Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2542 04.11.2013 (Ausgegeben am 05.11.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stromnetzausbau für Braunkohlestrom Kleine Anfrage - KA 6/8029 Vorbemerkung des Fragestellenden: Der Netzentwicklungsplan (NEP) der Bundesnetzagentur zeigt auf, dass die geplanten Übertragungsstromnetze sowohl für den Ausbau der erneuerbaren Energien als auch für größere Strommengen bedingt durch höhere Betriebsstunden von bestehenden Braunkohlekraftwerken (bis 8.000 Volllaststunden pro Jahr) ausgelegt sind. Der NEP rechnet für das Jahr 2022 für Deutschland mit einem Stromexport von 32 Terawattstunden pro Jahr. Im Jahr 2012 betrug der deutsche Stromexport 23 Terawattstunden . Sachsen-Anhalt hat einen Stromexportanteil von 45 %. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft Vorbemerkung: Zur Beantwortung der Kleinen Anfrage waren Rückfragen bei verschiedenen Netzbetreibern (Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom mbH, 50Hertz Transmission GmbH, Avacon AG) und dem Kraftwerkinvestor (Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH) erforderlich. Das Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft verfügt nicht über solche detaillierten Daten zur Ausbauplanung. Frage 1: Welche Szenarien des Ausbaus der erneuerbaren Energien und des Ausbaus der fossilen Energien sind dem Stromnetzausbau (alle Spannungsebenen) für Sachsen-Anhalt zugrunde gelegt? Sind konkret das geplante Braunkohlekraftwerk Profen (660 MW) und das geplante Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Calbe (800 MW) berücksichtigt worden? 2 Nach Angaben der 50Hertz Transmission GmbH liegen auf der Übertragungsnetzebene den Netzentwicklungsplänen (NEP) 2012 und 2013 in den jeweiligen Szenarien aus den von der Bundesnetzagentur konsultierten und genehmigten Szenariorahmen für Sachsen Anhalt folgende installierte Leistungen zugrunde: Einspeiseleistungen in GW (gerundet auf 1. Nachkommastelle) NEP 2012 A22 B22 B32 C22 NEP 2013 A23 B23 B33 C23 4,3 4,5 5,3 5,4 NEP 2012 Wind onshore 4,2 4,3 4,8 5,4 NEP 2013 1,5 1,7 2,1 1,5 NEP 2012 PV 1,3 1,4 1,4 1,3 NEP 2013 0,0 0,0 0,0 0,0 NEP 2012 Wasserkraft 0,0 0,0 0,0 0,0 NEP 2013 0,3 0,4 0,4 0,3 NEP 2012 Biomasse 0,6 0,6 0,7 0,5 NEP 2013 0,0 0,1 0,1 0,1 NEP 2012 Sonstige EE 0,0 0,0 0,0 0,0 NEP 2013 1,6 1,0 1,0 1,0 NEP 2012 Braunkohle 1,6 1,0 1,0 1,0 NEP 2013 0,0 0,0 0,0 0,0 NEP 2012 Steinkohle 0,0 0,0 0,0 0,0 NEP 2013 0,9 0,9 1,8 0,9 NEP 2012 Erdgas 1,0 1,0 1,8 1,0 NEP 2013 0,0 0,0 0,0 0,0 NEP 2012 Öl 0,2 0,2 0,2 0,2 NEP 2013 0,2 0,2 0,2 0,2 NEP 2012 Pumpspeicher 0,3 0,3 0,3 0,3 NEP 2013 0,1 0,1 0,2 0,1 NEP 2012 Sonstige Konventi- onelle 0,3 0,3 0,3 0,3 NEP 2013 Quelle: 50Hertz Transmission GmbH Die ausgewiesenen Leistungen stehen dabei für die jeweiligen Zieljahre, also für 2022 gemäß NEP 2012 und für 2023 gemäß NEP 2013. Die abweichenden Ausbauerwartungen in den NEP-Szenarien erklären sich aus der Berücksichtigung des aktuell erreichten Zubaus und in die Zukunft wirkenden veränderten Rahmenbedingungen . Der Einsatz von Kraftwerken