Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2339 07.08.2013 (Ausgegeben am 07.08.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Steffen Rosmeisl (CDU) § 40 Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/7998 Vorbemerkung des Fragestellenden: In § 40 der Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt sind die Hinderungsgründe zur Mitgliedschaft im Gemeinderat geregelt. Grundsätzlich können Bedienstete der Gemeinde nicht Mitglied des Gemeinderates sein. So können insbesondere leitende, aber auch andere Bedienstete der Gemeinde nicht Mitglieder des Gemeinderates werden. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Welche Gründe führen die Landesregierung zu dem Ergebnis, dass die un- terschiedliche Behandlung von abhängig beschäftigten Gemeindebediensteten verfassungskonform ist? Nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 b) der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt (GO LSA) können hauptamtliche Beamte und Arbeitnehmer der Gemeinde nicht zugleich Mitglied des Gemeinderates dieser Gemeinde sein. Ausgenommen hiervon sind nicht leitende Bedienstete in Einrichtungen der Jugendhilfe und Jugendpflege, der Sozialhilfe, des Bildungswesens und der Kulturpflege, des Gesundheitswesens, des Forst-, Gartenbau- und Friedhofdienstes, der Eigenbetriebe und ähnlicher Einrichtungen . Ermächtigungsgrundlage für die Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 b) GO LSA zur Unvereinbarkeit von Amt und Mandat ist Art. 137 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) bzw. Art. 91 Abs. 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt (Verf LSA). Danach kann die Wählbarkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gesetzlich beschränkt werden (LVerfG LSA, LVerfGE 2, 354, 363 ff.; LVerfGE 9, 329 <337>). Sinn und 2 Zweck ist es, die organisatorische Gewaltenteilung gegen Gefahren abzusichern, die durch das Zusammentreffen von beruflicher Tätigkeit in der Verwaltung und in der Volksvertretung entstehen (BVerfGE 12, 73 <77>; 42, 312 <339>). Letztlich soll verhindert werden, dass Mitarbeiter der Verwaltung sich selber kontrollieren (BVerfGE 38, 326 <339>; VGH München, BayVBl. 2004, 270, 271). § 40 Abs. 1 Nr. 1b) GO LSA ist von der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gedeckt . Die Regelungen des § 40 GO LSA sind systemgerecht und deshalb nicht als willkürlich zu beanstanden (LVerfG LSA, LVerfGE 9, 329 <338>). Durch sie soll der Gefahr von ständigen Interessen- und Entscheidungskonflikten entgegengewirkt und schon im Ansatz verhindert werden, dass die Objektivität der Entscheidung einzelner Mandatsträger durch Interessenkollisionen allgemeiner Natur gefährdet wird. Soweit § 40 Abs. 1 Nr. 1b) GO LSA hauptamtliche Bedienstete der Gemeinde, die in bestimmten gemeindlichen Einrichtungen tätig sind, von der Unvereinbarkeit ausnimmt , sofern sie dort keine Leitungsfunktion innehaben, hat der Gesetzgeber mit dieser Ausnahme Lockerungen für Personengruppen schaffen wollen, die nicht über eine unmittelbare Nähe zur Kernverwaltung verfügen. Gemeinsames Merkmal dieser Einrichtungen ist, dass sie mit gewisser institutioneller Selbstständigkeit von der Gemeindeverwaltung als solche ausgestattet sind. Die Zuständigkeit des Gemeinderates beschränkt sich hier auf die organisatorischen Grundsatzfragen. Folglich stehen die nicht leitenden Gemeindebediensteten in den von der Kernverwaltung abgesetzten Einrichtungen nicht in einer vergleichbar starken Interessenkollision wie die hauptamtlichen Bediensteten in der Kernverwaltung der Gemeinde. Die Differenzierung innerhalb der Gruppe der Gemeindebediensteten nach § 40 Abs. 1 Nr. 1b) GO LSA hält sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung (vgl. LVerfG LSA, LVerfGE 9, 329 <340>). 