Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2453 26.09.2013 (Ausgegeben am 30.09.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sören Herbst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abgeordnete Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kugelschuss bei ganzjährig auf der Weide gehaltenen Rindern Kleine Anfrage - KA 6/8021 Vorbemerkung des Fragestellenden: Um ihren ganzjährig auf der Weide gehaltenen Rindern - wie Galloways, Wasserbüffel oder Heckrinder - vermeidbaren Stress beim Einfangen und Schlachten zu ersparen , streben mehr Landwirtinnen und Landwirte als bisher, den Kugelschuss auf der Weide als Tötungsverfahren an. Weiderinder verbringen das ganze Jahr auf der Weide und haben kaum Kontakt zum Menschen. Einfangen, Separieren, Verladen und Transport erzeugen daher großen und vermeidbaren Stress für die Tiere. Bei einer Tötung auf der Weide befinden sich die Tiere in gewohnter Umgebung. Der Herdenverband gibt Sicherheit und der Mensch bleibt in einer für das Tier akzeptablen Entfernung. Der Kugelschuss als Tötungsverfahren vermindert Stress und Angstzustände bei den Tieren, was sich sowohl auf die Fleischqualität und die Arbeitssicherheit positiv auswirkt . Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt 1. Laut der Bundesverordnung Tierschutz-Schlachtverordnung (TierSchlV), zuletzt geändert am 20. Dezember 2012, kann das Töten durch Kugelschuss erlaubt werden. Auch § 12 Abs. 3 der Bundesverordnung Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung (Tier-LMHV), zuletzt geändert am 10. November 2011, erlaubt für ganzjährig auf der Weide gehaltene Rinder sowohl das Schlachten als auch das Töten außerhalb von Schlachthöfen. Die Auslegung der EU-Verordnung mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs (Verordnung (EG) Nr. 853/2004) vom 29. April 2004 wirkt sich allerdings kontraproduktiv auf die Erlaubnis 2 des Kugelschusses bei ganzjährig auf der Weide gehaltenen Rindern aus durch den Grundsatz, dass nur lebende Tiere in die Schlachtanlage verbracht werden dürfen. Sieht die Landesregierung in diesen rechtlichen Normen Widersprüche? Wenn ja, bitte begründen und aufzeigen, wie die zuständigen Behörden mit dem Widerspruch umgehen. Ein Widerspruch in den genannten rechtlichen Normen liegt nicht vor. Nach der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 sind Schlachttiere grundsätzlich lebend in einen zugelassenen Schlachthof zu transportieren und dort zu schlachten . Eine Ausnahmemöglichkeit zur Schlachtung im Haltungsbetrieb besteht nach dieser Verordnung lediglich für Bisons und Farmwild, wenn bestimmte Kriterien eingehalten werden und die zuständige Behörde die Schlachtung genehmigt , nicht hingegen für ganzjährig im Freiland gehaltene Rinder. Die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 erlaubt den Mitgliedstaaten jedoch, unter bestimmten Bedingungen einzelstaatliche Vorschriften zur Anpassung von Anforderungen des Gemeinschaftsrechts zu erlassen. Derartige Vorschriften müssen darauf abzielen, entweder die weitere Anwendung traditioneller Methoden auf allen Produktions-, Verarbeitungs- oder Vertriebsstufen von Lebensmitteln zu ermöglichen oder den Bedürfnissen von Lebensmittelunternehmen in Regionen schwieriger geografischer Lage Rechnung zu tragen. Im Wege einer nationalen Ausnahmeregelung wurde mit der Ersten Verordnung zur Änderung der Tierischen Lebensmittel-Hygieneverordnung (Tier-LMHV) in § 12 der Tier-LMHV unter Anfügung eines Absatzes 3 die Möglichkeit eröffnet, mit Genehmigung der zuständigen Behörde einzelne Huftiere der Gattung Rind, die ganzjährig im Freiland gehalten werden, im Haltungsbetrieb zu schlachten oder zur Gewinnung von Fleisch für den menschlichen Verzehr zu töten. Fleisch von so geschlachteten oder getöteten