je Szenario wird in den Netzentwicklungsplänen in einer Kraftwerksliste in Abstimmung mit dem Netzentwicklungsplan Gas und der Bundesnetzagentur blockscharf festgelegt. Das Kraftwerk Calbe ist nach den Kriterien der Bundesnetzagentur im NEP 2012 und 2013 jeweils im Szenario B+20 (B2032 und B2033) berücksichtigt worden. Das Kraftwerk Profen wurde im Szenario A (A2022 und A2023) berücksichtigt. In den beiden Leitszenarien (B2022 und B2023) kamen diese Kraftwerke in der Marktmodellierung nicht zum Einsatz. 3 Frage 2: Wie hoch sind aktuell die Volllaststunden der Braunkohlekraftwerke in Sachsen -Anhalt? Wie haben sich diese entwickelt? Bitte angeben für die Jahre 2010, 2011 und 2012. Mit welchen Volllaststunden rechnet die Landesregierung in rund 10 Jahren? Das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt weist im „Monatsbericht über die Elektrizitäts - und Wärmeerzeugung der Stromerzeugungsanlagen für die allgemeine Versorgung “ die Netto- sowie Bruttostromerzeugung für die Jahre 2005 bis 2013 aus. Danach betrugen die Volllaststunden der Braunkohlekraftwerke in Sachsen-Anhalt 5.706 h für das Jahr 2012, 5.500 h für 2011 und 5.104 h für 2010. Der Landesregierung ist keine Methode bekannt, mit ausreichender Sicherheit diese Kennzahl in zehn Jahren abzuschätzen. Frage 3: Inwieweit wirkt sich eine Zu- oder Abnahme von Vollbetriebsstunden bei Braunkohlekraftwerken in Sachsen-Anhalt auf den Stromnetzausbau in Sachsen -Anhalt und weiteren Bundesländern aus? Zur Berechnung des Ausbaubedarfs der Stromübertragungsnetze im Rahmen der Netzentwicklungspläne wird die stündliche Leitungsbelastung anhand eines knotenund leitungsscharfen Netzmodells für Europa mit Fokus auf Deutschland abgebildet. Für jede Stunde eines Jahres werden Erzeugungs- und Verbrauchsdaten aus einer gesamteuropäischen Marktmodellierung eingelesen, die den Kraftwerkseinsatz für Deutschland und Europa im Zieljahr ermittelt. Somit werden für ein Jahr 8.760 Netznutzungsfälle generiert. Dabei ist in den Netzknoten in Deutschland eine Vielzahl von Erzeugern und Verbrauchern angeschlossen, deren Abnahme und Einspeisung sich überlagern. Weiterhin werden auch Importe und Exporte aus europäischen Nachbarländern berücksichtigt. Eine „einzelne“ Zuordnung von Leistungsflüssen zu Energieträgern ist daher nicht möglich. Darum kann mit der Abnahme von Volllaststunden von Braunkohlenkraftwerken in Sachsen-Anhalt keine pauschale Aussage zum Netzausbaubedarf auf der Übertragungsnetzebene getroffen werden. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass die Volllaststunden, also die Einsatzdauer dieser Kraftwerke, keinen signifikanten Einfluss auf die erforderlichen Netzausbauvorhaben haben, sondern vielmehr ihr Leistungserbringungsanteil von Bedeutung ist. Auch ist zu beachten, dass EEG und KWK-Strom absoluten Vorrang beim Netzzugang haben und daher die Bemessungsleistung sich an deren installierter Leistung bemisst. Da 2012 in Deutschland die installierte Leistung aus Erneuerbaren Energien 76 GW betrug und die heute vorhandene konventionelle Engpassleistung