Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2669 18.12.2013 (Ausgegeben am 18.12.2013) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Verbindungen von Rockern und Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/8092 Vorbemerkung des Fragestellenden: Im Sommer diesen Jahres hat sich nach Presseinformationen in Magdeburg ein eigenständiger , neonazistischer Motorradclub gegründet. Hierbei handelt es sich um die „Division 39 Magdeburg“. Das Vereinspatch dieses Motorradclubs besteht aus dem Vereinsnamen und einem SS-Totenkopf. Beides bezieht sich auf die „SS-Division Totenkopf“, welche sich ursprünglich aus Wachmannschaften der deutschen Konzentrationslager rekrutierte. Betreiber der Facebook-Seite und Gründer der „Division 39 Magdeburg“ soll eine Person sein, deren Name der Landesregierung bekannt ist. Sie ist ein seit Jahren bekannter Neonazi aus Magdeburg. Ein weiterer bekannter Neonazi in den Reihen der „Division 39“ soll eine weitere Person sein, deren Name der Landesregierung ebenfalls bekannt ist. Auch sie ist seit 2009 Mitglied der JN (Jugendorganisation der NPD) in Magdeburg und trat zuletzt als Ordner bei der NPD-Kundgebung am 17. September 2013 in Magdeburg auf. Diese Person präsentiert sich mit auf ihrer Facebook-Seite mit einem T-Shirt der „Division 39“. Die Entwicklung der zunehmenden Orientierung von Neonazis hin zu Motorradclubs wird von verschiedenen Initiativen bereits seit Jahren kritisch beobachtet. In mehreren Bundesländern gründeten sich ähnliche MC’s, so beispielsweise 2008 der „Schwarze Schar MC“ in Wismar oder der „Brigade 8 MC“ in Bremen. 2 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: I. Gegenstand polizeilicher Betrachtung sind Rockergruppierungen und rockerähnliche Gruppierungen sowie deren Straftaten. Daher wird im Folgenden ausschließlich auf solche Gruppierungen eingegangen. Sie weisen - bundeseinheitlichen Definitionen zufolge - folgende Merkmale auf: Eine Rockergruppierung (Outlaw Motorcycle Gang/OMCG) ist ein Zusammenschluss mehrerer Personen mit strengem hierarchischem Aufbau, enger persönlicher Bindung der Gruppenmitglieder untereinander, geringer Bereitschaft mit der Polizei zu kooperieren und selbst geschaffenen strengen Regeln und Satzungen. Die Zusammengehörigkeit der Gruppenmitglieder wird durch das Tragen gleicher Kleidung oder Abzeichen nach außen dokumentiert. Rockerkriminalität umfasst alle Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer Rockergruppe, die hinsichtlich der Motivation für das Verhalten im direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der Solidarität zu sehen sind. „Rockerkriminalität“ wird über die Motivation für die begangenen Straftaten, die in direktem Zusammenhang mit dem Motorradclub (MC) steht, definiert. Eine rockerähnliche Gruppierung ist eine Vereinigung von mehreren Personen mit gemeinsamen verbindenden Symbolen, Zeichen oder Namen, die durch ihr öffentliches Auftreten eine Atmosphäre der Gewalt und Einschüchterung schafft. Diese Gruppierungen zeichnen sich durch hierarchischen Aufbau, enge persönliche Bindung , geringe Bereitschaft zur Kooperation mit der Polizei sowie selbst geschaffene Regeln und Satzungen aus. Ihre Betätigungsfelder gleichen in weiten Teilen denen der Rockergruppierungen. Die Kriminalität der rockerähnlichen Gruppierungen umfasst alle Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern, die hinsichtlich der Motivation für das Verhalten im direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit und Solidarität zu einer Gruppierung sowie dem Machterhalt/-ausbau zu sehen sind. Die Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt beobachtet Personenzusammenschlüsse nach Maßgabe der §§ 7 Abs. 2, 4 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA). In Bezug auf in SachsenAnhalt ansässige Rockergruppierungen / rockerähnliche Gruppierungen liegen der Landesregierung derzeit keine tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne des § 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA