ). Das Thema „Perspektiven der Vermögensabschöpfung im Land Sachsen-Anhalt“ wurde in mehreren Besprechungen intensiv behandelt. Hier wird zunächst der 4 Bericht der Arbeitsgruppe auf Bundesebene abgewartet nach dessen Vorlage ausgewertet, bevor über weitere Maßnahmen entschieden wird. Nach Darstellung von Problemen bei der Behandlung von Gewaltopfern in der Sitzung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung am 05.04.2013 ist eine Erörterung in der nächsten Sitzung der interministeriellen Arbeitsgruppe vorgesehen. Neben diesen Besprechungen finden zur weiteren Optimierung der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz Erfahrungsaustausche in den nachgeordneten Geschäftsbereichen statt. So nehmen Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft an den Beratungen des Direktors des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt mit den Leitern Zentrale Kriminalitätsbekämpfung der Polizeidirektionen teil. Weiterhin finden Gespräche zwischen den Polizeipräsidenten und den Leitenden Oberstaatsanwälten statt. Inhalt der Besprechungen sind Fragen der Zusammenarbeit und grundsätzliche Verfahrensweisen sowie aktuelle Einsatz- und Kriminalitätslagen. Vereinzelt werden auch fall- bzw. verfahrensbezogene Absprachen getroffen. Die Notwendigkeit einer Thematisierung zum Umgang mit Gewaltopfern hat sich nicht ergeben. Generell hängt die Beauftragung eines Sachverständigen von der Schwere des Gewaltdelikts und der durch das Legalitätsprinzip und die Aufklärungsmaxime gebotenen Notwendigkeit einer forensisch-medizinischen Untersuchung ab. Während bei Kapitaldelikten von einer Begutachtung des Verletzten kaum einmal abgesehen werden kann, kann etwa bei Sturzverletzungen dann auf die Einschaltung der Rechtsmedizin verzichtet werden, wenn Aussagen des Opfers, von Zeugen und ggf. auch des Beschuldigten ausreichend verlässliche Informationen enthalten . Die Beauftragung ist eine auf den Einzelfall bezogenen Entscheidung. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Halle hat hierzu ergänzend berichtet, dass die Opfer sexueller Gewalt routinemäßig im Rahmen bewährter Ermittlungspraxis nahezu ausschließlich im Klinikum Kröllwitz (Halle) untersucht würden, dort sei eine ggf. auch zur medizinischen Versorgung bereite Fachabteilung vorhanden, die einen Rechtsmediziner hinzuziehe. Bei Bedarf werde dieser durch die Staatsanwaltschaft beauftragt. Daneben gebe es auch Fälle, in denen der Sachverständige auf Anregung der Polizei unmittelbar durch die Staatsanwaltschaft beauftragt werde. Gesprächsbedarf habe es darüber hinaus nicht gegeben. Zudem finden auf Arbeitsebene zwischen Staatsanwälten und kriminalpolizeilichen Sachbearbeitern einzelfallbezogene Besprechungen statt. 5. Welche fachlichen und wirtschaftlichen Kriterien müssen bzw. müssten die rechtsmedizinischen Institute in Sachsen-Anhalt mindestens erfüllen, damit diese in möglichen Ausschreibungsverfahren positiv berücksichtigt werden und der Zuschlag nicht an Private bzw. an Institute in anderen Bundesländern gelangt? Bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen, die auch von den rechtsmedizinischen Instituten in Halle und Magdeburg angeboten werden (z. B. molekulargenetische Untersuchen), ist der öffentliche Auftraggeber ausnahmslos an die ver- 5 gaberechtlichen Bestimmungen gebunden. Mit der Änderung der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen, Teil A VOL/A 2009, die im Land Sachsen-Anhalt am 31.12.2010 in Kraft trat, ist die freihändige Vergabe an Aus- und Fortbildungsstätten und ähnliche Einrichtungen oberhalb des Schwellenwertes von 25.000 EUR grundsätzlich unzulässig. Lediglich solche Einzelaufträge, deren Kostenvolumen jeweils bis zu 500 EUR beträgt, können ohne Vergabeverfahren (an das rechtmedizinische Institut) vergeben werden. Es gilt immer der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, d. h. es wird anhand einer Bewertungsmatrix das wirtschaftlichste Angebot ausgewählt. Bei der Vergabe von Aufträgen für Labor- oder molekulargenetische Untersuchungen muss der Auftragnehmer die einschlägigen vergaberechtlichen und strafprozessualen Anforderungen erfüllen bzw. Nachweise vorlegen, die Bestandteil der jeweiligen Ausschreibung sind. In diesem Fall gehören dazu: - Erklärungen zur Liquidität und Zuverlässigkeit sowie der Bereitschaft zur förmlichen Verpflichtung nach § 1 Verpflichtungsgesetz, - Komplexe Bearbeitung der Aufträge ohne Unterauftragnehmer (betrifft Labor- bearbeitung und verwaltungstechnische Abwicklung), - Akkreditierung der Untersuchungsstelle nach DIN EN ISO/IEC 17025, - Einsatz von Personal, das über die einschlägige Berufsausbildung verfügt (er- folgreich abgeschlossene Hochschulausbildung in den Fachbereichen Biologie , Biochemie, Chemie oder Medizin bzw. erfolgreich abgeschlossene Laboranten - oder Assistentenausbildung in den Fächern Biologie, Biochemie, Chemie oder Medizin), - Technische und räumliche Ausstattung der Untersuchungsstelle entsprechend den aktuellen forensischen und wissenschaftlichen Standards zur Qualitätssicherung, - Nachweis der erfolgreichen Teilnahme an den GEDNAP (German DNA Profiling) -Ringversuchen über mehrere Jahre.