2. Wie sind Beschlüsse u. a. zum Haushaltsplan sowie Stellenplan rechtlich zu werten, soweit sich an Diskussion und Beschlussfassung in Ausschüssen und Gemeinderat Bedienstete der Gemeinde beteiligen? Sind diese schon aus formellen Gründen nichtig? Gemeindebedienstete, die in einer der in § 40 Abs. 1 Nr. 1b) GO LSA genannten gemeindlichen Einrichtung in nicht leitender Funktion tätig sind und durch unmittelbare Wahl ein Mandat im Gemeinderat erlangt haben, nehmen wie alle Mitglieder des Gemeinderates als Volksvertreter auf gemeindlicher Ebene eine den Bundes- und Landtagsabgeordneten vergleichbare Funktion wahr und üben ihre Tätigkeit insoweit nur nach ihrer eigenen Überzeugung und mit Rücksicht auf das Gemeinwohl aus. Entsprechend dem Gedanken der Gesamtvertretung aller Gemeindeeinwohner, dass Mandatsträger unbefangen und uneigennützig handeln sollen, dürfen Mitglieder des Gemeinderates nach § 31 Abs. 1 Satz 1 GO LSA bei Angelegenheiten nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung ihnen selbst oder einer in dieser Vorschrift genannten ihnen nahestehenden Person einen besonderen Vorteil oder Nachteil bringen kann. Ein Mitwirkungsverbot nach § 31 Abs. 1 Satz 1 GO LSA kann nicht allein aufgrund der Tätigkeit eines Gemeinderatsmitglieds als hauptamtlicher nicht leitender Bediensteter der Gemeinde in einer der in § 40 Abs. 1 Nr. 1b) GO LSA genannten Einrichtung abgeleitet werden, sondern setzt einen besonderen individuellen Vor- oder Nachteil voraus. Das Kriterium der Besonderheit des Vor- oder Nachteils dient der 3 Abgrenzung individueller Belange von Gruppeninteressen. Soweit das Ratsmitglied nur als Teil einer Gruppe betroffen ist, deren gemeinsame Belange berührt sind, liegt lediglich eine mittelbare Betroffenheit vor. In diesen Fällen gilt das Mitwirkungsverbot nicht (§ 31 Abs. 1 Satz 2 GO LSA). Nicht jeder Vor- oder Nachteil begründet mithin ein Mitwirkungsverbot, sondern erfordert die Individualisierung des Interesses eines Ratsmitglieds am Gegenstand der Beratung und Entscheidung. Die Entscheidung der Angelegenheit muss demnach so eng mit den persönlichen Belangen des Mandatsträgers oder einer Bezugsperson zusammenhängen, dass sie sich auf diese Person zuspitzt und diese im Mittelpunkt oder im Vordergrund der Entscheidung stehend als deren Adressat anzusehen ist. Die Besonderheit ist demzufolge nicht gegeben , wenn der Eintritt des Vorteils oder Nachteils unabhängig von der Entscheidung des Gemeinderates (z.B. per gesetzlicher Regelung) automatisch erfolgt oder für den Eintritt des Vorteils oder Nachteils erst noch andere zusätzliche und selbständige Entscheidungen weiterer Personen getroffen werden oder andere Umstände hinzutreten müssen, es sei denn, durch die erste Entscheidung wird die anstehende Folgeentscheidung bereits präjudiziert. Ob bei einem Ratsmitglied aufgrund seiner engen persönlichen Beziehungen zu der zu treffenden Entscheidung des Gemeinderates ein individuelles Sonderinteresse besteht, das zu einer Interessenkollision führt und die Besorgnis nahelegt, der Betroffene werde nicht mehr uneigennützig und gemeinwohlorientiert handeln, kann nicht allgemein beurteilt werden. Dies ergibt sich vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls im Rahmen einer Bewertung der Beziehungen zwischen dem Ratsmitglied und dem Beratungs- und Entscheidungsgegenstand. Ein unter Missachtung des Mitwirkungsverbots gefasster Beschluss des Gemeinderates ist grundsätzlich unwirksam (§ 31 Abs. 6 Satz 1 GO LSA). Dabei ist unerheblich, ob die verbotswidrige Mitwirkung des Mandatsträgers für das Abstimmungsergebnis entscheidend war, ob also auch ohne seine Mitwirkung die konkrete Entscheidung getroffen worden wäre. Eine Mitwirkung ist jedoch unbeachtlich, wenn der Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot nach § 31 Abs. 1 bis 3 GO LSA nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Beschlusses oder, wenn eine öffentliche Bekanntmachung des Beschlusses nicht erforderlich ist, seit dem Tag der Beschlussfassung gegenüber der Gemeinde schriftlich geltend gemacht worden ist (§ 31 Abs. 6 Satz 2 und 3 GO LSA). In der Zwischenzeit ist der Beschluss schwebend unwirksam. 3. Ist aus Sicht der Landesregierung generell auszuschließen, dass bestehen- de Beschäftigungsverhältnisse der Gemeinderäte mit der Gemeinde bei Diskussionen und Beschlüssen keinen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten dieser Gemeinderäte haben? