Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/237 19.07.2011 (Ausgegeben am 20.07.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Energetische Nutzung der Braunkohle in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/7055 Vorbemerkung des Fragestellenden: An verschiedenen Stellen hat sich die Landesregierung mit der Begründung der Versorgungssicherheit und der Kostengünstigkeit für den Neubau eines Braunkohlekraftwerkes im Burgenlandkreis ausgesprochen, das eine Leistung von rund 600 Megawatt bei einem Investitionsumfang von ca. 1,3 Millionen € hätte. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft Frage 1: Die Daten des Statistischen Landesamtes zeigen, dass seit einigen Jahren in Sachsen-Anhalt mehr Strom produziert als verbraucht wird - die zuletzt verfügbaren Daten weisen für das Jahr 2009 eine Nettostromerzeugung von 13,93 TWh aus. Inwieweit ist zukünftig mit einer Versorgungslücke zu rechnen, wenn bereits seit Jahren Strom aus Sachsen-Anhalt exportiert wird? Sachsen-Anhalt liefert seit dem Jahr 2006 Strom an Nachbarländer. 2006 561 Mio. kWh 2007 2.202 Mio. kWh 2008 3:594 Mio. kWh 2009 4.635 Mio. kWh Die Angaben des Statistischen Landesamtes zur Energiebilanz 2009 sind vorerst Prognosen. 2 Als „Versorgungslücke“ bezeichnet man den Anteil an Strom, der unter dem im Land benötigten Anteil an Strom liegt. Seit 2006 erzeugt Sachsen-Anhalt zunehmend mehr Strom als es benötigt. Eine Versorgungslücke zeichnet sich aus diesem Grund nicht ab. Eine Versorgungslücke könnte auftreten, wenn einer der drei Hauptenergieträger Kohle, Gas oder erneuerbare Energien ausfallen würde, wovon aber nach derzeitigem Stand nicht auszugehen sein dürfte. Frage 2: Im gleichen Jahr hatten die erneuerbaren Energien mit 7,02 TWh einen Anteil von rund 35 % an der Nettostromerzeugung und lagen damit gleichauf mit dem Kohlestromanteil. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund erklären, dass die Landesregierung in einem gemeinsamen Positionspapier mit den Ländern Sachsen und Brandenburg vom 12. Mai 2011 davon spricht, dass die Braunkohle der einzige in ausreichender Menge zur Verfügung stehende heimische und subventionsfreie Energieträger ist? Im gemeinsamen Positionspapier vom 12. Mai 2011 heißt es wörtlich: „Die Braunkohle ist der einzige heimische Energieträger, der in großen Mengen langfristig subventionsfrei verfügbar ist. Der Schwerpunkt der Aussage liegt auf der „langfristig freien Verfügbarkeit“ und der Subventionsfreiheit. Gas ist insoweit nicht frei verfügbar, weil es importiert werden muss und der Import und die Preisgestaltung mit Unsicherheit behaftet sind. Erneuerbare Energien sind insoweit nicht frei verfügbar, weil die Voraussetzungen zu deren Erzeugung entweder immer wieder neu geschaffen werden müssen (nachwachsende Rohstoffe, Ölpflanzen usw.) oder sie nicht ständig bereit gehalten werden können (Wind, Sonne). Im Übrigen bezog sich die Aussage nicht auf die Braunkohlevorkommen in SachsenAnhalt allein, sondern, wie es im Positionspapier steht, auf die Braunkohle in Deutschland. Frage 3: Wenn ein neues Braunkohlekraftwerk gebaut werden würde, in welcher Größenordnung ist mit staatlichen Ausgaben, Zuschüssen, Steuerbegünstigungen und Subventionen seitens des Landes und seitens der Bundes- und EU-Ebene zu rechnen? Diese Frage lässt sich erst mit Vorliegen der entscheidungsreifen Unterlagen für den Kraftwerksbau, der in diesem Zusammenhang gestellten Förderanträge und der dann geltenden Rahmenbedingungen für Zuschüsse, Steuerbegünstigungen und Subventionen seitens des Landes und seitens der Bundes- und EU-Ebene beantworten . Aus heutiger Sicht gibt es keine Vergünstigungen für einen Kraftwerksbau. 