vor. Die im Rahmen dieser Beantwortung wiedergegebenen Erkenntnisse der hiesigen Verfassungsschutzbehörde sind bei der Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen angefallen. II. Zwar ist der parlamentarische Informationsanspruch grundsätzlich auf die Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit angelegt. Die Landesregierung trifft aber eine Schutzpflicht gegenüber ihren nachrichtendienstlichen Quellen. Teile der Ant- 3 wort der Landesregierung müssen insoweit als „VS-VERTRAULICH“ eingestuft werden . Hierbei wird der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gefolgt , nach der bei der Erfüllung der Auskunftsverpflichtung gegenüber dem Parlament unter Geheimhaltungsaspekten wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen mit einbezogen werden können (vgl. BVerfGE 124 S. 161 [193]). Hierzu zählt auch die Geheimschutzordnung des Landtages (GSO-LT). Die Einstufung als Verschlusssache ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf das Wohl des Landes Sachsen-Anhalt und die schutzwürdigen Interessen Dritter geeignet, das Informationsinteresse des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Landesregierung zu befriedigen (Art. 53 Abs. 3 und 4 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt). Die Preisgabe detaillierter Informationen zu Erkenntnissen über personelle Schnittmengen zwischen Rockergruppierungen / rockerähnlichen Gruppierungen und der rechtsextremistischen Szene würde Rückschlüsse auf sensible Verfahrensweisen und Taktiken der Verfassungsschutzbehörde in Bezug auf deren Informationsgewinnung ermöglichen. Das Bekanntwerden dieser Informationen ließe somit befürchten, dass die wirksame Bekämpfung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen beeinträchtigt würde und hierdurch dem Wohl des Landes Sachsen-Anhalt Nachteile zugefügt würden. Darüber hinaus ist das Vertrauen in die Fähigkeit der Verfassungsschutzbehörden, Nachrichtenzugänge zu schützen, für ihre Funktionsfähigkeit essentiell. Die Mitteilung von Erkenntnissen, die ggf. Rückschlüsse auf Quellen zulassen, würde sich nachteilig auf die Fähigkeit des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt und ggf. auch der nachrichtengebenden Verfassungsschutzbehörde auswirken, solche Zugänge zu gewinnen bzw. solche Kontakte fortzuführen. Mit der GSO-LT wurde ein Instrument geschaffen, das es den Abgeordneten des Landtages ermöglicht, die entsprechend eingestuften Informationen einzusehen. Dem parlamentarischen Kontrollrecht wird damit Rechnung getragen. 1. Welche Kenntnisse für das Jahr 2012 bzw. 2013 liegen über personelle Schnittmengen zwischen Gruppierungen der sogenannten „Rocker“ (Motorradclubs - „MC’s“) und dem rechtsextremistischen Spektrum vor? Wie viele Personen umfasst diese sogenannte „Mischszene“ genau? Bitte nach Anzahl von Rechtsextremen in den einzelnen „MC’s“ aufschlüsseln. Derzeit sind ca. 670 in Sachsen-Anhalt wohnhafte Personen polizeilich bekannt, die Rockergruppierungen / rockerähnlichen Gruppierungen in Sachsen-Anhalt zugerechnet werden. Die Anzahl unterliegt permanent teils starken Schwankungen . Von diesen ca. 670 Personen sind im maßgeblichen Zeitraum zwei Personen (beide Mitglied des Underdogs MC Chapter Midland) einer politisch motivierten Straftat „rechts“ verdächtigt worden. Aus der Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen durch den Verfassungsschutz ist weiterhin bekannt, dass etwa drei Prozent der der Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt bekannten in Sachsen-Anhalt wohnhaften Rechtsextremisten Mitglied einer Rockergruppierung / rockerähnlichen Gruppierung sind. Eine Szenevermischung oder sogar eine systematische Unterwanderung der Rockergruppierungen / rockerähnlichen Gruppierungen von Rechtsext- 4 remisten oder eine Politisierung der Rockerszene durch die Einflussnahme von Rechtsextremisten ist derzeit aber nicht erkennbar. Den Erkenntnissen der Landesregierung zufolge agieren Rockergruppierungen und