Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/240 19.07.2011 (Ausgegeben am 20.07.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Edwina Koch-Kupfer (DIE LINKE) Fahrplanabweichungen und „Basisfahrplan“ Harz-Elbe-Express (HEX) 2011 Kleine Anfrage - KA 6/7068 Vorbemerkung des Fragestellenden: Seit dem 13. Dezember 2005 ist auf der Grundlage der von der NASA durchgeführten Ausschreibung (Schlusstermin: 8. Juli 2003) das erste Privatunternehmen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) des Landes Sachsen-Anhalt tätig. Damals firmierend als „Connex“ unter Geschäftsführer Hans Leister, heute als Teil eines internationalen Konzerns als „HEX“ (Veolia Verkehr Sachsen-Anhalt GmbH, Geschäftsführer : Andreas Putzer) tätig. Diese Nahverkehrsleistungen im Nordharznetz werden zwischen Vienenburg-Wernigerode-Halberstadt-Könnern-Halle, Könnern– Bernburg und Magdeburg-Halberstadt-Blankenburg/Thale angeboten. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr 1. Ist das Unternehmen beauftragt, entsprechend dem geschlossenen Ver- kehrsvertrag seine Leistungen im SPNV des Landes zu erbringen? Sind Busersatzleistungen (in welcher Form?) ergänzender Vertragsbestandteil ? Ja, die Veolia Verkehr Sachsen-Anhalt GmbH (VVSA) ist beauftragt, entsprechend dem geschlossenen Verkehrsvertrag ihre Leistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) des Landes Sachsen-Anhalt zu erbringen. Die Erbringung von Busersatzverkehrsleistungen ist im bestehenden Verkehrsvertrag geregelt. 2. Im gültigen Verkehrsvertrag war eine Jahresverkehrsleistung von rund 3 Millionen Zugkilometern vertraglich festgelegt. Welche Kilometerleistung hätte bis zum 31. Mai 2011 erbracht werden müssen? Welche Kilome- 2 terleistung wurde tatsächlich erbracht? Welche Zugkilometerleistung ist durch die Streiks 2011 nicht erbracht worden? Das Land Sachsen-Anhalt bestellte bei VVSA für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 31. Mai 2011 Verkehrsleistungen im Umfang von 1.283.305,3 Zugkilometern . Tatsächlich erbracht wurden 1.163.763,52 Zugkilometer. 112.714 Zugkilometer fielen streikbedingt aus. Für ca. 50 % dieser ausgefallenen Leistungen wurde Busersatzverkehr angeboten. 3. Welche Einsparung in Euro ist dadurch für den Besteller kassenwirksam? Wie sollen die dadurch nicht in Anspruch genommenen Regionalisierungsmittel dann 2011 eingesetzt werden? Die Zuschusskürzung für die streikbedingt ausgefallenen Leistungen beläuft sich für den betrachteten Zeitraum bei Gegenrechnung der vertraglich festgelegten Vergütung von Busersatzverkehrsleistungen auf ca. 1,085 Millionen €. Nicht in Anspruch genommene Regionalisierungsmittel werden entsprechend der Zweckbindung der Mittel nach dem Regionalisierungsgesetz üblicherweise für das SPNV-Investitionsprogramm des Landes Sachsen-Anhalt verwendet. 4. Seit dem 30. Mai 2011 um 7.00 Uhr hat die GDL ihren Streik bei HEX been- det. Während des Streiks wurde durch HEX seit dem 20. Mai 2011 - im Internet veröffentlicht am 22. Mai 2011 - ein so genannter „Basisfahrplan“ als Notfahrplan umgesetzt. Warum fährt HEX auch mit dem heutigen Tag noch den vertragswidrigen Basisfahrplan? Die GDL hat nach der Beendigung des Streiks am 30. Mai 2011 ihre Streikdrohung aufrechterhalten. Die Ankündigungszeiten waren inzwischen auf eine Stunde vor dem jeweiligen Streikbeginn abgesenkt worden. Eine schnelle Reaktion zur