Tieren darf abweichend von der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 für den menschlichen Verzehr verwendet werden . Die so geschlachteten oder getöteten Tiere wiederum dürfen abweichend von dieser Verordnung in einen Schlachthof verbracht werden, wobei die maximale Beförderungsdauer für den Transport der Schlachtkörper in einen Schlachthof eine Stunde beträgt. Darüber hinaus sind gemäß der nationalen Ausnahmeregelung bestimmte Anforderungen an die Hygiene und den Tierschutz nach der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 einzuhalten. Insofern dient die Erste Verordnung zur Änderung der Tier-LMHV der Durchführung der Vorschriften des Lebensmittelrechts der Europäischen Union. 2. In welcher Form setzt Sachsen-Anhalt die o. g. rechtlichen Normen in ei- gene rechtliche Vorschriften um (z. B. durch Verordnungen, Erlasse oder Richtlinien)? Bitte den Regelungsinhalt im Einzelnen benennen. Wenn möglich, die länderspezifischen Regelungen der anderen Bundesländer angeben. Die Normen der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 und des § 12 Absatz 3 der TierLMHV zur Fleischhygiene sind hinreichend bestimmt und direkt anwendbar. Insofern bestehen in Sachsen-Anhalt keine landeseigenen Rechtsvorschriften. 3 Zudem sind abweichende und zusätzliche Bestimmungen zu den zulässigen Betäubungsverfahren nach Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 in der Tierschutz-Schlachtverordnung aufgeführt. Nummer 2 der Anlage 1 enthält Vorgaben zur Anwendung des Kugelschusses, unter anderem in Bezug auf zulässige Tierarten und zum Verfahren. Die Arbeitsgruppe Tierschutz der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz erarbeitet derzeit Ausführungsvorschriften zum Kugelschuss, die in das neue Handbuch „Tierschutzüberwachung bei der Schlachtung und Tötung“ aufgenommen werden. Dadurch wird ein ländereinheitliches Vorgehen bei der Einwilligung der zuständigen Behörde zur Betäubung oder Tötung von Rindern, die ganzjährig im Freien gehalten werden, sichergestellt. Dies betrifft insbesondere die erweiterten Anforderungen an die Sachkunde gemäß der seit dem 1. Januar 2013 geltenden Verordnung (EG) Nr. 1099/2009. Zu den derzeitigen länderspezifischen Regelungen wird auf die Antwort zur Frage 7 verwiesen. 3. Welche Voraussetzungen und Sachkundenachweise müssen nach Auf- fassung der Landesregierung erfüllt sein, damit ein Betrieb eine behördliche Genehmigung für den Kugelschuss auf der Weide erhält? Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Ausnahmeregelung mit Genehmigung der zuständigen Behörde nach § 12 Absatz 3 der Tier-LMHV sind: - einzelne Huftiere der Gattung Rind, die ganzjährig im Freiland gehalten wer- den; - Einhaltung der Anforderungen nach Anhang III Abschnitt III Nummer 3 Buch- stabe a bis j der Verordnung (EG) Nr. 853/2004; - maximale Beförderungsdauer von einer Stunde für den Transport der Schlachtkörper in einen Schlachthof. Tierschutzrechtliche Voraussetzung für den Kugelschuss zur Anwendung bei Rindern, die ganzjährig im Freien gehalten werden, ist gemäß TierschutzSchlachtverordnung die Einwilligung der zuständigen Behörde. Dies gilt sowohl für die gewerbliche Schlachtung mit Inverkehrbringen des erschlachteten Fleisches als auch für die Schlachtung für den eigenen häuslichen Verbrauch. Die Einwilligung erfolgt nur, wenn die Einhaltung bestimmter Anforderungen sichergestellt ist. Dies betrifft insbesondere den erforderlichen Sachkundenachweis. Nach Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 ist für das Schlachten im Rahmen eines Unternehmens der Nachweis der Sachkunde erforderlich. Nach Artikel 2 Buchstabe j bedeutet „Schlachtung“ die Tötung von Tieren zum Zwecke des menschlichen Verzehrs. Entsprechend hat der Unternehmer sicher zu stellen, dass nur Personen mit Sachkundenachweis tätig werden. Der Sachkundenachweis ist für alle an dem Schlachtverfahren beteiligten Personen erforderlich , sobald sie die Tiere betreuen, ruhigstellen, betäuben, schlachten oder töten. Weitere wesentliche Parameter sind die Treffsicherheit des Schützen , die Prüfung der Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit nach dem Schuss und die unverzügliche Tötung des Tieres durch Blutentzug. Die Einhaltung der Vorgaben wird durch die Anwesenheit eines amtlichen Tierarztes/einer amtlichen Tierärztin vor Ort überwacht. 