von etwa 84 GW demnächst übertreffen wird, ist der Netzausbau eindeutig dem Zubau Erneuerbarer Energien zuzurechnen. In den Analysen zum NEP 2012 und 2013 wurde von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) jedoch berücksichtigt, dass der Wegfall konventioneller Einspeisung ggf. durch mehr Erzeugung von Erneuerbaren Energien kompensiert wird. Die identifizierten Netzausbaumaßnahmen sind somit notwendig (vgl. dazu die Szenarien im NEP mit Vorschau auf 20 Jahre: B 2032 bzw. B 2033). 4 Frage 4: Welchen Einfluss haben Stromdurchleitungen aus den benachbarten Bundesländern auf den Stromnetzausbau in Sachsen-Anhalt? Bitte beschreiben, welche maßgeblichen Strommengen aus welchem Bundesland und aus welchen Erzeugungsquellen für die Durchleitung durch Sachsen-Anhalt zugrunde gelegt wurden - z. B. Offshore-Windstrom aus den nördlichen Bundesländern oder Braunkohlestrom aus Brandenburg? Wie in Antwort auf Frage 3 beschrieben ist eine Zuordnung von Leistungsflüssen zu einzelnen Energieträgern oder zu einzelnen Erzeugungsstandorten nicht möglich. Generell lässt sich sagen, dass der Nordosten Deutschlands aufgrund des prognostizierten Zubaus an Erneuerbaren Energien, aufgrund der dort zu erwartenden Entwicklung der Last sowie aufgrund des modernen, im heutigen Marktdesign kompetitiv einsetzbaren Kraftwerksparks, aber auch vor dem Hintergrund der Erbringung notwendiger Systemdienstleistungen eine Stromexportregion darstellt. Dabei wird Strom im Rahmen des europäischen Energiemarktes von und auch über Sachsen-Anhalt nach Süden transportiert. Im NEP 2013 finden im Leitszenario B 2023 in ca. 87 % der Stunden Transite statt. Dies verdeutlicht die Bedeutung Deutschlands für den europäischen Energiebinnenmarkt. Diese sehr komplexen Zusammenhänge werden im NEP 2013 u. a. anhand eines Netznutzungsfalls erläutert (siehe 2. Entwurf, S. 97: Beispieltag 6.11.2023). Frage 5: Die im Auftrag des Landes Sachsen-Anhalt von EuPD Research im Jahr 2012 erstellte Energiestudie gibt an, dass ab dem Jahr 2025 Braunkohlestrom teurer als Wind- und Solarstrom werden wird. Inwiefern ist die sinkende Wettbewerbsfähigkeit von Braunkohlestrom - auch vor dem Hintergrund der EU-Bestrebungen zu einem verschärften CO2-Zertifikatehandel - für die Netzausbauplanung in Sachsen-Anhalt berücksichtigt worden? Den Szenariorahmen der NEP werden Preisannahmen zugrunde gelegt, die u. a. auch mit dem NEP Gas abgestimmt sind. Die folgende Tabelle zeigt die Annahmen und einen Vergleich zwischen NEP 2012 und 2013: 2010 2022 bzw. 2023 2032 bzw. 2033 80 102 111 NEP 2012 Ölpreis [USD/bbl] 80 106 114 NEP 2013 13 26 43 NEP 2012 CO2 [€/t] 13 27 45 NEP 2013 446 560 680 NEP 2012 Rohöl [€/t] 446 572 696 NEP 2013 2,1 2,6 2,7 NEP 2012 Erdgas [Cent/kWh] 2,1 2,6 2,7 NEP 2013 85 79 84 NEP 2012 Kraftwerkssteinkohle [€/tSKE] 85 79 86 NEP 2013 1,5 1,5 1,5 NEP 2012 Braunkohle (Inland) [€/MWhth] 1,5 1,5 1,5 NEP 2013 Quelle: 50Hertz Transmission GmbH 5 Die Randbedingungen der Primärenergieträgerpreise und Emissionszertifikatepreise wurden auch im Rahmen der Konsultation des