Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/232 14.07.2011 (Ausgegeben am 15.07.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Rüdiger Erben (SPD) Prävention gegen Jugendkriminalität im Rahmen des Fahrerlaubnisrechts Kleine Anfrage - KA 6/7058 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium des Innern Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Gemäß § 11 Abs. 3 Fahrerlaubnisverordnung (FaV) haben Führerschein- behörden die Möglichkeit, bei Vorliegen einer erheblichen Straftat oder einer Mehrzahl von Straftaten außerhalb der Teilnahme am Straßenverkehr, die auf ein erhebliches Aggressionspotenzial schließen lassen, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Diese Überprüfung kann letztlich zum Entzug der Fahrerlaubnis führen. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden besteht zudem die Möglichkeit, die Fahrerlaubnis erst gar nicht zu erteilen oder den Erwerb zumindest zu verzögern. a) Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die vorgenannten Maß- nahmen eine wirksame Präventionsmaßnahme im Kampf gegen die Jugendkriminalität sein können? Im Falle des begründeten Zweifels an der Eignung zum Führen eines Fahrzeuges kann bei Führerscheininhabern z. B. eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet werden, was bis zum Entzug der Fahrerlaubnis führen kann. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden kann das Ergebnis der MPU bedeuten, dass die Fahrerlaubnis gar nicht erteilt oder deren Erwerb zumindest verzögert wird. Damit wird der Präventionsrahmen dieses Eingriffs so weit gespannt, dass er tatsächlich auch als repressive Konsequenz anzusehen ist. Denn der Grundgedanke der Maßnahme besteht darin, den Erwerb der Fahrerlaubnis als einen wesentlichen Schritt junger Menschen hin zur Unabhängigkeit, zur Mobilität und zum Er- 2 langen eines sozialen Status (z. B. durch das Fahren eines Fahrzeuges überhaupt oder das Fahren einer bestimmten Automarke) zu werten. Werden diese Motive verwehrt, kann der Betroffene die Beschränkungen als erheblichen Einschnitt empfinden. Insofern zielt die Maßnahme insbesondere auf diejenigen 14- bis 24-Jährigen, die wiederholt alkoholauffällig sind oder Gewaltstraftaten verüben. Insgesamt wird die Wirksamkeit der Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bei Vorliegen einer erheblichen Straftat oder einer Mehrzahl von Straftaten außerhalb der Teilnahme am Straßenverkehr auf Grund der zurzeit vorliegenden Informationen bejaht. Die Erfahrungen einzelner Kommunen der Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen sprechen dafür, dass es sich um eine geeignete Intervention handeln könnte, bestimmte Bereiche der Jugendkriminalität einzudämmen. Das gilt insbesondere für Delikte, die als jugendtypisch anzusehen sind, wie Gewaltstraftaten . Es wird vermutet, dass sich die Drohung mit den aus der MPU erwachsenden Konsequenzen aggressionshemmend auf Jugendliche auswirken kann. Damit kann die Maßnahme als Teil der Prävention im Zusammenhang mit der Eindämmung von Jugendkriminalität betrachtet werden. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Einschätzung in den entsprechenden Bundesländern durch empirische Studien zusätzlich abgesichert werden kann. b) In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2008 bis 2010 Maßnahmen nach § 11 Abs. 3 FeV gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden getroffen? Bitte getrennt nach Jahresscheiben ausweisen. Die Fahrerlaubnisbehörden des Landes Sachsen-Anhalt führen keine Statistik über die Anforderung von medizinisch-psychologischen Gutachten gemäß § 11 Abs. 3 Nrn. 6 und 7 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden. 2. Nach Kenntnis des Fragestellers werden in Sachsen-Anhalt bislang in den Fällen, in denen