Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2543 04.11.2013 (Ausgegeben am 05.11.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dagmar Zoschke (DIE LINKE) Transferleistungen für erwachsen gewordene Kinder mit Behinderung Kleine Anfrage - KA 6/8060 Vorbemerkung des Fragestellenden: Eltern bzw. Pflegeeltern von Kindern mit Behinderung berichten über bürokratische Barrieren und unbefriedigende Bewilligungsergebnisse bei der Beantragung von Unterstützungsleistungen für ihre Kinder. Ein wesentliches Problemfeld zeigt sich hier bereits in den für nicht-Juristinnen und nicht-Juristen schwer überschaubaren Anspruchsbereichen der Sozialgesetzgebung (Eingliederungshilfe, Grundsicherung, Kindergeld, Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, usw.). Dies hat nicht zuletzt die Forderung nach einer Umgestaltung der Transferleistungen nach dem „alles-aus-einer-Hand-Prinzip“ in die Diskussion gebracht. Ein weiteres Problemfeld sind die aus Sicht der Eltern unverständlichen Entscheidungen der Behörden, als exemplarisches Stichwort sei hier die praktizierte Kindergeldabzweigung genannt. Eine Zuspitzung der Auseinandersetzung mit den Behörden erfahren viele Betroffene oft zu dem Zeitpunkt, an dem ihre schwerbehinderten Kinder erwachsen werden. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales 1. Wie viele Fälle sind in Sachsen-Anhalt vor Gericht anhängig, in denen El- tern für ihre Kinder mit Behinderung klagen? a. Im Rahmen der Eingliederungshilfe (persönliches Budget)? b. Im Rahmen der Grundsicherung für den Lebensunterhalt? c. Im Rahmen von Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung? d. Im Rahmen des Kindergeldes? Zu a. Es waren zum Stand 30.09.2013 22 Klagen vor Sozialgerichten und dem Lan- dessozialgericht in Sachsen-Anhalt anhängig, in denen Eltern bzw. Pflegeeltern auf die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form eines Persönlichen Budgets an ihre erwachsenen Kinder klagen. Die Kinder leben im Haushalt der Eltern oder in der eigenen Häuslichkeit. 2 Zu b. Die Landesregierung geht davon aus, dass mit „Grundsicherung für den Lebensunterhalt “ ausschließlich die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach Kapitel IV des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) gemeint ist. In diesen Fällen liegt die Zuständigkeit für Widerspruchs- und Klageverfahren bei den örtlichen Sozialhilfeträgern, die seit dem 1. Januar 2013 diese Leistungsart im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung ausführen. Zahlen hierzu liegen der Landesregierung nicht vor. Zu c. Für Widerspruchs- und Klageverfahren bei Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung ist die jeweilige Krankenkasse zuständig. Zahlen hierzu liegen der Landesregierung nicht vor. Zu d. Für das Kindergeld und die in diesem Bereich geführten Widerspruchs- und Klageverfahren sind die Familienkassen zuständig. Zahlen hierzu liegen der Landesregierung nicht vor. 2. Welche Ursachen sieht die Landesregierung für die oben genannten Be- schwerden sowie für die anhängigen Klagen? Klageverfahren im Rahmen der Eingliederungshilfe (Persönliches Budget) erfolgen aus sehr individuellen Gründen, so dass eine Aufzählung im Einzelnen nicht möglich ist. Es ist festzustellen, dass Menschen mit Behinderungen bzw. deren Angehörige sich von den Möglichkeiten des Persönlichen Budgets sehr viel erhoffen und dieses zunehmend in Anspruch nehmen. Decken sich die Vorstellungen der Leistungsberechtigten nicht mit den sozialhilferechtlichen Regelungen und fallen Leistungen niedriger aus als erwartet, sind Widerspruchs- und Klageverfahren oftmals die Folge. Persönliche Budgets werden so bemessen, dass der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die Höhe des Persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten , ohne das Persönliche Budget zu erbringenden Leistungen nicht überschreiten. Manchmal entspricht die angestrebte Budgetverwendung durch die Leistungsberechtigten nicht dem Zweck der Eingliederungshilfe, so dass auch hier Konflikte zwischen den Beteiligten entstehen. Darüber hinaus sind der Landesregierung die Ursachen, die zu den Klageverfahren im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der Krankenund Pflegeversicherung sowie im Kindergeldrecht führen, nicht bekannt. 