3 Frage 4: Ist es richtig, dass der Braunkohle-Kraftwerksbau Schkopau durch Mittel des Landes bzw. einem Investitionsmehrkostenausgleich (teil-)finanziert wurde? Wenn ja, in welcher Höhe? Gibt es noch Verpflichtungen seitens des Betreibers E.ON, entsprechende Gelder an das Land zurückzuzahlen? Wenn ja, wie hoch ist dieser rückzahlbare Betrag? Aus allgemeinen Quellen (u. a. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri Serv.do?uri=CELEX:31999D0581:DE:HTML) ist bekannt, dass eine Investitionsbeihilfe in Höhe von 600 Mio. DEM Anfang der 90-er Jahre gewährt wurde. Frage 5: Aus welchem Grund erhebt das Land Sachsen-Anhalt keine Förderabgabe auf die von der MIBRAG aus dem Tagebau Profen gewonnene Braunkohle? Hat die MIBRAG ein Bergwerkseigentum oder eine Bergbauberechtigung? Die Verpflichtung zur Entrichtung der Förderabgabe ist in § 31 Bundesberggesetz (BBergG) geregelt. Danach hat der Inhaber einer Bewilligung für die jährlich gewonnenen bergfreien Bodenschätze eine Förderabgabe zu entrichten, deren Höhe 10 v. H. des Marktwertes beträgt. Der § 32 BBergG ermächtigt die Länder bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen (z. B. Gefährdung der Wettbewerbslage) per Verordnung für bestimmte Bodenschätze / Gebiete abweichende Abgabesätze oder eine Befreiung von der Erhebung der Feldes- und Förderabgabe auszusprechen. Von dieser Möglichkeit hat die Landesregierung von Sachsen-Anhalt Gebrauch gemacht und die Erhebung der Förderabgabe für Braunkohle bis zum 31. Dezember 2012 ausgesetzt. Insbesondere der Aspekt der rechtlichen Gleichbehandlung des Mitteldeutschen und Lausitzer Reviers spricht gegen die Erhebung der Förderabgabe. Die unterschiedliche Handhabung bei der Verleihung von Bergwerkseigentum im September 1990 führte dazu, dass in Mitteldeutschland die alten Gewinnungsrechte als Bewilligungen bestätigt wurden und damit der Förderabgabe unterliegen würden, während in der Lausitz Bergwerkseigentum verliehen wurde, welches bereits gesetzlich von der Förderabgabe befreit ist. Eine Erhebung der Förderabgabe würde in Sachsen-Anhalt aufgrund der Konkurrenzsituation zu anderen Regionen vorrangig die Unternehmen MIBRAG und ROMONTA GmbH treffen. Die Erhebung der Feldes- und Förderabgabe ist für das Land Sachsen-Anhalt in der Verordnung über Feldes- und Förderabgabe (FörderAVO) vom 18. November 1996, zuletzt geändert durch die 6. Verordnung zur Änderung der Verordnung über Feldesund Förderabgabe vom 8. Februar 2010, geregelt. Frage 6: Im Rahmen der Privatisierung durch die bundeseigene Treuhandanstalt hatte die MIBRAG die Industriekraftwerke und den Tagebau Profen gekauft. Ist es richtig, dass die MIBRAG noch stets Raten zurückzahlen muss? Wenn ja, an wen erfolgen diese Rückzahlungen und in welcher Höhe? Wann sollen die Rückzahlungen beendet sein? Auf der Grundlage des Privatisierungsvertrages ist ein produktionsabhängiger Kaufpreis an die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben zu zahlen. Ein- 4 zelheiten hierzu unterliegen nach Auskunft der MIBRAG der vertraglich vereinbarten Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit. Frage 7: Wenn ein neues Braunkohlekraftwerk gebaut werden würde, welche der bestehenden Kraftwerke würden abgeschaltet und durch das neue Kraftwerk ersetzt werden? Wie viel Kohlendioxid emittieren diese abzuschaltenden Kraftwerke zurzeit? Wie viel Kohlendioxid würde ein neues modernes Braunkohlekraftwerk emittieren ? Die Angaben zu den Emissionen bitte als Gewicht Kohlendioxid pro Kraftwerk. Wie viel Energie würde durch ein neues Kraftwerk mehr erzeugt als heute - auch wenn bestimmte ältere Kraftwerke abgeschaltet werden? Die spezifischen Emissionen von Kohlendioxid des neuen Kraftwerkes, angegeben in kg CO2/MWh, würden bei einer 3-fachen Leistung eine Reduzierung gegenüber den