aggressive oder alkoholbedingte Verhaltensauffälligkeiten vorliegen oder eine Straftat begangen wurde, die nicht das Kriterium der Erheblichkeit erfüllt, keine weiteren Schritte durch die Führerscheinbehörden unternommen. In anderen Bundesländern (z. B. in Baden-Württemberg , Hessen, Bremen) knüpft an dieser Stelle das Konzept der „Gelben Karte“ an, wonach in diesen Fällen den Betroffenen ein Schreiben zugestellt wird, das den Fahrerlaubnisinhabern oder –bewerbern deutlich vor Augen führt, dass im Wiederholungsfall das gezeigte Verhalten geeignet ist, die Fahrerlaubnis zu gefährden. Wie beurteilt die Landesregierung das Konzept der „Gelben Karte“ hinsichtlich a) der rechtlichen Zulässigkeit des Handelns der Führerscheinbehörden? Bei der sog. „Gelben Karte“, die im Rahmen von Modellprojekten auf örtlicher Ebene (z. B. in Karlsruhe, Heilbronn, Wiesbaden, Fulda, Gießen, Bremen und Bremerhaven) von Fahrerlaubnisbehörden an Jugendliche und Heranwachsende bei festgestelltem Fehlverhalten im Einzelfall (Alkohol, Drogen , Aggression) versandt werden, handelt es sich nicht um eine fahrer- 3 laubnisrechtliche Maßnahme, sondern um eine formlose Belehrung bzw. Warnung über mögliche fahrerlaubnisrechtliche Konsequenzen im Wiederholungsfall . Eine solche formlose Maßnahme kommt in Betracht, wenn die Schwelle zur Anordnung eines ärztlichen Gutachtens oder einer medizinisch -psychologischen Untersuchung noch nicht erreicht, die Schwelle einer erheblichen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aber überschritten ist. Derartige Aufklärungs- und Präventivmaßnahmen hält die Landesregierung im Blick auf § 2 Abs. 12 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) für zulässig. b) der Wirksamkeit als Präventionsmaßnahme im Kampf gegen die Ju- gendkriminalität? Dem Konzept der „Gelben Karte“ stehen folgende Ziele in den genannten Bundesländern voran: - Eindämmung des Alkoholmissbrauchs durch Jugendliche, Heranwach- sende und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 24 Jahren, - Reduzierung der Gewaltkriminalität und Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung, - Verbesserung der Verkehrssicherheit - insbesondere bei der Zielgruppe der jungen Fahrer, - Erreichen einer präventiven Wirkung durch die Verknüpfung von Mel- dungen an die Führerscheinstellen und den Hinweis an den Betroffenen durch die Polizei, dass ihm im Wiederholungsfall Konsequenzen drohen. Nach Kenntnis der Landesregierung liegen bei den genannten Modellprojekten auf örtlicher Ebene bislang keine abschließenden Evaluationsergebnisse vor. In den hessischen Städten sind die Modellprojekte bis 31. März 2013 befristet. Eine belastbare Einschätzung der Wirksamkeit des Konzeptes der sog. „Gelben Karte“ als „Präventionsmaßnahme im Kampf gegen die Jugendkriminalität “ ist vor diesem Hintergrund derzeit nicht möglich. Allerdings wird insbesondere von den Bundesländern Baden-Württemberg und Hessen darauf hingewiesen, dass die Rückfallquote bei den mit der „Gelben Karte“ adressierten jungen Menschen sehr gering sei, was für einen Erfolg der Maßnahme spreche. Bei der Umsetzung des Konzeptes wird darauf Wert gelegt, konsequent zu verfahren. Das bedeutet, dass nach dem Versenden einer „Gelben Karte“ im Falle des weiteren Auffälligwerdens eines Betroffenen auch tatsächlich die „Rote Karte“ gezeigt wird und der Wiederholungstäter somit seine charakterliche Eignung zum Führen eines Fahrzeuges im Rahmen einer MPU unter Beweis zu stellen hat. Das Konzept „Gelbe Karte“ wird als sinnvoll angesehen, sofern es konsequent umgesetzt wird und vorausgesetzt wird, dass die Polizei eine Gleichbehandlung Betroffener gewährleisten kann. Das bedeutet, dass die Einführung eines solchen Konzeptes von geeigneten Fortbildungsmaßnahmen flankiert werden sollte.