Bereitstellung von Busersatzverkehr seitens VVSA war und ist somit kaum möglich. Nach Einschätzung der VVSA hätte die Rückkehr in die planmäßige Bedienung nach Bestellfahrplan umgehend einen neuen Streik zur Folge gehabt. Ziel der VVSA war es, mit der Aufrechterhaltung des Basisfahrplans den Fahrgästen einen Fahrplan zu bieten, der auch im Streikfall für die Fahrgäste ein verlässliches Angebot darstellen sollte. Diese Zielstellung entspricht der Aufgabenstellung des Landes im Rahmen der Daseinsvorsorge. Das Konzept der Durchgängigkeit des Basisfahrplans wurde seitens der VVSA bis zum 17. Juni 2011 verfolgt . Zu diesem Zeitpunkt hat die VVSA die Rückkehr zum Bestellfahrplan angekündigt . Die erneuten Streiks der GDL im Juni in zeitlicher Nähe zur Ankündigung der VVSA, den Basisfahrplan zu beenden, stützten die Einschätzung der VVSA. In Abstimmung mit der durch die Landesregierung beauftragten Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA) ist die VVSA vor dem Hintergrund zurückgehender Fahrgastzahlen und der tendenziell abnehmenden Streikbeteiligung jedoch bemüht, seit der Beendigung des daraufhin erfolgten Streiks (17. bis 20. Juni 2011) wieder durchgehend zum Bestellfahrplan zurückzukehren. Diese Rückkehr gelingt zunehmend besser, ist jedoch in Streikphasen (zuletzt 3 24. bis 27. Juni 2011) nicht möglich. Dann wird durch die VVSA nach Basisfahrplan gefahren. 5. Dieser Basisfahrplan beinhaltet auch vertragswidrige Busverkehrsleis- tungen (meist nicht barrierefrei). Welche Position vertreten Landesregierung und NASA zu diesem offensichtlichen Vertragsbruch? Hierzu wird zunächst auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Vor diesem Hintergrund wurden die Busersatzverkehrsleistungen grundsätzlich vertragskonform erbracht. Die spezielle Situation hätte eine außergewöhnlich hohe Anzahl an barrierefreien Bussen erfordert, deren Verfügbarkeit bei infrage kommenden regionalen Unternehmen nicht gegeben ist. Insofern mussten auch andere Busse zum Einsatz kommen, damit Mobilität kurzfristig überhaupt sichergestellt werden konnte. Sowohl für den SPNV als auch für den Busersatzverkehr ist geregelt, dass mobilitätseingeschränkte Personen ihren Reisewunsch im Vorfeld beim Verkehrsunternehmen bekannt geben müssen. Unter dieser Voraussetzung ist das Verkehrsunternehmen verpflichtet, entsprechende Lösungen zur Durchführung der gewünschten Beförderung anzubieten. Der Landesregierung sind keine Fälle bekannt geworden, dass mobilitätseingeschränkte Personen von der VVSA streikbedingt nicht befördert werden konnten. 6. Für die Beförderung von Schwerbehinderten bekommt das obige Bahnun- ternehmen einen Pauschalbetrag über Bundesmittel. In welcher Höhe ist dieser Betrag bis zum 31. Mai 2011 angefallen und in welcher Höhe wurde er dem Unternehmen zu Verfügung gestellt? Ist es sachgerecht, davon auszugehen, dass die für Mobilitätsbehinderte notwendige durchgehende Beförderungskette durch HEX derzeit nicht mehr gewährleistet wird? Die Erstattungen für Fahrgeldausfälle aus der Beförderung schwerbehinderter Menschen nach den §§ 145 ff. SGB IX sind bis zum 31. Dezember eines Jahres für das jeweilige Kalendervorjahr bei der zuständigen Behörde - hier im konkreten Fall beim Landesverwaltungsamt in Halle - zu beantragen. Die Zahlungen erfolgen also rückwirkend. Die Fahrgeldausfälle werden nach einem Prozentsatz der von den Unternehmen