Szenariorahmens intensiv diskutiert und von der Bundesnetzagentur bewertet. Zur Thematik eines geänderten CO2- Emissionszertifikatepreises nimmt die Bundesnetzagentur in der Genehmigung des Szenariorahmens zum NEP 2014 wie folgt Stellung (Az.: 6.00.03.05/13-08- 30/Szenariorahmen 2013, S. 97): „Unter Bezugnahme auf die von den Übertragungsnetzbetreibern am 1. Juli 2013 vorgelegten Ergebnisse zu den Sensitivitätsbetrachtungen fordert ein Umweltverband die Untersuchung einer Sensitivität, die die Auswirkungen einer reduzierten Stromeinspeisung aus CO2-intensiven Kraftwerken auf den Netzausbaubedarf untersucht . Der Vorschlag des Verbandes sieht zwei Varianten vor. In Variante 1 sei ein hoher CO2-Zertifikatspreis im Rahmen des EU-Zertifikatehandels - z. B. 70 €/t bis 93 €/t CO2 - unter grundsätzlicher Beibehaltung des gegenwärtigen Marktmodells zu untersuchen. Variante 2 sieht eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen vor, mit dem Ziel der schrittweisen Abschaltung besonders klimaschädlicher Kraftwerke - z. B. über die Festlegung von im Zeitverlauf sinkenden CO2-Grenzwerten pro erzeugter Kilowattstunde oder von elektrischen Mindestwirkungsgraden für Kraftwerke . Variante 1 unterstellt europaweit geänderte Rahmenbedingungen. Der CO2-Zertifikatehandel basiert aber auf Vorgaben der EU-Kommission und ist daher von der nationalen Netzentwicklungsplanung als gegeben anzusehen. Die Einflussnahme auf nationaler Ebene auf die europäische CO2-Zertifikatspreisbildung ist nicht ausreichend , um eine derartige Untersuchung zu rechtfertigen. Besser verortet erachtet die Bundesnetzagentur daher die Betrachtung eines Szenarios , das die Auswirkungen eines starken Anstiegs der CO2-Zertifikatspreise auf den Netzausbaubedarf auf europäischer Ebene untersucht. Dies ist im TYNDP 2014 bzw. SO&AF der Fall. Das „Green Revolution Scenario“ stellt genau eine derartige Untersuchung an. Erkenntnisse aus diesen Analysen können in der zukünftigen nationalen Netzentwicklungsplanung Eingang finden. Variante 2 unterstellt eine Änderung des nationalen ordnungsrechtlichen Rahmens. Es ist zweifelhaft, ob eine isolierte Betrachtung auf nationaler Ebene zum gewünschten Ziel der verstärkten Produktion in CO2-armen Erdgaskraftwerken führt. Ziel der Forderung des Umweltverbandes ist die Verdrängung der CO2-intensiven Kohlekraftwerke und der Ersatz durch Erdgaskraftwerke. Diese weisen höhere Stromgestehungskosten auf. Vermutlich würde ein Wegfall der Kohlekraftwerkskapazitäten in erster Linie nicht zu einem Ersatz durch Gaskraftwerke führen, sondern vielmehr ein Ansteigen des inländischen Preisniveaus bedeuten, das wiederum verstärkte Importe aus dem Ausland nach sich ziehen würde. Also fände eine Substitution der inländischen Kohleproduktion durch ausländische Kohleproduktion statt. Die verstärkten Importe gehen vermutlich mit einem zusätzlichen Transportbedarf einher. Zudem würde die CO2-Bilanz insgesamt durch die Produktion in CO2-intensiven Kohlekraftwerken u. U. nicht wie gewünscht verbessert, sondern im schlimmsten Fall sogar verschlechtert.“