3. Welchen Handlungsbedarf sieht die Landesregierung im Sinne des Grund- satzes „ambulant vor stationär“, um Eltern von Kindern mit Behinderung besser zu unterstützen, die ihre Kinder auch im Erwachsenenalter zuhause bzw. in deren eigener Wohnung betreuen? Für die Sicherung der Teilhabe und Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderungen unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts steht die Gesellschaft in einer besonderen Verantwortung, zu der sich die Landesregierung ausdrücklich bekennt. Das Land Sachsen-Anhalt ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe sowohl für die ambulanten als auch für die stationären Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII sachlich zuständig. In Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nimmt für die Landesregierung die Sicherung eines selbstbestimmten Lebens und die Teilhabe an der Gesellschaft in einem inklusiven Sozialraum einen hohen Stellenwert ein. 3 Ein Verbleib in der eigenen Häuslichkeit oder im elterlichen Haushalt bedeutet in vertrauter Umgebung mit gewachsenen sozialen Beziehungen leben zu können. Hierzu gehört das Vorhandensein von geeigneten barrierefreien Wohnmöglichkeiten genauso , wie die Nutzung vorhandener ambulanter und/oder niederschwelliger Angebote. Selbstorganisierte Hilfen z. B. im Rahmen eines bürgerschaftlichen ehrenamtlichen Engagements oder die Hilfe zur Selbsthilfe sollen Vorrang vor institutionellen Angeboten haben. Auch dies entspricht dem Grundsatz ambulant vor stationär. Unterstützungsleistungen erhalten Eltern erwachsener Kinder z. B. durch die Fortgewährung des Kindergeldes, das in der Regel den kindergeldberechtigten Eltern ausgezahlt wird. Familienentlastende Dienste, die als niederschwellige Angebote bei Bedarf von Eltern und Kindern mit Behinderungen in Anspruch genommen werden können, sind beispielhaft zu nennen. Ein Handlungsbedarf wird vornehmlich darin gesehen, dass sowohl Anbieter von sozialen Leistungen als auch andere Dienstleister für die besonderen individuellen Belange von behinderten Menschen sensibilisiert werden und ihre Angebote an den konkret vorliegenden Bedürfnissen ausrichten. Hierzu ist es erforderlich, den Prozess der Gesamtplanung für den Einzelfall über ein verbessertes und zielgenaueres Fallmanagement vor Ort zu verstärken und durch eine örtliche Teilhabeplanung die vorhandenen ambulanten Angebote weiterzuentwickeln bzw. auszubauen. 4. Welche Haltung nimmt die Landesregierung im Kontext der Forderung nach dem „alles-aus-einer-Hand-Prinzip“ ein? Die Landesregierung unterstützt dieses Anliegen ausdrücklich. Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe auf Bundesebene wird eine Novellierung des in mehreren Sozialgesetzbüchern zersplitterten Sozialrechts eingefordert. Die Koordinierung der verschiedenen Sozialleistungen soll damit trägerübergreifend für die anspruchsberechtigten Bürgerinnen und Bürger verbessert werden. 5. Wie bewertet die Landesregierung angesichts des Urteils des Bundes- finanzhofes zur unzulässigen Abzweigung des Kindergeldes vom 18. April dieses Jahres die Tatsache, dass den Eltern, die Grundsicherung nach SGB II oder XII beziehen, das Kindergeld auch dann auf ihre Grundsicherung angerechnet wird, wenn das behinderte Kind ausschließlich von ihnen zuhause versorgt wird? Im Rahmen der Verfahren zur Abzweigung des Kindergeldes war nicht zu prüfen, ob das abzuzweigende Kindergeld anrechenbares Einkommen darstellt, sondern wem das Kindergeld durch die Abzweigung als Einkommen zugerechnet werden konnte. Nach der noch zum Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entwickelten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) sind Leistungen, die aufgrund öffentlichrechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Kindergeld ist daher grundsätzlich sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen (BVerwG, Urteil v. 25. November 1993 - 5 C 8/90). Denn es handelt sich hierbei um eine mit der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG zweckidentische Leistung im Sinne von § 77 BSHG. Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung ist auch nach Überführung des BSHG in das SGB XII beibehalten worden.