nachzuweisenden Fahrgeldeinnahmen erstattet. Dieser Prozentsatz wird länderspezifisch für das Vorjahr ermittelt und bekannt gegeben. Für das Jahr 2010 beträgt der Prozentsatz 2,53 v. H. Für 2011 muss der Prozentsatz noch ermittelt werden. Aus den vorgenannten Gründen erhielt VVSA für 2011 noch keine Erstattungen . Der Landesregierung liegen keine Hinweise vor, dass die Beförderungskette für mobilitätseingeschränkte Personen bei dem unter der Antwort zu Frage 5 erläuterten Verfahren zur Anmeldung des Beförderungswunsches nicht gewährleistet wurde. 4 7. Welche Aktivitäten haben Landesverkehrsministerium und NASA unternommen , damit Veolia Verkehr Sachsen-Anhalt als Dienstleister nach Streikende am 30. Mai 2011 umgehend seine vertraglich vereinbarten Verkehrsleistungen wieder erbringt? Die NASA steht im ständigen Kontakt mit der VVSA und erhält fortlaufend Informationen zum Betriebsgeschehen. Nach der Ankündigung der VVSA, auf der Grundlage des Basisfahrplans auch nach dem 30. Mai 2011 weiter fahren zu wollen, hat die NASA auf eine deutliche Ausweitung des ursprünglich angebotenen Fahrplanangebotes bestanden. Es wurden sehr umfänglich die Vor- und Nachteile eines reduzierten, aber verlässlichen Fahrplans diskutiert. Diese Abstimmung führte letztendlich zu der bei der Antwort zu Frage 4 beschriebenen Verfahrensweise (grundsätzliche Rückkehr zum Bestellfahrplan). Die VVSA informiert vor dem Hintergrund des noch andauernden Streiks fortlaufend auf ihrer Internetseite über die tatsächlich angebotenen Leistungen. Parallel erhält die NASA die aktuellen Informationen zum Betriebsgeschehen, so dass auch das INSA-Call-Center der NASA, welches die landesweite Fahrplanauskunft sicherstellt, die jeweils aktuell angebotenen Verkehrsleistungen an die Fahrgäste weitergeben kann. 8. In den ÖPNV-Ketten sind im Nordharznetz merkliche Fahrgastrückgänge zu verzeichnen. Das betrifft sowohl den SPNV selbst als auch die darauf abgestimmten Kreisbusverkehre und Stadtverkehre. Welche belastbaren Fahrgastzahlen sind für die HEX-Strecken und die RE-Verbindung Halle - Halberstadt - Wernigerode - Goslar - Hannover festgestellt worden? Der NASA liegen erste Erkenntnisse vor, welche auf Rückgänge in der Nachfrage beim HEX hindeuten. Aus den Zahlen ist jedoch nicht verifizierbar, welcher Anteil der Rückgänge unmittelbar dem Streik zuzuordnen ist. 9. Welche kurz- und mittelfristigen Maßnahmen wollen Landesverkehrsmi- nisterium und NASA einleiten, um die Fahrgastzahlen im Nordharznetz in den kommenden Monaten zu stabilisieren, abgewanderte Fahrgäste zurückzuholen und neue Fahrgastpotenziale zu erschließen? Die VVSA hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie durch eine hohe Servicequalität in der Lage ist, Fahrgäste an ihr Unternehmen zu binden. Insofern ist die aktuelle Entwicklung besonders bedauerlich. Die Landesregierung setzt auf das hohe Engagement der VVSA, einen großen Teil der abgewanderten Fahrgäste mit hoher Qualität und nach Beendigung der Streiks auch mit verlässlichen und pünktlichen Verkehren zur Rückkehr zu bewegen . Hier bedarf es sicher auch besonderer Marketinganstrengungen, deren konkrete Inhalte und deren Umfänge die NASA mit der VVSA abstimmen wird. Die Umsetzung der Marketingmaßnahmen durch die VVSA ist gleichfalls Gegenstand des zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und der VVSA geschlossenen Verkehrsvertrages.