Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2633 10.12.2013 (Ausgegeben am 11.12.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sucht im Alter Kleine Anfrage - KA 6/8077 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales 1. Wie entwickelt sich die Situation im Bereich stoffgebundener und stoffun- gebundener Suchtmittel in der Alterskohorte ü60 seit 2007? Bitte nach Geschlecht und Suchtmittel differenziert darstellen unter Bezugnahme der Fallzahlentwicklung in den entsprechenden Beratungsstellen, den diesbezüglichen Deliktzahlen und entsprechenden Krankenhausstatistiken. Es ist davon auszugehen, dass es zunehmend auch ältere Bürgerinnen und Bürger mit Suchtproblemen bzw. problematischem Substanzgebrauch geben wird. Alle anerkannten Suchtberatungsstellen in Sachsen-Anhalt dokumentieren elektronisch - koordiniert durch die Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA) mit dem einrichtungsbezogenen Informationssystem (EBIS). Erfasst wird der deutsche Kerndatensatz. Er dient einer einheitlichen Dokumentation in Psychosozialen Beratungsstellen und stationären Einrichtungen für Personen mit substanzbezogenen Störungen, Essstörungen und pathologischem Spielverhalten in Deutschland . Bundesweit werden die Daten in der „Deutschen Suchthilfestatistik“ (DSHS) zusammengefasst. Die Aggregierung auf Landesebene erfolgt für Sachsen-Anhalt im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik Bundesland Sachsen-Anhalt (DSHS LSA). 2 Daraus ergibt sich folgendes Bild: Übersicht über die Betreuungen von Ratsuchenden, die im Zeitraum von 2007 bis 2012 60 Jahre und älter (Ü60) waren: Hauptdiagnose und Alter bei Betreuungsbeginn Ü60 2012 2011 2010 2009 2008 2007 F10 Alkohol 380 343 296 287 272 219 F11 Opioide 1 0 0 0 0 0 F12 Cannabinoide 1 0 0 0 0 0 F13 Sedativa/ Hypnotika 4 3 0 4 5 4 F14 Kokain 0 0 0 0 0 0 F15 Stimulanzien 0 0 0 0 0 0 F16 Halluzinogene 0 0 0 0 0 0 F17 Tabak 4 4 2 2 3 4 F18 Flücht. Lösungsmittel 0 0 0 0 0 0 F19 and. psychotr. Substan- zen 0 0 1 1 1 1 F50 Essstörungen 0 0 0 1 3 3 F63 Path. Spielen 12 3 7 6 3 1 Datenquelle: DSHS LSA Die Diagnose F 13 umfasst u. a. dämpfende Psychopharmaka (Beruhigungs- u. Schlafmittel). Hier sagt die Anzahl der Betreuungen nichts aus über den Grad an Betroffenheit in der Bevölkerung. Gespiegelt wird eher die Einordnung von übermäßiger Einnahme von psychotrop wirksamen Medikamenten im Kontext von Gesundheitshandeln , nicht im Kontext von Genuss- (Sucht-) Handeln. Abgesehen von der Diagnose F10 Alkohol (Steigerung der Betreuungsanzahl um 74 % im Zeitraum 2007 bis 2012) finden sich in der zu betrachtenden Altersgruppe nur Einzelfälle. Eine möglicherweise relevant werdende Steigerung der Betreuungen zeigt sich bei der Diagnose F 63 Pathologisches Spielen, wie auch ein Blick in die Betreuungen der Altersgruppe 50-59 Jahre zeigt: 50-59 Jahre 2012 2011 2010 2009 2008 2007 F10 Alkohol 1.704 1.655 1.632 1.643 1.423 1.154 F63 Path. Spielen 28 19 25 20 16 14 Datenquelle: DSHS LSA 3 In dieser Altersgruppe ist die Zunahme der Betreuungen im Bereich F 10 Alkohol um 48 % im Zeitraum 2007 bis 2012 auffällig. Betreuungen und Krankenhausfallzahlen Ü60 mit der Diagnose F10 Im Weiteren werden die Betreuungen Ü60 mit der Diagnose F 10 Alkohol näher betrachtet und den entsprechenden Krankenhausfallzahlen gegenübergestellt. Für letztere sind die Angaben des Jahres 2011 als aktuellste Angaben verfügbar. Betreuungen in Suchtberatungsstellen Krankenhausfallzahlen Jahr Frauen Männer gesamt Männeranteil (in %) Frauen Männer gesamt Männeranteil (in %) 2007 58 161 219 74 99 276 375 74 2008 69 203 272 75 84 293 377 75 2009 69 