rockerähnliche Gruppierungen - ungeachtet der politischen Einstellung einzelner Mitglieder - grundsätzlich unpolitisch. Die politische Einstellung der Mitglieder wird zwar toleriert, nicht jedoch etwaige Aktivitäten in der rechtsextremistischen Szene. Einige Rockergruppierungen / rockerähnliche Gruppierungen verbinden mit einer Zugehörigkeit explizit die Lossagung rechtsextremistisch gesinnter Personen von der rechtsextremistischen Szene und verbieten jede politische Betätigung. Dadurch soll auch möglichen zusätzlichen Ansatzpunkten für Ermittlungen der Sicherheitsbehörden entgegengewirkt werden. Daher lassen die politischen Aktivitäten von Rechtsextremisten nach dem Eintritt in Rockergruppierungen / rockerähnliche Gruppierungen häufig stark nach oder kommen ganz zum Erliegen, was auch durch die starke Vereinnahmung der Mitglieder durch Club-Aktivitäten bedingt sein kann. Eine nachhaltige ideologische Beeinflussung von Rockergruppierungen / rockerähnlichen Gruppierungen durch Rechtsextremisten dürfte daher auch zukünftig eher unwahrscheinlich sein. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass sich rechtsextremistische Gruppierungen an der Struktur und am Auftreten von Rockergruppierungen / rockerähnlichen Gruppierungen orientieren und sich in vergleichbarer Form organisieren und darstellen, wie dies möglicherweise auch bei der benannten „Division 39 Magdeburg“ der Fall sein kann. Bislang liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei dieser Gruppierung um eine Rockergruppierung / rockerähnliche Gruppierung handelt, auch wenn es nach polizeilichen Erkenntnissen bei einer Person eine Überschneidung zwischen der Mitgliedschaft beim „Hells Angels MC Magdeburg“ und jener „Division 39 Magdeburg“ geben könnte. Der Landesregierung liegen weitere Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor, deren Mitteilung in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil der Beantwortung der Kleinen Anfrage aus Geheimhaltungsgründen nicht möglich ist. Zur Begründung hierfür wird auf die Vorbemerkung der Landesregierung zur Beantwortung dieser Kleinen Anfrage verwiesen. Die vollständige Antwort der Landesregierung auf diese Frage muss deshalb als „VS-VERTRAULICH“ eingestuft werden. Sie kann bei der Geheimschutzstelle des Landtages nach Maßgabe der Geheimschutzordnung des Landtages eingesehen werden. 2. Welche Erkenntnisse für das Jahr 2012 bzw. 2013 liegen über politische Zusammenarbeit zwischen Personen aus Rockergruppierungen und Rechtsextremisten im Rahmen rechtsextremistischer Gruppen, Organisationen und Veranstaltungen wie z. B. Kundgebungen und Demonstrationen vor? Bitte konkret aufschlüsseln nach bekannter Aktivität, Datum, Thema, Ort, Lokalität und Teilnehmerzahl. Über eine politische Zusammenarbeit zwischen Rockergruppierungen / rockerähnlichen Gruppierungen und der rechtsextremistischen Szene im maßgeblichen Zeitraum liegen keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 5 3. Welche Erkenntnisse für das Jahr 2012 bzw. 2013 liegen über kommerzielle Zusammenarbeit zwischen Personen aus Rockergruppierungen und Rechtsextremisten vor, z. B. im Zusammenhang mit Gaststätten, Diskotheken , Ladengeschäften und Tätowier-Studios? Über eine kommerzielle Zusammenarbeit von Rockergruppierungen / rockerähnlichen Gruppierungen und rechtsextremistischer Szene im maßgeblichen Zeitraum liegen keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Welche Erkenntnisse für das Jahr 2012 bzw. 2013 liegen über Treffpunkte vor, z. B. Gaststätten, die sowohl von Rechtsextremisten wie Rockern besucht werden? Wie viele solcher Treffpunkte gibt es in Sachsen-Anhalt? Bitte konkret nach Orten aufschlüsseln. Es liegen Erkenntnisse vor, dass im maßgeblichen Zeitraum Rechtsextremisten , ohne selbst Mitglied einer Rockergruppierung / rockerähnlichen Gruppierung zu sein, einige Objekte von Rockergruppierungen besuchten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den letzten Absatz der Antwort zu Frage 1 Bezug genommen.