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 4. Sofern die Landesregierung die Wirkung des Beschäftigungsverhältnisses auf das Abstimmungsverhalten nicht generell ausschließt: Wie bewertet die Landesregierung Beschlüsse, die unter Beteiligung von abhängig Beschäftigten der Gemeinde mit äußerst knappen Mehrheiten verabschiedet werden? Wie ist deren rechtlicher Status? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 4 5. Sieht die Landesregierung eine Grenze der Anzahl von Mitgliedern eines Gemeinderates, die abhängig Beschäftigte der Gemeinde sein dürfen? Wenn ja, wo liegt diese? Wenn nein, wie stellt die Landesregierung sicher, dass die Interessen der übrigen Bürger angemessen vertreten werden? Eine auf Art. 137 Abs. 1 GG bzw. Art. 91 Abs. 2 Verf LSA gestützte Regelung darf nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur eine Beschränkung der Wählbarkeit in Gestalt einer Unvereinbarkeitsregelung (Inkompabilität), nicht aber den generellen Ausschluss einzelner Gruppen von der Wählbarkeit (Ineligibität) anordnen (BVerfG, Beschluss vom 06.10.1981, BVerfGE 58, 177 <192>). Außerhalb dieser Ermächtigung ist eine Beschränkung des passiven Wahlrechts in Anknüpfung an ein Dienstverhältnis durch einfaches Gesetz nicht zulässig. Dem Gesetzgeber bleibt wegen des formalen Charakters der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl nur ein eng bemessener Spielraum in Differenzierungen, die jeweils eines besonderen rechtfertigenden zwingenden Grundes bedürfen. Mit der Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 1b) GO LSA hat der Landesgesetzgeber innerhalb des ihm zukommenden Rahmens der verfassungsrechtlichen Ermächtigung vorgesehen, dass in der Kernverwaltung einer Gemeinde hauptamtlich tätige Beamte und Arbeitnehmer und in bestimmten gemeindlichen Einrichtungen leitend tätige Bedienstete nicht zugleich dem Gemeinderat angehören können. Wesentliches Merkmal dieser Unvereinbarkeitsregelung ist, dass sich der von ihr Betroffene als Wahlbewerber aufstellen lassen, gewählt werden und die Wahl annehmen kann, die Annahme der Wahl aber von einer Beendigung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses mit der Gemeinde abhängig gemacht wird. Eine gesetzliche Regelung, welche die Mitgliedschaft der nicht in leitender Funktion tätigen Gemeindebediensteten in bestimmten gemeindlichen Einrichtungen zahlenmäßig begrenzt, würde das subjektive Recht auf Gleichbehandlung im passiven Wahlrecht zu kommunalen Vertretungskörperschaften beschränken. Die Verfassungsbestimmungen lassen Ungleichheit zwar zwischen einerseits den in Art. 137 Abs. 1 GG bzw. Art. 91 Abs. 2 Verf LSA genannten Gruppenzugehörigen und andererseits den übrigen Angehörigen des Volkes zu. Die Gruppenangehörigen untereinander dürfen jedoch ohne sachlich einleuchtenden Grund nicht ungleich behandelt werden (LVerfG LSA, LVerfGE 2, 345 <367 ff.>). Eine zahlenmäßige Begrenzung der von der Ausnahme des § 40 Abs. 1 Nr. 1b) GO LSA erfassten Gemeindebediensteten würde inhaltlich Gleiches differenzieren und damit den Grundsatz der Gleichheit staatsbürgerlicher Rechte verletzen. Mit § 42 Abs. 1 GO LSA hat der Landesgesetzgeber die wesentlichen Aussagen zur Mandatsausübung der Ratsmitglieder getroffen und ein Verbot des sogenannten imperativen Mandats normiert. Danach üben die Mitglieder des Gemeinderates ihr Ehrenamt nach dem Gesetz und nach ihrer freien, dem Gemeinwohl verpflichtenden Überzeugung aus. Die Bindung an die eigene freie Überzeugung verlangt von den Ratsmitgliedern, ihre Entscheidung individuell zu verantworten. Dabei gilt die Freiheit der Mandatsausübung gegenüber jedermann, insoweit auch gegenüber der eigenen Partei und Fraktion, gegenüber dem Arbeitsplatz, dem Ehegatten, den Verwandten und Verschwägerten, Berufskollegen und Vereinen. Die gesetzliche Verpflichtung der Ratsmitglieder, ihre Mandatstätigkeit an die Rücksichtnahme auf das Gemeinwohl zu 5 binden, bringt den Gedanken der Gesamtvertretung aller Gemeindeeinwohner zum Ausdruck. Da das Gemeinwohl ein verhaltensleitendes Prinzip ist, wird den Gemeinderatsmitgliedern die Gemeinwohlsuche zur Aufgabe gemacht. Das einzelne Ratsmitglied hat daher die Interessen der gesamten Bevölkerung der Gemeinde zu vertreten . Eine Vertretung von Einzelinteressen ist damit nicht vereinbar. Um Interessenkollisionen vorzubeugen, sieht § 31 GO LSA ein Mitwirkungsverbot vor.