218 287 76 99 254 353 76 2010 79 217 296 73 89 299 388 73 2011 92 251 343 73 140 375 515 73 Datenquellen: DSHS LSA, www.gbe-bund.de Datenerstellung vom 06.05.2013 Die Fallzahlen in beiden Einrichtungstypen steigen. Die Anzahl der Krankenhausbehandlungsfälle liegt höher, als die Anzahl der Betreuungsfälle in Suchtberatungsstellen . Die wesentliche Begründung dürfte immer noch in der mangelnden Verknüpfung der ärztlichen Behandlung mit der psychosozialen Suchtbetreuung liegen. Bei den Männern stieg die Anzahl der Betreuungen im Zeitraum 2007 bis 2011 um 56 %, bei den Frauen um 59 %. Insgesamt kann also von einem ansteigenden Trend in der Hilfeinanspruchnahme gesprochen werden, sowohl im Krankenhaus als auch in den Suchtberatungsstellen. Das prozentuale Geschlechterverhältnis blieb über die Jahre in etwa konstant bei 3/4 Männer zu 1/4 Frauen. Dies deckt sich mit anderen Daten der Gesundheitsberichterstattung und der DSHS, nicht nur für Sachsen-Anhalt, sondern im Großen und Ganzen für alle neuen Bundesländer. In den alten Bundesländern liegt das Verhältnis bei etwa 2/3 Männer zu 1/3 Frauen. Deliktzahlen Zur Beantwortung der Frage bezüglich der Deliktzahlen ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Landes Sachsen-Anhalt zugrunde gelegt worden. Die PKS enthält die der Polizei bekannt gewordenen rechtswidrigen (Straf-)Taten einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche, die Anzahl der ermittelten Tatverdächtigen und Opfer . Eine Erfassung von Suchtkranken erfolgt in der PKS grundsätzlich nicht. In der PKS können lediglich die Merkmale „Alkohol“ und/oder „Drogen“ dann erfasst werden, wenn die betreffende Person als Tatverdächtige/r zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss der Mittel stand. Eine weiterführende Differenzierung nach der Art der Droge ist nicht möglich. Ferner kann auch keine Aussage zur Suchtabhängigkeit der betreffenden Person abgeleitet werden. So ist es beispielweise nicht möglich, aus der Erfassung einer 4 Person, die Betäubungsmittel mit sich führt, anbaut oder vertreibt, die Schlussfolgerung zu ziehen, es handele sich um eine suchtkranke Person. Insofern kann nur auf die in der nachfolgenden Übersicht dargestellten allgemeinen Fallzahlen der PKS des Landes Sachsen-Anhalt verwiesen werden. Tatverdächtige (TV) Jahr 2007 2008 2009 2010 2011 2012 TV insgesamt 82.231 75.891 74.677 72.507 71.276 72.001 TV männlich insgesamt 62.464 57.547 56.061 53.848 52.789 52.937 TV weiblich insgesamt 19.767 18.344 18.616 18.659 18.487 19.064 davon TV 60 Jahre und älter gesamt 5.852 5.372 5.191 5.382 5.601 5.877 Anteil in % an TV insgesamt 7,1 7,1 7,0 7,4 7,9 8,2 TV männlich 60 Jahre und älter 4.033 3.651 3.549 3.674 3.855 3.998 TV weiblich 60 Jahre und älter 1.819 1.722 1.642 1.708 1.746 1.879 TV insgesamt unter Alkohol* 11.163 10.372 9.632 8.318 7.559 7.756 davon TV 60 Jahre und älter unter Alkohol* 195 177 185 200 175 190 Anteil in % an TV unter Alkohol 1,7 1,7 1,9 2,4 2,3 2,4 TV männlich 60 Jahre und älter 178 155 169 179 158 171 TV weiblich 60 Jahre und älter 17 22 16 21 17 19 TV insgesamt unter Drogen* 3.501 3.129 3.261 3.209 3.699 4.111 davon TV 60 Jahre und älter unter Drogen* 2 4 3 3 4 3 Anteil in % an TV unter Drogen 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 TV männlich 60 Jahre und älter 2 4 3 3 4 3 TV weiblich 60 Jahre und älter 0 0 0 0 0 0 • Hier handelt es sich um Personen, die zur Tatzeit unter dem Einfluss von Alkohol bzw. Drogen standen 2. Welche langfristig angelegten Arbeits- und Kooperationszusammenhänge der Bereiche Altenhilfe und Suchthilfe in Sachsen-Anhalt sind der Landesregierung bekannt? Bitte