4 Aus waffenrechtlicher Sicht sind die Erlaubnis zum Besitz von Waffen und Munition , die die technischen Voraussetzungen der Nummer 2 Anlage 1 zur Tierschutz -Schlachtverordnung erfüllen, und die Erlaubnis zum Führen einer Waffe sowie eine Schießerlaubnis erforderlich (§ 10 WaffG). Die Voraussetzungen für die Erteilung der oben genannten Erlaubnisse sind in § 4 ff. WaffG geregelt. Danach muss der Antragsteller das 18. Lebensjahr vollendet haben, die erforderliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung besitzen, die erforderliche Sachkunde und ein Bedürfnis nachgewiesen haben sowie bei der Beantragung eines Waffenscheins oder einer Schießerlaubnis eine Versicherung gegen Haftpflicht in Höhe von 1 Million Euro - pauschal für Personen- und Sachschäden - nachweisen. Der Nachweis eines Bedürfnisses ist nach § 8 WaffG erbracht , wenn gegenüber Belangen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung besonders anzuerkennende persönliche oder wirtschaftliche Interessen und die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Waffen oder Munition für den beantragten Zweck glaubhaft gemacht sind. 4. Sind die behördlichen Zuständigkeiten im Land Sachsen-Anhalt für die Genehmigung des Kugelschusses auf der Weide ausreichend geklärt? Wenn ja, welche Behörde ist zuständig? Die behördlichen Zuständigkeiten im Land Sachsen-Anhalt für die Genehmigung des Kugelschusses auf der Weide sind geklärt. Für die fleischhygienerechtlichen Belange ist nach § 7 Nummer 2 Buchstabe a der Verordnung über die Zuständigkeiten auf verschiedenen Gebieten der Gefahrenabwehr (ZustVO SOG) vom 31. Juli 2002 (GVBl. LSA 2002, 328), zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 5. November 2009 (GVBl. LSA 2009, 514, 520 das Landesverwaltungsamt zuständige Behörde hinsichtlich der Zulassung von Ausnahmen von Vorschriften über das Herstellen, Behandeln, Abgeben und In-Verkehr-Bringen von Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen. Gemäß Tierschutz-Schlachtverordnung darf, abweichend von Anhang I Kapitel I Tabelle 1 Nummer 3 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009, der Schuss mit einer Feuerwaffe nur mit Einwilligung der zuständigen Behörde zur Betäubung oder Tötung von Rindern, die ganzjährig im Freien gehalten werden, angewendet werden. Nach § 10 Nummer 2 ZustVO SOG sind hierfür die Landkreise und kreisfreien Städte zuständige Behörden. Die Genehmigung durch das Landesverwaltungsamt erfolgt in Abstimmung mit den gemäß § 7 Nummer 3 und § 10 Nummer 2 ZustVO SOG für die Überwachung der Einhaltung der fleischhygiene- und tierschutzrechtlichen Vorschriften vor Ort zuständigen Landkreisen und kreisfreien Städten und stellt in Sachsen -Anhalt ein einheitliches Vorgehen sicher. Die waffenrechtliche Erlaubnis zum Kugelschuss auf der Weide wird auf der Grundlage des Waffengesetzes (WaffG) nach Einzelfallprüfung und Vorliegen der erforderlichen waffenrechtlichen Voraussetzungen von der zuständigen unteren Waffenbehörde erteilt. Dies sind nach § 1 Absatz 1 Waffen- und Beschussrechts -Verordnung die Landkreise und die kreisfreie Stadt Dessau-Roß- 5 lau sowie die jeweilige Polizeidirektion anstelle der kreisfreien Städte Halle und Magdeburg. 