durchschnittlichen spezifischen Emissionen der MIBRAG-Kraftwerke um ca. 39 % bedeuten. Frage 8: Wie sollen die klimarelevanten Kohlendioxid-Emissionen aus einem neuen Braunkohlekraftwerk kompensiert werden? Ein Neubaukraftwerk unterliegt den Regelungen des Emissionshandels und muss in der im Jahr 2013 beginnenden 3. Handelsperiode die für den Betrieb erforderlichen Emissionszertifikate nach dem derzeitigen Stand zu 100 % erwerben. Frage 9: Wie ist die Position der Landesregierung zur Anwendung der CCS-Technik in Verbindung mit dem Neubau eines Braunkohlekraftwerkes? Zurzeit liegen keine entscheidungsreifen Planungen für ein Kraftwerk vor. Inwieweit dabei die CCS-Technologie oder Zertifikate zum Einsatz kommen würden, ist eine unternehmerische Entscheidung. Da das Kohlendioxidspeichergesetz noch nicht vorliegt und die Anwendung der CCS-Technologie eine Entscheidung des Unternehmers ist, ist eine Antwort auf die Frage noch nicht möglich. Frage 10: Wie viele direkte Arbeitsplätze nimmt die Landesregierung für den energetischen Braunkohlebereich ausschließlich für Sachsen-Anhalt an? Bitte angeben nach den Kraftwerksbetrieben, dem Tagebau und sonstigen Bereichen. Zum Stichtag 31. Mai 2011 beschäftigte die MIBRAG in Sachsen-Anhalt im Bereich Bergbau 765 Veredlung 277 Sonstige 369 1.411 Mitarbeiter sowie Azubi/JuMP* 135 1.546 Mitarbeiter 5 * JuMP - Das Junior Management Programm der MIBRAG ist ein direkt auf Hochschulabsolventen zugeschnittenes zweijähriges Programm. Die ROMONTA GmbH betreibt am Kohleveredlungsstandort nach dem Management Buy-out (MBO) im Jahr 2001 eine moderne Anlage zur extraktiven Gewinnung von Montanwachs aus mitteldeutscher Braunkohle. Am Standort Amsdorf sind derzeitig ca. 350 Mitarbeiter beschäftigt. Frage 11: Zählt die Landesregierung die Sanierungs- und Sicherungsmaßnahmen durch die LMBV als Arbeitsplätze der energetischen Braunkohlenutzung? Wie viele Beschäftigte arbeiten in Sachsen-Anhalt für die LMBV? Die Beschäftigten der Braunkohlesanierung werden nicht als Arbeitsplätze der energetischen Braunkohlenutzung gewertet. Für die Braunkohlesanierung in SachsenAnhalt arbeiten bei der LMBV 60 Mitarbeiter. Frage 12: Mit wie vielen Arbeitsplätzen rechnet die Landesregierung für den Betrieb eines neuen Braunkohlekraftwerks mit 600 MW Leistung? Mit wie vielen zusätzlichen Arbeitsplätzen rechnet die Landesregierung unter der Berücksichtigung, dass alte Kraftwerke abgeschaltet werden? Eine gesicherte Aussage ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Frage 13: Ist es richtig, dass für den Betrieb eines neuen Braunkohlekraftwerks zwingend der Aufschluss eines neuen Tagebaus bei Lützen erforderlich ist? Wenn ja, wie rechtfertigt die Landesregierung den Neuaufschluss, wenn sich doch bei einer amtlichen Bürgeranhörung in der betroffenen Region 87 % der Befragten so geäußert haben, dass sie einen Tagebau Lützen nicht akzeptieren und somit keine Akzeptanz für einen neuen Tagebau in der Region gegeben ist? Zu einem sinnvollen Energiemix nach dem Atomausstieg gehören nach Ansicht der Landesregierung neben der verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien auch neue Kohlekraftwerke. Nach dem derzeitigen Planungsstand für ein neues Braunkohlenkraftwerk reichen nach Angaben der MIBRAG die derzeitigen Braunkohlevorräte für eine Belieferung nicht aus. Daher müssen weitere Lagerstätten erschlossen werden, wobei aus heutiger Sicht die Lagerstätte bei Lützen die besten Bedingungen bieten würde. Der Aufschluss einer neuen Lagerstätte bedarf umfangreicher Prüfungen unter Beteiligung der Öffentlichkeit, insbesondere der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Erst wenn die Ergebnisse dieser Prüfungen vorliegen, kann die Frage der Akzeptanz beantwortet werden.