darstellen unter Anführung der jeweils beteiligten Akteure und der Struktur der Kooperation (Arbeitskreise, Vereinbarungen u. Ä.) Altenhilfe ist grundsätzlich Aufgabe der Kommunen. Das Land hat jedoch die Aufgabe , die örtlichen Träger der Altenhilfe anzuregen und zu unterstützen. Die Landesregierung hat 2008 das seniorenpolitische Programm „Aktiv und selbstbestimmt - Altenhilfe und Pflege im Land Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2020“ herausgegeben . Dieses Programm enthält auch ein Kapitel zur Gesundheitsprävention. Danach sollen Menschen aller Altersstufen einen gesunden Lebensstil in eigener Verantwortung pflegen können. Dazu gehören Aktivität und sportliche Betätigung sowie ein gesundheitsförderndes Bewusstsein, denn dies ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und gesundes Altern. Wert wird also neben dem Bemühen um eine bedarfsgerechte Versorgungsstruktur vor allem auf eine präventive Gesundheitsförderung gelegt. Ziel ist dabei auch die Senkung suchtbedingter Krankheiten. Konkrete Kooperationen der Altenhilfe werden vor Ort geschlossen. 5 3. Welche Fachveranstaltungen, Fachgespräche u. Ä. fanden seit 2007 zu Thema Alter und Sucht in Sachsen-Anhalt statt? In welcher Weise war das Land an diesen Veranstaltungen beteiligt? Die LS-LSA hat sich 2001-2002 mit der Thematik erstmals systematisch beschäftigt und auf Anregung ihres Facharbeitskreises „Eingliederungsleistungen“ ein erstes Fachgespräch gemeinsam mit Einrichtungen der Altenhilfe initiiert. Ausgangspunkt war die Problematik der Betreuung alt gewordener Suchtkranker. Zum damaligen Zeitpunkt gab es jedoch aus Sicht der Altenhilfe noch keinen Handlungsbedarf. In diesem Jahr hat die Landesstelle für Suchtfragen in Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen eines Bundesmodellprojektes ein Schulungspaket „Sucht und Alter“ für gemeinsame Schulungen von Sucht- und Altenhilfe entwickelt. Dieses wurde in Sachsen -Anhalt durch die LS-LSA allen anerkannten Suchtberatungsstellen zugänglich gemacht. In der Folge fand eine Schulung in Dessau-Roßlau statt und eine weitere in Magdeburg. Im Rahmen der Mitgliederversammlung der LS-LSA fand am 29.10.2013 ein Fachforum „Suchtmittelkonsum und Alter-Handlungsbedarf in Sachsen-Anhalt“ statt. Die LS-LSA wird aus Landesmitteln gefördert. Eine konkrete Abstimmung der inhaltlichen Arbeit erfolgt jeweils im Rahmen der Jahresplanung. 4. In welcher Form ist das Thema Drogenkonsum und Sucht Bestandteil der Altenpflegerinnen- und Altenpflegerausbildung in Sachsen-Anhalt? Die Pflege alter Menschen mit Suchterkrankungen ist Bestandteil des Pflichtprogramms im Unterricht für die Altenpflegeausbildung gemäß § 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für den Beruf der Altenpflegerin und des Altenpflegers (Altenpflege -Ausbildungs- und Prüfungsverordnung - AltPflAPrV; s. Anlage 1 unter A.1.3). 5. Welche Fortbildungen gab es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Be- reich Altenhilfe zum Thema Drogenkonsum und Sucht in den Jahren 2007 bis 2012? 5.1. Wie viele Personen wurden durch diese Fortbildung jeweils erreicht? Für den genannten Zeitraum liegen der Landesregierung keine Informationen über Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich Altenhilfe vor. Eine gesetzliche Verpflichtung zur regelmäßigen Fortbildung gibt es für Altenpflegerinnen und Altenpfleger als Angehörige eines nichtärztlichen Heilberufs allgemein gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 des Gesundheitsdienstgesetzes Sachsen-Anhalt. Eine Fortbildungspflicht mit konkreten Fortbildungsinhalten ist damit jedoch nicht verbunden.