5. Welche Voraussetzungen und Sachkundenachweise verlangen die Veterinärämter (der Kreise und kreisfreien Städte oder das Landverwaltungsamt ), um eine Genehmigung für den Kugelschuss auf der Weide zu erteilen ? Die zur Frage 3 angeführten Anforderungen nach § 12 Absatz 3 Tier-LMHV müssen durch die Lebensmittelunternehmer eingehalten werden. Die Genehmigung wird mit einem Antrag unter Darlegung der Einhaltung der Anforderungen über den zuständigen Landkreis oder die zuständige kreisfreie Stadt beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt gestellt. Das Landesverwaltungsamt entscheidet für den Einzelfall über die Genehmigung auf dem Gebiet der Fleischhygiene. Die tierschutzrechtliche Einwilligung ist eine Voraussetzung für die Erteilung. 6. In welchen Landkreisen und kreisfreien Städten des Landes SachsenAnhalt gibt es bereits Genehmigungen für den Kugelschuss auf der Weide , sodass dieser dort praktiziert wird? Seit Bestehen der nationalen Ausnahmeregelung in § 12 Absatz 3 der TierLMHV wurde im Land Sachsen-Anhalt im Jahr 2012 eine Genehmigung für einen Betrieb im Landkreis Anhalt-Bitterfeld erteilt. 7. In anderen Bundesländern sollen die Genehmigungen für den Kugelschuss auf der Weide üblich sein. Wie ist die Genehmigungspraxis in den anderen Bundesländern? Wenn möglich, bitte beschreiben – mindestens aber für die Länder Nordrhein-Westfalen und Brandenburg. Inwieweit Genehmigungen für den Kugelschuss auf der Weide in anderen Bundesländern üblich sind, ist nicht bekannt. Es ist davon auszugehen, dass derartige Anträge durch die zuständigen Behörden in der Regel im Einzelfall entschieden werden. Nach hiesiger Kenntnis sind in den Sachsen-Anhalt angrenzenden Bundesländern sowie in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern die Landkreise und kreisfreien Städte für die Genehmigung nach § 12 Absatz 3 der Tier-LMHV zuständig. Nach Mitteilung der Länder SchleswigHolstein , Bayern, Hamburg, Brandenburg und Sachsen gibt es dort keine landesspezifischen Regelungen. Rheinland-Pfalz hat Durchführungshinweise zur Schlachtung ganzjährig im Freien gehaltener Rinder im Haltungsbetrieb erlassen . Laut des Landes Nordrhein-Westfalen wurde der Kugelschuss im vergangenen Jahr in sieben Kreisen in insgesamt 12 Tierhaltungen angewendet. Hinsichtlich der verbleibenden Länder liegen keine Informationen vor. 8. Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus den wissenschaftlichen Forschungsarbeiten zum Kugelschuss der Universität Kassel, Fachbereich 11 - Ökologische Agrarwissenschaften? Der Landesregierung ist bekannt, dass das Fachgebiet Agrartechnik des Fachbereiches 11 Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel Untersuchungen zum Kugelschuss in der Praxis durchführt. Nach hiesiger Kenntnis 6 wurde das Projekt „Entwicklung und Erprobung eines stressfreien Betäubungsund Tötungsverfahrens für Rinder aus ganzjähriger Freilandhaltung“ im Jahr 2012 begonnen und ist auf drei Jahre angelegt. Insofern ist es der Landesregierung nicht möglich, eine Bewertung der Forschungsarbeiten vorzunehmen. 9. Welche Position bezieht die Landesregierung gegenüber dem Kugelschuss bei ganzjährig auf der Weide gehaltenen Rindern? Durch die Erste Verordnung zur Änderung der Tier-LMHV wurde im Rahmen einer nationalen Ausnahmeregelung die Möglichkeit geschaffen, mit Genehmigung der zuständigen Behörde einzelne Huftiere der Gattung Rind, die ganzjährig im Freiland gehalten werden, im Haltungsbetrieb zu schlachten oder zur Gewinnung von Fleisch für den menschlichen Verzehr zu töten. Dies wird begrüßt . Das dabei auch zur Anwendung kommende Verfahren Kugelschuss auf der Weide ist dann eine Alternative zum herkömmlichen Schlachtverfahren, wenn die in der Beantwortung zur Frage 3 dargelegten Voraussetzungen und Nachweise vorliegen.